Originalpublikation
Zhang X, Elsaid MI, DeGraffinreid C, Champion VL, Paskett ED (2023) Impact of COVID-19 on behaviors across the cancer control continuum in Ohio group. Impact of the COVID-19 pandemic on cancer screening delays. J Clin Oncol. 10.1200/JCO.22.01704.
Hintergrund.
COVID-19 hat die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht beeinflusst und vor große Herausforderungen gestellt. So hat sie in den USA dazu geführt, dass die Menge an Krebsvorsorgeuntersuchungen vor allem in der Anfangsphase der Pandemie dramatisch sank (bis zu 86–94 % verglichen mit den Vorjahren; [1]) und auch die neu gestellten Krebsdiagnosen abnahmen (bis zu 19–78 %; [2]). Aufgrund dieser Missstände geht man davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten in den USA ungefähr 10.000 zusätzliche Krebstodesfälle durch Brust- und kolorektale Karzinome auftreten werden [3].
In ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen wie Menschen aus geringeren Bildungsschichten, Menschen asiatischer Herkunft, Hispanoamerikaner*innen oder Afroamerikaner*innen könnten sich diese Verzögerungen in der Krebsvorsorge besonders deutlich manifestieren.
Das Ziel dieser Studie war es daher, die Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei Verzögerungen in der Krebsvorsorge zu identifizieren.
Methoden.
Diese Studie wurde von einem Konsortium von 17 Krebszentren, dem IC‑4 (Impact of COVID-19 on the Cancer Continuum Consortium), in den Bundesstaaten Ohio und Indiana durchgeführt.
Die Teilnehmer*innen der Studie wurden aus einer Gruppe von Personen und ihren Bezugspersonen rekrutiert, die an früheren Studien teilnahmen.
Die Datenerhebung erfolgte mittels Online‑/Telefon- und Papierfragebögen. Dabei wurden demografische Parameter wie Alter, Geschlecht (Mann oder Frau), ethnische Abstammung (weißer, asiatischer, schwarzer/afroamerikanischer oder „anderer“ Abstammung mit Möglichkeit der Mehrfachauswahl), Familienstand (Single oder nie verheiratet, verheiratet oder in Partnerschaft lebend, geschieden, getrennt, verwitwet oder „sonstige“), Versicherungsstatus (privat, öffentlich, beides) und Urbanität des Wohnorts (urban, ländlich) erfasst.
Grundsätzlich wurde gefragt, ob die Proband*innen zwischen März und Dezember 2020 eine Krebsvorsorgeuntersuchung geplant hatten und ob diese aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben wurde.
Ergebnisse.
7115 Teilnehmer*innen im durchschnittlichen Alter von 57,3 Jahren wurden in die Studie inkludiert. Davon lebten 95,8 % in Ohio, die restlichen Teilnehmer*innen in Indiana. 75 % der Teilnehmer*innen waren Frauen, 89 % waren nichtlateinamerikanisch weiß, 14 % waren gesetzlich versichert und 34 % lebten in ländlichen Gebieten.
Insgesamt waren die Teilnehmer*innen, die eine Krebsvorsorgeuntersuchung planten (60 %), eher jünger, häufiger weiblich, hatten einen höheren Bildungsgrad, waren eher privat versichert und lebten auf dem Land. Im Vergleich zu nichtlateinamerikanisch weißen Frauen hatten schwarze Frauen eine geringere Aussicht auf eine Verzögerung ihrer Mammographie (Odds Ratio [OR] 0,60; 95 %-Konfidenzintervall [CI] 0,39–0,94), lateinamerikanische Frauen höhere Aussicht auf Vertagung ihres Pap(Papanicolaou)-Test (OR 2,46; 95 %-CI 1,34–4,55) und Frauen aus anderen Ethnizitäten höhere Wahrscheinlichkeit auf eine Verzögerung sowohl beim Pap-Test (OR 2,38; 95 %-CI 1,14–4,02) als auch beim HPV-Test (OR 5,37; 95 %-CI 1,44–19,97).
Alles zusammengenommen wurden 36,2 % der Koloskopien, 27,1 % der Pap-Abstriche, 26,8 % der HPV-Tests, 24,5 % der Mammographien und 11,3 % der Untersuchungen auf Blut im Stuhl verschoben.
Zusätzlich zeigte sich noch, dass Frauen in höherem Lebensalter Mammographien mit geringerer Wahrscheinlichkeit als jüngere verschoben.
Diskussion.
In dieser Studie wurden erstmalig die Verzögerungen der Krebsvorsorgeuntersuchungen im Kontext demografischer Unterschiede erfasst, wobei 11–36 % der geplanten Krebsvorsorgeuntersuchungen zwischen März und Dezember 2020 verschoben wurden.
Eine Krebsvorsorgeuntersuchung war eher von jüngeren, verwitweten, getrennten oder geschiedenen Teilnehmer*innen geplant sowie von solchen mit höherer Bildung, höherem Einkommen, privater Versicherung oder Wohnsitz im ländlichen Umfeld.
Koloskopien wurden am häufigsten verschoben (36,2 %), gefolgt von Pap-Abstrichen, HPV-Tests und Mammographien.
In anderen Studien wurde zusätzlich ein allgemeiner Anstieg von Tests auf Blut im Stuhl festgestellt [4, 5]. Dies könnte möglicherweise eine Gegenregulation zu den Koloskopien sein, die häufiger verschoben wurden.
Bereits in einer vorherigen Erhebung konnte gezeigt werden, dass vor allem Menschen geringeren Bildungsstands und ethnische Minderheiten von zusätzlichen Verzögerungen in der Krebsvorsorge im Rahmen der COVID-19-Pandemie betroffen sind [4]. Dies ist vor allem deshalb besorgniserregend, weil diese Bevölkerungsgruppen (z. B. Hispanoamerikaner oder Ureinwohner) ein erhöhtes Risiko für Zervixkarzinome zeigten [4].
Kommentar
Auch wenn die Ergebnisse der Studie möglicherweise nicht uneingeschränkt auf andere Gebiete der USA oder der westlichen Welt anwendbar sind und die Auswertung ausschließlich auf einer Befragung fundierte, zeigen sie eindrücklich, welchen großen Einfluss demografische Faktoren auf eine adäquate Krebsfrüherkennung im Rahmen der COVID-19-Pandemie haben können.
Fazit für die Praxis
Das Aufklären vulnerabler Patientengruppen über die Relevanz von Krebsvorsorgeuntersuchungen durch Gesundheitsdienstleister könnte einen positiven Einfluss auf die Krebsfrüherkennungsraten haben und Krebstote verhindern.
Vor allem Gesellschaftsgruppen, die ohnehin bei der Krebsvorsorge benachteiligt waren, erlebten eine weitere Verschlechterung der Situation durch die COVID-19-Pandemie.
Interessenkonflikt
J. Bochtler, M.J. Hartmann und H. Alakus geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Footnotes
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Die Originalversion dieses Beitrags wurde korrigiert: Der Name des Autors Jonathan Bochtler wurde in diesem Artikel falsch geschrieben.
Change history
6/13/2023
Zu diesem Beitrag wurde ein Erratum veröffentlicht: 10.1007/s00761-023-01368-z
Literatur
- 1.Epic Health Research Network Preventive cancer screenings during COVID-19 pandemic. https://epicresearchblob.blob.core.windows.net/cms-uploads/pdfs/Preventive-Cancer-Screenings-during-COVID-19-Pandemic.pdf. Zugriffsdatum Februar 2023
- 2.Bakouny Z, Paciotti M, Schmidt AL, et al. Cancer screening tests and cancer diagnoses during the COVID-19 pandemic. JAMA Oncol. 2021;7:458–460. doi: 10.1001/jamaoncol.2020.7600. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- 3.Sharpless NE. COVID-19 and cancer. Science. 2020;368:1290. doi: 10.1126/science.abd3377. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- 4.Fedewa SA, Star J, Bandi P, et al. Changes in cancer screening in the US during the COVID-19 pandemic. JAMA Netw Open. 2022;5:2215490. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.15490. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- 5.Jaklevic MC. Pandemic spotlights in-home colon cancer screening tests. JAMA. 2021;325:116–118. doi: 10.1001/jama.2020.22466. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]