Tab. 1. Charakteristika und Ergebnisse von Studien zu psychosozialen Folgen von Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen vor der COVID-19-Pandemie (n = 13).
Studie und Publikationsjahr | Studienteilnehmer | Studienort | Studiendesign | Quarantänemaßnahme | untersuchte psychosoziale Faktoren | Erhebungsinstrumente | Hauptergebnisse |
Bai et al. 2004 22 | 338 Krankenhaus-mitarbeiter (12,1 % von Quarantäne betroffen, 51 % Frauen) mittleres Alter: 39,1±9,4 |
Hua-Lien, Taiwan | Querschnittstudie | aufgrund von möglichem Kontakt zu SARS-Patienten, Quarantäne für 9 Tage |
u. a. Kriterien für akutes Stresssyndrom, Stigmatisierung durch Umfeld, Ängstlichkeit | selbstdesignter Fragebogen, nach DSM-IV-Kriterien für akutes Stresssyndrom | Die Quarantäne erwies sich als der am stärksten assoziierte Faktor für die Entwicklung eines akuten Stresssyndroms. Die unter Quarantäne stehende Gruppe zeigte im Vergleich zur Gruppe ohne Quarantäne signifikant höhere Werte bei Erfahrungen von Stigmatisierung und Ablehnung durch das Umfeld. |
Cava et al. 2005 24 | 21 Personen (76 % Frauen); Alter: 85,7 % 25–64 Jahre; 9,5 % > 65 Jahre; 4,8 % < 24 Jahre |
Toronto, Kanada | qualitativ | im Rahmen des SARS-Ausbruchs 2003, mittlere Dauer: 9 Tage | individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews | semistrukturiertes Leitfadeninterview | Belastungen umfassten Angst um die eigene Gesundheit, Langeweile, negative Effekte bzgl. der Isolation von Mitmenschen und Stigmatisierung. V. a. Stigmatisierungserfahrungen wurden auch noch nach der Quarantänezeit erlebt. Bleibende Verhaltensänderungen, wie häufiges Händewaschen oder Meiden von Menschenmengen. |
DiGiovanni et al. 2004 27 | 1509 Einwohner Torontos (43 direkt von Quarantäne betroffen); 195 Angestellte im Gesundheitswesen (keine Angabe zu Alter und Geschlecht) |
Toronto, Kanada | Mixed methods | 10 Tage abzüglich der vergangenen Zeit zu vermutetem SARS-Kontakt | Stress, allg. emotionale Reaktionen, Stigmatisierung | Interviews, Telefonumfragen, Fokusgruppen | Quarantäne in Allgemeinbevölkerung: 37,2 % berichteten von emotionalen Problemen wie Angst, Einsamkeit, Schlaflosigkeit und depressiven Symptomen im Zusammenhang mit der Quarantäne. 39,5 % waren zudem von Stigmatisierungserfahrungen betroffen. Angestellte im Gesundheitswesen: 39 % berichteten von relevantem Stress während der Quarantäne, 68 % von Stigmatisierungserfahrungen. |
Hawryluck et al. 2004 23 | 129 Personen (Geschlecht: keine Angabe) Alter: 63,3 % 26–45 Jahre; 25,1 % 46–65 Jahre; 8,6 % 18–25 Jahre; 3,1 % > 66 Jahre |
Toronto, Kanada | Querschnittstudie | freiwillige Heimquarantäne aufgrund von möglichem Kontakt zu SARS; mediane Dauer: 10 Tage | PTBS und depressive Symptome | PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88) depressive Symptome: CES-D (Cut-off: ≥ 16; Max.: 60) |
Hohe Prävalenz von PTBS (28,9 %) und depressiven Symptomen (31,2 %). Niedriges Einkommen wurde mit höheren Werten in beiden Scores assoziiert. Längere Dauer der Quarantäne ( ≥ 10 Tage) zeigte ein erhöhtes Risiko für PTBS-Symptome. |
Jeong et al. 2016 17 | 1656 Personen (57 % Frauen); Alter: 43,9 ± 19,2 |
Südkorea | Längsschnittstudie | 14-tägige Quarantäne aufgrund von direktem Kontakt zu bestätigten MERS-Patienten | Wut und Ängstlichkeit | Wut: koreanischer Version des STAXI (Cut-off: ≥ 14) Ängstlichkeit: GAD-7 (Cut-off: ≥ 10) |
Während der Isolation: 7,6 % Symptome von Ängstlichkeit; 16,6 % Symptome von Wut. 4–6 Monate nach der Isolation: 3,0 % Symptome von Ängstlichkeit und 6,4 % Symptome von Wut. Die Prävalenz von Ängstlichkeit konnte somit als wieder normalisiert betrachtet werden. Risikofaktoren für beide untersuchten Größen zeigten sich u. a. schlechte Versorgung (mit Lebensmitteln, Haushaltswaren etc.), vorbekannte psychiatrische Erkrankungen und finanzielle Einbußen während der Quarantäne. |
Liu et al. 2012 18 | 549 Krankenhausmitarbeiter aus Peking (19 % von Quarantäne betroffen; 76,5 % Frauen); Alter: 35 % 36–45 Jahre; 33 % ≤ 35 Jahre; 32 % ≥ 46 Jahre |
Peking, China | Querschnittstudie | Heim- oder Arbeitsquarantäne aufgrund von Kontakt zu SARS-Patienten oder Entwicklung von SARS-Symptomen; mediane Dauer: 14 Tage | Symptome einer Depression, Symptome einer PTBS | depressive Symptome: CES-D (3 Gruppen: 1. < 16, 2. 16–24, 3. ≥ 25) PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20) |
Starke Assoziation zwischen dem Erleben einer Quarantäne und Ausprägung depressiver Symptome nach 3 Jahren. 59,5 % der Personen mit CES-D ≥ 25 waren von Quarantäne betroffen. |
Maunder et al. 2003 26 | Mitarbeiter eines Krankenhauses in Toronto (genaue Zahl nicht angegeben, keine Angabe zu Alter und Geschlecht) | Toronto, Kanada | qualitativ | freiwillige 10-tägige Quarantäne aufgrund von potenziellem Kontakt mit SARS | individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews | unstrukturiertere qualitative Interviews | Mitarbeiter unter Quarantäne berichteten Bedenken bezüglich ihrer persönlichen Sicherheit, einer möglichen Ansteckungsgefahr für Familienmitglieder, Stigmatisierung, zwischenmenschlicher Isolierung, Ängstlichkeit, Wut und Frustration. |
Mihashi et al. 2009 19 | 187 Personen (Mitarbeiter einer Druckerei sowie Mitarbeiter und Studierende einer Universität und Angehörige; 62,6 % Männer); Alter: 26,3±8 | Peking, China | Querschnittstudie | SARS-bedingte Isolation großer Gebiete Pekings, Dauer unbekannt | allg. psychische Störungen | GHQ-30 (Cut-off: ≥ 7) | 26,2 % zeigten 7–8 Monate nach der Quarantänemaßnahme Symptome einer psychischen Störung. Prädiktive Faktoren waren männliches Geschlecht, beschränkte Aktivitäten, eingeschränkte Lebensmittelversorgung und in besonderem Maße eine Reduktion des Einkommens. |
Reynolds et al. 2008 20 | 1057 Kontaktpersonen potenzieller SARS-Fälle (63 % Frauen); Alter: 49,2 ± 15,7 | Kanada | Querschnittstudie | Dauer im Durchschnitt 8,3 Tage (2–30 Tage) | Symptome einer PTBS, Compliance | PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88) | 14,6 % zeigten PTBS-Symptome. Prädiktive Faktoren waren eine längere Quarantänedauer, die Ausübung eines medizinischen Berufs, Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Quarantänemaßnahmen als auch eine vollständige Umsetzung der Maßnahmen. Hohe Prävalenzen von sozialer Isolation (60,6 %), Frustration (58,5 %), Wut (28,6 %) und Angst (22,4 %). Geringe vollständige Compliance (15,8 %); höher, wenn die Gründe für die Quarantäne bewusst waren. |
Robertson et al. 2004 25 | 10 Angestellte aus dem medizinischen Sektor (60 % Frauen); Altersrange: 25–58 Jahre | Toronto, Kanada | qualitativ | 10-tägige Heimquarantäne oder Umsetzung besonderer Schutzmaßnahmen bei der Arbeit aufgrund von Kontakt zu SARS | individuell unterschiedlich, da qualitative Interviews | semistrukturierte qualitative Interviews | Benannte Emotionen waren Angst, Frustration, Wut und Kontrollverlust. Die Notwendigkeit von klarer Information und Unterstützung wurde hervorgehoben. Auch Stigmatisierungserfahrungen wurden erlebt. |
Sprang, Silman 2013 28 | 398 Eltern (25 % von Quarantäne betroffen, 78 % Frauen); Durchschnittsalter: 37 Jahre (Range: 18–67 Jahre) | USA, Mexiko und Kanada | gemischte Erhebungsverfahren | Teilnehmende aus Gebieten, die besonders von H1N1 bzw. SARS betroffen waren; Quarantänedauer nicht angegeben | Symptome einer PTBS | PCL-C (Cut-off: > 25) für Eltern, Elternversion des PTBS-RI („klinischer Cut-off)“ für Kinder | 25 % der Eltern und 30 % der Kinder unter Quarantäne zeigten relevante PTBS-Symptome; signifikant höher als die der Vergleichsgruppe ohne Quarantäne. Eltern mit relevanten PTBS-Symptomen hatten in 85,7 % auch ein Kind mit PTBS-Symptomen. Prädiktive Faktoren für die Entwicklung von PTBS-Symptomen bei Eltern waren weibliches Geschlecht und junges Alter. |
Wu et al. 2009 21 | 549 Krankenhausmitarbeiter (19 % von Quarantäne betroffen, 76,5 % Frauen); Alter: 47,1 % 36–50 Jahre; 33,8 % ≤ 35 Jahre; 19,1 % ≥ 51 Jahre | Peking, China | Querschnittstudie | Arbeits- oder Heimquarantäne unklarer Länge aufgrund von Kontakt zu SARS | Symptome einer PTBS | PTBS: IES-R (Cut-off: ≥ 20; Max.: 88) | Die Gruppe unter Quarantäne zeigte ein signifikant höheres Risiko, PTBS- Symptome zu entwickeln als die Gruppe ohne Quarantäne. |
Yoon et al. 2016 29 | 6231 Personen (keine Angabe zu Alter und Geschlecht) | Südkorea | Fallstudie | Quarantäne aufgrund von MERS, Dauer unbekannt | emotionale Störungen wie Depression | es wurden Schlüsselfragen zur Ermittlung depressiver Symptome gestellt | Prävalenz emotionaler Störungen wie Depression: 19,3 %. Davon benötigten 28,7 % weitere psychologische Betreuung durch lokale Community Mental Health Center |
CES-D = Center for Epidemiologic Studies Depression Scale; DSM-IV = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; GAD-7 = Generalizied Anxiety Disorder Scale-7; GHQ-30 = General Health Questionnaire, 30-Item-Version; H1N1 = Influenza-A/H1N1-Virus, „Schweinegrippe“; IES-R = Impact of Event Scale, revidierte Form; MERS = Middle East Respiratory Syndrome; OR = Odds ratio; PCL-C = PTSD Check List Civilian Version; PTSD = Posttraumatic stress disorder; PTSD-RI = University of California at Los Angeles Posttraumatic Stress Disorder Reaction Index; SARS = Severe acute respiratory syndrome; STAXI = State-Trait Anger Expression Inventory