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. 2021 Jul 23;65(7-8):50–54. [Article in German] doi: 10.1007/s12614-021-0145-1

Strafrechtliche Ausläufer der COVID-19-Pandemie

PMCID: PMC8265287  PMID: 34257474

Corona und Strafrecht. Die COVID-19-Pandemie stellt auch die Rechtswissenschaften vor neue Fragen, da es gerade in einer solchen Ausnahmesituation nachvollziehbare und konsensfähige Regelungen braucht. Das ist nicht immer überzeugend gelungen - die missglückte Ausgangssperre ist da nur ein Beispiel.

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Im Strafrecht hat die COVID-19-Pandemie dazu geführt, dass altbekannte Delikte in völlig neue Lebenssachverhalte gekleidet in Erscheinung treten, aber auch ganz neue Tatbestände geschaffen worden sind. Was damit gemeint ist, soll mit wenigen ausgewählten Delikten aus drei verschiedenen Deliktgruppen veranschaulicht werden.

Betrug und Subventionsbetrug

Startschuss für die pandemiebezogenen Delikte war sicherlich die Einführung der sogenannten Corona-Soforthilfen Anfang 2020 in Höhe von 9.000 Euro für Selbstständige. Diese konnten ohne besonderen Aufwand per Online-Formular beantragt werden und sind meistens ohne inhaltliche Prüfung bewilligt worden. Wer das in betrügerischer Absicht getan hat, dürfte sich nach einem wegweisenden BGH-Beschluss vom Mai 2021 im Regelfall nicht mehr nur wegen Betruges gemäß § 263 StGB strafbar gemacht haben, sondern vielmehr wegen Subventionsbetruges gemäß § 264 StGB. Für das Merkmal einer Subvention lässt der BGH insoweit ausreichen, dass man mit dem Abhaken eines Online-Formulars bestätigt hat, dass einem bewusst ist, dass es sich bei den Hilfen um Subventionen handelt. Das führt dazu, dass auch Fälle von Fahrlässigkeit, § 265 Abs. 5 StGB, im Umgang mit besagten Online-Formularen strafbar sind, was bei § 263 StGB gerade nicht der Fall ist, da der Betrug nicht fahrlässig begangen werden kann. Vor diesem Hintergrund wird abzuwarten sein, wie sich die Dinge rund um angebliche Falschmeldungen der Intensivbettenbelegung in Krankenhäusern entwickeln. Sollte im Einzelfall nachweisbar sein, dass bewusst zu hohe Belegzahlen gemeldet wurden, um monetäre Zuwendungen zu erhalten, erfüllt auch das entsprechende Straftatbestände. Ein weiterer Bereich, der für den besonders schweren Fall des Betruges gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB in den Fokus geraten ist, ist die Corona-Testindustrie. Betreiber sogenannter Testzentren sollen - so der Gegenstand verschiedener Ermittlungsverfahren - nicht vorgenommene Tests beim Bund abgerechnet haben. Das kann im Einzelfall das erschwerende Merkmal der "Gewerbsmäßigkeit" erfüllen, sollte der Täter damit allein oder überwiegend seinen Lebensunterhalt finanziert haben. Liegt ein solcher Fall vor, bedeutet das eine nicht unerhebliche Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten.

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Unrichtige Gesundheitszeugnisse, Impfbescheinigungen oder Tests

Neben den angerissenen Vermögensdelikten sind insbesondere für Heilberufler die mit der COVID-19-Pandemie virulent gewordenen sowie teils ganz neu geschaffenen Urkundsdelikte relevant. So steht das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 StGB unter Strafe, wenn dies zum Gebrauch bei einer Behörde erfolgt. Dieses Delikt hat mit dem Aufkommen sogenannter "Corona-Leugner" und "Querdenker" Konjunktur bekommen, indem ärztlicherseits - teils inflationär - Gefälligkeitsatteste dahingehend ausgestellt worden sind, wonach das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen zu unterlassen sei. Für die Ermittlungsbehörden wird es in diesem Zusammenhang stets problematisch sein, positives Wissen dahingehend nachzuweisen, dass das Gesundheitszeugnis unrichtig ist und der Patient es zum Gebrauch bei einer Behörde verwendet. Sollte es hierbei außerdem zu Durchsuchungen einer Arztpraxis kommen, dürften die dort erlangten Beweise regelmäßig aufgrund der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme unverwertbar sein.

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Daneben ist seit dem 1. Juni 2021 nun ganz neu in die Riege der COVID-19- relevanten Delikte § 75a IfSG gestoßen. Diese Vorschrift soll eine Regelungslücke im Zusammenhang mit unrichtigen Impfpässen schließen. Es ist strafbar, wenn medizinische Laien ganze Impfpässe mit angeblichen Impfungen gegen COVID-19 fälschen, da sie dies in der Regel unter Angabe eines mit ihnen nicht identischen Ausstellers zur Täuschung im Rechtsverkehr machen. Mit dem neuen § 75a IfSG hat der Gesetzgeber nun auf die Konstellationen reagiert, in denen ein Arzt freimütig unrichtige Angaben zu Schutzimpfungen im Impfpass dokumentiert. Bislang täuschte der Arzt dabei ja nicht über seine Identität als Aussteller, sondern erklärte mit den unrichtigen Angaben im Impfpass "nur" eine schriftliche sowie nicht gemäß § 267 StGB strafbare Lüge. § 75a IfSG stößt in diese Lücke und bestraft jetzt solche schriftlichen Lügen im Bereich von Schutzimpfungen sowie Testungen. Das beginnt schon in dem Moment, in dem die Daten von tatsächlich erfolgten Impfungen falsch angegeben werden, um den Eintrittszeitpunkt der Immunität vorzuziehen.

Gefährliche Körperverletzung

Von den Beispielen der Vermögens- und Urkundsdelikte soll nun noch der Bogen zu einem abschließenden "Klassiker des Strafrechts" aus dem Feld der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit gezogen werden: der gefährlichen Körperverletzung. Auf die Definitionen des Tatbestands soll hier nicht näher eingegangen werden. Nur soweit, dass die Körperverletzung als Grundtatbestand unter anderem dann qualifiziert und mit höherer Strafandrohung begangen wird, wenn sie mit der Beibringung gesundheitsgefährdender Stoffe einhergeht. Solche Stoffe können auch Viren sein. Das wohl berühmteste Beispiel zu dieser Rechtsfrage ist ein BGH-Urteil von 1988, das die vorsätzliche Ansteckung mit dem HI-Virus zum Gegenstand hatte. Wegweisend hat der BGH damals entschieden, dass ein HIV-Infizierter, der in Kenntnis seiner Ansteckung mit einem anderen ohne Schutzmittel Sexualverkehr ausübt, wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar sein kann. Ist eine Übertragung des AIDS-Erregers indes nicht feststellbar, kommt eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht.

Die BGH-Entscheidung ist nun aktueller denn je, da sie auf eine vorsätzliche Ansteckung mit COVID-19 übertragbar ist. Wer also in Kenntnis seiner Infektion die Nähe zu einem Dritten sucht, um dessen Infektion mit COVID-19 zu erreichen, macht sich im "Erfolgsfall" wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar. Bei einem Ausbleiben der Ansteckung bliebe die Versuchsstrafbarkeit.

Ferner denkbar sind auch Strafbarkeiten wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB und sogar fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB, wenngleich ein Tötungserfolg kausal auf die Infektion zurückzuführen sein müsste, was wohl nur schwer beweisbar sein dürfte. Dass der geschilderte Fall - wenn auch leicht abgewandelt - praktische Relevanz hat, hat jüngst ein Beispiel aus Meerbusch gezeigt. Im April 2021 berichteten Medien über einen Profifußballer, der in Kenntnis seines positiven Tests auf COVID-19 seine beiden Kinder mit Krankheitssymptomen ohne Testung in die Kindertagesstätte gebracht haben soll, woraufhin die Einrichtung kurzfristig geschlossen werden musste. Inwiefern nun die Kenntnis über die Infektion bestand und auch die Kinder infiziert waren, ist Gegenstand noch laufender Ermittlungen der Polizei im Rhein-Kreis Neuss. Sollte sich der Sachverhalt so abgespielt haben, kann von einer billigenden Inkaufnahme der Infektion Dritter in strafbarer Weise mittelbar über die Kinder ausgegangen werden, sodass dies wenigstens zu einer Versuchsstrafbarkeit führte.

Fazit

Der hier exemplarisch angerissene Dreiklang von möglichen Straftaten macht deutlich, wie vielfältig die Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens im Kontext der COVID-19-Pandemie sind. Weitere Problemfelder sind sicher auch das Inverkehrbringen nicht geeigneter Masken oder Tests, das Unterlassen von Meldepflichten einer Infektion mit der Folge weiterer Infektionen Dritter oder auch "nur" Ordnungswidrigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetzt oder gemäß erlassener Schutzverordnungen der Länder. Es bleibt also aus strafrechtlicher Sicht spannend, wie sich die Dinge weiter entwickeln werden.

Literatur

Die Literaturliste kann bei der Redaktion (dfz@fvdz.de) angefordert werden.


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