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. 2021 Dec 28;69(1):30–31. [Article in German] doi: 10.1007/s35128-021-1003-1

Debatte um die BU geht in die Verlängerung

Stefanie Hüthig 1,
PMCID: PMC8712103

Von einem "katastrophalen Zustand" der Berufsunfähigkeits-Versicherung war auf dem Vorsorgefachforum von Premium Circle die Rede. Was das Unternehmen deshalb plant und welche Erwartung CDU-Mann Wolfgang Bosbach dämpft.

Claus-Dieter Gorrs Ziel ist es, die Berufsunfähigkeits-Versicherung (BU) zu verbessern. Dazu will der Chef des Beratungs- und Softwareunternehmens Premium Circle die Versicherer vor sich hertreiben, aber auch "die Vermittlerschaft sehr stark infrage stellen". Dies sagte er auf dem zehnten Vorsorgefachforum, einer Eigenveranstaltung seines Hauses, im November 2021 in Kassel. Die Teilnehmer der Veranstaltung, hauptsächlich Vermittler beziehungsweise das Maklernetzwerk, also die Kunden von Premium Circle, seien nicht das Problem. "Aber ich reibe mich nicht mehr für die Masse auf", stellte Gorr gegenüber Versicherungsmagazin klar. Er will "eine Art gewerblichen Verbraucherschutz" aufziehen.

Im kommenden Jahr nimmt Premium Circle daher einen Perspektivenwechsel vor. Das Unternehmen will sich dem Endverbraucher zuwenden. Dabei handelt es sich um einen teilweisen Wechsel des Geschäftsmodells, wie Gorr erwähnte. "Die BU ist ein ganz grauenvolles Produkt", erläuterte er seine Motivation.

Das Kernproblem für "den katastrophalen Zustand der BU" sind laut Premium Circle die unverbindlichen Formulierungen und unbestimmten Begriffe in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Gorr gab zwei Beispiele. So umfassten die BU-AVB der Swiss Life 51 Seiten. Im Schnitt komme das Unternehmen auf eine unverbindliche Formulierung pro Seite. Die Targo bringe es auf durchschnittlich 7,8 bei acht Seiten AVB.

Deshalb bietet Premium Circle künftig eine BU-Software für Endkunden an. Zu allen in der Anwendung enthaltenen rund 350 Leistungskriterien soll es Transparenzkriterien geben. Die Software werde damit die Punkte in den AVB offenlegen, die unklar sind, mit dem Ziel, dass der Kunde dazu direkt beim Versicherer um Klarstellung bittet.

Mit Blick auf die Vermittlerhaftung in der BU betonte Gorr: "Ich kann nur raten, dem Kunden die AVB hinzulegen und zu sagen: 'Lies selbst und wenn du Fragen hast, frag den Versicherer. Ich sag nichts.'" Dem Versicherer könne nichts Besseres passieren, als wenn der Vermittler dem Kunden im BU-Geschäft zu einer bestimmten Gesellschaft rate, weil er mit ihr gute Erfahrungen gemacht hat.

Studie zu Folgen von Covid-19 in der BU stieß auf Kritik

Damit dürfte die Auseinandersetzung um die BU in die Verlängerung gehen. Die im Frühjahr von Premium Circle veröffentlichte Studie zur BU im Zusammenhang mit Covid-19 war vom Verein Zukunft für Finanzberatung (ZFF) harsch kommentiert worden. Der Finanzberater-Verband kritisierte, dass die Ergebnisse - unter anderem, dass die Gefahr einer Leistungsablehnung durch Corona deutlich erhöht sei - auf einer unzureichenden Datenlage basierten. An der Studie hatten sich sieben BU-Versicherer beteiligt. "In unseren Augen lässt sich aus der geringen Teilnahme auch nicht schließen, dass die anderen Versicherer etwas zu verbergen hätten", so der ZFF.

In einer Stellungnahme als Antwort auf den Kommentar des ZFF erklärte Premium Circle, dass es Ziel der Studie gewesen sei, der Branche einen ersten Überblick darüber zu verschaffen, wie die Anbieter von BUs im Antrags- und Leistungsprozess mit den Folgen der Corona-Pandemie umgehen. "Dass nur so wenige Versicherer an der Studie teilnahmen, lasse den Schluss zu, dass ein Großteil der Branche offenbar lieber durch Verschwiegenheit auf die Sicherung der einseitig steuerbaren Geschäftsmodelle setze als darauf, mit verständlichen und verbindlichen Produkten die Attraktivität für Versicherte zu erhöhen", schreibt "Finanzwelt" in einem Bericht zur Stellungnahme des Unternehmens.

Welche Fragen Verbraucher stellen könnten

Wie Versicherer mit Fragen zur BU von Verbrauchern umgehen, untersuchte Diana Mai, die als Werkstudentin im Strategy and Innovation Management bei Premium Circle tätig ist. "Ich habe zunächst in verschiedenen Projekten gearbeitet und stieß dann zum Projekt BU dazu", erzählt sie auf Anfrage von Versicherungsmagazin. "Da habe ich beschlossen, in einer eigenen Kurzanalyse unabhängig von meiner Tätigkeit bei Premium Circle etwas Mystery Shopping zu betreiben, und zwar ohne Ahnung vom Produkt zu haben, um den Versicherern eben Fragen zu stellen, die auch von Verbrauchern kommen würden." Unter den sechs Fragenkomplexen, die sie den Gesellschaften stellte, waren zum Beispiel: "Was heißt das, '50 Prozent Berufsunfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf'? Woran werden diese 50 Prozent denn gemessen und was ist überhaupt mein Beruf?" und "Sie schreiben, dass Sie ausführliche Berichte der Ärzte benötigen. Was heißt ausführlich? Muss ich da auch so etwas wie Kopfweh oder Rückenschmerzen angeben? Wie weit in die Vergangenheit muss das reichen?".

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Enttäuscht war Mai zunächst vom Rücklauf. Von den 59 angeschriebenen Versicherern antworteten binnen rund zwei Wochen 29 Gesellschaften nicht und 17 nicht auf die Fragen. Die Antworten bewertete Mai darauf, ob sie vollständig, individuell, verständlich, verbindlich und hilfreich ausfielen. Dafür gab es jeweils einen Punkt. Insgesamt konnte ein Versicherer also fünf Punkte pro Frage erzielen. Am besten schnitt die Hanse-Merkur mit einem Durchschnittswert von 4,5 ab. Über 50 Prozent der antwortenden Unternehmen erzielten im Mittel jedoch nur zwei Punkte oder weniger. Bei der Vorstellung der Studie gab sich die Studentin auch selbstkritisch: Mittlerweile habe sie während ihrer Tätigkeit einiges über die BU gelernt und würde so manche Antwort anders bewerten. "Die beiden Geschäftsführer von Premium Circle haben mich aber mit Absicht im Dunkeln gelassen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen", betont sie. Auch sie mahnt Vermittler: "BU-Verkauf und sagen 'passt schon', das ist, wie betrunken Auto zu fahren."

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Der Erwartung, dass der Gesetzgeber umfangreich in Sachen BU tätig werden könnte, verpasste CDU-Politiker und Jurist Wolfgang Bosbach beim Vorsorgefachforum einen Dämpfer. Ohne unbestimmte Rechtsbegriffe gehe es eben nicht. Und die Beweislast liege im deutschen Recht nun mal beim Versicherten. Zwar stellt auch Bosbach infrage, ob sich gerichtliche Auseinandersetzungen zur Leistung einer BU jahrelang hinziehen müssen, wie sie das mitunter tun. Aber wer fordert, Rechtsmittel wie Berufung und Revision nicht zuzulassen, müsse daran denken, dass sich dann auch der Versicherte nicht gegen ein Urteil wehren kann, sollte es für ihn ungünstig ausfallen.

Kompakt.

  • Beim Vorsorgefachforum kritisierte der Veranstalter Premium Circle die Versicherungsgesellschaften für ihre BU-Produkte stark.

  • Demnach gibt es in den Versicherungsbedingungen zu viele unverbindliche Formulierungen und unbestimmte Begriffe. Vermittler könnten dadurch schnell in eine Haftungsfalle geraten.

  • Über eine Art gewerblichen Verbraucherschutz will Premium Circle Verbesserungen in der BU erreichen.

  • Politiker und Jurist Wolfgang Bosbach sieht für Eingriffe des Gesetzgebers keine großen Chancen.


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