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. 2021 Dec 8;65(1):40–46. [Article in German] doi: 10.1007/s00103-021-03466-y
ASSIP-Sitzungsinhalte
(1) In der ersten Sitzung, dem narrativen Interview, werden die Patient*innen gebeten, ihre Geschichte, die zum Suizidversuch geführt hat, zu erzählen („Ich möchte Sie bitten mir zu erzählen, wie es zu diesem Suizidversuch kam“). Den Patient*innen wird Raum gegeben, die Geschichte so zu erzählen, wie sie sie erlebt haben. Therapeut*innen sind angehalten, Pausen zuzulassen und die Erzählung nicht durch Fragen zu unterbrechen. Erst wenn Patient*innen mit ihrer Geschichte zum Ende kommen, sollten Therapeut*innen offene Verständnisfragen klären. Das Ziel des narrativen Interviews besteht darin, ein gemeinsames, patientenorientiertes Verständnis der suizidalen Krise in einem biografischen Kontext zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen die narrative Kompetenz von Patient*innen und der Aufbau einer frühen therapeutischen Beziehung. Die Sitzung wird auf Video aufgezeichnet. Psychoedukative Unterlagen („Suizid ist keine überlegte Handlung“) werden den Patient*innen mit nach Hause gegeben
(2) In der zweiten Sitzung wird der Hausaufgabentext besprochen und persönliche Erfahrungen mit den wichtigen theoretischen Konzepten in Zusammenhang gebracht. Im Anschluss wird ein Video-Playback durchgeführt, in dem Patient*in und Therapeut*in Seite an Seite sitzen und ausgewählte Sequenzen des aufgezeichneten Narrativs anschauen. Dabei werden individuelle Muster, die zu suizidalem Verhalten führten, sowie persönliche Vulnerabilitäten und Trigger-Ereignisse identifiziert. Ziel des Video-Playbacks ist zudem, den mentalen Zustand (den sogenannten suizidalen Modus) der Patient*innen in einem sicheren Setting zu reaktivieren und gleichzeitig den Übergang des erlebten psychischen Schmerzes/Stresses hin zu suizidalem Verhalten Schritt für Schritt zu analysieren. Automatische Gedanken, Gefühle, physiologische Veränderungen und daraus resultierende Verhaltensmuster werden identifiziert und präventive Verhaltensmaßnahmen erarbeitet. Zugleich werden eine kognitive Umstrukturierung und eine emotionale Neuintegration ermöglicht. Für die dritte Sitzung bereiten die Therapeut*innen eine schriftliche Zusammenfassung der Abläufe der suizidalen Krise vor
(3) In der dritten Sitzung wird dieser schriftliche Entwurf der individuellen und suizidspezifischen Fallkonzeption gemeinsam überarbeitet. Muster, Abläufe und längerfristige Therapieziele, die im Zusammenhang mit suizidalen Krisen stehen, aber auch persönliche Warnzeichen und suizidspezifische Bewältigungsstrategien werden erarbeitet und in der Fallkonzeption suizidalen Verhaltens festgehalten. Anschließend werden diese – im Sinne eines Notfallplans – auf einen kreditkartengroßen Leporello (Zick-Zack-Faltheft) kopiert. Zusätzlich erhalten die Patient*innen eine Notfallkarte mit wichtigen Notfallnummern, um einen einfachen Zugang zum Helfersystem zu garantieren
(4) In der vierten Sitzung, die optional angeboten wird, werden die erarbeiteten Strategien im Rahmen einer erneuten Videoexposition eingeübt: Die Patient*innen betrachten die Videoaufnahme aus der ersten Sitzung und werden aufgefordert, die Geschichte ihres suizidalen Erlebens und Verhaltens mit den erarbeiteten Strategien probeweise zu unterbrechen. Im Anschluss an die Sitzungen bekommen die Patient*innen über 2 Jahre hinweg regelmäßig halbstandardisierte Briefe zugeschickt. Hierbei werden die Patient*innen daran erinnert, dass auch in Zukunft suizidale Krisen auftreten können und sie dabei ihre eigenen erarbeiteten Strategien nutzen sollen. Diese Vorgehensweise dient dem Ziel, eine lockere, aber verbindliche therapeutische Verankerung zu halten und einen einfachen Zugang zum Helfersystem zu gewährleisten