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editorial
. 2023 May 4;126(5):337–338. [Article in German] doi: 10.1007/s00113-023-01312-1

Der Unfallchirurg und Orthopäde als Gutachter

The trauma and orthopedic surgeon as an expert witness

Klaus Dresing 1,2,
PMCID: PMC10157564  PMID: 37140638

Die Tätigkeit als Unfallchirurg und Orthopäde beinhaltet neben der primären Versorgung und Betreuung von Patienten und Verletzen die Begutachtung. Eigene oder fremde Patienten werden begutachtet, entsprechend den verschiedenen Rechtsgebieten.

In der Weiterbildung in O und U sind in den Ordnungen die Anfertigung von Gutachten Teil der Weiterbildung. Das ärztliche Gutachten soll wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerungen über den Gesundheitszustand oder funktionelle Einschränkungen eines Patienten oder einer Patientin geben. Die Befähigung dazu sollte in der Weiterbildung erworben werden. Strukturiertes Vorgehen bei der Gutachtenerstellung kann eigene Behandlungsprozesse verbessern helfen. Nicht nur aus eigenen Fehlern, sondern auch aus Fehlern anderer, die bei den Gutachten analysiert werden können, lernen die gutachterlich Tätigen. Gutachten in der Weiterbildung sind für das weitere Berufsleben von enormer Bedeutung. Die verschiedenen Rechtsgebiete haben unterschiedliche Anforderungen an die Gutachtenprozesse. Wir unterscheiden Sozialrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht, Arbeitsrecht und Strafrecht. Auftraggeber können Rentenversicherungen, Behörden, private Versicherungen, Gesetzliche Unfallversicherung, Gerichte, Staatsanwaltschaften u. a. sein. Die Ausbildung in der gutachterlichen Tätigkeit wird teilweise stiefmütterlich während der Weiterbildung geführt. Ein spezielles Weiterbildungs-Curriculum in O+U existiert selten in den Kliniken. Eine strukturierte Weiterbildung wie die curriculäre Fortbildung „Medizinische Begutachtung der Ärztekammern“ existiert nicht. Hier könnte ein Mentorenprogramm während der Weiterbildung unterstützen. Die Kriterien bei der Erstellung lassen sich mit dem Akronym GUTACHTEN zusammenfassen: Genauigkeit, Untersuchung, Timing, Anamnese/Analyse, Chirurgie, Herausforderung, Tatsachen, Eigeninitiative, Nachschlagen.

Bei einem Gutachtenauftrag hat der Auftraggeber Erwartungen an die Sachverständigen

Das medizinische Gutachten ist als Hilfsmittel für juristische Auftraggeber gedacht. Die Schlüsselmerkmale, die ein gutes Gutachten ausmachen, sind: Die Gutachterinnen und Gutachter müssen sich durch fachliche Kompetenz, Unvoreingenommenheit und Neutralität auszeichnen. Sie müssen die wesentlichen Teile des Gutachtens persönlich erbringen. Und sie sollten die (Beweis‑)Fragen schlüssig und nachvollziehbar darstellen. Eine klare Gliederung von Gutachten ist wichtig, um alle geforderten Aspekte zu berücksichtigen.

Bei der Bewertung und Einordnung von Schäden und Funktionseinbußen werden seit Langem Tabellenwerke sowohl in der Gesetzlichen als auch in der Privaten Unfallversicherung eingesetzt. Einige Autoren glauben, die Tabellenwerke seien Mitte bis Ende des letzten Jahrhunderts entwickelt worden. Die MdE-Werte sind jedoch nicht erst mit der Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, geschweige denn in den letzten Jahrzehnten. Diese gehen auf das Jahrtausende alte Talionsprinzip zurück, einer Grundform des materiellen Haftpflichtrechts, nach dem der Schädiger dem Geschädigten – bei einer schuldhaften Beeinträchtigung der Gesundheit – den dadurch entstandenen materiellen Verlust ersetzten muss.

Die MdE-Tabellen berücksichtigen in erster Linie die Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Thomann zeigt auf, dass die Gliedertaxen der Privaten Unfallversicherungen früher für die MdE-Tabellen Pate standen. Mit der Beurteilung der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) werden die funktionellen Einschränkungen und deren Auswirkungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegrenzt. Die Sektion Begutachtung der DGOU hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Eckwertevorgaben der Gliedmaßenverluste zur Orientierung der Einschätzung und damit für eine angepasste Gewichtung der Einschätzung der Verletzungsfolgen zu erreichen. Die Diskussion in O und U wurde damit wieder aufgenommen.

Gutachter und Gutachterinnen fühlen sich teilweise in ihrer Gutachtenerstellung eingeengt, da sie befürchten, sie könnten für ihre Aussagen im Gutachten in Haftung genommen werden. Klagen wegen fehlerhafter Begutachtung sind äußerst selten. Nur dann, wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt wird, kann es Probleme geben. Jede(r) als GutachterIn Tätige sollte aber den Versicherungsschutz seiner Haftpflichtversicherung überprüfen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Die COVID-Pandemie hat eigentlich jeden, in welcher Weise auch immer, getroffen. Jetzt kommen auf die GutachterInnen meist im Rahmen der Gesetzlichen Unfallversicherung vermehrt Aufträge zu, in denen bewertet werden soll, ob bei Versicherten eine entschädigungspflichtige Long-COVID-Symptomatik besteht. Es gibt vielfältige Symptome, die in verschiedene Fachgruppen fallen: Neurologie, Psychologie, Kardiologie, Pneumologie, Dermatologie, HNO, Gastroenterologie und muskuloskeletales Fachgebiet.

Unfallchirurgisch Begutachtende können diese vielfältigen und komplexen Beschwerdebilder nicht allein begutachten. Die Klärung der Frage nach Anerkennung als Berufskrankheit, Anerkennung als Arbeitsunfall, Invalidität kann nur im Team verschiedener medizinischer Fachgruppen erfolgen. Es ist für die Gutachter wichtig zu unterscheiden, zwischen SARS-CoV-2-bedingten, unmittelbaren auftretenden somatischen und psychischen Störungen gegenübergestellt zu Verstärkungen von Vorerkrankungen sowie pandemiebedingten psychosozialen Belastungsfolgen.

Interessenkonflikt

K. Dresing gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Footnotes

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Articles from Unfallchirurgie (Heidelberg, Germany) are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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