Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) hat 2013 eine Stellungnahme zu genetischen Zusatzbefunden in Diagnostik und Forschung verabschiedet [1]. Da sich seitdem die Methoden genetischer Analysen deutlich weiterentwickelt haben, Multigen-Analysen zunehmend Exom- oder Genom-basiert als virtuelles Panel durchgeführt werden, sich in der internationalen Diskussion die Begrifflichkeiten geändert haben und inzwischen einige Erfahrung mit Verfahren der Hochdurchsatzsequenzierung (next-generation sequencing, NGS) vorliegt, bestand die Notwendigkeit einer Überarbeitung. Zudem hat 2013 – nach Veröffentlichung der GfH-Stellungnahme – das American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) erstmals empfohlen, dass bei Exom- und Genom-Sequenzierungen im diagnostischen Kontext, unabhängig von der Indikation, eine Mitteilung von (wahrscheinlich) pathogenen Varianten in definierten Genen erfolgen soll, aus denen sich ein relevanter medizinischer Nutzen für die Patienten im Hinblick auf die Morbidität und Mortalität ergeben kann (sog. „medically actionable genes“) [2]. Die aktuelle Version dieser ACMG-Liste wurde 2022 publiziert und enthält über 78 Gene, darunter Gene für Tumordisposition, Bindegewebs- und Herzerkrankungen, für Familiäre Hypercholesterinämie und Maligne Hyperthermie [3]. Diese Empfehlungen wurden international kontrovers diskutiert. 2013 erstellte Europäische Richtlinien beinhalten keine obligate Analyse bestimmter Gene, empfehlen eine Minimierung der Wahrscheinlichkeit von Zusatzbefunden durch die entsprechende Methodenwahl und stellen fest, dass das Vorgehen zu Zusatzbefunden (Aufklärung, Einwilligung mit eventuellen Wahlmöglichkeiten, Festlegung von Zusatzbefunden, Rückmeldung) lokal oder national festgelegt werden soll [4]. Im Jahr 2021 veröffentlichte Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik zum sog. opportunistischen genomischen Screening bekräftigten diese zurückhaltende Position [5]. Eine 2018 verabschiedete S1-Leitlinie der GfH zur NGS-Diagnostik stellt fest, dass „für diagnostische Zwecke nur Varianten in Genen mit einem bekannten (…) Zusammenhang zwischen pathogenen Veränderungen und entsprechenden Phänotypen befundet werden (sollen)“, konkretisiert den Umgang mit Zusatz- und Zufallsbefunden aber nicht [6]. Die vorliegende überarbeitete Stellungnahme möchte diese Lücke schließen und die Empfehlungen an den aktuellen Stand der Diskussion anpassen.
I. Definition
Der Begriff „Zusatzbefunde“ (englisch: secondary findings) bezeichnet gemäß einer seit 2015 auch vom ACMG aufgegriffenen Definition der US-amerikanischen Presidential Commission on Bioethical Issues [7] bei umfassenden genetischen Untersuchungen aktiv und absichtlich erhobene Befunde, die mit der eigentlichen diagnostischen Fragestellung (dem „primary target“, also dem Ziel oder Zweck der Untersuchung) nicht in Verbindung stehen. Dieser mittlerweile gebräuchlichen Begriffsdefinition schließt sich die GfH – abweichend von der Stellungnahme aus dem Jahr 2013 [1] – nunmehr an.
In diesem Zusammenhang wird unter dem Begriff „opportunistisches (genomisches) Screening“ in der internationalen Diskussion und in dieser Stellungnahme die per definitionem aktive und absichtliche Erhebung von Zusatzbefunden an einem ohnehin vorliegenden Rohdatensatz verstanden, also ein Vorgehen, das die sich bietende Gelegenheit („opportunity“) für ein solches indikationsloses Screening nutzt.
Als „Zufallsbefunde“ (englisch: incidental/unsolicited findings) werden hingegen Befunde bezeichnet, die zwar ebenfalls in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der diagnostischen Fragestellung stehen, aber nicht gezielt oder absichtlich erhoben wurden. In der einschlägigen Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission [8] entspricht der Terminus „Befunde außerhalb des Untersuchungszweckes“ weitgehend dem, was im Rahmen dieser Stellungnahme als Zufallsbefund bezeichnet wird. Allerdings lässt sich auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik die genetische Analyse bei breiten diagnostischen Fragestellungen nicht auf Gene, Genotypen oder genetische Varianten beschränken, die ausschließlich für den eigentlichen Untersuchungszweck relevant sind (u. a. da viele Gene je nach pathogener Variante sehr unterschiedliche Phänotypen zur Folge haben können). Letztlich liegt es daher im ärztlichen Ermessen zu entscheiden, ob ein Befund einer genetischen Hochdurchsatzanalyse innerhalb oder außerhalb des Untersuchungszweckes liegt bzw. ob er als Zufallsbefund zu werten ist oder ein kausaler Zusammenhang mit dem Zweck der Untersuchung eine plausible Möglichkeit darstellt.
Sowohl Zusatzbefunde als auch Zufallsbefunde werden in Arztbriefen und molekulargenetischen Gutachten häufig unter dem zusammengefassten Terminus „Nebenbefunde“ berichtet. Ihre Unterscheidung hat aber in Deutschland im Hinblick auf das Gendiagnostikgesetz (GenDG) und die Qualifikationsanforderungen an die aufklärende verantwortliche ärztliche Person eine große Relevanz, auch wenn beide Begriffe im GenDG nicht verwendet werden.
II. Unterscheidung zwischen Befunden in Diagnostik und Forschung
Diese Stellungnahme bezieht sich ausschließlich auf Zusatz- und Zufallsbefunde in der Krankenversorgung. Hierbei kann es sich sowohl um diagnostische genetische Untersuchungen bei Personen mit klinisch manifester Erkrankung als auch um prädiktive genetische Untersuchungen bei asymptomatischen (Risiko)-Personen oder um vorgeburtliche genetische Untersuchungen handeln. Das Gendiagnostikgesetz (GenDG) findet bei Untersuchungen im klinischen (Behandlungs-)Kontext, nicht jedoch bei Untersuchungen im Forschungskontext Anwendung.
Untersuchungen im Forschungsrahmen unterliegen anderen Regularien; es bestehen prinzipiell keine Befunderhebungs- oder Mitteilungspflichten. Sofern die Analysen nicht anonymisiert durchgeführt werden, muss bei Anwendung von Verfahren, in deren Rahmen Zusatz- oder Zufallsbefunde auftreten können, sowohl die Möglichkeit ihres Auftretens als auch der Umgang mit ihnen Bestandteil der Information und Einwilligung sein. Es ist mit dem Studienteilnehmer zu vereinbaren, ob, in welchem Umfang, durch wen, und in welchem zeitlichen Rahmen Zusatz- und Zufallsbefunde mitgeteilt werden.
Werden im Rahmen einer diagnostischen Untersuchung Varianten in Genen identifiziert, für deren kausale Relevanz hinsichtlich des vorliegenden Phänotyps (noch) keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz besteht (Genes of Unknown Significance, GUS), handelt es sich um Forschungsbefunde, die nicht im diagnostischen Befund, sondern bei Vorliegen der entsprechenden Einwilligungserklärung ggf. klar erkenntlich als Forschungsergebnisse separat mitgeteilt werden sollten.
III. Empfehlung zu Zusatzbefunden
Das ACMG fordert seit 2013 unabhängig von der diagnostischen Fragestellung die obligate Durchführung eines opportunistischen Screenings von Genen der ACMG-Liste, um hieraus einen medizinischen (Zusatz-)Nutzen für die Patienten zu generieren [2]. Im Jahr 2015 wurde empfohlen, die Möglichkeit eines opt-out anzubieten [9]. Die GfH gibt hingegen dem primären Behandlungsauftrag ein stärkeres Gewicht und grenzt sich aus folgenden Gründen von der Anwendung der ACMG-Empfehlungen in Deutschland ab:
Die aktive und gezielte Analyse der Gene der ACMG-Liste oder vergleichbarer Listen stellt gemäß § 3 GenDG eine prädiktive genetische Untersuchung dar. Solche Untersuchungen dürfen in Deutschland generell nur dann durchgeführt werden, wenn vor der Untersuchung und nach Vorliegen des Ergebnisses eine genetische Beratung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Humangenetik erfolgt. Die Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung ist hierfür nicht ausreichend, da das Krankheitsspektrum der ACMG-Liste die Grenzen der einzelnen Fachgebiete überschreitet. Diagnostische bzw. vorgeburtliche Exom- oder Genom-basierte Analysen, die mit einem opportunistischen Screening verbunden würden, könnten also nur unter Einbeziehung von Fachärztinnen und Fachärzten für Humangenetik zum Zwecke der genetischen Beratung veranlasst werden. Siehe diesbezüglich auch die im Jahr 2022 aktualisierte „Richtlinie für die Anforderungen an die Inhalte der Aufklärung bei genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG“ der GEKO. [8]
Ein opportunistisches Screening des fetalen Genoms auf Zusatzbefunde, deren Kenntnis erst im Erwachsenenalter relevant wäre (spätmanifeste Erkrankungen), verbietet sich zudem durch § 15 GenDG.
Bei genetischen Untersuchungen von nicht einwilligungsfähigen Personen, die zur Klärung eines Risikos für eine genetisch bedingte Erkrankung im Hinblick auf eine geplante Schwangerschaft einer verwandten Person durchgeführt werden, steht einem opportunistischen Screening auch § 14 Absatz 3 des GenDG entgegen, dem zufolge nur die für einen solchen Untersuchungszweck erforderlichen Untersuchungen vorgenommen werden dürfen.
Derzeit liegen häufig noch keine validen Daten über die Penetranzen bzw. Krankheitsrisiken von pathogenen Keimbahn-Varianten, die im Rahmen von genetischen Screening-Untersuchungen bei Personen ohne auffällige Eigen- oder Familienanamnese erhoben werden, vor. Zudem ist nicht für alle potentiellen präventiven Maßnahmen der medizinische Nutzen klar belegt. Es ist deshalb eine medizinische Überversorgung möglich mit unklaren medizinischen und psychologischen Implikationen sowie einem ungeklärten Nutzen-Risiko-Verhältnis.
Ein generelles opportunistisches Screening würde eine umfangreiche und kostenlos zu erbringende, zusätzliche Diagnostik mit relevantem personellem Aufwand für die Labore bedeuten und gemäß GenDG einen hohen zusätzlichen Bedarf für genetische Beratungen vor und nach jeder Analyse zur Folge haben (s. o.). Etwa 3 % der mitteleuropäischen Bevölkerung tragen eine (wahrscheinlich) pathogene konstitutionelle Variante in den Genen der ACMG-Liste, eine noch größere Zahl an Individuen trägt (nicht zu berichtende) unklare Varianten.
IV. Einordnung von Zufallsbefunden
Zufallsbefunde können zwar prädiktive medizinische Informationen enthalten, sie werden aber unbeabsichtigt im Rahmen einer Untersuchung erhoben, die eine diagnostische Fragestellung zum Ziel hat. Damit fallen sie – anders als Zusatzbefunde – nicht unter die Definition von prädiktiven genetischen Untersuchungen des § 3 GenDG. Diagnostische genetische Untersuchungen können postnatal gemäß GenDG von Ärzten aller Fachgebiete veranlasst werden, ohne dass zuvor eine genetische Beratung erfolgen muss. Für diese Stellungnahme werden Zufallsbefunde in folgende Gruppen eingeteilt:
Gruppe 1: (Wahrscheinlich) pathogene Veränderungen in Genen für medizinisch angehbare Erkrankungen („medically actionable genes“), d. h. in Genen mit Relevanz für Therapie oder Prävention. Hiermit sind definierte Gene gemeint, die mit einem hohen Risiko für das Entstehen einer Krankheit verbunden sind, deren Auftreten durch bestimmte Maßnahmen verhindert oder deren Ausmaß relevant gemildert werden kann. Der Begriff der therapeutischen oder präventiven Relevanz ist strikt medizinisch definiert und bezieht sich auf Maßnahmen mit hinreichend erwiesenem Nutzen und zu vertretender Belastung. Zur Orientierung für die Zuordnung von Genen dieser Gruppe können die laufend aktualisierten Genlisten der ACMG und der „CLINGEN Actionability Working Group“ (www.clinicalgenome.org/working-groups/actionability/) dienen. Es liegt im Ermessen des Labors und der die genetische Analyse beauftragenden Ärzte, weitere Gene zu berücksichtigen.
Gruppe 2: (Wahrscheinlich) pathogene Veränderungen in Genen für medizinisch nicht angehbare Erkrankungen. Diese Gruppe umfasst im Wesentlichen (wahrscheinlich) krankheitsursächliche Veränderungen in Genen ohne oder mit fraglicher Therapie- oder Präventionsmöglichkeit.
Gruppe 3: (Wahrscheinlich) pathogene Varianten in Genen ohne medizinische Bedeutung für den Träger selbst, aber mit potentieller Bedeutung für die Familienplanung bzw. für Nachkommen (sog. Carrier-Status, in der Regel Heterozygotie für autosomal-rezessiv oder X-chromosomal erbliche Krankheiten).
Die GfH ist sich bewusst, dass eine eindeutige Zuordnung zu nur einer dieser Gruppen 1–3 nicht immer möglich ist. Für die Aufklärung zum Umgang mit Zufallsbefunden ist sie dennoch von entscheidender Bedeutung. Varianten unklarer Signifikanz (VUS) sollten unabhängig vom Gen und der assoziierten Krankheit nur in begründeten Ausnahmefällen für eine Mitteilung in Betracht gezogen werden, wenn kein Zusammenhang mit der diagnostischen Fragestellung erkennbar ist.
V. Aufklärung zu Zufallsbefunden
Die allgemeinen Anforderungen an die Inhalte der Aufklärung bei genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken, die sich aus dem GenDG ergeben, sind in der o. g. Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission ausgeführt [8]. Diese Richtlinie fordert auch, Patienten darüber zu informieren, dass Zufallsbefunde („Befunde außerhalb des Untersuchungszweckes“) auftreten können, und dass diese nur bei vorliegender Einwilligung mitgeteilt werden können.
Die von der GfH empfohlenen speziellen Inhalte der Aufklärung zu Zufallsbefunden werden im Folgenden präzisiert. Das potentielle Auftreten von Zufallsbefunden lässt sich bei der Analyse einer größeren Zahl von Genen aus prinzipiellen Gründen nicht verhindern, u. a. da viele Gene je nach pathogener Variante und Genotyp mehrere – zum Teil sehr unterschiedliche – Phänotypen zur Folge haben können. Zudem werden derzeit mit Hilfe von sog. HPO-Begriffen aus der Human Phenotype Ontology, die den individuellen Phänotyp eines Patienten beschreiben, oft recht breite und damit unspezifische virtuelle Genpanel generiert. Über diese Tatsachen müssen Patienten vor Inanspruchnahme einer genetischen Hochdurchsatz-Analyse aufgeklärt werden. Gleiches gilt für die oben erwähnten, teils großen Unsicherheiten hinsichtlich der Penetranz (wahrscheinlich) pathogener Varianten bei asymptomatischen Individuen mit unauffälliger Familienanamnese, die selbst für vergleichsweise gut untersuchte Gene wie denen der ACMG-Liste bestehen.
Die ärztliche Aufklärung vor Beginn einer genetischen Diagnostik soll auch eine ungefähre Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Zufallsbefunden enthalten. Diese ist stark abhängig von der verwendeten Methode und vom Umfang der genetischen Diagnostik. Entsprechende Angaben sollten vom Labor zur Verfügung gestellt werden. Zudem soll über die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit Zufallsbefunden im Kindes- und Erwachsenenalter bzw. bei nicht einwilligungsfähigen Personen und bei vorgeburtlichen Untersuchungen aufgeklärt werden (siehe unten). Dies beinhaltet eine schriftliche Festlegung, von wem und wann ggf. eine Mitteilung von Zufallsbefunden welcher Gruppe (1 bis 3) vorgenommen wird, wobei für jede Gruppe separat die Möglichkeit der Mitteilung und Nicht-Mitteilung („opt-in/opt-out“) bestehen sollte. Bei Trio-Analysen ist eine individuelle Festlegung für jede einzelne der analysierten Personen bzw. Proben erforderlich. Bei vorgeburtlichen Analysen sollte mit dem Elternpaar besprochen werden, dass es fetale Zufallsbefunde geben kann, die die Eltern psychisch belasten, für die in Deutschland aber erfahrungsgemäß in der Regel kein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird.
In Tabelle 1 ist dargestellt, in welcher Konstellation nach Ansicht der GfH die Option für die Mitteilung eines Zufallsbefundes bestehen sollte. Dies wird im Folgenden begründet.
Tabelle 1:
Konstellationen, in denen nach Ansicht der GfH die Option zur Mitteilung von Zufallsbefunden bestehen sollte. Als spätmanifest werden Erkrankungen bezeichnet, die in der Regel erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres klinische Symptome zeigen.
VI. Zufallsbefunde bei einwilligungsfähigen Erwachsenen
Einwilligungsfähigen Erwachsenen soll nach entsprechender ärztlicher Aufklärung über die damit einhergehenden Vor- und Nachteile die Möglichkeit der Mitteilung von Zufallsbefunden aller oben genannten drei Gruppen angeboten werden. Dies ergibt sich aus dem Respekt vor der Autonomie der Patienten und Patientinnen. Diese Autonomie wahrend sollte trotz der potentiell hohen medizinischen Relevanz auch kein Patient oder Sorgeberechtigter dazu gedrängt werden, sich Zufallsbefunde der Gruppe 1 (medizinisch angehbare Erkrankungen) mitteilen zu lassen, wenn er oder sie dies nicht möchte.
VII. Zufallsbefunde bei Minderjährigen bzw. bei nicht einwilligungsfähigen Personen
Auch für Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen, bei denen von einer späteren Einwilligungsfähigkeit als Erwachsene ausgegangen werden kann, soll die Möglichkeit der Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 1 (medizinisch angehbare Erkrankungen) bestehen, und zwar unabhängig vom Manifestationsalter (also z. B. auch bei erst im Erwachsenenalter manifesten Erkrankungen der ACMG-Liste). Dieses Vorgehen ist dem besonderen Umstand geschuldet, dass es sich nicht um eine gezielte prädiktive Testung auf eine bereits in der Familie bekannte genetische Veränderung handelt, sondern um eine zufällig nachgewiesene genetische Veränderung, von der die Familie in aller Regel bisher keine Kenntnis hatte. Die Mitteilung des Zufallsbefundes stellt somit unter Umständen die einzige Möglichkeit dar, die getestete Person und die Familie über das mögliche Auftreten einer behandelbaren oder vermeidbaren Erkrankung zu informieren. In dieser Konstellation tritt der Schutz des späteren Rechts auf Nichtwissen von Minderjährigen und der damit einhergehende Schutz vor eventueller Benachteiligung durch das genetische Wissen hinter das Interesse der Familie und des Kindes, über Zufallsbefunde mit hoher medizinischer Relevanz in Kenntnis gesetzt zu werden.
Die Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 2 (medizinisch nicht angehbare Erkrankungen) soll im Rahmen von Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen, die als Erwachsene voraussichtlich einwilligungsfähig sein werden, nicht für Erkrankungen angeboten werden, die in der Regel erst nach dem 18. Lebensjahr manifest werden, da in diesen Situationen das spätere Recht auf Nichtwissen des Minderjährigen überwiegt. Handelt es sich um eine Erkrankung, die sich in der Kindheit und Jugend manifestiert, haben die Sorgeberechtigten das Recht, sich einen solchen Zufallsbefund mitteilen zu lassen, wenn sie dies wünschen, zumal er dem Kind eventuell eine spätere diagnostische Odyssee bis zur Diagnose einer seltenen Erkrankung ersparen kann.
Auch bei Zufallsbefunden der Gruppe 3 (Carrier-Status) müssen bei Kindern und Jugendlichen, die als Erwachsene voraussichtlich einwilligungsfähig sein werden, in Analogie zur optionalen Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 1 die besonderen Umstände der Erhebung von Zufallsbefunden geltend gemacht werden. Der Information der Eltern über ein eventuelles Risiko für genetisch bedingte Krankheiten bei (zukünftigen) Nachkommen steht die hypothetische Gefährdung Minderjähriger gegenüber, durch das Wissen um einen Carrier-Status im späteren Leben benachteiligt zu werden. Eine solche Gefährdung ist nach Ansicht der GfH aber wenig realistisch, da vermutlich jeder Mensch Anlageträger für mehrere rezessiv erbliche Erkrankungen ist und z. B. im Durchschnitt 2–3 pathogene heterozygote Varianten in den 448 Genen des „Kingsmore-Panel“ trägt [10]. Die Mitteilung eines Carrier-Status des Kindes als Zufallsbefund kann für Eltern und Familie die einzige Gelegenheit darstellen, über ein erhöhtes Risiko für meist autosomal-rezessive oder X-chromosomale erbliche Erkrankungen bei zukünftigen Kindern informiert zu werden. Eltern sollten daher die Möglichkeit haben, solche bei Minderjährigen erhobenen Zufallsbefunde für relevante Entscheidungen bei der Familienplanung offengelegt zu bekommen.
Bei Kindern und Jugendlichen, die aller Voraussicht nach auch als Erwachsene nicht einwilligungsfähig sein werden, greift der Verweis auf den Schutz des späteren Rechts auf Nichtwissen nicht, um die Vertreter dieser Personen (meist die Eltern) in ihrer Entscheidungsfreiheit über die Mitteilung von Zufallsbefunden einzuschränken. In diesen Fällen und bei Erwachsenen, die dauerhaft nicht einwilligungsfähig sind, soll daher den Sorgeberechtigten nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung über die damit einhergehenden Vor- und Nachteile die Möglichkeit der Mitteilung von Zufallsbefunden aller drei o. g. Gruppen angeboten werden. Lässt sich noch nicht hinreichend sicher abschätzen, ob ein Kind im späteren Leben einwilligungsfähig sein wird, empfiehlt die GfH die Anwendung der o. g. restriktiveren Regelungen für Zufallsbefunde der Gruppe 2 (medizinisch nicht angehbare Erkrankungen), wie sie für Kinder und Jugendliche gelten, die als Erwachsene voraussichtlich einwilligungsfähig sein werden.
Diese Empfehlungen weichen von den Vorgaben der aktuell gültigen Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) zu genetischen Untersuchungen bei nicht-einwilligungsfähigen Personen aus dem Jahr 2011 [11] teilweise ab (im Hinblick auf die optionale Mitteilung eines Carrier-Status als Zufallsbefund) oder gehen über diese hinaus (mit der dort nicht thematisierten optionalen Mitteilung von Zufallsbefunden zu medizinisch angehbaren Erkrankungen). Die GfH regt an, diese GEKO-Richtlinie an den durch die breite Verfügbarkeit von genetischen Hochdurchsatzanalysen in der Routinediagnostik entscheidend geänderten Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen.
VIII. Zufallsbefunde bei vorgeburtlichen Untersuchungen
Aus den unter Punkt VII. genannten Gründen sollten Eltern auch in der pränatalen Situation grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich bestimmte fetale Zufallsbefunde mitteilen zu lassen. Dabei stehen ihnen in der Regel die gleichen Optionen offen, wie sie auch für die Mitteilung von Zufallsbefunden bei Kindern und Jugendlichen gelten, die als Erwachsene voraussichtlich einwilligungsfähig sein werden. Dies gilt insbesondere auch für Zufallsbefunde, die zu Erkrankungen mit (wahrscheinlicher) Manifestation in der Kindheit oder Jugend führen, unabhängig davon, ob es sich um medizinisch angehbare Erkrankungen handelt oder nicht (also für frühmanifeste Erkrankungen sowohl der Gruppe 1 als auch 2). Solche Informationen können potentiell auch für die Entscheidung der Schwangeren und ihres Partners für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft relevant sein. Zufällig detektierte fetale Anlageträgerschaften für erst im Erwachsenenalter auftretende, medizinisch nicht angehbare Erkrankungen (d. h. spätmanifeste Erkrankungen der Gruppe 2) sollten hingegen in der Regel nicht mitgeteilt werden, um das Recht auf Nichtwissen des Kindes zu schützen, wenn die Schwangerschaft ausgetragen wird. Eine Ausnahme stellen Situationen dar, in denen der ultrasonografische Befund oder der genetische Primärbefund eindeutig erwarten lassen, dass im späteren Leben keine Einwilligungsfähigkeit erreicht werden kann. In diesen Fällen kann der Schwangeren und ihrem Partner ein solcher Befund auf Wunsch mitgeteilt werden. Bei Anlageträgerschaften für medizinisch angehbare Erkrankungen des Erwachsenenalters als Zufallsbefund im fetalen Genom (also spätmanifeste Erkrankungen der Gruppe 1) hält die GfH eine Mitteilung an die Eltern für ethisch gerechtfertigt, wenn diese hierfür ihre Einwilligung gegeben haben. Analog zur Situation bei Kindern und Jugendlichen kann ein solcher Befund die einzige Gelegenheit sein, die Familie über das mögliche Auftreten einer solchen Erkrankung zu informieren. Gemäß § 15 GenDG ist in Deutschland zwar eine gezielte vorgeburtliche Diagnostik auf Erkrankungen, die sich erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres manifestieren, unzulässig. Dieses Verbot gilt aber nicht für (per definitionem unbeabsichtigt erhobene) Zufallsbefunde, die im Rahmen einer vorgeburtlichen Untersuchung zum Zwecke der Abklärung einer während der Schwangerschaft oder nach der Geburt (bis zum vollendeten 18. Lebensjahr) auftretenden Erkrankung erhoben wurden. Ein Carrier-Status für autosomal-rezessive oder X-chromosomale erbliche Erkrankungen (Gruppe 3) wird bei umfassenderen genetischen Analysen regelmäßig als Zufallsbefund erhoben und kann den Eltern auf Wunsch aus den gleichen Gründen, wie sie für Kinder und Jugendlichen angeführt wurden, ebenfalls mitgeteilt werden.
IX. Mitteilung von Zufallsbefunden
In der Regel wird das beauftragte Labor der verantwortlichen ärztlichen Person Zufallsbefunde in dem Umfang mitteilen, wie es der Patient oder sein gesetzlicher Vertreter in der Einwilligungserklärung festgelegt hat. Dies setzt voraus, dass dem beauftragten Labor die vom Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnete Einwilligungserklärung vorliegt. Eine Bestätigung der veranlassenden ärztlichen Person über das Vorliegen einer Einwilligungserklärung reicht somit nicht mehr aus.
Die Einschätzung, in welche der drei oben genannten Gruppen ein Zufallsbefund fällt, wird zunächst das Labor vornehmen müssen. Die verantwortliche ärztliche Person sollte diese Einschätzung jedoch vor Weitergabe des Zufallsbefundes an die Patienten bzw. deren gesetzliche Vertreter überprüfen und im Zweifel vor Weitergabe des Befundes mit dem Labor Rücksprache halten. Wurden keine Zufallsbefunde identifiziert, sollte dies im Befundbericht nicht ausdrücklich erwähnt werden.
Bei der Entscheidung, ob ein Befund zur diagnostischen Fragestellung (dem „Untersuchungszweck“) passt oder ob er einen Zufallsbefund darstellt, werden sich die Ärzte und Naturwissenschaftler des beauftragten Labors auf die (klinischen) Angaben der verantwortlichen ärztlichen Person stützen. In Zweifelsfällen sollten sie mit der verantwortlichen ärztlichen Person in direkten Kontakt treten, um zusätzliche Informationen zu erhalten, die bei der Einordnung als diagnostischer oder Zufallsbefund hilfreich sind, und sollten gemeinsam klären, welche Befunde nach der vorliegenden Einwilligung mitzuteilen sind. Die GfH sieht im alternativen Modell einer vollumfänglichen Mitteilung aller (vermeintlichen) Zufallsbefunde an die verantwortliche ärztliche Person bei der praktischen Umsetzung mögliche Gefahren für das Recht auf Nichtwissen, unter anderem da das Nichtaushändigen von Teilen eines schriftlichen Befundes an die Patienten implizit bedeutet, dass ein Zufallsbefund vorliegt, dessen Mitteilung nicht gewünscht war. Zudem würden auch separate schriftliche Befundberichte über Zufallsbefunde in einem Teil der Fälle dazu führen, dass die verantwortliche ärztliche Person bei der Befundmitteilung an den Patienten oder die Patientin herantritt, um eine im Rahmen der Aufklärung und Einwilligung getroffene Entscheidung über die Nichtmitteilung bestimmter Arten von Zufallsbefunden nochmals zu hinterfragen. Dadurch könnte das Recht auf Nichtwissen, dem in der ethischen Abwägung ein hoher Stellenwert zukommt und das im Rahmen des GenDG erstmals gesetzliche Anerkennung erhalten hat, zumindest teilweise unterlaufen werden.
Die Weitergabe der im Befundbericht aufgeführten Zufallsbefunde obliegt der verantwortlichen ärztlichen Person und sollte unbedingt mit der Empfehlung zu einer genetischen Beratung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Humangenetik oder durch einen Facharzt mit fachgebundener Qualifikation zur genetischen Beratung aus dem medizinischen Fachgebiet, dem der Zufallsbefund am ehesten zuzuordnen ist, einhergehen. Es kann hilfreich sein, ausführliche Informationen und die genetische Beratung zum Zufallsbefund im Rahmen eines gesonderten Termins anzubieten, um eine adäquate Verarbeitung der Befunde zu ermöglichen.
Dieses Vorgehen erfordert von den die genetischen Analysen durchführenden Personen (Ärzten und Naturwissenschaftlern) eine große Sachkenntnis und die Notwendigkeit, sowohl den rasanten Wissenszuwachs hinsichtlich der Bedeutung genetischer Eigenschaften als auch möglicher therapeutischer Optionen adäquat einordnen zu können, sowie von der veranlassenden ärztlichen Person eine umfassende Beratungskompetenz. Insbesondere in der pränatalen Situation hat die enge Zusammenarbeit zwischen Humangenetik und Gynäkologie eine große Bedeutung für die adäquate Kommunikation von Zufallsbefunden. Die Analyse nationaler wie internationaler (Langzeit-)Erfahrungen im Umgang mit Zusatz- und Zufallsbefunden legt dabei nahe, dass das konkrete Vorgehen einer ständigen Weiterentwicklung unterliegt.
X. Wahl der Auswertestrategie
Grundsätzlich sollte eine Auswertestrategie mit einer möglichst geringen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Zufallsbefunden gewählt werden. Bei Exom- und Genom-basierten Analysen sollte unter Einbeziehung aller relevanten klinischen und familienanamnestischen Informationen eine standardisierte Phänotyp-basierte Auswertung – insbesondere unter Verwendung von HPO-Begriffen – erfolgen. Ein solches Vorgehen wird die Zahl der Zufallsbefunde zumindest reduzieren. Die GfH regt aus Transparenzgründen eine Nennung der genutzten HPO-Begriffe im Befundbericht an.
XI. Ausblick
Die gegenwärtige Situation bei der Erhebung und Mitteilung medizinisch relevanter genetischer Zufalls- und Zusatzbefunde im diagnostischen Kontext wird von einem Spannungsverhältnis bestimmt: Auf der einen Seite steht der ärztliche Anspruch, bedeutsame Befunde in verfügbaren Datensätzen (systematisch) zu erheben und dem Patienten zur Gesundheitsvorsorge zur Verfügung zu stellen. Dem stehen sowohl rechtliche als auch praktische Einschränkungen und ein bisher oft unzureichendes Wissen über die Relevanz von in der Allgemeinbevölkerung erhobenen genetischen Befunden im Hinblick auf präventive Maßnahmen entgegen. Auch das American College of Medical Genetics and Genomics hat mittlerweile nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die ACMG-Liste aufgrund fehlender Daten derzeit nicht für ein Bevölkerungs-Screening geeignet ist [3, 12].
Es ist davon auszugehen, dass die Verfügbarkeit immer umfangreicherer populationsbasierter Daten eine zunehmend präzisere Abschätzung der Penetranzen pathogener konstitutioneller Varianten in der Allgemeinbevölkerung erlaubt, die dann auch fundiertere Vorsorgeempfehlungen ermöglicht. Die Erhebung prädiktiver genetischer Befunde mit hoher präventiver Bedeutung sollte mittelfristig allerdings nicht auf Personengruppen beschränkt bleiben, bei denen aufgrund manifester Erkrankungen eine umfangreiche diagnostische genetische Keimbahn-Analyse durchgeführt wird, sondern der ganzen Bevölkerung angeboten werden, wie dies zum Beispiel beim Neugeborenen-Screening oder anderen präventiven Maßnahmen wie der Vorsorge-Koloskopie umgesetzt wurde. Es ist aus ethischer Perspektive schwer zu rechtfertigen, warum die Kenntnis medizinisch relevanter genetischer Informationen dem (noch) asymptomatischen Teil der Bevölkerung auf Dauer vorenthalten bleiben sollte. Die sozialgesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die breite Implementierung einer präventiv orientierten genomischen Medizin sind zu schaffen. Hierzu gehört insbesondere auch die Festlegung von Art und Umfang der Aufklärung und Information vor und nach Durchführung einer prädiktiven Diagnostik in Genen mit definiertem medizinischen Nutzen.
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik
Prof. Dr. med. Evelin Schröck, Dresden (Präsidentin)
Prof. Dr. med. Christian Hübner, Jena
Prof. Dr. med. Markus Nöthen, Bonn
Prof. Dr. rer. nat. Eva Klopocki, Würzburg
Prof. Dr. biol. hum. Ulrich Zechner, Köln
Kommission für Grundpositionen und ethische Fragen
Prof. Dr. med. Christian Netzer, Köln (Sprecher)
Prof. Dr. med. Stefan Aretz, Bonn
Dr. med. Martin Kehrer, Tübingen
Prof. Dr. rer. nat. Uwe Kornak, Göttingen
Dr. med. Felicitas Maier, München (JH)
Dr. med. Rixa Woitschach, Hamburg
Dr. med. Johanna Tecklenburg (JH), Ingelheim
Korrespondenzadresse
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V.
Lützenstraße 11
10711 Berlin
Deutschland
Muster-Einwilligungserklärung zum Umgang mit Zufallsbefunden bei genetischen Analysen
Bei umfassenderen genetischen Analysen können je nach Auswertungsstrategie zufällig Veränderungen nachgewiesen werden, die nicht im Zusammenhang mit der diagnostischen Fragestellung stehen. Die Kenntnis solcher Zufallsbefunde kann medizinisch relevant, aber auch psychologisch belastend sein. Sie kann zudem für zukünftige Lebenssituationen Konsequenzen haben (z. B. beim Abschluss von Versicherungen).
Zufallsbefunde können in folgende drei Gruppen eingeteilt werden:
Gruppe 1: Medizinisch angehbare Erkrankungen
Die genetische Variante führt zum (wahrscheinlichen) Auftreten einer Erkrankung beim Träger. Die Erkrankung kann durch Vorsorge- oder therapeutische Maßnahmen vermieden oder günstig beeinflusst werden.
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Zufallsbefunden der Gruppe 1 beträgt bei indikationsbezogener Auswertung maximal 1–2 %. Das Wissen um eine solche Anlageträgerschaft hätte Bedeutung für Ihre medizinische Betreuung (oder die Ihres Kindes).
Gruppe 2: Medizinisch nicht angehbare Erkrankungen
Die genetische Variante führt zum (wahrscheinlichen) Auftreten einer Erkrankung beim Träger. Die Erkrankung kann jedoch nicht durch Vorsorge- oder therapeutische Maßnahmen vermieden oder günstig beeinflusst werden.
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Zufallsbefunden der Gruppe 2 beträgt bei indikationsbezogener Auswertung allenfalls wenige Prozent und variiert je nach diagnostischer Fragestellung. Das Wissen um eine solche Anlageträgerschaft hätte keine Bedeutung für Ihre medizinische Betreuung (oder die Ihres Kindes), könnte aber einen Einfluss auf die Lebensführung und Lebensplanung haben.
Gruppe 3: Überträger-Status
Die genetische Variante führt nicht zur Erkrankung beim Träger, kann jedoch zum Auftreten einer Erkrankung unter den Nachkommen (oder verwandten Personen) führen.
Die Kenntnis solcher Varianten kann daher für die Familienplanung von Bedeutung sein. Varianten der Gruppe 3 trägt jeder Mensch in seinem Erbgut (Genom), insbesondere Anlagen für autosomal-rezessiv oder X-chromosomal erbliche Erkrankungen.
Zufallsbefunde können mitgeteilt werden, müssen es jedoch nicht. Sie haben die Möglichkeit zu entscheiden, ob und welche Zufallsbefunde mitgeteilt werden (Nicht-Ankreuzen wird als NEIN gewertet):
• Ich wünsche die Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 1 (mögliche, auch schwere, Erkrankung beim Träger; vorbeugende oder therapeutische Maßnahmen vorhanden)
Patient □ Ja □ Nein ggf. Mutter (bei Trios) □ Ja □ Nein ggf. Vater (bei Trios) □ Ja □ Nein
• Ich wünsche die Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 2 (mögliche, auch schwere, Erkrankung beim Träger; keine vorbeugenden oder therapeutischen Maßnahmen).
Patient □ Ja □ Nein ggf. Mutter (bei Trios) □ Ja □ Nein ggf. Vater (bei Trios) □ Ja □ Nein
Bei vorgeburtlichen Analysen und bei Kindern und Jugendlichen werden Befunde der Gruppe 2 zum Schutz des Rechts auf Nichtwissen grundsätzlich nicht mitgeteilt, wenn sich die Erkrankung erst im Erwachsenenalter manifestiert und mit einer späteren Einwilligungsfähigkeit gerechnet werden kann.
• Ich wünsche die Mitteilung von Zufallsbefunden der Gruppe 3 (Varianten, die bei Nachkommen oder verwandten Personen zu einer erblichen Erkrankung führen können)
Patient □ Ja □ Nein ggf. Mutter (bei Trios) □ Ja □ Nein ggf. Vater (bei Trios) □ Ja □ Nein
Die Einwilligung kann ich jederzeit ganz oder in Teilen widerrufen. Ich hatte die notwendige Bedenkzeit.
_____________________________________________ _____________________________________________ ___________________________________________
Ort/Datum (Patient + ggf. gesetzl. Vertreter) Ort/Datum (Mutter) Ort/Datum (Vater)
_____________________________________________ _____________________________________________ ___________________________________________
Unterschrift Patient + ggf. gesetzl. Vertreter Unterschrift Mutter, für eigene Zufallsbefunde Unterschrift Vater, für eigene Zufallsbefunde
_____________________________________________ _____________________________________________ ___________________________________________
Ort/Datum (verantwortl. ärztl. Person) Name der verantwortlichen ärztlichen Person Unterschrift verantwortl. ärztl. Person
23.10.2023 Musterentwurf erstellt durch die Kommission für Grundpositionen und ethische Fragen der GfH, ohne Anspruch auf Rechtssicherheit.
Literatur
- [1].Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik zu genetischen Zusatzbefunden in Diagnostik und Forschung. Medizinische Genetik. 2013;25(2) pp. 284–6.
- [2].Green RC. ACMG recommendations for reporting of incidental findings in clinical exome and genome sequencing. Genet Med 2013;15(7) pp. 565–74. et al. [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- [3].Miller DT. ACMG SF v3.1 list for reporting of secondary findings in clinical exome and genome sequencing: A policy statement of the American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) Genet Med 2022;24(7) pp. 1407–1414. et al. [DOI] [PubMed]
- [4].Van El CG et al. Whole-genome sequencing in health care. Recommendations of the European Society of Human Genetics. Eur J Hum Genet 2013 Jun;21(6) pp. 580–4. [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- [5].De Wert G. Opportunistic genomic screening. Recommendations of the European Society of Human Genetics. Eur J Hum Genet 2021;29(3) pp. 365–377. et al. [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- [6].GfH-S1 Leitlinie: Molekulargenetischen Diagnostik mit Hochdurchsatz-Verfahren der Keimbahn, beispielsweise mit Next-Generation Sequencing. Medizinische Genetik 2018;30. pp. 278–292.
- [7].Weiner C. Anticipate and communicate: ethical management of incidental and secondary findings in the clinical, research, and direct-to-consumer contexts (December 2013 report of the Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues) Am J Epidemiol 2014;180. pp. 562–564. [DOI] [PubMed]
- [8].Gendiagnostik-Kommission. Richtlinie der Gendiagnostik- Kommission (GEKO) für die Anforderungen an die Inhalte der Aufklärung bei genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG. revidierte Fassung vom 24.06.2022, veröffentlicht und in Kraft getreten am 01.07.2022, ersetzt die Fassung vom 28.04.2017. Bundesgesundheitsblatt. 2022 (65) pp. 963–968. [DOI] [PubMed]
- [9].ACMG Board of Directors. ACMG policy statement: updated recommendations regarding analysis and reporting of secondary findings in clinical genome-scale sequencing. Genet Med 2015;17(1) pp. 68–9. [DOI] [PubMed]
- [10].Bell CJ. Carrier testing for severe childhood recessive diseases by next-generation sequencing. Sci Transl Med 2011;3. p. 65. et al. [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- [11].Gendiagnostik-Kommission. Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) zu genetischen Untersuchungen bei nicht-einwilligungsfähigen Personen nach § 14 in Verbindung mit § 23 Abs. 2 Nr. 1c GenDG In der Fassung vom 26.07.2011, veröffentlicht und in Kraft getreten am 27.07.2011. Bundesgesundheitsblatt. 2011 (54) pp. 1257–1261. [DOI] [PubMed]
- [12].ACMG Board of Directors. The use of ACMG secondary findings recommendations for general population screening: a policy statement of the American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) Genet Med 2019 Jul;21(7) pp. 1467–1468.