Viel zu jung ist Jeanette Erdmann am 9. Juli 2023 im Alter von 57 Jahren an den Folgen eines Unfalls aus dem Leben geschieden. Jeannette Erdmann leitete an der Universität zu Lübeck das Institut für Kardiogenetik, dessen 10jähriges Jubiläum sie noch in diesem Mai mit Gästen feiern durfte.
Jeanette Erdmann studierte von 1985 bis 1991 Biologie an der Universität Köln. Ihre Promotion im Jahr 1996 erfolgte im Rahmen einer Zusammenarbeit des Kölner Instituts für Genetik (Prof. Hubert Kneser) mit dem Bonner Institut für Humangenetik (Prof. Peter Propping); es waren die ersten systematischen Untersuchungen zur genetischen Variabilität von Genen, die für Serotoninrezeptoren kodieren, und dessen Bedeutung für die Entwicklung psychiatrischer Krankheiten. Es folgte von 1996 bis 2000 eine Zeit als Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Prof. Vera Regitz-Zagrosek am Deutschen Herzzentrum Berlin und von 2000 bis 2003 als Arbeitsgruppenleiterin unter Prof. Heribert Schunkert am Universitätsklinikum Regensburg. 2003 habilitierte Jeanette Erdmann mit Untersuchungen zur Genetik der Myokardhypertrophie im Fach Molekulare Kardiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Regensburg. 2004 folgte sie Prof. Schunkert an die Universität Lübeck. 2011 erfolgte dort der Ruf auf eine W2-Professur. Sie war Gründungsmitglied des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und seit 2012 stellvertretende Standortsprecherin des Standortes Hamburg/Kiel/Lübeck. Seit November 2012 war sie W3-Professorin an der Universität Lübeck (DZHK-Professur für Kardiovaskuläre Genetik) und Gründungsdirektorin des Instituts für Kardiogenetik (ICG). Ihre DZHK-Professur war die erste ihrer Art in ganz Deutschland.
Jeanette Erdmann hat mit ihrer Arbeitsgruppe viel beachtete Beiträge zur Aufklärung der molekularen Grundlagen der koronaren Herzkrankheit (KHK) und der daraus resultierenden Komplikation des Herzinfarkts geleistet. Dabei hat sie sowohl ausgehend von monogenen Ursachen (z. B. Erdmann et al. 2013) als auch durch die Identifizierung von Risikoloci mit Hilfe genomweiter Assoziationsstudien (z. B. Samani et al. 2007, Erdmann et al. 2009) neuartige molekulare Krankheitsmechanismen identifizieren können. Bei den genomweiten Assoziationsstudien war sie Koordinatorin internationaler Forschungskonsortien, aus denen eine Vielzahl von Meilenstein-Arbeiten hervorgingen (z. B. Schunkert et al. 2011). Für ihre funktionellen Arbeiten verwendete sie Modellorganismen wie Maus und Zebrafisch sowie neueste Methoden wie iPSCs und Genomeditierung. Jeanette Erdmann ist für ihre wissenschaftlichen Arbeiten mehrfach ausgezeichnet worden, zuletzt 2021 mit der Wahl in die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften.
Jeanette Erdmann litt selbst an einer genetisch bedingten Muskelerkrankung (Bethlem/Ullrich Myopathie), vielen Menschen mit körperlichen Einschränkungen war sie damit ein wichtiges „role model“. Die langjährige Odyssee zur Diagnose, aber auch die plötzliche Verunsicherung durch die dann feststehende Diagnose, hat sie nicht nur eindrucksvoll selbst beschrieben (Erdmann & Schunkert 2013), sie ist auch in einer Episode der NDR-Sendung Abenteuer Diagnose anschaulich dokumentiert worden. Der fortschreitende Charakter der Erkrankung führte zu erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben, während der Pandemie zwang sie das Risiko einer COVID-Infektion über viele Monate in die häusliche Isolation, in den letzten Monaten ihres Lebens war sie wegen der nachlassenden Muskelkraft auf den Rollstuhl angewiesen.
An der Universität zu Lübeck hat Jeanette Erdmann sich einen Namen gemacht als hoch engagierte Hochschullehrerin, Wissenschaftlerin und Kollegin. So hat sie sich nicht nur in vielen universitären Gremien eingebracht, umfangreiche Drittmittel eingeworben, sondern sich auch besonders stark für die Gleichstellung aller Menschen im universitären Umfeld eingesetzt. In der Vorlesung hat sie bewusst von ihrer eigenen Erkrankung und den Herausforderungen einer akademischen Karriere berichtet. Sie hat alle, die sie kannten durch ihren enormen Willen und unermüdlichen Einsatz beeindruckt, nicht zuletzt aufgrund ihrer optimistischen und gewinnenden Persönlichkeit war sie Mentorin und Vorbild für viele Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen.
Für das Post-Pandemie Jahr 2023 hatte Jeanette Erdmann sich viel vorgenommen und genoss die durch einen neuen elektrischen Rollstuhl wiedererlangte Mobilität. Neben vielen Aktivitäten in Lübeck plante sie wieder persönlich an nationalen und internationalen wissenschaftlichen Meetings teilzunehmen. Ihr plötzlicher Tod macht uns tief betroffen, sie wird uns als Kollegin und Freundin sehr fehlen.
Contributor Information
Prof. Dr. med. Markus M. Nöthen, Email: markus.noethen@uni-bonn.de.
Prof. Dr. med. Malte Spielmann, Email: malte.Spielmann@uksh.de.
Referenzen
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- Erdmann J, Schunkert H. Forty-five years to diagnosis. Neuromuscul Disord. 23. (2013). pp. 503–5. [3] [DOI] [PubMed]
- Samani NJ, Erdmann J. Schunkert H. Genomewide association analysis of coronary artery disease. N Engl J Med. 357. (2007). pp. 443–53. [4] […] [DOI] [PMC free article] [PubMed]
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