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. 2022 Jun 2;85(5):e16–e31. [Article in German] doi: 10.1055/a-1815-3254

Aufbau der Präventionskette Freiham aus Sicht des Steuerungsgremiums: Eine qualitative Interviewstudie mit Sozialer Netzwerkanalyse

Development of an Integrated Community-Based Prevention Strategy in Freiham (Munich) from the Perspective of the Steering Group: A Qualitative Interview Study with Social Network Analysis

Anika Schöttle 1,2, Michaela Coenen 1,2, Eva Annette Rehfuess 1,2, Birgit Kaiser 1,2, Christine Wiedemann 1,2, Lisa M Pfadenhauer 1,2,
PMCID: PMC11248016  PMID: 35654400

Zusammenfassung

Hintergrund Im neu entstehenden Stadtteil Freiham in München plant und implementiert die Stadt München zeitgleich mit dem Bezug des Stadtteils eine Präventionskette als integrierte kommunale Strategie. Ziel der „Präventionskette Freiham“ ist es, von Anfang an gesunde Aufwachsbedingungen für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Zur Steuerung wurde auf Stadtverwaltungsebene ein referatsübergreifendes Gremium gebildet. Ziel der Studie ist es, dieses Gremium hinsichtlich seiner Strukturen, Prozesse und Zusammenarbeit mit vielfältigen Agierenden zu untersuchen.

Methoden Die Studie kombinierte eine qualitative Interviewstudie mit Methoden der sozialen Netzwerkanalyse (SNA). Von März bis April 2018 wurden leitfadengestützte Einzelinterviews mit den Mitgliedern der Begleitgruppe durchgeführt und dabei egozentrierte, soziale Netzwerkkarten erstellt. Die Auswertung der Transkripte erfolgte qualitativ auf Grundlage der Inhaltsanalyse nach Margrit Schreier. Die Netzwerkkarten wurden ebenfalls qualitativ ausgewertet und die Ergebnisse visualisiert. Die Ergebnisse wurden den Studienteilnehmenden in einem Workshop im Juni 2018 vorgestellt, gemeinsam interpretiert und validiert.

Ergebnisse Es nahmen zehn Mitglieder der Begleitgruppe an der Studie teil. Die referatsübergreifende, multiprofessionelle Zusammenarbeit in der Begleitgruppe wurde von allen Beteiligten als gewinnbringend bewertet. Darüber hinaus wurde die externe Koordination durch MAGs sowie die wissenschaftliche Expertise der LMU München als Stütze wahrgenommen. Hindernisse in der Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham finden sich in erster Linie auf administrativer Ebene der Verwaltung. Aspekte, die die Zusammenarbeit der Begleitgruppe betreffen, wurden als vorrangig positiv empfunden. In der SNA wurden zahlreiche Agierende, vor allem aus der Fachsteuerungs- und Planungsebene der Referate, genannt, die bereits mit einbezogen werden. Zudem wurden Agierende identifiziert, die bislang noch nicht in den Planungsprozess involviert waren.

Schlussfolgerungen Die Organisationsform der Begleitgruppe als formalisierter Zusammenschluss von Vertreter*innen verschiedener Referate, die sich gleichermaßen der Präventionskette widmen, sowie eine externe Koordination und wissenschaftliche Begleitung stellen einen positiv bewerteten Ansatz dar. Der Aufbau der Präventionskette sollte weiterhin als Querschnittsaufgabe verstanden sowie sektor- und hierarchieübergreifend unterstützt werden.

Schlüsselwörter: Präventionskette, integrierte kommunale Strategie, Prozessevaluation, Implementierung, Soziale Netzwerkanalyse, Interviewstudie

Einleitung

Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird neben persönlichen Eigenschaften und individuellen Lebensweisen durch soziale Determinanten, wie dem sozioökonomischen Status der Eltern, den Bildungsmöglichkeiten sowie Wohn- und Umweltbedingungen beeinflusst 1 2 . Jedoch sind diese Determinanten, die ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ermöglichen, in Deutschland ungleich verteilt 3 4 .

Ein Konzept der Prävention und Gesundheitsförderung, das an diesen Determinanten ansetzt und verstärkt Anwendung in deutschen Kommunen findet, ist die Präventionskette. Diese wird auch als integrierte kommunale Strategie der Gesundheitsförderung und Prävention bezeichnet 5 . Ziel einer Präventionskette ist es, die Chancen auf gesundheitsförderliche Lebensbedingungen und Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen zu erhöhen und Risikofaktoren für das Auftreten von Krankheiten und von Kinderarmut entgegenzuwirken 5 6 .

Das Modell der Präventionskette vereint Ansätze aus Gesundheitsförderung, Frühförderung, Jugendhilfe und Bildung und basiert auf Forschungsergebnissen zu Kinderarmut, der lebenslauforientierten Forschung zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit und dem kindzentrierten Ansatz im Bildungsbereich 5 .

Das Prinzip besteht darin, Kompetenzen und Ressourcen unterschiedlicher Agierender in dem Bereich Kinder, Jugend und Familie zusammenzuführen, entsprechende Angebote aufeinander abzustimmen, bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und dauerhaft miteinander zu verbinden 5 . Die Verknüpfung von Angeboten wird durch verbindliche und multi- bzw. interprofessionelle Kooperation von Fachkräften und Agierenden vor Ort sowie innerhalb der Verwaltung einer Kommune gewährleistet. Die Präventionskette versteht sich als Verantwortungsgemeinschaft mit gemeinsam festgelegten Leitzielen und stellt im Unterschied zu einem reinen Informationsnetzwerk ein sogenanntes „Produktionsnetzwerk“ mit integrierten Leistungen oder „Produkten“ dar 7 8 . Ein Produktionsnetzwerk zeichnet sich dadurch aus, dass eigenständige Einrichtungen oder Organisationen über einen längeren Zeitraum hinweg gemeinsam Produkte entwickeln oder Dienstleistungen erbringen. Die Zusammenarbeit und die Bereitschaft zur Beteiligung sind dabei verbindlich festgelegt 9 .

Die biografische und lebensweltorientierte Ausrichtung von Präventionsketten soll Kindern, Jugendlichen und deren Eltern eine möglichst lückenlose Begleitung von der Schwangerschaft bis zum Berufseinstieg bieten; diese orientiert sich eng an den Bedürfnissen der jungen Menschen 5 .

Präventionsketten sind aufgrund ihres umfassenden und interdisziplinären Ansatzes mit unterschiedlichen und sich wechselseitig bedingenden Einzelkomponenten als multidimensionale Interventionen in einem komplexen Kontext (wie Kommunen) zu verstehen 10 11 . Für eine erfolgreiche Implementierung und nachhaltige Umsetzung solch ineinandergreifender Maßnahmen sind differenzierte Kenntnisse zu deren Wirksamkeit und Implementierung notwendig 12 . Aussagen zur Wirksamkeit werden in der Regel durch eine Ergebnis- oder Wirksamkeitsevaluation erzielt, die Auswirkungen von Maßnahmen auf das Wissen, Verhalten und letztlich die Gesundheit und anderer Parameter erfassen 13 14 .

Umfassende Wirksamkeitsevaluationen zum gesunden Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen im kommunalen Setting wurden im internationalen Kontext (v. a. in Großbritannien und den USA) bereits umgesetzt 15 16 17 . Auf Basis dieser Erfahrungen wird davon ausgegangen, dass sektorübergreifende und multiprofessionelle Dienstleistungen den Umfang, die Leistungsfähigkeit und die Wirksamkeit von Maßnahmen und Serviceleistungen für Kinder verbessern können. Eine schlechte Koordination von Maßnahmen hingegen kann schwerwiegende Folgen für benachteiligte Kinder haben 15 16 17 . Für deutsche Kommunen liegen noch keine Ergebnisse zu gesundheitsförderlichen Wirkungen von Präventionsketten vor, es wurden jedoch positive „intermediäre“ Wirkungen auf struktureller, individueller und finanzieller Ebene nachgewiesen 7 18 19 .

Präventionsketten als komplexe Interventionen werden nicht unter kontrollierten Umständen implementiert, sondern sind in einen jeweils bestehenden Kontext eingebunden 20 . Dies bedeutet, dass dieselben Maßnahmen mitunter unterschiedliche Wirkungen entfalten können und diese nicht ohne weiteres von einem Kontext auf den anderen übertragbar sind. Daher ist es im Sinne der Prozessevaluation wichtig, neben der Wirksamkeit auch die Implementierung, Wirkungsmechanismen und den Kontext zu untersuchen 21 22 23 .

Im Westen Münchens wird eine Präventionskette im neu entstehenden Stadtteil Freiham geplant, implementiert und evaluiert 24 . Während der Planungs- und Vorbereitungsphase (im Folgenden verkürzt „Planung“ genannt) wurde ein referatsübergreifendes (bzw. dezernatsübergreifendes) Gremium gegründet. Das Gremium wird als Begleitgruppe bezeichnet und setzt sich aus Mitarbeiter*innen dreier städtischer Referate (bzw. Dezernate) zusammen. Die Koordination der Begleitgruppe erfolgt durch einen freien Träger. Der Aufbauprozess wird von Anfang an durch eine Forschungsgruppe wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Die vorliegende Studie stellt einen wichtigen Schritt in der Prozessevaluation der Präventionskette Freiham dar und nimmt die Begleitgruppe und den Aufbauprozess in den Fokus. Durch die Evaluation dieser frühen Phase sollen die Arbeitsweisen der Begleitgruppe sowie die Planungen zum Aufbau der Präventionskette Freiham dokumentiert und reflektiert werden. Ziel ist es, die Sichtweisen der Begleitgruppe bezüglich ihrer Zusammenarbeit und Rolle zu erfassen sowie weitere relevante Agierende für die Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham zu identifizieren.

Methodik

Studiendesign

Für diese Studie wurde ein multimethodisches Vorgehen gewählt (siehe auch Abb. 1 : Forschungsdesign und -ablauf) 25 . In diesem Fall wurden mehrere qualitative Forschungsmethoden kombiniert: Leitfadengestützte Einzelinterviews und eine soziale Netzwerkanalyse (SNA). Leitfadengestützte teilstandardisierte Interviews ermöglichen es, die Sichtweisen der Befragten strukturiert und dennoch offen zu erfassen 26 . Die SNA stellt eine Bandbreite von Theorien, Techniken und Instrumenten zur Verfügung, die für ein tieferes Verständnis von Netzwerkstrukturen sorgen können 27 . Die Kombination der verschiedenen Vorgehensweisen soll dazu beitragen, ein tieferes und besser abgesichertes Verständnis zu erlangen 28 .

Abb. 1.

Abb. 1

Forschungsdesign und –ablauf.

Im Sinne des partizipativen Forschens wurden Methoden mit einer guten Zugänglichkeit ausgewählt 29 . Während die Analyse der Daten hauptsächlich bei den Forschenden lag, wurden die Befragten in die Interpretation der Daten mit einbezogen 30 . Zu diesem Zweck wurde nach Abschluss der Analyse ein Interpretationsworkshop mit allen Studienteilnehmenden durchgeführt. Ziel des Workshops war die Validierung als auch eine gemeinsame Reflexion und Interpretation der Ergebnisse.

Die Studie wurde unter Beachtung der ethischen Grundsätze der Deklaration von Helsinki durchgeführt. Die Erklärung der ethisch-rechtlichen Unbedenklichkeit und Zustimmung zur Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München erteilt.

Studienkontext

Der Stadtteil Freiham, in dem die Präventionskette implementiert werden soll, befindet sich im Westen der Stadt München. Derzeit stellt Freiham eine noch nahezu unbebaute Fläche dar, auf der über einen Zeitraum von 30 Jahren der neue Stadtteil entwickelt werden soll. Nach Fertigstellung, die für das Jahr 2040 geplant ist, sollen dort mehr als 25 000 Menschen leben und 15 000 Menschen arbeiten 24 31 . Infolge eines sozial- und familiengerechten Wohnungsbaus werden in Freiham von Beginn an vor allem Familien mit jüngeren Kindern erwartet. Die Schaffung bedarfs- und familiengerechter sowie aufeinander abgestimmter Angebote und Strukturen aus den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung nimmt von Anfang an einen besonderen Stellenwert in der Planung des neuen Stadtviertels ein 24 31 . Dass der referatsübergreifende Aufbau eines integrierten präventiven Netzwerks zeitlich mit den stadtplanerischen und baulichen Tätigkeiten des neuen Stadtteils erfolgt, stellt eine Besonderheit der Präventionskette Freiham dar 24 .

Zum Zeitpunkt der Studiendurchführung (Planungsphase) waren die Komponenten und Durchführungsmechanismen der Präventionskette noch nicht final festgelegt. Die Planungsphase umfasst alle Prozesse, die auf verschiedenen Ebenen in Vorbereitung auf den Einzug von Bewohner*innen und der Etablierung einer ersten sozialen und gesundheitlichen Angebotsstruktur in Freiham stattfinden. Dieser Phase folgt die Implementierung, wobei sich die Übergänge fließend gestalten. Die Implementierung beginnt, wenn die ersten Bürger*innen und Leistungsanbietenden in Freiham angesiedelt sind und endet theoretisch, wenn die letzten Bürger*innen und die letzten Angebote ins Stadtviertel eingezogen sind und das Vorhaben in die Phase der Erhaltung der Präventionskette eintritt. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der Planungsphase sowie der Implementierungsphase, d. h. der ersten Einzugsphase von Bewohner*innen und der Etablierung einer ersten Angebotsstruktur in Freiham.

Studienteilnehmende

In den Forschungsprozess wurden zu verschiedenen Zeitpunkten all diejenigen einbezogen, die an der Planung, Implementierung und Evaluation der Präventionskette Freiham als Bestandteil der Begleitgruppe beteiligt sind, konkret also die Mitarbeiter*innen der Stadt München, die den Kern der Begleitgruppe darstellen sowie die zuständigen Mitarbeiter*innen bei MAGs – Münchner Aktionswerkstatt Gesundheit und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.

Die Begleitgruppe der Präventionskette Freiham wurde im Jahr 2015 ins Leben gerufen. Als referatsübergreifendes Gremium hat diese den Zweck, die zukünftige Angebotsstruktur der Präventionskette als auch die Kooperationsmodalitäten der zukünftigen Partner*innen in einem Produktionsnetzwerk zu planen und zu entwickeln. In der Begleitgruppe sind Mitarbeiter*innen aus den folgenden drei städtischen Referaten vertreten: dem Referat für Umwelt und Gesundheit (RGU) (seit 2021 „Gesundheitsreferat“ (GSR)): Bereich Gesundheitsvorsorge; dem Referat für Bildung und Sport (RBS): Bereich KITA als auch dem Sozialreferat (SOZ): Stadtjugendamt und Bezirkssozialarbeit/Sozialbürgerhäuser. Die Mitglieder der Begleitgruppe sind auf der mittleren Verwaltungsebene angesiedelt. Als Grundlage für die Zusammenarbeit der drei beteiligten Referate wurde 2017 eine Kooperationsvereinbarung zwischen den jeweiligen Referatsleitungen abgeschlossen. Zur Koordination der Begleitgruppe wurde bereits zu einem frühen Zeitpunkt (2017) ein Vergabeverfahren durchgeführt und der freie Träger MAGs beauftragt. Die Techniker Krankenkasse fördert die Koordination der Präventionskette Freiham über einen Zeitraum von fünf Jahren (2017 − 2022). Nach Gründung der Begleitgruppe wurde der Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU zur wissenschaftlichen Begleitung eingebunden. Zwischen der Begleitgruppe und der LMU wurde ebenfalls eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Die Begleitforschung und Prozessevaluation durch die LMU wird seit Ende 2019 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für einen Zeitraum von zunächst zwei Jahren gefördert (2019−2021).

Gegenstand der Studie sind die in der Begleitgruppe beteiligten Personen. Den Kern der Begleitgruppe stellen zum Zeitpunkt der Studiendurchführung sieben Vertreter*innen der Referate dar. Weiterhin war MAGs mit ein, beziehungsweise zwei Vertreter*innen und die LMU mit drei Vertreter*innen in der Begleitgruppe beteiligt, womit der Kreis insgesamt zwölf Personen umfasste. Diese wurden zunächst persönlich über das Studienvorhaben informiert und im Folgenden per E-mail über die Ziele, Methoden und den Datenschutz im Rahmen der Studie aufgeklärt und zur Teilnahme eingeladen.

Unter Agierenden werden all diejenigen Personen, Einrichtungen oder Dienste verstanden, die an der Präventionskette Freiham bereits jetzt oder zukünftig in irgendeiner Form beteiligt sind oder sein könnten – auf der Verwaltungs- und Politikebene der Stadt sowie auf der Umsetzungsebene im Stadtteil.

Material und Datenerfassung

Das Datenmaterial und die Erhebung setzen sich aus zwei Teilen zusammen: In einem ersten Schritt wurden die Studienteilnehmenden mittels leitfadengestützter Einzelinterviews befragt. Zur Durchführung der Interviews wurde ein semi-strukturierter Leitfaden nach Helfferich entwickelt 32 . Die Leitfragen wurden basierend auf Literatur zum Aufbau von Produktionsnetzwerken und Präventionsketten 5 8 33 und verfügbaren Dokumenten der Begleitgruppe konzipiert. Für die Vertreter*innen der LMU wurde aufgrund ihrer wissenschaftlichen Begleitrolle ein leicht veränderter Interviewleitfaden erstellt. In einem ersten Schritt wurden die Interviewpartner*innen zur Zusammenarbeit der Begleitgruppe, ihrer Arbeitsweise und ihrer Aufgaben befragt. Anschließend wurden Fragen zur Rolle der Begleitgruppe bezüglich des Planungs- und Implementierungsprozesses der Präventionskette gestellt.

Im nächsten Schritt wurden die Teilnehmenden gebeten mittels egozentrierter, strukturierter und standardisierter Netzwerkkarten relevante Agierende zur Planung und Implementierung der Präventionskette zu beschreiben, die gemeinsam das Produktionsnetzwerk bilden werden. Zur Durchführung der Netzwerkanalyse wurden Netzwerkkarten nach der „Methode der konzentrischen Kreise“ von Kahn und Antonucci konzipiert 34 . Pro Interviewpartner*in wurden zwei soziale Netzwerkkarten zur Visualisierung relevanter Agierender für die (i) Planungs- und (ii) Implementierungsphase der Präventionskette entwickelt (siehe Abb. 1 ).

Mit der Wahl von egozentrierten strukturierten und standardisierten Netzwerkkarten sollte eine möglichst hohe interpersonelle Vergleichbarkeit der Netzwerkkarten erreicht werden. Gleichzeitig ließen die relativ offenen Stimuli zur Erhebung der Attribute Raum für die jeweils eigene Perspektive der Interviewpartner*innen. Als Grundlage zur Erstellung der Netzwerkkarten wurde eine Tab. zur Auflistung relevanter Agierender („Alteri“) und Erhebung zusätzlicher Attribute mit folgender Struktur konzipiert:

  • Namensgenerierende Elemente: Name des Agierenden und/oder der Institution

  • Namensinterpretierende Elemente: (i) Kontakt; (ii) Kontakthäufigkeit; (iii) Stärke der Beziehung; (iv) Phase, in der der Agierende/die Institution relevant ist

Auf zusätzliche Angaben zu den Beziehungen zwischen den Alteri wurde aufgrund der Komplexität verzichtet.

Zur Erstellung der Netzwerkkarten wurden mit den Studienteilnehmenden also zunächst relevante Agierende in der vorbereiteten Tab. gesammelt, nummeriert und die jeweils zutreffenden Attribute angekreuzt. Anschließend wurden die aufgelisteten Agierenden auf den in Papierform vorliegenden Netzwerkkarten platziert, indem die entsprechende Nummer auf Klebezetteln notiert und einer oder beiden Netzwerkkarten zur Planung- und Implementierungsphase zugeordnet wurde. Bei der Einordnung in die Karten wurde außerdem nach Wichtigkeit der Alteri mit den Abstufungen „sehr wichtig“, „wichtig“ und „weniger wichtig“ in drei konzentrischen Kreisen differenziert. Durch Nachfragen während des Erstellungsprozesses wurde die jeweilige Interpretation der Interviewpartner*innen im gleichen Zug erhoben. Die Instruktionen zur Erstellung der Netzwerkkarten wurden ebenfalls in einem Leitfaden festgehalten. Alle Leitfäden wurden in der Forschungsgruppe (B.K., C.W., L.M.P., N.S., M.C.) in Probeinterviews getestet, modifiziert und finalisiert.

Alle Interviews inklusive der Netzwerkkartenerstellung wurden von der Erstautorin (A.S.) geführt. Vor Beginn des Interviews wurden die Studienziele erläutert, die Teilnahme-Information ausgehändigt und die schriftliche Einwilligung zur Teilnahme an der Studie eingeholt. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Die Transkripte wurden den Teilnehmenden für eine Gegenlesung zur Verfügung gestellt. Nach Fertigstellung wurden die Netzwerkkarten abfotografiert und digital archiviert. Alle personenidentifizierenden Angaben wurden anonymisiert. Eindrücke und Reflexionen zum Interview und den Netzwerkkarten wurden in Form von Feldnotizen festgehalten.

Datenanalyse

Die Interviewtranskripte wurden entsprechend der qualitativen Inhaltsanalyse nach Margrit Schreier ausgewertet 35 . Neben den eigentlichen Interviewtranskripten wurden auch die Transkripte etwaiger Äußerungen beim Ausfüllen der Netzwerkkarten in die Analyse aufgenommen. In einem ersten Schritt wurde das Material hinsichtlich Relevanz zur Beantwortung der Forschungsfrage ausgewählt und in den Kodiervorgang einbezogen. Anschließend erfolgte die Strukturierung des Kategoriensystems. Dazu wurden anhand der Forschungsfrage und des Interviewleitfadens deduktiv Hauptkategorien gebildet. Die entsprechenden Unterkategorien wurden induktiv durch Zusammenfassen, Subsumierung und Kontrastierung relevanter Textstellen entwickelt. Nach der vorläufigen Kodierung von 50% des Materials wurde das gesamte Kategoriensystem auf sich überlappende Haupt- und Unterkategorien und ihrer Relevanz für die Forschungsfrage überprüft. Dieses Kategoriensystem wurde in einer qualitativen Methodenwerkstatt vorgestellt, diskutiert und angepasst. Das finale Kategoriensystem wurde auf das gesamte Material angewendet. Für alle als relevant betrachteten Haupt- sowie Unterkategorien wurden Definitionen, Beispiele und – falls erforderlich – Kodierregeln erstellt. Die qualitative Auswertung erfolgte computergestützt unter Verwendung der Software MAXQDA 2018 36 .

Bei der Auswertung der Netzwerkkarten wurden die zwei pro Studienteilnehmenden angefertigten Netzwerkkarten zu zwei Gesamtnetzwerkkarten (Planungsphase und Implementierungsphase) zusammengeführt. Folgende Attribute wurden dabei einbezogen und visualisiert: (i) Art des Kontakts, (ii) Kontakthäufigkeit sowie (iii) Stärke der Beziehung. Die verschiedenen Werte aus den Netzwerkkarten wurden, basierend auf einer qualitativen Analyse (Gewichtung), aggregiert: Stärkere Attribute wurden im Vergleich zu schwächeren Attributen (z. B. „sehr regelmäßig“/„stark“ im Vergleich zu „regelmäßig“/„mittel“) stärker gewichtet. Es wurde angenommen, dass die Begleitgruppenmitglieder, die ihre Kontakte und Beziehungen zu anderen Agierenden als relativ stark empfinden, vermutlich auch eher mit diesen Agierenden in Kontakt treten und diese Werte daher als repräsentativ für die Begleitgruppe dargestellt werden können. Folgendes Beispiel kann dies verdeutlichen: Angenommen die Studienteilnehmenden 1, 2 und 3 machten jeweils Aussagen über die Stärke des Kontakts zu Agierendem A. Wurde dieser von Teilnehmer*innen 1 und 2 als „schwach“ empfunden, von Teilnehmer*in 3 jedoch als „mittel“, so würde der aggregierte Wert „mittel“ lauten. Zu beachten ist, dass durch dieses Vorgehen die Kontakte und Beziehungen der Begleitgruppe tendenziell eher überschätzt werden. Die Synthese der Netzwerkdaten erfolgte mit Excel, zur grafischen Darstellung des Netzwerks wurde das Programm yEd Graph Editor 3.18.1 37 genutzt.

Synthese

Die Integration der mit unterschiedlichen Methoden erhobenen Daten fand zu jedem Zeitpunkt der Studie statt: sie begann während der Datenerhebung (integrierte Erfassung unterschiedlicher qualitativer Daten) und zog sich durch die Analyse und Interpretationsphase hindurch. Die Interviewdaten wurden in den Interpretations- und Visualisierungsprozess der Netzwerkkarten integriert.

Zur Validierung und Interpretation der Ergebnisse wurde ein Workshop mit den Studienteilnehmenden durchgeführt. Dabei wurden die vorläufigen Forschungserkenntnisse zunächst vorgestellt und anschließend gemeinsam diskutiert und interpretiert. Acht von zehn Interviewpartner*innen nahmen am Workshop teil. Der Workshop wurde gemeinsam durch die Forschungsgruppe der LMU vorbereitet (A.S., B.K., C.W., L.M.P., M.C.) und von der Erstautorin (A.S.) geleitet. Inhalte und Diskussionen des Workshops wurden protokollarisch von einem Mitglied der Forschungsgruppe der LMU (B.K.) festgehalten und unterstützend für die finale Interpretation der Daten genutzt.

Ergebnisse

Charakteristika der Studienteilnehmenden

Die Datenerhebung fand zwischen März und April 2018 statt. Es wurden insgesamt zehn Interviews mit Vertreter*innen von RBS (n=2), RGU (n=2), SOZ (n=3), MAGs (n=1) und LMU (n=2) durchgeführt. Zwei Personen (LMU (n=1), MAGs (n=1)) sagten ihre Teilnahme aufgrund von Zeitmangel ab. Die Interviews fanden jeweils am Arbeitsplatz der Interviewpartner*innen statt. Die Länge der Interviews betrug zwischen 22 und 44 Minuten, die Erstellung der Netzwerkkarten nahm zwischen 30 und 65 Minuten in Anspruch. Der Workshop fand Mitte Juni 2018 mit acht der zehn Studienteilnehmenden in Räumlichkeiten der LMU statt.

Die Beschäftigungsdauer der zehn Teilnehmenden in ihren jeweiligen Institutionen betrug zwischen vier und 29 Jahren. Dabei verfügten vor allem die Vertreter*innen der Stadtverwaltung über langjährige Erfahrungen innerhalb der städtischen Strukturen. Die fachliche Expertise der Begleitgruppe reichte von langjähriger Forschungserfahrung über die intensive berufliche Auseinandersetzung mit Präventionsstrategien und Präventionsketten bis zu konkreten Arbeitserfahrungen in der Stadtteilgesundheitsförderung.

Entstehung der Begleitgruppe

Die Begleitgruppe entstand auf Initiative des Stadtjugendamts im Sozialreferat. Vertreter*innen der anderen beiden Referate (RBS, RGU) und weitere Beteiligte (MAGs, LMU) wurden sukzessive in das Vorhaben eingebunden. Die Mitglieder der Begleitgruppe kannten sich zum Teil durch vorherige Zusammenarbeit bereits vor der Gründung der Begleitgruppe.

Zusammenarbeit in der Begleitgruppe

Die Zusammenarbeit in der Begleitgruppe wurde von den Beteiligten als sehr positiv bewertet und als beispielgebend für ein funktionierendes referatsübergreifendes Arbeiten bezeichnet:

„Die Begleitgruppe […] arbeitet da in meiner sehr, sehr langjährigen Erfahrung sehr, sehr gut zusammen […]. Also das ist für so eine große Stadtverwaltung wie München einer der wenigen Prozesse, wo das schon sehr gut zwischen den drei großen Referaten klappt.“ [01a]

Als maßgeblicher Beitrag zu einer dauerhaften und formalisierten referatsübergreifenden Zusammenarbeit ist die Kooperationsvereinbarung zwischen den drei Referatsleitungen, die auf Initiative der Begleitgruppe hin getroffen wurde, zu nennen.

Identifizierte förderliche und hinderliche Faktoren der Zusammenarbeit werden in Abb. 2 dargestellt und in Tab. 1 ausführlich beschrieben. Einige dieser Faktoren wurden für die erfolgreiche referatsübergreifende, multi- und für die Zukunft auch interprofessionell angestrebte Zusammenarbeit als besonders wichtig dargestellt. Diese sind in erster Linie auf der Kooperationsebene der Begleitgruppe angesiedelt und beziehen sich insbesondere auf Arbeitsweise und Aufgabenteilung, Zusammensetzung sowie Formalisierung der Begleitgruppe.

Abb. 2.

Abb. 2

Faktoren, die die Zusammenarbeit innerhalb der Begleitgruppe fördern oder hindern.

Tab. 1 Förderliche und hinderliche Faktoren der Zusammenarbeit in der Begleitgruppe.

Kategorie Erläuterung Beispiel
Förderliche Faktoren Engagement Alle Beteiligten weisen ein hohes persönliches Engagement auf. „Wir sind alle freiwillig [mit dabei]. Wir wollen es, wir sind engagiert dafür, wir finden es sinnvoll.“ [06c]
Gemeinsame Vision Die Begleitgruppe teilt ein gemeinsames Ziel und Interesse – die Entwicklung und Implementierung der Präventionskette Freiham. Durch den Fokus auf das gemeinsame Ziel ist die Arbeit von lösungs- und umsetzungsorientiertem Denken geprägt „Also ich glaube der größte Faktor ist im Grunde genommen das gemeinsame Interesse das wir alle haben für die Bürgerinnen und Bürger und Kinder, dort etwas Gutes zu beginnen, zu starten. Also ich glaube das ist unser Hauptantrieb.“ [04b]
Kontinuität Die Begleitgruppe kann auf eine hohe Kontinuität in ihren eigenen Reihen zurückblicken. Dies führt zu engen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Begleitgruppe. „[…] dass man jetzt so über diese Zeit eine wirklich kontinuierliche Gruppe hat […]. Man kennt sich, kann sich aufeinander beziehen, weiß wie jeder tickt und das ist gut.“ [03d]
Management Das Bestehen eines gemeinsamen Projektplans sowie die enge Taktung von persönlichen Treffen tragen zu einer effizienten Arbeitsgrundlage für die Begleitgruppe bei. „[…] so etwas wie einen Projektaufriss machen, eine gewisse zeitliche Abfolge mit Meilensteinen und Zielformulierungen. Das hat uns glaube ich einerseits bisschen eine Basis und einen Rahmen gegeben.“ [06c]
Verteilung von Verantwortung und Arbeit Die Mitglieder der Begleitgruppe fühlen sich gleichermaßen verantwortlich für das Gelingen des Vorhabens. Dies äußert sich durch eine ausgewogene Arbeits- und Verantwortungsverteilung auf die verschiedenen Referate. „Man versucht sozusagen immer gleich verantwortlich zu sein, also, dass auch dieser Respekt und auch das Verantwortungsbewusstsein für den Prozess gefühlt gedrittelt ist.“ [01a]
Toleranz und Kompromissbereitschaft Die Arbeitsweise der Begleitgruppe zeichnet sich durch eine hohe Kompromissbereitschaft und Toleranz aus. „und dass, glaube ich, alle mit einer hohen Kompromissbereitschaft und Toleranz da drin sitzen für die Unterschiedlichkeiten.“ [03d]
Vielfalt an Expertise Die Zusammensetzung der Begleitgruppe führt zu einem reichen Pool an unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsschätzen. „dieses Thema Prävention, also jetzt nicht der gesundheitliche Aspekt, sondern überhaupt dieser präventive Aspekt, mich über meine berufliche Laufbahn schon immer begleitet hat, die frühe Förderung und auch diese Planung für Neubaugebiete.“ [04b]
Die LMU als wissenschaftliche Partnerin wird grundsätzlich als positiv bewertet. Grund für die ursprüngliche Einbindung der LMU war die Evaluation. Bei den ersten Treffen zeigte sich jedoch schnell, dass sich auch an anderen Stellen die Möglichkeit zur Kooperation bietet. „also ich bin glücklich mit der Kooperation also ich nehme die LMU auch wirklich als eine große Unterstützung wahr und unkompliziert und die gehen da auch in Vorleistung.“ [07c]
Ausgewogene Gruppenzusammensetzung Es sind unterschiedliche Personentypen innerhalb der Gruppe vertreten. Auf der einen Seite gibt es kritische Bedenkenträger, die das Vorgehen der Begleitgruppe hinterfragen und auf ihre Notwendigkeit hin überprüfen, gleichzeitig aber auch als Unterstützung wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite gibt es in der Gruppe die visionäre Führungsperson, die für das Voranschreiten der Präventionskette Freiham als besonders wichtig empfunden wird „Die ist ja immer so ein bisschen der Bedenkenträger innerhalb der Begleitgruppe, die von Anfang an da sehr skeptisch war, bezüglich unseres Evaluationskonzepts und […] ob das überhaupt notwendig ist, wofür man das braucht […] sie war dann aber auch immer sehr unterstützend am Ende des Tages.“ [10e]
„Ich glaube sie ist sehr wichtig, weil diese Person hatte von Anfang an die klarste Vorstellung und Willenskraft, wo es hingehen soll und muss.“ [08b]
Zwischenmenschliche Beziehungen Zwischen den Mitgliedern der Begleitgruppe bestehen gute, zwischenmenschliche Beziehungen. „Ach ich glaube die Sache an sich, dass wir uns als Menschen und Kollegen und Kolleginnen grundsätzlich sehr gewogen sind. Das fördert es sicher auch, das macht es leicht.“ [8b]
Externe Koordination und Moderation Die externe Koordination wird als vorteilhaft beschrieben. Diese übernimmt vor allem organisatorische und koordinierende Aufgaben. Ein Vorteil der externen Moderation besteht außerdem darin, dass diese unabhängig von der städtischen Hierarchie ist und zum Teil freier als die städtischen Mitarbeiter*innen agieren kann. „Das war schon mal ein großer Schritt also, dass wir eine Person hatten, die die Protokolle der Sitzung übernommen hat, die eingeladen hat, die diese ganzen logistischen und organisatorischen Aufgaben auch im Blick hatte. Das fand ich ungeheuer hilfreich. Das hat uns auch sehr entlastet, so dass wir uns dann eben auch zunehmend auf die Inhalte konzentrieren konnten.“ [05a]
Unterstützung durch Entscheidungsträger*innen Die Referatsleiter*innen unterstützen das Vorhaben der Präventionskette Freiham grundlegend. „Dieses Commitment auf der Spitzenebene ist aber auch wichtig, das steht auch überall in anderen Publikationen zu Präventionsketten in Deutschland.“ [01a]
Kooperationsvereinbarung der beteiligten Referate Der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen den drei Referatsleitungen, auf Initiative der Begleitgruppe hin, ist als maßgeblicher Beitrag zur Formalisierung der referatsübergreifenden Zusammenarbeit zu nennen. „[…] dass man die drei sich berührenden Referate zusammenfasst, und auch in einer Verbindlichkeit zusammenfasst. […] und dazu eine Vereinbarung zu entwickeln, vor allem diese Kooperationsvereinbarung. Ich glaube das war mit ein Kernstück, diesen Konsens zu schaffen.“ [08b]
Hinderliche Faktoren Unterschiedliche persönliche Verhaltensweisen Teilweise erschweren unterschiedliche persönliche Verhaltensweisen der Begleitgruppenmitglieder die Entscheidungsfindung, insbesondere wenn es gilt, einen referatsübergreifenden Konsens zu finden. „Und dann gibt es noch die Mentalitäten der Begleitgruppenmitglieder, die glaube ich auch dann zu Entscheidungen führen, die ja nicht alle homogen sind. Bei manchen dauert ein Prozess einfach länger, weil er aufgrund von seiner Mentalität sagt: „das ist sinnvoller das jetzt erst nochmal liegen zu lassen beziehungsweise es weiterzuentwickeln.“ [06c]
Unklare Rollendefinition der LMU Die Rolle der LMU als wissenschaftliche Begleitung war streckenweise nicht klar definiert. Zu Beginn der Partnerschaft gab es keine Kooperationsvereinbarung zwischen den Partner*innen. „Am Anfang gab es immer so ein bisschen unklare Definitionen, was jetzt eigentlich wirklich so unser Ziel ist, […] und was wir dazu beitragen können so ein bisschen unklar war.“ [10e]
„Das heißt, alles was wir bis jetzt gemacht haben, lief eher so ein bisschen pro bono […], dass man nicht so wirklich sicher war: Was wird denn tatsächlich angenommen, wo besteht überhaupt die Möglichkeit einzuwirken […].“ [10e].
Begrenzte zeitliche Ressourcen Die Arbeit für die Präventionskette Freiham ist zeitaufwendig und findet auf freiwilliger und eigenverantwortlicher Basis der Begleitgruppenmitglieder, d. h. zusätzlich zum normalen Alltagsgeschäft der Verwaltung statt. „[…] aber jeder macht das eigentlich nebenbei, weil er daran glaubt und nicht, weil es ein Hauptarbeitsauftrag ist, der in seinem Arbeitspensum mitgedacht ist. Dementsprechend ist es auch manchmal schwierig das in die richtige Arbeit mit hineinzubringen.“ [02a]
Versäulte Verwaltungsstrukturen Auf städtischer Ebene gibt es eine versäulte Verwaltungsstruktur, was den Prozess oftmals ins Stocken bringt. Als „Versäulung“ [04b] wird die separate Organisation der einzelnen Referate gesehen, in denen „das Ressortdenken und -handeln […] sehr abgeschlossen wirkt“ [01a]. Dies kann für die referatsübergreifende Arbeit und Abstimmung eine Hürde sein. „Im Prinzip ist immer dieser Abstimmungsprozess die Herausforderung, zwischen den Referaten […]. Das ist wahnsinnig aufwendig das abzustimmen auf Begleitgruppenebene.“ [07c]
Hierarchische Strukturen Die Stadtverwaltung zeichnet sich durch eine stark hierarchische Struktur aus. Die Notwendigkeit der Zustimmung der obersten Hierarchieebenen kann bereits innerhalb eines Referats zur Verzögerung oder gar Blockade von Arbeitsprozessen führen. Die Tatsache, dass die Abstimmung mit der Referatsspitze innerhalb und zwischen drei Referaten stattfinden muss, erfordert strategische und zeitintensive Herangehensweisen. „das ist natürlich schon ein Ziel, das wir haben, aber das können wir natürlich nicht ohne Unterstützung der Amtsleitungen und auch des Stadtrats erreichen und daran hängt halt viel. Also wenn das nicht gelingt, dann kann die Präventionskette leider auch nicht so funktionieren, wie wir uns das denken würden.“ [05a]
„[…] und da gilt es dann halt auch einen guten Weg zu finden, wo alle mitgehen können und wo alle eben das Ergebnis durch die eigene Hierarchie bringen. Und da braucht man teilweise auch einfach einen langen Atem.“ [07c]
Vereinbarkeit von Arbeitsweisen und Strukturen Die Zusammenarbeit der Begleitgruppe wird als Herausforderung wahrgenommen, da mit Personen aus der Stadtverwaltung und der LMU durchaus sehr unterschiedliche Arbeitsweisen, Kulturen und Strukturen aufeinandertreffen. „[…] diese unterschiedlichen Kulturen und Referate so unter einen Hut zu bringen und einfach auch diese unterschiedlichen Arten und Weisen zu kommunizieren.“ [03d]
Stellenwert der Präventionskette in den Referaten Die Konsensfindung innerhalb der Begleitgruppe sowie der Prozess der Implementierung der Präventionskette werden dadurch erschwert, dass der Maßnahme Präventionskette innerhalb der einzelnen Referate ein unterschiedlicher Stellenwert zugeschrieben wird. „[…], dass die unterschiedlichen Referate glaube ich den Stellenwert oder die Priorisierung dieser Maßnahme Präventionskette unterschiedlich sehen.“ [08b]
Förderlicher/hinderlicher Faktor Zeitdruck durch Einzugsdatum Eine zeitliche Herausforderung stellt der näher rückende Einzug von Bewohner*innen nach Freiham dar, was die Begleitgruppe unter zeitlichen Druck setzt. Dieser wird teilweise auch als förderlich empfunden, da anstehende Aufgaben mitunter schneller vorangetrieben und beschlossen werden müssen. „Es ist letztlich natürlich der Erstbezug mit Menschen in Freiham, die Fertigstellung, Bebauung für Wohnen und den Bezug, weil wir dann natürlich mit den Dienstleistungen: Sozial, Gesundheit, Bildung, die dann da sind, starten wollen und das Modell in einer Startformation umsetzen wollen und das taktet uns natürlich nach hinten. Das ist anders, als wenn man jetzt vielleicht in einem Bestandsstadtteil wäre […] sonst hat man einen anderen oder keinen Zeitdruck.“ [01a]

Neben förderlichen Faktoren wurden auch Herausforderungen in der referatsübergreifenden und multiprofessionellen Zusammenarbeit ersichtlich. Diese lassen sich größtenteils auf administrativer Ebene der beteiligten Referate verorten. Diese sind hierarchisch organisiert und weisen teilweise sehr unterschiedliche Prozesse und Abläufe auf. Des Weiteren wird die Präventionskette in den Referaten unterschiedlich priorisiert. Knappe zeitliche Ressourcen wurden ebenfalls als hinderlicher Faktor genannt.

Insgesamt lassen sich anhand der bisherigen Zusammenarbeit der Begleitgruppe bereits Mehrwerte durch ein gemeinsames Agieren sowie die Kombination von wissenschaftlichen mit praxisorientierten Sichtweisen erkennen. Dabei handelt es sich nicht um messbare Werte, sondern vielmehr um Ergebnisse einer neuen Arbeits- und Denkweise, wie beispielsweise die Entwicklung von integrierten Ansätzen statt Einzelansätzen sowie die gemeinsame Bewertung komplexer Problemlagen und die gemeinsame Übernahme von Verantwortung:

„Was aber da auch kommt, was wir auch im Rahmen der Präventionskette gemerkt haben, ist, dass wir […] auch zu dritt darauf schauen, was da entsteht und wo etwas fehlt, also aus drei Perspektiven, obwohl das sonst nur jedes Referat oder nur Teile davon nur für sich tun würden.“ [01a]

Aus Sicht der LMU stellt die Überführung von wissenschaftlicher Evidenz in die Praxis einen Gewinn dar.

„Das ist eigentlich so das Spannendste und Schönste an diesem Projekt, dass es einfach sehr konkret ist und dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit hat, dass es implementiert wird“ [10e].

Rolle der Begleitgruppe in der Planungs- und Implementierungsphase der Präventionskette

Die Rolle der Begleitgruppe wurde anhand der Interviewdaten für die Planungsphase sowie für die Implementierungsphase der Präventionskette untersucht. Die Studienteilnehmenden sehen in der Begleitgruppe den Ausgangs- und Knotenpunkt der Präventionskette Freiham:

„[…] die Begleitgruppe ist der Knotenpunkt von dem aus vielleicht zunächst noch unausgegorene Planungsvorstellungen gemeinsam reflektiert werden und auf dieser Basis wird dann überlegt, was als Nächstes zu tun ist.“ [06c]

Ihr Aufgabenschwerpunkt liegt in der Planungsphase mit Aufgaben zum Anstoßen von Prozessen sowie zur Entwicklung einer Implementierungsstrategie für die Präventionskette Freiham; viele dieser Aufgaben werden als phasenübergreifend verstanden. Die Studienteilnehmenden sind sich einig, dass die Begleitgruppe und insbesondere die Vertreter*innen der Referate die Implementierung auch weiterhin aktiv begleiten werden; ihre explizite Rolle in dieser Phase wurde von den Mitgliedern zum Erhebungszeitpunkt nicht genau definiert, allerdings wurden viele Vorschläge und Ideen dazu formuliert. Die konkreten Aufgaben und Funktionen für die Planungs- bzw. Implementierungsphase werden für eine bessere Übersichtlichkeit tabellarisch festgehalten ( Tab. 2 ).

Tab. 2 Rolle der Begleitgruppe der Präventionskette nach Phasen (Planung=P, Implementierung=I).

Rolle der Begleitgruppe nach Phasen
Aufgaben/Funktionen Phase Beschreibung Beispiel
Planung P
  • Bestimmung der Inhalte und Zielsetzungen der Präventionskette Freiham

  • Einholen von Genehmigungen

  • Identifizierung möglicher Bedarfe im neuen Stadtgebiet

„Die Begleitgruppe ist so der Knotenpunkt, von dem aus vielleicht zunächst noch unausgegorene Planungsvorstellungen gemeinsam reflektiert werden und auf dieser Basis dann überlegt wird, was als Nächstes zu tun ist.” [06c]
Informierung und Aktivierung weiterer Agierender P
  • Aktivierung der Stadtverwaltung

  • Information aktiver und zukünftiger Agierender im Stadtbezirk

  • Einbindung von bestehenden Strukturen (z. B. dem Regionalen Netzwerk für soziale Arbeit in München, REGSAM)

„[…] weil es ist ja schön, wenn wir das alle ganz toll finden, aber wir müssen das ja weiter runter kriegen, die nächste Schicht, wäre, sage ich jetzt mal, sozusagen die Kollegen in der Verwaltung, an die wir ja diese Idee weitergeben müssen” [4b]
Wegbereiter für Vernetzung der Verwaltung P
  • Anstoßen von Vernetzungsprozessen in der Verwaltung

  • Schaffen von Räumen und Möglichkeiten zur Vernetzung (z. B. referatsübergreifende Auftaktveranstaltung)

  • Abschluss einer Kooperationsvereinbarung der drei Referatsleitungen

„Na die Rolle der Begleitgruppe ist tatsächlich alle Vorbereitungen und auch verbindlichen Absprachen dafür zu treffen, dass diese Zusammenarbeit zwischen den drei Referaten dann in dem neuen Gebiet wirklich gut funktioniert.” [05a]
Entwicklung eines Kooperationskonzepts für das Produktionsnetzwerk P
  • Festlegung der Rahmenbedingungen für das Produktionsnetzwerk, z. B. Verpflichtung zur Beteiligung; Festlegung einer groben Arbeitsstruktur

  • Beantragung einer Koordinationsstelle für die Präventionskette

„[…] und haben auch nochmal überlegt, was die Zielsetzung sein kann und so eine Grobstruktur, wie oft die sich treffen auch mal mit übergreifenden Treffen. Und schon einmal so eine Art, Geschäftsordnung kann man eigentlich nicht sagen, aber so Rahmenbedingungen.“ [07c]
Grundlage für Verknüpfung zwischen Verwaltung und Kommune P
  • Grundlage für verstärkten Austausch zwischen Verwaltung und Kommune

  • Sichtbarmachen von Zuständigkeiten und Querverbindungen

„[…] dass man Materialien erstellt, um das Wesentliche festzuhalten, mit dem man dann sowohl zu den Akteuren gehen kann, als auch in die Verwaltung herein, zu diesen zukünftigen Brückenköpfen, die da Ansprechpersonen werden oder schon sind für bestehende Akteure.” [08b]
Monitoring und Unterstützung I
  • Überblick über aktuelle Entwicklungen und Bedarfe vor Ort

  • Begleitung von Prozessen

  • Entwicklung von Lösungsansätzen

„Und trotzdem glaube ich, dass es wie der Name sagt, Aufgabe der Begleitgruppe ist, diese Prozesse auch weiterhin im Auge zu haben und zu begleiten.” [08b]
Impulsgeber und Motivator I
  • Erzeugung einer Motivationsgrundlage für neue Arbeitsweisen

  • Aufzeigen von Möglichkeiten der Zusammenarbeit

„Ich glaube einfach den Leuten mal die Angst zu nehmen, dass das sehr viel Mehrarbeit bedeuten wird, den Leuten konkret die Vorteile, aber auch wirklich die Wege und Strukturen aufzuweisen, die dazu führen, dass man besser miteinander zusammenarbeitet.“ [10e]
Rolle teilweise noch unklar I
  • Aufgaben und konkrete Funktionen größtenteils noch unklar

  • vermutlich Einnahme einer passiveren Funktion

„Ich weiß es gar nicht. Habe ich mit jetzt noch gar nicht so den Kopf darüber gemacht. Ich glaube viel auch dann in einer/, ich weiß gar nicht ob wir da schon darüber gesprochen haben […] Wir werden das sicher nicht so eng machen, wie wir das jetzt die ganze Zeit gemacht haben.” [08b]
Koordinierende Funktion P&I
  • Abstimmung der Planung mit parallellaufenden Prozessen, insbesondere in der Implementierung

  • Vermittlung zwischen verschiedenen Agierenden und Ebenen (z. B. Referatsspitze-Dienststellen, Referat A-Referat B, etc.) insbesondere während der Planungsphase

  • Vermittlerrolle und Brückenfunktion zwischen Verwaltungsebene und Agierenden vor Ort, insbesondere in der Implementierung

„Man hat so eine gewisse Koordinationsfunktion im eigenen Referat dafür, um das Thema da zum Leben zu erwecken oder die Dienststellen, die überall berührt sind damit, kontinuierlich mit Informationen einzubeziehen, weil das muss ja ein aktiver Prozess werden.“ [01a]
„Wir wären, glaube ich, auch für die Fachstelle dann vor Ort ein Zugang, wenn etwas verändert werden soll und in Freiham irgendetwas aufkommt was erkannt wird, dass wir das dann jeweils in unsere Referate transportieren.“ [02a].
Vermittlung des Mehrwerts der Präventionskette P&I
  • kontinuierliche Überzeugungsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen (v. a. auf Ebene der Verwaltung- und Politik)

  • Vermittlung und langfristige Verankerung des Mehrwerts der Präventionskette gegenüber bestehenden Strukturen (v. a. REGSAM)

„Wo wir immer noch am meisten angesprochen werden, ist immer: Was ist der Mehrwert der Präventionskette in Abgrenzung zu dem was wir doch schon bewährtermaßen in München machen? […] Ja ich glaube das wird uns noch eine Weile begleiten. Das immer wieder gut […] in gleichen guten Worten zu transportieren.” [08b]

MAGs und die LMU nehmen in der Begleitgruppe jeweils eine Sonderrolle ein. MAGs hat die Funktion einer Koordinierungsstelle, welche die Sitzungen organisiert, moderiert und dadurch den referatsübergreifenden Prozess zum Aufbau der Präventionskette Freiham von außen unterstützt. Diese Funktion wird MAGs vor allem während der Planungsphase zugeschrieben. In der Umsetzungsphase wird MAGs in einer moderierenden Funktion gesehen, bis eine langfristige Koordinierungsstelle für die Präventionskette Freiham eingerichtet ist. Der Aufgabenschwerpunkt der LMU wird vor allem in der Evaluation gesehen. Die angedachte Evaluation war der ursprüngliche Anlass für die Einbindung der LMU. Es zeigte sich aber, dass sich auch an anderen Stellen – insbesondere hinsichtlich der Planung der Maßnahmen – Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Begleitung boten.

Planung und Implementierung eines Produktionsnetzwerks aus Sicht der Begleitgruppe

Die Analyse der Netzwerkkarten ergab, dass eine breite Unterstützung und Beteiligung am Vorhaben durch alle involvierten und tangierten Agierenden als wichtige Voraussetzung für die Umsetzung des Vorhabens und die Etablierung einer Präventionskette als Produktionsnetzwerk gesehen werden.

Dazu gehören in erster Linie die politischen Entscheidungsträger*innen (Bürgermeister*innen, Stadtrat und Referatsleitungen), die über das Gesamtvorhaben entscheiden. Außerdem sind die Unterstützung der Dienststellen und Mitarbeitenden in den Referaten, die für die Dienste vor Ort verantwortlich sind, notwendig sowie die Beteiligung der Leistungserbringenden selbst. Ein immer wieder genannter Agierender, dessen Mitwirken unabdingbar ist, ist das bereits bestehende Regionale Netzwerk für soziale Arbeit in München (REGSAM).

Die Netzwerkkarten in Abb. 3 geben einen detaillierteren Überblick zu denjenigen Agierenden (Institutionen, Dienststellen, Personengruppen und Einzelpersonen), die aus Sicht der Studienteilnehmenden für die Planungs- und Implementierungsphase der Präventionskette zu berücksichtigen sind. Außerdem sind die Beziehungen und Kontakte der Begleitgruppe zu den verschiedenen Agierenden sowie Informationen zu Funktionen und Aufgabenbereichen der Agierenden dargestellt.

Abb. 3.

Abb. 3

Relevante Agierende für die Planungsphase ( a ) und Implementierungsphase ( b ) aus Sicht der Begleitgruppe, Beziehungsarten (unten links) und Agierenden-Verzeichnis (unten rechts): Aggregierte Ergebnisse aus der egozentrierten Netzwerkanalyse mit der Begleitgruppe im Zentrum. Die dargestellten Beziehungen (Stärke der Beziehung, Art des Kontakts, Kontakthäufigkeit) spiegeln die Einschätzungen der Mitglieder der Begleitgruppe wider. Die Beziehungen zwischen den Agierenden außerhalb der Begleitgruppe wurden nicht erhoben. Dadurch ergibt sich die Stern-Topologie. Zur besseren Unterscheidung der beiden Netzwerkkarten wurden nicht relevante Agierende in der jeweiligen Phase durch gepunktete Konturen angedeutet.

Die Auswahlkriterien für Agierende sowie ihrer geplanten Beteiligung an der Präventionskette wurden von den Studienteilnehmenden bei Erstellung der Netzwerkkarten und während der Interviews erläutert. Der Ansatz der Begleitgruppe besteht darin, die Idee einer Präventionskette als neue Denk- und Arbeitsweise in den verschiedenen Verwaltungs- und Politikebenen der Stadt so zu verankern, dass eine feste Grundlage für die Planung und Implementierung der Präventionskette entsteht. Gleichzeitig wird die Ansicht vertreten, dass der Aufbau eines Produktionsnetzwerks die Beteiligung der Agierenden, die vor Ort oder auch im Stadtgebiet tätig sein werden sowie die der Bürger*innen erfordert.

„Ein Produktionsnetzwerk besteht nicht nur daraus, dass es von oben gefüttert wird, sondern es muss auch von unten gefüttert und getragen werden. Und dann wäre es für mich gelungen.” [08b]

Die Präventionskette muss nach den Vorstellungen der Begleitgruppe also sowohl „von oben“ als auch „von unten“ aufgebaut werden und eine Beteiligung der entsprechenden Agierenden erfahren. Dabei sind die verschiedenen Agierenden mit unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten an der Stadtpolitik ausgestattet. Diese reichen von Entscheidungsmacht und wichtigen Entscheidungskompetenzen (Politik- und Verwaltungsebene) über Einbeziehung und Mitbestimmung (Fachsteuerung- und -planungsebene der Referate) bis Anhörung (Bewohner*innen) 38 . Dieser Anspruch der Begleitgruppe an den Aufbau der Präventionskette spiegelt sich in entstandenen Netzwerkkarten wider, die eine hierarchieübergreifende Agierenden-Landschaft abb.

Chronologisch betrachtet sieht die Begleitgruppe die Information der Politik-, Verwaltungs- und Fachebene als einen ersten Schritt. Dadurch sollen notwendige Zustimmungen eingeholt und relevante Agierende für eine Beteiligung an der Präventionskette gewonnen werden. Dazu gehören aus Sicht der Begleitgruppe allen voran die Vertreter*innen aus den Arbeitsbereichen der drei in die Begleitgruppe eingebundenen Referate: Bildung, Gesundheit und Soziales. Die weitere Nennung von Dienststellen durch die Begleitgruppe basiert auf der Überlegung, welche Leistungen und Angebote in Freiham, insbesondere zu Beginn, wichtig sein könnten. Mit der jeweils „zuständigen Dienststelle“ ist in den meisten Fällen (Ausnahmen Nr. 3, 8, 19) die fachspezifische und nicht die sozialräumliche Verantwortung für das Stadtgebiet Freiham gemeint.

Eine Besonderheit beim Aufbau der Präventionskette Freiham besteht darin, dass viele zukünftige Agierende wie Fachkräfte und Personal in Einrichtungen sowie die Bewohner*innen Freihams bei der Planung der Strategie noch unbekannt sind. Dennoch wurden bereits einige spezifische und zukünftige Mitglieder des geplanten Produktionsnetzwerks genannt, die frühzeitig, idealerweise während der Planungsphase, beteiligt werden sollen. Dazu gehören: Die Träger und Fachaufsicht, die Koordinationsstelle der Präventionskette sowie die zukünftigen Bewohner*innen Freihams. Folgende Gründe für die Beteiligung dieser Agierenden wurden in den Interviews und bei Erstellung der Netzwerkkarten genannt:

Bereits in den Trägerauswahlverfahren, die vor dem Bezug von Freiham stattfinden werden, soll die Bereitschaft zur Mitwirkung im Produktionsnetzwerk „auf höchster Ebene“ [2a] als wichtiges Kriterium aufgenommen werden. Daher sollen Träger und Fachaufsicht sowohl in der Planungs- als auch in der Implementierungsphase einbezogen werden.

Die geplante Koordinationsstelle wird bei der Implementierung der Präventionskette als zentral betrachtet. Diese soll idealerweise bereits in der Planungsphase in das Vorhaben eingebunden werden:

„Wir wollen ja auch, dass es mindestens eine halbe Vollzeitstelle gibt, die vor Ort diese Präventionskette koordiniert, weil wir glauben es braucht dann wie jetzt bei uns in der Begleitgruppe auch jemanden, der so ein bisschen die Fäden in der Hand hält und zumindest in der Anfangszeit doch immer wieder zusammenbringt, damit sich das wirklich fest etabliert.“ [05a]

Die Netzwerkkarte zeigt außerdem, dass die zukünftigen Bewohner*innen Freihams in der Planungsphase als wichtig empfunden werden. Da diese noch nicht bekannt sind, können sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht direkt einbezogen werden, allerdings sollen die Sichtweisen von Bürger*innen in der Planung berücksichtigt werden:

„Das ist oft ein Fehler der Verwaltung; wir meinen, wir wüssten alles und wir meinen, wir könnten alle vertreten und da drehen wir uns immer im Kreis und die armen Menschen, um die es geht, stehen dann vor der Tür und wundern sich, was wir aushecken. […] Also auf jeden Fall müssen wir sie anhören, in allen Phasen. Also in der Planung dürfen wir sie nicht vergessen.“ [04b]

Nicht zuletzt legt die Begleitgruppe bei der Planung und der Implementierung der Präventionskette Wert darauf, keine Parallelstrukturen zu bereits Bestehendem zu schaffen. Dabei wird insbesondere REGSAM als etabliertes Informationsnetzwerk für Agierende im sozialen und politischen Bereich genannt.

„[…] dann halt auch immer die Zusammenarbeit mit REGSAM, dass man da auch einen guten Weg findet, keine Parallelstruktur, sondern dass das wirklich auch in dieses Netzwerk REGSAM eingebunden ist und dass wir uns da auch gegenseitig befruchten.“ [07c]

Ziel der Begleitgruppe ist es, an dieses Netzwerk anzuknüpfen und sowohl in der Planungs- als auch in der Implementierungsphase Wege für die Zusammenarbeit zu finden.

Diskussion

In dieser Studie wurden die Begleitgruppe als referatsübergreifendes und multiprofessionelles Gremium sowie der Kreis weiterer relevanter Agierender zur Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham als Produktionsnetzwerk untersucht. Die Zusammenarbeit innerhalb der Begleitgruppe gestaltet sich aus Sicht der Beteiligten positiv und wird als beispielgebend für ein funktionierendes referatsübergreifendes Arbeiten betrachtet. Ebenso positiv werden die Zusammenarbeit mit MAGs und der LMU wahrgenommen. Als förderliche Faktoren für die erfolgreiche Planung, Implementierung und Evaluation der Präventionskette sind unter anderem das hohe persönliche Engagement der Beteiligten, eine referatsübergreifende Zusammenarbeit mit einer gleichmäßigen Verteilung von Arbeit und Verantwortung, die Form und Formalisierung der Zusammenarbeit sowie die verwaltungsexterne Koordination genannt worden. Als hinderliche Faktoren werden vor allem Faktoren auf der Ebene der übergeordneten administrativen Strukturen der städtischen Verwaltung wahrgenommen. Die externe Koordination durch MAGs und die Formalisierung der referatsübergreifenden Zusammenarbeit durch die Kooperationsvereinbarung zwischen den beteiligten Referaten werden hier als hilfreich im Umgang mit strukturellen Herausforderungen gesehen. Die Analyse des sozialen Netzwerks hat zudem gezeigt, dass es notwendig ist, über den Gesamtverlauf des Vorhabens kontinuierlich und systematisch relevante Agierende zu identifizieren und frühzeitig in den Prozess einzubinden.

Die gute Zusammenarbeit in der Begleitgruppe ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung und Implementierung der Präventionskette Freiham. Wie verschiedene Studien zeigen, sind solide Partnerschaften gerade in der Vorbereitungs- und Planungsphase für den Erfolg der zu implementierenden Maßnahme entscheidend 39 40 41 . In der Analyse der Zusammenarbeit der Begleitgruppe zeigte sich, dass vor allem ein starkes gemeinsames Interesse, der erkennbare Nutzen der Präventionskette und die gleichrangige Beteiligung und Übernahme von Verantwortung die Motivation der Mitglieder und damit die Zusammenarbeit fördern. Diese Aspekte wurden auch im umfassend evaluierten Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen“ mit 18 Modellkommunen als Erfolgsfaktoren multiprofessioneller Zusammenarbeit benannt 7 . Die von der Begleitgruppe genannten strukturellen Herausforderungen der Zusammenarbeit durch Verwaltungsstrukturen sind ebenfalls kein Novum: So stellen regulatorische Eigenheiten und die unterschiedliche Priorisierung der Themen Prävention und Gesundheitsförderung durch die jeweiligen Referate in vielen Kommunen eine Herausforderung dar 7 8 . Um dem entgegenzuwirken, wurde die genannte Kooperationsvereinbarung zwischen den Referaten geschlossen. Außerdem ist durch die externe Koordination die Möglichkeit gegeben, auch unabhängig von städtischen Strukturen zu agieren, wodurch strukturelle Hindernisse besser bewältigt oder gegebenenfalls vermieden werden können.

Die Begleitgruppe wird als Ausgangs- und Knotenpunkt der Präventionskette Freiham gesehen, der in erster Linie in der Planungsphase verschiedene tragende Rollen zukommen. Dabei liegt eine ihrer zentralen Aufgaben in der Information und Aktivierung der verschiedenen präventionsrelevanten Dienststellen der Stadtverwaltung. Wie eine Studie zur sektorübergreifenden Vernetzung in Präventionsketten zeigte, empfiehlt es sich für die Planung und Implementierung von Präventionsketten, insbesondere auf Verwaltungsebene, Akzeptanz für die Thematik zu schaffen und die verschiedenen Fachbereiche für den „Health in All Policies-Ansatz“ zu sensibilisieren 8 . Eine sektorübergreifende Zusammenarbeit ist bereits durch die Beteiligung von drei Referaten in der Begleitgruppe und damit an der Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham gegeben. Daraus wird deutlich, dass die Begleitgruppe die Präventionskette als Querschnittsaufgabe versteht, an der sich im Sinne des Health in All Policies-Ansatzes möglichst alle Ämter und Fachbereiche beteiligen sollen. In einer Bestandsaufnahme zur Umsetzung dieses Ansatzes in Deutschland wird die Präventionskette Freiham als konkretes kommunales Beispiel genannt 42 . In anderen Kommunen wird die Steuerung einer Präventionskette häufig einem einzelnen Referat oder Fachbereich (z. B. dem Jugendamt) übertragen 7 . Des Weiteren ist erfahrungsgemäß besonders die Einbeziehung aller Agierender der mittleren Leitungsebene hilfreich, um auf Verwaltungsebene eine Mitarbeit an der Präventionskette sowie einen referatsübergreifenden Austausch zu etablieren 7 . Unsere Ergebnisse zeigen, dass dies der aktuellen Schwerpunktsetzung der Begleitgruppe entspricht. Zudem wird in der Literatur der Rückgriff auf bestehende Strukturen als elementar gesehen 8 . Wie unsere Analyse zeigt, wird dies von der Begleitgruppe durch die Einbindung des bestehenden Informationsnetzwerks REGSAM bedacht.

Für die Planungsphase der Präventionskette Freiham ist mit der Begleitgruppe eine Präventionsketten-Einheit in der Verwaltung angesiedelt. Da die Arbeit der Begleitgruppe jedoch auf freiwilliger Basis und damit ohne Bereitstellung zusätzlicher zeitlicher oder finanzieller Ressourcen stattfindet, ist die Frage der langfristigen Fortführung noch ungeklärt. Während mit Beginn der Implementierung die Koordination vor Ort von der Begleitgruppe vor allem bei der geplanten Koordinationsstelle gesehen wird, betrachtet sich die Begleitgruppe weiterhin als Ansprechpartnerin auf Verwaltungsebene und in einer Vermittler- und Brückenfunktion. Wie die Evaluation der Modellkommunen zeigte, ist eine dauerhafte in der Verwaltung angesiedelte Koordinationsstelle, die strategische und operative Tätigkeiten übernimmt erforderlich, ein rein projektbasiertes Organisationsmodell hingegen definitiv nicht empfehlenswert 7 . Es wird außerdem auf die Notwendigkeit von Strukturen im Sinne von verbindlichen Standards und Regeln hingewiesen, die auch dann fortgeführt werden, wenn die anfängliche Euphorie verfliegt oder die beteiligten Personen einmal ausscheiden 7 .

Anhand der erstellten Netzwerkkarten wurde die Bandbreite an Agierenden, die sowohl für die Planung als auch für die Implementierung der Präventionskette von der Begleitgruppe als wichtig erachtet wird, ersichtlich. Dazu zählen Agierende aus unterschiedlichen Bereichen und auf allen Hierarchieebenen. Die Partizipation anderer Agierender zur Planung der Präventionskette Freiham findet bislang in Form von Information, Anhörung und partieller Einbeziehung statt. Da ein Produktionsnetzwerk von einer breiten Basis mitgetragen werden muss, sollten weiterhin Agierende außerhalb der Stadtverwaltung identifiziert und integriert werden. Dies umfasst insbesondere die Sichtweisen zukünftiger Bürger*innen, die die Begleitgruppe für die Planung und Implementierung von Maßnahmen berücksichtigen sollte. Deren Sichtweisen werden in den kommenden Jahren (Laufzeit 2019−2021) unter anderem durch die LMU erfasst.

Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen der LMU wird von beiden Seiten als vorteilhaft und gewinnbringend bezeichnet. Eine andauernde Beteiligung von Wissenschaftler*innen und Entscheidungsträger*innen in einem kollaborativen Prozess, der der gemeinschaftlichen Erzeugung von Wissen dienen soll, führt zu einer höheren Relevanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie einer größeren Verwendung dieses Wissens bei Entscheidungen in Praxis und Politik 43 44 45 46 . Dieser Prozess läuft jedoch nicht immer reibungslos ab, wie beispielsweise die fehlende Rollendefinition der LMU innerhalb der Begleitgruppe sowie der partizipative Forschungsansatz und der damit einhergehende Zeitaufwand gezeigt haben. Daher ist ein begleitender Prozess anzuraten, der es ermöglicht kontinuierlich Ziele und Erwartungen zu reflektieren.

Die Studienergebnisse sind als Bestandsaufnahme eines sich in der Planungs- und Vorbereitungsphase befindlichen Vorhabens zu verstehen. Insbesondere die erfassten Aussagen zu und Darstellung von relevanten Agierenden zur Implementierungsphase sind als Abbild der Zukunftsvorstellungen der Begleitgruppe aufzufassen. Die Wiederholung der Befragung sowie der erneute Einsatz der in dieser Studie angewandten Netzwerkkarten könnte in einer Fortführung der Prozessevaluation dazu dienen, die ursprünglichen Vorstellungen den tatsächlichen Entwicklungen und Handlungen gegenüberzustellen. Die Netzwerkkarten könnten auch kooperativ mit der Begleitgruppe erstellt werden. Dabei sollten die Durchführung der Forschung und die Aufbereitung der Ergebnisse so gestaltet werden, dass sie für die Praxis handhabbar und nutzbar sind 47 .

Limitationen und Stärken

In dieser Studie wurden egozentrierte Netzwerkkarten verwendet und mit der Frage nach der „Wichtigkeit“ von Personen ein relativ offener Stimulus gesetzt. Dies ermöglicht auf der einen Seite die Berücksichtigung der individuellen Wahrnehmungen und Relevanzsetzungen der Studienteilnehmenden. Auf der anderen Seite wird dadurch, insbesondere bei den Netzwerkkarten, die interpersonelle Vergleichbarkeit eingeschränkt. Da die Beschreibung der in den Netzwerkkarten dargestellten Agierenden auf dem jeweiligen persönlichen Relevanzsystem der Studienteilnehmenden basiert, ist die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe bei der Beschreibung der Agierenden möglich. Bezüglich der Einordnung nach „Wichtigkeit“ erwies sich die Spanne an unterschiedlichen Angaben durch die Studienteilnehmenden als zu groß, um diese einheitlich und repräsentativ auswerten zu können. Dies ist einerseits auf den erwähnten sehr offenen Stimulus bei der Studiendurchführung zurückzuführen, andererseits wurde im Rahmen des Workshops deutlich, dass Diskrepanzen zwischen der formalen Zuständigkeit und dem tatsächlichen Wirken von Personen die Bewertung der Wichtigkeit für die Studienteilnehmenden zusätzlich erschwerten.

Eine vollständige Netzwerkanalyse umfasst in der Regel die Erfassung der Beziehungen zwischen den Alteri. In der vorliegenden Studie wurde darauf verzichtet. Dadurch ergibt sich eine sternartige und wenig vernetzte Netzwerk-Topologie. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Erstellung und Verwendung der Netzwerkkarten bezüglich Umfang und Abstraktionsniveau nicht zu komplex und in der Praxis handhabbar zu gestalten. Der Grund dafür ist, dass die Planung des Produktionsnetzwerks zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch am Anfang stand. Damit war die Anzahl und Vielfalt der Alteri pro Netzwerkkarte für eine qualitative Analyse bereits relativ hoch. Zudem basierte die Nennung der Alteri auf Zukunftsvorstellungen der Studienteilnehmenden. Somit wurden Agierende genannt, die zukünftig in Freiham tätig sein könnten, aber bisher noch nicht bekannt sind. Bei der Fortsetzung der Netzwerkanalyse zum Zeitpunkt einer fortgeschrittenen Planung des Produktionsnetzwerks sollten diese Daten mit erhoben werden.

Partizipation ist ein Grundgedanke der Präventionskette Freiham: dies spiegelt sich sowohl bei der Information und Einbeziehung von Agierenden in die Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham als auch bei der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Entscheidungsträger*innen wider. Um die Akzeptanz, Relevanz und Implementierung von Forschungsergebnissen zu steigern, sollten Beteiligte und Betroffene, wie beispielsweise die Begleitgruppe, an allen Phasen des Forschungsprozesses, der Planung, Datenerhebung, Auswertung und Dissemination von Studien beteiligt werden 48 . In dieser Studie war der hohe Grad der Partizipation mit einer Reihe von wünschenswerten, aber auch herausfordernden Faktoren verbunden. Der Workshop, bei dem die vorläufigen Studienergebnisse und die Forschungsfrage aus der Perspektive von Vertreter*innen der Stadt München und der LMU betrachtet wurden, diente als gemeinsame Dateninterpretationsplattform. Dies ging mit positiven Effekten, wie der Steigerung der Akzeptanz der eingesetzten Methodik, der Diskussion und anschließenden Klärung von Konzepten, der Förderung des gegenseitigen Verständnisses sowie der Anregung von Reflexionsprozessen einher. Andererseits bot der Workshop die Möglichkeit, für die Praxis möglicherweise unbequeme Forschungsergebnisse auszugrenzen. Das Führen von Feldnotizen und eine anschließende Reflektion innerhalb des Forschungsteams sollten dieser Gefahr entgegenwirken. Faktoren, die sich förderlich auf die Durchführung dieses partizipativen Forschungsformats ausgewirkt haben, waren die Ergebnisoffenheit und die Flexibilität der Teilnehmenden als auch die Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Hinderliche Faktoren waren begrenzte zeitliche Ressourcen auf Seite der Studienteilnehmenden, ein vergleichsweiser hoher Zeitaufwand für die Forschenden und die Herausforderungen im Umgang mit Aussagen, die teilweise personenspezifisch und somit schwer zu pseudonymisieren sind.

Schlussfolgerungen

Die Arbeit der Begleitgruppe als Gremium zur Planung und Implementierung der Präventionskette Freiham stellt aus Sicht der beteiligten Agierenden ein positives Beispiel für eine referatsübergreifende und multiprofessionelle Zusammenarbeit dar. Die bestehenden förderlichen Faktoren und Herausforderungen der Zusammenarbeit können in zukünftigen Vorhaben als richtungsweisend für eine erfolgreiche Arbeitsweise betrachtet werden.

Die Organisationsform der Begleitgruppe als Zusammenschluss von Vertreter*innen verschiedener Referate, die sich gleichermaßen der Präventionskette annehmen sowie der externen Koordination wird als fortschrittlicher Ansatz wahrgenommen. Die Planung und Implementierung der Präventionskette sollte auch im weiteren Verlauf als Querschnittsaufgabe verstanden und referats- und hierarchieübergreifend unterstützt werden.

Weiterhin ist in der Planungsphase der Präventionskette Freiham mit der Begleitgruppe eine in der Verwaltung angesiedelte Koordination vorhanden. Basierend auf den Erfahrungen anderer Präventionsketten wäre die dauerhafte Verankerung einer solchen Stelle für die Implementierungsphase empfehlenswert.

Die Fortführung von qualitativen Interviews sowie die Netzwerkanalyse im Rahmen der weiteren Prozessevaluation kann dazu dienen die Planungen zum Aufbau der Präventionskette Freiham systematisch zu reflektieren und die Erkenntnisse für den weiteren Aufbau zu nutzen.

Partizipation in möglichst allen Forschungsphasen des Vorhabens kann für Entscheidungsträger*innen, Forschende als auch für alle weiteren Beteiligten gewinnbringend sein. Der Mehrwert eines aktiv gelebten partizipativen Vorgehens sollte regelmäßig überprüft und gegebenenfalls nachjustiert werden.

Danksagung

Unser herzlicher Dank geht an alle Studienteilnehmenden, die diese Studie durch ihre Informationsbereitschaft und ihr Engagement möglich gemacht haben.

Footnotes

Interessenkonflikt Die Erstautorin arbeitet seit 01.03.19 bei MAGs – Münchner Aktionswerkstatt Gesundheit. Die Studiendurchführung und -auswertung waren zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits abgeschlossen. Die Ko-Autor*innen waren (LMP, ER) oder sind (MC) nach wie vor in die Begleitgruppe der Präventionskette Freiham eingebunden.

Fazit für die Praxis.

  • Die Planung und Implementierung einer Präventionskette sollte von Beginn an als Querschnittsaufgabe verstanden und referats- und hierarchieübergreifend unterstützt werden.

  • Förderliche Faktoren für die erfolgreiche Planung, Implementierung und Evaluation einer Präventionskette sind neben dem hohen Engagement der Beteiligten eine referatsübergreifende Zusammenarbeit, die Form und Formalisierung der Zusammenarbeit sowie eine verwaltungsexterne Koordination.

  • Eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Entscheidungsträger*innen und einer akademischen Institution erweist sich für beide Seiten als fruchtbar und ist einer direkten Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Politik und Praxis zuträglich.

  • Über den Gesamtverlauf des Vorhabens sollten kontinuierlich und systematisch relevante Agierende identifiziert und frühzeitig in den Prozess eingebunden werden.

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Articles from Gesundheitswesen (Bundesverband Der Arzte Des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany) are provided here courtesy of Thieme Medical Publishers

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