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. 2023 Dec 11;85(12):1110–1114. [Article in German] doi: 10.1055/a-2183-8119

Versorgung von Patient*innen an umweltmedizinischen Ambulanzen in Deutschland am Beispiel der Universitätskliniken in Hamburg und München

Patient Care in German Outpatient Clinics for Environmental Medicine Illustrated by the Examples of Hamburg and Munich University Hospitals

Ramona Gigl 1,, Caroline Quartucci 1,2, Dennis Nowak 2, Uta Ochmann 2, Marcial Velasco Garrido 3, Alexandra M Preisser 3, Volker Harth 3, Caroline Eva Wella Herr 1,2, Stefanie Heinze 1,2
PMCID: PMC11248148  PMID: 38081172

Zusammenfassung

Menschen können sich durch verschiedene Umweltfaktoren (z. B. Geruch, Lärm) belästigt fühlen und dadurch Beschwerden oder Erkrankungen entwickeln. Für Betroffene in Deutschland ist es nicht leicht, entsprechend qualifizierte Ärztin*innen für die Beratung oder Behandlung zu finden. Anhand der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München soll dieser Bericht aufzeigen, wie die Versorgung von Patient*innen mit vermuteten umweltmedizinischen Erkrankungen in Deutschland stattfindet. Für die exemplarische Darstellung der Arbeitsweise werden die Daten aus dem Zeitraum von 01.01.2019 bis 31.03.2021 der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen München und Hamburg dargestellt und miteinander verglichen. Insgesamt stellten sich bei beiden Einrichtungen mehr weibliche als männliche Patient*innen vor. Die vermutete Exposition gegenüber „Schwermetallen“ wurde am häufigsten seitens der Patient*innen als Grund für ihre Vorstellung an den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen angeführt. Im Verlauf der umweltmedizinischen Beratung konnte die vermutete Belastung bzw. „Intoxikation“ in der überwiegenden Fallzahl durch entsprechende leitlinien-konforme Untersuchungsmethoden bei der Behandlung der Patient*innen ausgeschlossen werden. Die zur Verfügung gestellten Daten der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen zeigen, dass der Versorgungsbedarf an umweltmedizinischer Beratung kontinuierlich gegeben ist. Ein enger Austausch zwischen dem niedergelassenen Sektor und den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen sollte bei der Versorgung angestrebt werden.

Schlüsselwörter: Umweltmedizin, Ambulanzen, Versorgung, Patient*innen, Behandlung

Hintergrund

Menschen können sich durch verschiedene Umweltfaktoren (z. B. Geruch, Lärm) belästigt fühlen und dadurch Beschwerden oder Erkrankungen entwickeln. Grundsätzlich sind dabei umweltbedingte, d. h. durch Umweltfaktoren verursachte Gesundheitsbeschwerden oder Erkrankungen, und umweltbezogene, d. h. durch Umweltfaktoren mitbeeinflusste gesundheitliche Beschwerden oder Erkrankungen, zu unterscheiden. Für die Betroffenen ist es in Deutschland nicht leicht, entsprechend qualifizierte Ärztin*innen für die notwendige Beratung oder Behandlung zu finden: Die Kommission Umweltmedizin und Environmental Public Health am Robert-Koch-Institut (RKI) hat zu Beginn des Jahres 2020 in einer Stellungnahme festgehalten, dass die Versorgungssituation der betroffenen Patient*innen mit umweltmedizinischen Beschwerden nicht ausreichend ist. Die Versorgung betroffener Patient*innen wird derzeit u. a. durch wenige umweltmedizinische Hochschulambulanzen an Universitätskliniken aufrechterhalten 1 2 3 . In einer Studie aus 2017 wurden anhand der Auflistung von umweltmedizinischen Hochschulambulanzen der RKI-Kommission u. a. 44 aktive Hochschulambulanzen identifiziert und zur Teilnahme angefragt, um zu eruieren, ob und inwieweit ein adäquates Behandlungsangebot für umweltmedizinische Patient*innen zur Verfügung steht. An der Befragung nahmen 15 aktive umweltmedizinische Hochschulambulanzen teil. Zehn Hochschulambulanzen waren lediglich beratend tätig und behandelten keine Patient*innen. Bei je acht weiteren Hochschulambulanzen konnte entweder kein Kontakt hergestellt werden oder sie waren nicht aktiv im Bereich Umweltmedizin. Bei zwei Hochschulambulanzen war die umweltmedizinische Stelle nicht besetzt, eine weitere Hochschulambulanz gab an, keine Zeit für die Befragung zu haben 4 .

Gesetzliche Krankenkassen übernehmen außerhalb der Regelversorgung keine Kosten für spezielle umweltmedizinische Leistungen. Noch in den 1990er Jahren existierten zusätzliche umweltmedizinische Abrechnungsziffern seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese ermöglichten die Abbildung des zeitlichen Umfangs der erweiterten ärztlichen Beratung und führten zu einem deutlichen Anstieg von Teilnehmer*innen an umweltmedizinischen Weiterbildungen. Umfasst die Diagnostik Maßnahmen zur Abklärung von Erkrankungen, die als Differentialdiagnose zur von den Patient*innen vermuteten Ursache in Betracht kommen, und basieren diese auf allgemein anerkannten Methoden, werden die Kosten oftmals kassenseitig erstattet. Für die entstandenen Kosten durch allgemein nicht-anerkannte Behandlungsmethoden oder spezielle umweltmedizinische Methoden müssen die Betroffenen oftmals selbst aufkommen, bspw. für die Ermittlung einer möglichen Schadstoffbelastung mittels Umgebungs-Monitoring oder Human-Biomonitoring. Die Erstattungen durch Beihilfe und Private Krankenkassen richten sich dabei nach den jeweiligen Bedingungen des Versicherungsvertrages 1 3 .

Die Betroffenen weisen durch die vermutete Erkrankung zweifelsohne einen hohen persönlichen Leidensdruck auf, der angemessen versorgt werden muss. Unnötige Diagnostik muss jedoch vermieden werden. Eine zielgerichtete Diagnostik in der umweltmedizinischen Versorgung trägt dazu bei, Leidenswege zu verkürzen und dem kostenintensivem „doctor hopping“ entgegenzuwirken 1 2 3 . Für eine zielführende Diagnostik zur weiteren Abklärung vermuteter umweltmedizinischer Beschwerden ist oftmals ein interdisziplinäres Vorgehen nötig, das die Methoden verschiedener Disziplinen, z. B. der Toxikologie und Dermatologie, einschließt 5 6 .

Aufgrund der deutlichen Unterfinanzierung umweltmedizinischer Leistungen besteht an vielen Universitätskliniken oft kein oder nur geringes Interesse am Betrieb entsprechender Institutionen. Durch den hohen zeitlichen Aufwand für das Personal bei Sprechstunden sowie hohe anfallende Kosten für Laborleistungen können umweltmedizinische Hochschulambulanzen zudem nicht kostendeckend betrieben werden 3 . Derzeit bestehen wenige umweltmedizinische Hochschulambulanzen und Beratungsstellen in Deutschland, an die sich Betroffene wenden können. Anhand der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München soll aufgezeigt werden, wie die Versorgung von Patient*innen mit vermuteten umweltmedizinischen Erkrankungen in Deutschland stattfindet.

Die Hochschulambulanz des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf befindet sich am Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM). Die Hochschulambulanz in München ist am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) angesiedelt.

Versorgung an den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München

Mit betroffenen Patient*innen wird zunächst ein Termin zur Vorstellung in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz vereinbart. Dies erfolgt meist auf telefonischem Wege.

Die Patient*innen können von ihrem Haus- oder Facharzt in die umweltmedizinische Hochschulambulanz überwiesen werden oder aus eigenem Antrieb heraus einen Termin vereinbaren.

In den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München werden die betroffenen Patient*innen durch ärztliches Personal (Ärzt*innen in Weiterbildung, Fachärzt*innen, Oberärzt*innen, Direktor*innen) und medizinisches Assistenzpersonal (Anmeldung, Terminvereinbarung, Funktionsdiagnostik) betreut. An der Hochschulambulanz München sind mehrere Fachärzt*innen für Arbeitsmedizin sowie für Innere Medizin tätig. Jeweils zwei der Fachärzt*innen besitzen die Zusatzbezeichnungen für Umweltmedizin und Allergologie. In Hamburg betreuen die Patient*innen ebenfalls mehrere Fachärzt*innen für Arbeitsmedizin sowie für Innere Medizin. Eine*r der Fachärzt*innen besitzt die Zusatzbezeichnung Umweltmedizin.

Insbesondere bei Patient*innen, die zur persönlichen Vorstellung eine große Distanz zurücklegen müssen, erfolgte in Hamburg zunächst ein telefonisches Beratungsgespräch mit einer / einem Fachärztin /-arzt zur Klärung von deren Erwartungen und Zielen. Hierdurch soll u. a. vermieden werden, dass Patient*innen, die sich z. B. im alternativ-medizinischen System bereits bestimmten Behandlungen unterziehen (sog. Ausleitungen bzw. Entgiftungen) und eine Fortsetzung der nicht-evidenzbasierten Behandlungen in der Hochschulambulanz – meistens aus Kostengründen – wünschen, in ihren Erwartungen enttäuscht werden. In beiden Hochschulambulanzen wird die betroffene Person bei der persönlichen Vorstellung von einer Ärztin oder einem Arzt gesehen. Eine ausführliche Anamnese und gegebenenfalls eine symptomorientierte körperliche Untersuchung sind Bestandteile des Termins. Für die Entscheidung, ob weitere Diagnostik (z. B. Human-Biomonitoring, Lungenfunktionsprüfung, Allergiediagnostik) erforderlich ist, werden entsprechende Fachärzt*innen oder Oberärzt*innen hinzugezogen. Patient*innen werden stets nach dem „4-Augen-Prinzip“ betreut: mindestens zwei Ärzt*innen sind involviert, davon mindestens eine*r Fachärzt*in. Die Durchführung eines Human-Biomonitorings erfolgt nach strenger Indikation.

Nachdem die Ergebnisse der vorab durchgeführten Untersuchungen vorliegen, wird die Patientin bzw. der Patient darüber informiert, ob die Befunde normwertig oder pathologisch sind und ob eine Gesundheitsgefährdung vorliegt. Liegt eine akute oder chronische Erkrankung vor, werden die Patient*innen zur Weiterbehandlung an die dafür zuständige Fachdisziplin (z. B. Dermatologie, Innere Medizin) verwiesen. Bei der Erläuterung der Untersuchungsergebnisse legen die behandelnden Fachärzt*innen Wert darauf zu vermitteln, dass eine Referenzwertüberschreitung keine gesundheitliche Aussage beinhaltet und dass unspezifische Symptome meist nicht kausal auf die Überschreitung eines Referenzwerts bezogen werden können.In einem ausführlichen Arztbrief werden alle Schritte und Ergebnisse der Versorgung durch die umweltmedizinische Hochschulambulanz festgehalten und den Patient*innen mitgeteilt. Sofern eine Überweisung durch Haus- oder Fachärzt*innen erfolgte, erhalten auch diese den ärztlichen Bericht.

Einbezogene Daten der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München

Für die exemplarische Darstellung der Arbeitsweise werden die Daten der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen der Universitätskliniken in Hamburg und München im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 31.03.2021 präsentiert und miteinander verglichen. Telefonisch durchgeführte Beratungen etwa desselben Umfangs wurden in dieser Aufstellung nicht erfasst.

Ergebnisse

In Tab. 1 ist die Anzahl der Vorstellungen von Patient*innen an den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München dargestellt. Es wurden hierbei sowohl gesetzlich, als auch privat versicherte Patient*innen berücksichtigt. Insgesamt stellten sich bei beiden Einrichtungen mehr weibliche als männliche Patient*innen vor. Die Anzahl an Vorstellungen in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz München lag im Vergleich zur umweltmedizinischen Hochschulambulanz in Hamburg höher. In Hamburg wird häufig eine telefonische ärztliche Anamnese und Erstberatung durchgeführt, die nicht in jedem Fall in eine persönliche Vorstellung in der Hochschulambulanz mündet, statistisch hier aber nicht dargestellt wird. Die Daten spiegeln die Anzahl der unterschiedlichen Patient*innen wider, wiederholte Beratungen wurden nicht berücksichtigt. Das durchschnittliche Alter der Patient*innen in München lag bei 50,24 Jahren, in Hamburg bei 48,88 Jahren.

Tab. 1 Anzahl der persönlichen Vorstellungen von Patient*innen in Hamburg und München mit umweltmedizinischer Fragestellung im Zeitraum von 01.01.2019 bis 31.03.2021.

Vorstellungen von Patient*innen 2019 2020 2021
München Weiblich 47 28 7
Männlich 27 25 5
Gesamt 74 53 12
Vorstellungen von Patient*innen 2019 2020 2021
Hamburg Weiblich 9 13 3
Männlich 10 11 2
Gesamt 19 24 5

Die Gründe der Patient*innen, die umweltmedizinische Hochschulambulanz Hamburg zu besuchen, ließen sich vier Kategorien zuordnen, entsprechend der vermuteten Ursache für die Beschwerden (siehe Abb. 1 ). Am häufigsten fanden sich vermutete Beschwerden durch die Exposition gegenüber „Schwermetallen“ (bspw. Blei, Kobalt oder Aluminium) als Konsultationsgrund (n=18 für 2019, n=19 für 2020 und n=5 für Q1/2021). Als vermutete Quelle für die gesundheitlichen Beschwerden gaben die Patient*innen auch „Chemikalien“ (bspw. Pentachlorphenol, PCP) (n=1 für 2019 und 2020), „Einflüsse aus der Wohnung“, z. B. Pestizide in der Innenraumluft (n=3 für 2019), sowie „MCS (Multiple Chemikaliensensitivität) / Duftstoffunverträglichkeit“ an (n=1 für 2020).

Abb. 1.

Abb. 1

Angegebene Gründe der Patient*innen, die zu einer persönlichen Vorstellung in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz Hamburg führten (Zeitraum von 01.01.2019 bis 31.03.2021).

In München gaben die Patient*innen als vermutete Ursache ihrer Beschwerden „Elektrosmog“, „Einflüsse aus der Wohnung“, „Schwermetalle“, „Allergien“, „Chemikalien“ und „MCS/ Duftstoffunverträglichkeit“ an. Der Einflussfaktor „Schwermetalle“ (z. B. Blei oder Quecksilber) wurde dabei im betrachteten Zeitraum am häufigsten angeführt (n=14 für 2019 und 2020, n=5 für Q1/2021, siehe Abb. 2 ).

Abb. 2.

Abb. 2

Angegebene Gründe der Patient*innen, die zu einer persönlichen Vorstellung in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz München führten (Zeitraum von 01.01.2019 bis 31.03.2021).

„Einflüsse aus der Wohnung“ (z. B. Schimmelbefall in Wohnräumen) wurden in 2019 von 14, in 2020 von einer Patientin/ einem Patienten und in 2021 von 4 Patient*innen genannt. Jeweils 11 erfolgten 2019 aufgrund der vermuteten Ursachen „MCS/ Duftstoffunverträglichkeit“ und 2020 „Chemikalien“. Im Jahr 2020 führten 7 Patient*innen eine „Allergie“ als vermutete Ursache für ihre Beschwerden an, wohingegen im Vorjahr 2019 eine Patientin/ ein Patient diese Vermutung hatte.

Lediglich eine geringe Anzahl von Patient*innen wurde ohne vorab genannte Vermutung über den Auslöser der Beschwerden in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz vorstellig (n=7 für 2019, n=3 für 2020 sowie n=0 für Q1/2021).

Im Verlauf der umweltmedizinischen Beratung konnte die vermutete Belastung bzw. „Intoxikation“ in der überwiegenden Fallzahl durch entsprechende leitlinien-konforme Untersuchungsmethoden bei der Behandlung der Patient*innen ausgeschlossen werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede waren weder in München noch in Hamburg erkennbar.

Diskussion

Die vorgestellten Daten der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen in Hamburg und München liefern eine aktuelle Übersicht über die führenden Konsultationsanlässe in der Versorgung umweltmedizinischer Patient*innen. Dabei können die Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Datenerfassung in den beiden umweltmedizinischen Hochschulambulanzen lediglich deskriptiv dargestellt werden.

Die Anzahl der Patient*innen, die sich in der umweltmedizinischen Hochschulambulanz Hamburg vorstellten, lag in diesem Zeitraum unter der Anzahl in München. Bei der Interpretation der erhobenen Daten ist zu beachten, dass auch Zeiten während der Corona-Pandemie berücksichtigt wurden. Da in der Pandemie sowohl strenge Zugangs- und Hygieneregeln in den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen als auch allgemeine Regelungen des Infektionsschutzgesetzes für alle Bürger*innen galten, kann dadurch die Inanspruchnahme von Erstsprechstunden durch Betroffene beeinflusst worden sein. Zudem wird in Hamburg nicht selten eine telefonische ärztliche Anamnese und Erstberatung durchgeführt, die nicht in jedem Fall in eine persönliche Vorstellung in der Hochschulambulanz mündet, statistisch hier aber nicht dargestellt wird.

Das Spektrum der vermuteten Ursache, die seitens der Patient*innen für die gesundheitlichen Beschwerden verantwortlich gemacht werden, ist breit. Sowohl in Hamburg als auch in München ist jedoch die vermutete Exposition gegenüber „Schwermetallen“ der häufigste Konsultationsgrund. In Bezug auf vermutete Schwermetall-Belastungen erfolgten im Vorfeld der Hochschulambulanzvorstellung bereits nicht leitlinien-konforme Untersuchungen wie z. B. eine Schwermetalldiagnostik nach DMPS/ DMSA-Mobilisation, die erst zur Expositionsvermutung geführt haben können. Dies konnte bereits in einer Kohortenstudie nachgewiesen werden 2 . Weitere, häufig vermutete Ursachen, die zum Besuch der umweltmedizinischen Hochschulambulanzen von Patient*innen führten, waren „Einflüsse aus der Wohnung“, „Chemikalien“, „MCS / Duftstoffunverträglichkeit“ und „Allergien“. Die aktuelle Medienberichterstattung zu Umweltfaktoren (z. B. Aluminium in Deodorants, Quecksilber in Amalgam-Zahnfüllungen) kann die Konsultationsgründe beeinflussen und sich an den Nennungen der vermuteten Ursachen für die Beschwerden der Patient*innen widerspiegeln.

Im Verlauf der umweltmedizinischen Beratung konnte die vermutete Belastung bzw. „Intoxikation“ bei den Patient*innen durch leitlinien-konformes Human-Biomonitoring bei der Behandlung der Patient*innen ausgeschlossen bzw. bestätigt werden. Bei der Mehrheit der Patient*innen lag keine Intoxikation vor. Hinsichtlich der weiteren Behandlung wurde Patient*innen mit einer psychosomatischen Diagnose eine Empfehlung zur Inanspruchnahme psychosomatischer Therapieangebote ausgesprochen. Von besonderer Wichtigkeit ist jedoch, die Patient*innen mit nachweisbarer Belastung oder Intoxikation durch Umweltstoffe herauszufiltern, sie hinsichtlich der zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen zu beraten und ggf. eine adäquate somatische Therapie anzubieten.

Die Anzahl an Patient*innen-Vorstellungen an den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen deutet darauf hin, dass betroffene Patient*innen das Angebot einer umweltmedizinischen Beratung in den umweltmedizinischen Hochschulambulanzen weiterhin in Anspruch nehmen und der Bedarf an umweltmedizinischer Versorgung kontinuierlich gegeben ist. Die umweltmedizinischen Hochschulambulanzen bündeln und bieten das notwendige Fachwissen der evidenzbasierten Medizin für die Beschwerdebilder bei Beratung und Diagnostik sowie für das Durchführen von Spezialdiagnostik. Überweisende Ärzt*innen erfahren ferner Unterstützung bei der (Differential-) Diagnostik durch die Fachärzt*innen der Hochschulambulanzen. Durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen (bspw. Befähigung zur adäquaten Anamneseerhebung) für die zuweisenden Ärzt*innen über mögliche Expositionsquellen könnten diese frühzeitig und zielgerichtet angemessene Diagnostik einleiten 5 6 .

Ein enger Austausch zwischen dem niedergelassenen Fachkolleg*innen und den Fachzentren der Universitätskliniken (umweltmedizinische Hochschulambulanzen) sollte bei der Patientenversorgung angestrebt werden. Die (Wieder-)Aufnahme von umweltmedizinischen Leistungen in den Katalog der gesetzlichen Regelversorgung kann in Zusammenarbeit mit einer oder mehreren Krankenkassen in Pilotprojekten detailliert geprüft werden 6 . So kann der Unterfinanzierung umweltmedizinischer Hochschulambulanzen entgegengewirkt und durch Aufbau neuer Beratungsangebote die Patientenversorgung verbessert werden. Hierdurch könnte eine Verbesserung der in Deutschland flächendeckenden Patientenversorgung mit umweltbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen erreicht werden.

Footnotes

Interessenkonflikt SH: Stellvertretende Leiterin des Landesinstitutes arbeits- und umweltbezogener Gesundheitsschutz und Produktsicherheit sowie Leiterin des Sachgebiets Arbeits- und umweltbezogener Gesundheitsschutz am Bayersichen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit; Tätigkeit für das Institut und die Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Klinikum der Universität München. CH: Mitglied der Amtsleitung des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und dadurch entsprechend Kontakt mit Forschungsprojekten mit thematischem Bezug; Brückenprofessur Umweltbezogener Gesundheitsschutz Ludwig-Maximilians-Universität. DN: leitet eine universitäre umweltmedizinische Ambulanz für gesetztlich und privat Versicherte am Klinikum der Universität München.

Literatur

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