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editorial
. 2023 Aug 22;85(08-09):686–687. [Article in German] doi: 10.1055/a-2111-9875

Gesundheitskompetenz in Krisenzeiten

Eva Bitzer 1,, Ulla Walter 2, Corinna Schaefer 3, Doris Schaeffer 4, Andreas Seidler 5
PMCID: PMC11248411  PMID: 37607556

Abstract

Die im Tagungsthema der DGSMP im Jahr 2023 angesprochenen Krisenzeiten sind im öffentlichen und privaten Bewusstsein präsent. Es sind die gerade halbwegs überstandene COVID-19 Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine im Osten Europas und die – nicht erst seit kurzem bekannten – zunehmend sichtbar werdenden Folgen der Klimakrise für alle Menschen. Damit einher gehen eine weiter auseinanderdriftende (oder: sich entsolidarisierende) Gesellschaft mit teilweise medial sehr präsenten, sich radikalisierenden Akteur:innen sowie Fehl- und Desinformation. In dieser Gemengelage aus tatsächlichen Veränderungen, wahrgenommenen Belastungen und realer Zukunftsangst stehen die Bürgerinnen und Bürger, die Gesundheits- und Heilberufe und die Einrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene vor großen Herausforderungen. Dagegen nimmt sich „Gesundheitskompetenz“ bescheiden aus: was kann die individuelle Fähigkeit hier ausrichten, sich gesundheitsbezogene Informationen zu erschließen, zu verstehen, zu bewerten und zu nutzen, um gute gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen? Aber Gesundheitskompetenz ist mehr, setzt sie doch auch organisatorisch und damit systemverändernd an.


Verstanden als emanzipatorisches Konzept im Sinne der Aufklärung ist die Verbreitung und Akzeptanz der Gesundheitskompetenz eine Erfolgsgeschichte. Ursprünglich verortet in der Bildungsforschung, gehört sie zu einem der aktuell wirkmächtigsten Konzepte für Public Health, sichtbar nicht zuletzt in der Shanghai Declaration der WHO von 2016.

Dabei zeichnen sich die Aktivitäten dadurch aus, dass sie die transformative Dimension einer Gesundheitskompetenz ermöglichenden Gesellschaft in den Blick nehmen, z. B. in Form der zahlreichen nationalen Health Literacy Aktionspläne. Aber sie legen auch ein starkes Augenmerk auf die wissenschaftlichen und empirischen Grundlagen von Gesundheitskompetenz. Hier zu nennen sind Aktivitäten, die von DFG-geförderter Public Health Grundlagenforschung bis hin zu anwendungs- und umsetzungsnaher, u. a. von BMBF, BMG, Innovationsfond und privaten Stiftungen geförderter gesundheitswissenschaftlicher, sozialmedizinischer und Versorgungsforschung und europäischer vergleichender Gesundheitskompetenzforschung reichen. Zu beobachten sind dabei in den letzten Jahren zwei an sich widersprüchliche Entwicklungen: so gibt es zum einen immer stärker ausdifferenzierte Konzepte (z. B. Diabetes-, Nahrungsmittel-, allergiebezogene Gesundheitskompetenz) und zum anderen eine immer umfassendere, erheblich über Text- und Zahlenverständnis hinausgehende Auffassung von Gesundheitskompetenz.

Mit der diesjährigen Jahrestagung bietet die DGSMP, erstmals zusammen mit dem Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz und dem Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz, eine Plattform für eine umfassende Bestandsaufnahme nationaler und internationaler Aktivitäten rund um das Thema Gesundheitskompetenz. Darüber hinaus macht die Tagung die vielfältigen Schnittstellen zu weiteren Themen von Public Health und Sozialmedizin sichtbar und fruchtbar für den inter- und transdisziplinären Austausch. Zu nennen sind hier insbesondere die Prävention und Gesundheitsförderung, aber auch die Versorgungsforschung. Und nicht zuletzt erlaubt der Fokus auf Krisen auch die kritische Überprüfung des Konzeptes „Gesundheitskompetenz“.

Die Keynotes setzen entsprechende Schlaglichter: Prof. Stephan Lessenich beschäftigt sich mit einer Gesellschaft, der die Normalität abhandengekommen ist, Prof.‘in Dr. h.c. Ilona Kickbusch stellt die Frage nach der verlorenen Unschuld der Gesundheitskompetenz, und Prof.‘in Dr. Doris Schaeffer zieht eine Zwischenbilanz zur nationalen Gesundheitskompetenzforschung in Krisenzeiten. Explizit adressiert die Jahrestagung zudem Themen wie planetare Gesundheitskompetenz, Gesundheitskompetenz bei verschiedenen Zielgruppen, digitale und bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz und nicht zuletzt die Operationalisierung und methodische Erhebung dieses Konzepts.

Die Salomon-Neumann-Medaille verleiht die DGSMP in diesem Jahr an Prof.‘in Dr. Marie-Luise Dierks. Frau Prof.‘in Dierks hat sich in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und mit großem darüber hinausgehenden Engagement um die Stärkung individueller, organisationaler und systemischer Gesundheitskompetenz verdient gemacht, auch als dieses Konzept und seine Relevanz in Deutschland noch nicht verbreitet waren.

Unter dem Motto „Gesundheitskompetenz in Krisenzeiten“ findet die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention gemeinsam mit dem Deutschen Netzwerk für Gesundheitskompetenz (DNGK) und dem Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz vom 30. August bis zum 01. September 2023 in Hannover statt. Die mehr als 300 in diesem Band gedruckten Abstracts zeigen die Vielfältigkeit sozialmedizinischer und Public Health-wissenschaftlicher Aktivitäten rund um das Tagungsthema und darüber hinaus. Diese sind eingebunden in insgesamt 44 Vortragssessions, 98 Posterpräsentationen, 21 Symposien und 19 Workshops und geben einen Einblick in neue Forschungsergebnisse. Neben Gesundheitskompetenz werden aktuelle Analysen zu COVID-19, digitaler Transformation sowie Umwelt, Klima und Gesundheit vorgestellt und diskutiert. Zudem sind die klassischen Bereiche wie Methodenentwicklung, Arbeit und Gesundheit, Prävention und Gesundheitsförderung, soziale Ungleichheit, Versorgungsforschung und Sozialmedizin vertreten.

Biographies

Eva Bitzer.

Eva Bitzer

Ulla Walter.

Ulla Walter

Corinna Schaefer.

Corinna Schaefer

Doris Schaeffer.

Doris Schaeffer

Andreas Seidler.

Andreas Seidler

Footnotes

Interessenkonflikt EInladung zum parlamentarischen Frühstück zum Thema „Prävention“ durch Astra Zeneca.


Articles from Gesundheitswesen (Bundesverband Der Arzte Des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany) are provided here courtesy of Thieme Medical Publishers

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