Zusammenfassung
Hintergrund Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung sind eine Bevölkerungsgruppe in vulnerablen Lebenslagen, die häufig Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen aufweisen. Ziel des Beitrags ist es, die Gesundheitskompetenz von Menschen mit doppelter Exposition (d. h. Behinderung und chronischer Erkrankung) im Vergleich zu Menschen mit einfacher Exposition (d. h. Behinderung oder chronischer Erkrankung) und Menschen ohne Beeinträchtigung, zu untersuchen.
Material und Methoden Datenbasis ist der Survey „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ 2014/2015-EHIS. Die Stichprobe umfasst n=21 647 Personen, mit 2875 (13,3%) Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung, 7598 Personen (35,1%) mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sowie 11 174 (51,6%) Personen ohne Beeinträchtigung. Die Gesundheitskompetenz wurde mit dem HLS-EU-Q16-Fragebogen erhoben. Es wurden uni-, bi- und multivariate Analysen durchgeführt.
Ergebnisse 43,7% der Befragten mit Behinderung und chronischer Erkrankung berichten sehr bzw. ziemliche Schwierigkeiten beim Umgang mit Gesundheitsinformationen im Vergleich zu 37,7% der Personen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung bzw. 33,0% ohne Beeinträchtigung. Menschen mit einer doppelten Exposition weisen eine 1,22-fach (KI: 1,10–1,35; p<0,001) und Menschen mit einer einfachen Exposition eine 1,08-fach (KI: 1,01–1,16; p=0,031) erhöhte Chance auf, es ziemlich bzw. sehr schwierig zu finden, gesundheitsbezogene Informationen zu finden, verstehen, beurteilen und anzuwenden im Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigung.
Schlussfolgerung Die Ergebnisse verdeutlichen einen Gradienten in der Gesundheitskompetenz zu Ungunsten von Menschen mit Beeinträchtigung. Die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung und/oder chronischen Erkrankung sollte zielgruppenspezifisch gefördert werden, um ihre Gesundheit, Teilhabe sowie die Qualität, Effizienz und den Abbau von Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu unterstützen.
Schlüsselwörter: Gesundheitskompetenz, Beeinträchtigung, Behinderung, Chronische Erkrankung, HLS-EU-Q16
Key words: Health Literacy; Disability; Impairment; Chronic Diseases, HLS-EU-Q16
Abstract
Background People with disabilities and chronic diseases represent a population group in vulnerable circumstances, and often have difficulty finding, understanding, assessing, and applying health information. The aim of this study was to examine the health literacy of people doubly burdened with both disabilities and chronic diseases in comparison to two other groups, namely people with either disabilities or chronic diseases and people without impairment.
Material and methods Our data is based on the representative survey “German Health Update” 2014/2015-EHIS. The sample consists of n=21,647 people, including 2,875 (13.3%) people with disabilities and chronic diseases, 7,598 people (35.1%) with disability or chronic diseases and 11,174 (51.6%) people without impairment. Health literacy was measured using the short form of the questionnaire of the European Health Literacy Survey (HLS-EU-Q16). Uni, bi- and multivariate analyses were conducted.
Results 43.7% of respondents with both disabilities and chronic diseases had quite a lot difficulties in dealing with health information in comparison to people with disabilities or chronic diseases (37.7%) or those with no impairment (33.0%). People with double burdens had a 1.22-fold (CI: 1.10–1.35; p<0.001) and people with a single burden had a 1.08-fold (CI: 1.01–1.16; p=0.031) increased likelihood to find it difficult or very difficult to find, understand, evaluate and apply health-related information compared to people without impairment.
Conclusion The results show a gradient to the disadvantage of people with disabilities and/or chronic diseases. Health literacy among people with disabilities and/or chronic diseases should be adequately promoted in order to support their health, their participation as well as the quality and efficiency of and the reduction of barriers to access health care.
Einleitung
Bei dem Konzept der Gesundheitskompetenz handelt es sich um ein relationales Konzept, das ausgehend von individuellen Kompetenzen, komplexen Lebenskontexten und gesellschaftlichen Prozessen ein multidimensionales Produkt verschiedener Anforderungen und Komplexitäten darstellt und in der Bevölkerung ungleich verteilt ist 1 2 3 4 5 . Die Gesundheitskompetenz ist von hoher individueller und gesellschaftlicher Bedeutung, da ein niedriges Ausmaß an Gesundheitskompetenz negativ mit der individuellen Lebenserwartung 1 6 , dem Gesundheitsverhalten 7 , einer verringerten gesellschaftlichen Teilhabe 7 8 , einer schlechten gesundheitlichen Versorgung 7 9 10 , Kommunikationsschwierigkeiten mit medizinischem Personal 10 11 und vermeidbaren Kosten für das Gesundheitswesen 8 12 assoziiert sein kann. Organisationen sind deshalb aufgefordert, im Sinne der organisationalen Gesundheitskompetenz, gesundheitsrelevante Informationen an Bevölkerungsmitglieder in vulnerablen Lebenslagen leicht verständlich und barrierefrei zur Verfügung zu stellen 13 .
Obgleich sich in den vergangenen Jahren ein Forschungsbereich entwickelt hat, der sich der Gesundheitskompetenz von Bevölkerungsgruppen in vulnerablen Lebenslagen widmet, bestehen wenige Forschungsbefunde über die Gesundheitskompetenz von spezifischen benachteiligen Bevölkerungsgruppen 1 2 7 . Menschen mit Beeinträchtigung 1 stellen eine Bevölkerungsgruppe in vulnerablen Lebenslagen dar, die auf vielfältige Weise benachteiligt ist 15 16 17 18 19 20 : Sie sind häufiger auf Unterstützung zur selbständigen Lebensführung angewiesen, sind seltener erwerbstätig, verfügen über einen schlechteren physischen und psychischen selbstberichteten Gesundheitszustand, weisen gesundheitsabträglicheres Verhalten auf und nehmen häufiger das Gesundheitswesen in Anspruch als Personen ohne Beeinträchtigung. Menschen mit Beeinträchtigung sind aufgrund der Komplexität ihrer Erkrankung, deren Bewältigung und Versorgung besonderes auf die Kompetenz, die Gesundheitsinformationen und das Wissen angewiesen, um sich mit dem Gesundheitssystem auseinanderzusetzen und darin zurechtfinden, Gesundheitsinformationen zu verstehen, mit medizinischem Personal kommunizieren und selbstbestimmte, informierte Entscheidungen treffen zu können 10 18 21 . Gleichwohl sind Menschen mit Beeinträchtigung bei der gesundheitlichen Versorgung benachteiligt und erleben vielfältige Barrieren beim Zugang zum Gesundheitssystem 16 20 21 .
Es bestehen wenige Studien, die entweder die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung oder von Menschen mit chronischer Erkrankung erfassen. Bspw. wurde die Gesundheitskompetenz von Menschen mit chronischer Erkrankung im Rahmen der deutschen Health Literacy Studie (HLS-GER) umfassend untersucht. Daraus geht hervor, dass Menschen mit chronischer Erkrankung häufiger angeben es als ziemlich bzw. sehr schwierig zu empfinden gesundheitsbezogene Informationen zu finden, verstehen, beurteilen und anzuwenden (72,7%) als Personen ohne chronische Erkrankung (48,2%) 12 22 . Geringere Ausprägungen der Gesundheitskompetenz weisen Menschen mit chronischer Erkrankung dabei für alle Bereiche und Dimensionen der Gesundheitskompetenz auf 23 . Für Deutschland bestehen kaum Studien zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung. Eine explorative Studie erhob die Gesundheitskompetenz von N=333 Beschäftigten in sechs Werkstätten für behinderte Menschen 24 . Die Erhebung zeigte, dass ca. 61% der Befragten es ziemlich bzw. sehr schwierig fanden gesundheitsbezogene Informationen zu finden, verstehen, beurteilen und anzuwenden 24 . Ähnliche Ergebnisse gehen aus der Studie „Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung“ (GeKoMB) hervor. Dabei wurden N=351 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsarten, die in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in ganz Deutschland leben oder arbeiten, zu ihrer Gesundheit und Gesundheitskompetenz befragt 25 . Es fehlen allerdings bundesweite Daten zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung. Zudem liegt bislang keine Studie vor, die die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Beeinträchtigung, u. a. differenziert nach Personen mit doppelter Exposition (d. h. Behinderung und chronischer Erkrankung) im Vergleich zu Menschen mit einfacher (d. h. Behinderung oder chronische Erkrankung) und keiner Exposition (d. h. ohne Beeinträchtigung) ermittelt. Gegenwärtige Bedarfe für die Gesundheitsbildung und -versorgung dieser Bevölkerungsgruppe sind somit unzureichend erfasst und Potentiale zur Stärkung der (Patienten-)Souveränität bislang verkannt 22 . Mittels der Daten des Surveys „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ (GEDA) 2014/2015-EHIS ist es möglich die Zielgruppe entsprechend dem Vorliegen einer anerkannten Behinderung und dem Grad der Beeinträchtigung im Zusammenspiel mit einer chronischen Erkrankung (d. h. doppelte, einfache und keine Exposition) zu differenzieren. Dieser Beitrag hat deshalb zum Ziel, die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung im Vergleich zu Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung und Personen ohne Beeinträchtigung zu ermitteln und Bedarfe und Implikationen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz abzuleiten. Außerdem wird kritisch dargelegt, welche (methodischen) Einschränkungen bei der Verwendung des Surveys GEDA 2014/2015-EHIS zur Beantwortung der Fragestellung vorliegen.
Methodik
Datenbasis
Als Datenbasis dient der Survey GEDA 2014/2015-EHIS. Das Robert Koch-Institut hat im Rahmen der Befragungsstudie bundesweit Personen im Alter von mindestens 18 Jahren, die in Privathaushalten leben, zu ihrer Gesundheit befragt 26 27 28 . Erstmalig wurden auch Fragen aus dem „European Health Interview Survey“ (EHIS) integriert. Der Fragebogen stand den Studienteilnehmenden online oder in Papierform zur Verfügung 26 27 28 29 . Insgesamt haben an GEDA 2014/2015-EHIS N=24 016 Personen teilgenommen 28 . Nach Ausschluss von fehlenden Werten können in diesem Beitrag Daten von n=21 647 Personen in den Analysen berücksichtigt werden. Aufgrund der Rundung der Zellenhäufigkeiten unterscheidet sich die Anzahl der gültigen Fälle bei den uni- und bivariaten Ergebnissen geringfügig von der Gesamtzahl.
Variablenbeschreibung
Die Gesundheitskompetenz wurde mittels der deutschen Kurzversion des Fragebogens des HLS-EU-Surveys (HLS-EU-Q16) erfasst. Der HLS-EU-Fragebogen besteht in der Langversion aus 47 Fragen, die verschiedene gesundheitsrelevante Aufgaben bzw. Tätigkeiten aus den Dimensionen Krankheitsbewältigung, Prävention und Gesundheitsförderung umfassen 30 . Die Kurzversion des Fragebogens enthält 16 Fragen mit vier Antwortmöglichkeiten (1=sehr schwierig, 2=ziemlich schwierig, 3=ziemlich einfach, 4=sehr einfach), wovon sich, wie in Tab. 2 dargestellt, vier auf das Finden, sechs auf das Verstehen und jeweils drei auf das Beurteilen und Anwenden von gesundheitsbezogenen Informationen beziehen 12 31 . Zur Berechnung des Ausmaßes der Gesundheitskompetenz wurde die vierstufige Skala dichotomisiert (1=sehr bzw. ziemlich schwierig und 0=sehr bzw. ziemlich einfach). Außerdem wurden die Angaben zu den sechzehn Antworten der Befragten mittels eines Summenindexes zusammengefasst und in Anlehnung an bisherige Studien, die den HLS-EU-Q16-Fragebogen verwendeten, Grenzwerte bestimmt, um einen Index mit den Ausprägungen 0=Sehr bzw. ziemlich einfach und 1=Sehr bzw. ziemlich schwierig zu erstellen.
Tab. 2 Relative Häufigkeit der Einzelitems des HLS-EU-Q16, differenziert für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung, Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung und Menschen ohne Beeinträchtigungen (in% und n in Klammern).
Gesamt | Behinderung und chron. Erkrankung | Behinderung oder chron. Erkrankung | Weder Behinderung noch chronische Erkrankung | p-Wert | |
---|---|---|---|---|---|
Finden | |||||
Wie einfach oder schwierig ist es für Sie… | |||||
…Infos über Krankheitssymptome, die Sie betreffen, zu finden? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 16,6 (3597) | 25,2 (724) | 20,1 (1526) | 12,1 (1347) | p<0,001 |
Einfach | 83,4 (18 049) | 74,8 (2150) | 79,9 (6072) | 87,9 (9827) | |
…herauszufinden, wo Sie professionelle Hilfe erhalten, wenn Sie krank sind? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 11,6 (2519) | 16,1 (464) | 13,6 (1032) | 9,2 (1023) | p<0,001 |
Einfach | 88,4 (19 128) | 83,9 (2411) | 86,4 (6566) | 90,8 (10 151) | |
…Infos über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen, wie Stress oder Depression, zu finden? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 31,4 (6788) | 38,6 (1110) | 33,3 (2530) | 28,2 (3148) | p<0,001 |
Einfach | 68,6 (14 859) | 61,4 (1765) | 66,7 (5068) | 71,8 (8026) | |
…Infos über Verhaltensweisen zu finden, die gut für ihr psychisches Wohlbefinden sind? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 20,3 (4400) | 26,7 (767) | 21,7 (1652) | 17,7 (1981) | p<0,001 |
Einfach | 79,7 (17 247) | 73,2 (2107) | 78,3 (5947) | 82,3 (9193) | |
Verstehen | |||||
Wie einfach oder schwierig ist es für Sie… | |||||
…zu verstehen, was ihr Arzt bzw. ihre Ärztin Ihnen sagt? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 14,4 (3113) | 16,5 (475) | 15,3 (1160) | 13,2 (1478) | p<0,001 |
Einfach | 85,6 (18 534) | 83,5 (2400) | 84,7 (6438) | 86,8 (9696) | |
…die Anweisungen ihres Arztes/Apothekers bzw. ihrer Ärztin/Apothekerin zur Einnahme der verschriebenen Medikamente zu verstehen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 3,6 (783) | 7,0 (201) | 3,0 (226) | 3,2 (356) | p<0,001 |
Einfach | 96,4 (20 863) | 93,0 (2674) | 97,0 (7372) | 96,8 (10 817) | |
…Gesundheitswarnungen vor Verhaltensweisen wie Rauchen, wenige Bewegung oder übermäßiges Trinken zu verstehen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 5,2 (1122) | 8,2 (236) | 4,6 (352) | 4,8 (534) | p<0,001 |
Einfach | 94,8 (20 524) | 91,8 (2638) | 95,4 (7246) | 95,2 (10 640) | |
…zu verstehen warum Sie Vorsorgeuntersuchungen brauchen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 6,4 (1395) | 5,4 (154) | 5,9 (448) | 7,1 (793) | p<0,001 |
Einfach | 93,6 (20 251) | 94,6 (2720) | 94,1 (7150) | 92,9 (10 381) | |
…Gesundheitsratschläge von Familienmitgliedern oder Freunden bzw. Freundinnen zu verstehen? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 11,8 (2544) | 19,1 (548) | 11,8 (900) | 9,8 (1096) | p<0,001 |
Einfach | 88,2 (19 103) | 80,9 (2327) | 88,2 (6698) | 90,2 (10 078) | |
…Infos in den Medien darüber, wie sie ihren Gesundheitszustand verbessern können, zu verstehen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 21,6 (4684) | 31,1 (895) | 22,3 (1697) | 18,7 (2092) | p<0,001 |
Einfach | 78,4 (16 962) | 68,9 (1979) | 77,7 (5901) | 81,3 (9082) | |
Beurteilen | |||||
Wie einfach oder schwierig ist es für Sie… | |||||
…zu beurteilen, wann Sie eine zweite Meinung von einem anderen Arzt bzw. Ärztin einholen sollten? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 35,7 (7722) | 36,8 (1057) | 36,3 (2761) | 34,9 (3904) | p=0,061 |
Einfach | 64,3 (13 925) | 63,2 (1818) | 63,7 (4837) | 65,1 (7270) | |
…zu beurteilen, ob die Infos über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 44,5 (9643) | 48,2 (1386) | 46,2 (3511) | 42,5 (4746) | p<0,001 |
Einfach | 55,5 (12 004) | 51,8 (1489) | 53,8 (4087) | 57,5 (6428) | |
…zu beurteilen, welche Alltagsgewohnheiten mit ihrer Gesundheit zusammenhängen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 12,5 (2698) | 17,3 (498) | 13,1 (992) | 10,8 (1208) | p<0,001 |
Einfach | 87,5 (18 948) | 82,7 (2377) | 86,9 (6606) | 89,2 (9965) | |
Anwenden | |||||
Wie einfach oder schwierig ist es für Sie… | |||||
…den Anweisungen ihres Arztes/Apothekers bzw. ihrer Ärztin/Apothekerin zu folgen? (n=21 647) | |||||
Schwierig | 5,8 (1249) | 8,8 (253) | 6,0 (456) | 4,8 (540) | p<0,001 |
Einfach | 94,2 (20 398) | 91,2 (2622) | 94,0 (7142) | 95,2 (10 634) | |
…mit Hilfe der Infos, die ihnen der Arzt bzw. die Ärztin gibt, Entscheidungen bezüglich ihrer Krankheit zu treffen? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 23,2 (5. 021) | 26,9 (773) | 25,0 (1898) | 21,0 (2350) | p<0,001 |
Einfach | 76,8 (16 625) | 73,1 (2101) | 75,0 (5700) | 79,0 (8824) | |
…aufgrund von Infos aus den Medien zu entscheiden, wie Sie sich vor Krankheiten schützen können? (n=21 646) | |||||
Schwierig | 36,3 (7860) | 41,7 (1199) | 37,1 (2821) | 34,4 (3840) | p<0,001 |
Einfach | 63,7 (13 786) | 58,3 (1675) | 62,9 (4777) | 65,6 (7334) |
Als unabhängige Variable dient der Grad der Beeinträchtigung. Dieser wird aus einem Index mit den beiden Variablen „Anerkannte Behinderung“ und „Chronische Erkrankung“ berechnet und beschreibt das Vorhandensein einer doppelten, einfachen oder keiner Exposition mit den drei Ausprägungen 0=Keine Beeinträchtigung, 1=Behinderung oder chronische Erkrankung und 2=Behinderung und chronische Erkrankung 26 27 28 .
Da soziodemografische und -ökonomische Faktoren im engen Zusammenhang mit der Ausprägung der Gesundheitskompetenz stehen, wurden diese mittels der Variablen Alter (1=18–39 Jahre, 2=40–59 Jahre, 3=60+Jahre), Geschlecht (1=Männer, 2=Frauen), siedlungsstruktureller Kreistyp (1=Kreisfreie Großstadt, 2=Städtische Kreise, 3=Ländliche Kreise und 4=Dünn besiedelte, ländliche Kreise), Familienstand (1=Ledig, 2=Verheiratet oder eingetragene Lebenspartnerschaft und 3=Verwitwet oder Lebenspartner*in gestorben) und dem sozioökonomischen Status (1=niedrig, 2=mittel, 3=hoch) in den multivariaten Analysen berücksichtigt 28 . Außerdem wurde der subjektive Gesundheitszustand einbezogen, welcher als sehr gut, gut, mittelmäßig, schlecht und sehr schlecht eingestuft werden konnte. Für die Auswertungen wurde die Variable dichotomisiert zu 1=Sehr gut und gut und 2=Mittelmäßig, schlecht und sehr schlecht.
Stichprobenbeschreibung
Von den n=21 647 eingeschlossenen Fällen geben n=3375 Personen (15,6%) an eine amtlich anerkannte Behinderung und n=9973 Personen (46,1%) eine chronische Erkrankung zu haben. Insgesamt berichten n=7598, d. h. 35,1% der Befragten, von einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung und n=2875 Personen (13,3%) von einer Behinderung und chronischen Erkrankung. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmenden (n=11 174, 51,6%) hat keine Beeinträchtigung. Fast 64 % der Stichprobe geben an, den Umgang mit Gesundheitsinformationen als sehr bzw. ziemlich einfach zu empfinden verglichen mit 36,1 %, die diesen als sehr bzw. ziemlich schwierig einschätzen. Tab. 1 sind weitere Charakteristika der Stichprobe zu entnehmen.
Tab. 1 Stichprobenverteilung GEDA 2014/2015-EHIS (n=21.647) (Angaben in n und%).
Häufigkeiten in | ||
---|---|---|
n | % | |
Anerkannte Behinderung | ||
Ja | 3375 | 15,6 |
Nein | 18 272 | 84,4 |
Chronische Erkrankung | ||
Ja | 9973 | 46,1 |
Nein | 11 674 | 53,9 |
Chronische Erkrankung und/oder Behinderung | ||
Behinderung und chronische Erkrankung | 2875 | 13,3 |
Behinderung oder chronische Erkrankung | 7598 | 35,1 |
Weder Behinderung noch chronische Erkrankung | 11 174 | 51,6 |
Gesundheitskompetenz | ||
Sehr bzw. ziemlich einfach | 13 832 | 63,9 |
Sehr bzw. ziemlich schwierig | 7814 | 36,1 |
Geschlecht | ||
Männer | 10 717 | 49,5 |
Frauen | 10 930 | 50,5 |
Alter | ||
18–39 Jahre | 7061 | 32,6 |
40–59 Jahre | 8110 | 37,5 |
60+Jahre | 6476 | 29,9 |
Bildungsabschluss | ||
Einfach | 6474 | 29,9 |
Mittel | 11 697 | 54,0 |
Hoch | 3475 | 16,1 |
Subjektive Gesundheit | ||
Gut | 14 947 | 69,1 |
Schlecht | 6699 | 30,9 |
Sozioökonomischer Status | ||
Niedrig | 4190 | 19,4 |
Mittel | 13 019 | 60,1 |
Hoch | 4438 | 20,5 |
Analysestrategie
Es wurden univariate Auswertungen in Form von Häufigkeitstabellen, kreuztabellarischen Analysen mit χ2-Signifikanprüfung sowie multivariate Berechnungen mittels binär-logistischer Regression durchgeführt. Bei der binär-logistischen Regression erfolgte eine Adjustierung nach Alter, Geschlecht, sozioökonomischen Status, Familienstand, siedlungsstruktureller Kreistyp und subjektiver Gesundheit. Odds Ratios (OR) und 95%-Konfidenzintervalle (KI) wurden für die Interpretation der Regressionsparameter verwendet. Die Datenanalyse fand unter Anwendung einer Design- und Anpassungsgewichtung im Datenauswertungsprogramm SPSS (Version 25) statt 28 .
Ergebnisse
Tab. 2 zeigt die Verteilung der 16 Einzelitems des HLS-EU-Q16, differenziert nach dem Vorhandensein einer Behinderung bzw. chronischen Erkrankung. Ein Gradient in der Gesundheitskompetenz zu Ungunsten von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung wird ersichtlich.
Im Bereich „Finden“ werden am häufigsten Schwierigkeiten beim Finden von Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen berichtet. Dabei geben Menschen, die doppelt exponiert sind (38,6%) und Personen mit einfacher Exposition (33,3%) gegenüber Menschen ohne Beeinträchtigung (28,2%) deutlich häufiger an, Schwierigkeiten zu haben. Im Bereich „Verstehen“ berichten die Befragten insgesamt seltener Schwierigkeiten. 31,1% der Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung, 22,3% derjenigen mit Behinderung oder chronischen Erkrankung und 18,7% der Personen ohne Beeinträchtigung finden es schwierig, Informationen in den Medien zu verstehen, wie sie ihren Gesundheitszustand verbessern können. Das „Beurteilen“ von gesundheitsbezogenen Informationen fällt den Befragten insgesamt häufiger schwer. Bspw. geben über 48% der Menschen mit doppelter Exposition, 46,2% mit einfacher Exposition und 42,5% ohne Exposition an, es schwierig zu finden, zu beurteilen, ob Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind. Ebenfalls wird als schwierig empfunden, zu beurteilen, wann eine zweite ärztliche Meinung eingeholt werden sollte. Mit Informationen aus den Medien Entscheidungen über den Krankheitsschutz zu treffen, wird im Bereich „Anwenden“ insgesamt am häufigsten als schwierig empfunden (36,3%). Allerdings geben Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung (41,7%) deutlich häufiger hierbei Schwierigkeiten an als Personen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung (37,1%) und Personen ohne Beeinträchtigung (34,4%).
Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung geben häufiger Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von gesundheitsbezogenen Informationen an (43,7%) als Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung (37,7%) und Personen ohne Beeinträchtigung (33,0%). Diese Unterschiede sind, wie Tab. 3 entnommen werden kann, signifikant (p<0,001).
Tab. 3 Prozentuale Verteilung der Gesundheitskompetenz, differenziert nach dem Vorhandensein einer Behinderung und/oder chronischen Erkrankung (n=21 647, in% und n in Klammern, p<0,001).
Behinderung und chronische Erkrankung | Behinderung oder chronische Erkrankung | Weder Behinderung noch chronische Erkrankung | Gesamt | |
---|---|---|---|---|
Sehr bzw. ziemlich schwierig | 43,7 (1256) | 37,7 (2867) | 33,0 (3691) | 36,1 (7814) |
Sehr bzw. ziemlich einfach | 56,3 (1618) | 62,3 (4731) | 67,0 (7483) | 63,9 (13 832) |
Aus den multivariaten Auswertungen geht hervor, dass Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung ein 1,22-fach (KI: 1,10–1,35; p<0,001) und Personen mit Behinderung oder chronischen Erkrankung ein 1,08-fach (KI: 1,01–1,16; p=0,031) erhöhtes Risiko für Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen aufweisen im Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigung. Wie in Tab. 4 dargestellt, ist das „Risiko“ ohne Adjustierung nach soziodemografischen und -ökonomischen Faktoren (Modell 1) sogar um den Faktor 1,57 (KI: 1,45–1,71; p<0,001) bzw. 1,23 (KI: 1,16–1,31; p<0,001) gegenüber Personen ohne Beeinträchtigung erhöht.
Tab. 4 Binär logistische Regression für sehr bzw. ziemliche Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen von Menschen mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung im Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigung (Referenzgruppe) (n=21 647, Odds Ratio, 95% KI in Klammern).
Behinderung oder chronische Erkrankung | Behinderung und chronische Erkrankung | |
---|---|---|
Modell 1 | 1,23 (1,16–1,31)*** | 1,57 (1,45–1,71)*** |
Modell 2 | 1,08 (1,01–1,16)* | 1,22 (1,10–1,35)*** |
Signifikanzniveau: ***= p<0,001,**=p<0,01, *= p<0,05. Modell 1: Keine Adjustierung. Modell 2: Adjustiert nach soziodemografischen Faktoren, d. h. Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status, Familienstand, Siedlungsstruktureller Kreistyp, subjektive Gesundheit.
Diskussion
Der vorliegende Beitrag hatte zum Ziel die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung im Vergleich zu Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung und Menschen ohne Beeinträchtigung zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigen einen Gradienten zu Ungunsten von Menschen mit Beeinträchtigung. 47,5% der Menschen mit doppelter Exposition (d. h. Behinderung und chronischer Erkrankung), 41,8% mit einfacher Exposition (d. h. Behinderung oder chronischer Erkrankung) und 38,3% der Personen ohne Beeinträchtigung berichten ziemliche bzw. sehr große Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von gesundheitsbezogenen Informationen. Menschen mit Beeinträchtigung haben eine signifikant höhere statistische Chance für Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen als Menschen ohne Beeinträchtigung.
Da es sich bei der Gesundheitskompetenz um ein relationales Konzept handelt, liegt die Annahme nahe, dass Menschen mit Beeinträchtigung beim Suchen und Finden von Gesundheitsinformationen häufiger Schwierigkeiten im Zugang zu diesen Informationen wahrnehmen, da diese nach wie vor nicht barrierefrei und leicht verständlich vorliegen 4 8 . Zwar ist denkbar, dass Menschen mit Beeinträchtigung durchaus kompetent(er) bei der Suche und dem Finden von Gesundheitsinformationen sind, sich aber dennoch subjektiv schlechter einschätzen, da betreffende Informationen selten zur Verfügung stehen oder aufgrund deren Komplexität und Spezifität schwierig auffindbar sind. Und sie haben im Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigungen wahrscheinlich öfter die persönliche Erfahrung mit der Komplexität des deutschen Gesundheitswesens gemacht. Ein barrierefreier Zugang zu Gesundheitsinformationen wäre deshalb ein wichtiger Baustein, um Menschen mit Beeinträchtigung den Zugang zu Gesundheitsinformationen und Leistungen im Gesundheitswesen zu erleichtern. Gerade für Menschen mit Beeinträchtigungen ist die Ressourcenausstattung häufig schlechter ausgeprägt als bei der Allgemeinbevölkerung, weswegen von einer doppelten Exposition aufgrund der vulnerablen Lebenslage und dem Vorliegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bzw. Behinderung auszugehen ist 32 . Folglich sollten Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz insbesondere diese Zielgruppe adressieren 22 .
Bei der vorliegenden Auswertung zeigte sich, dass die Befragten besonders häufig große bzw. sehr große Schwierigkeiten beim Verstehen, Beurteilen und Anwenden von gesundheitsbezogenen Informationen aus den Medien aufweisen. Aus dem nationalen Forschungsstand geht ebenfalls für die Allgemeinbevölkerung sowie für Menschen mit Beeinträchtigung hervor, dass Schwierigkeiten vor allem im Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen aus den Medien bestehen 12 18 24 25 . Bspw. gaben 46,8% der von Rathmann und Nellen Befragten Menschen mit verschiedenen Behinderungen an, es schwierig zu finden zu beurteilen, ob Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind 24 . Die Teilnehmenden der GeKoMB-Studie berichteten ebenfalls von Schwierigkeiten beim Verstehen, Beurteilen und Anwenden von gesundheitsbezogenen Informationen aus den Medien 25 . Aus Fokusgruppen zur Gesundheitskompetenz von Personen mit chronischer Krankheit bzw. dauerhaften Gesundheitseinschränkungen oder Behinderungen wird deutlich, dass es insbesondere schwierig sei, schriftliche Informationen in den Medien und im Internet einzuschätzen und zu beurteilen 18 .
Kritisch muss hinterfragt werden, ob nicht diejenigen Befragten richtig liegen, die die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Medien als schwierig einschätzen. Bereits Expert*innen fällt nämlich die Einschätzung von Gesundheitsinformationen schwer und macht die Erstellung einer Leitlinie „Gute Praxis Gesundheitsinformationen“ mit grundlegenden Kriterien und Anforderungen an „gute“ Gesundheitsinformationen erforderlich 33 . Für Laien ist es folglich objektiv oft schwierig bis unmöglich solche Bewertungen vorzunehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass vor allem mediale Informationsangebote oftmals unübersichtlich, widersprüchlich und interessengeleitet sind, bedarf es Gesundheitsinformationen, denen von vornherein vertraut werden kann 34 . Transparente und qualitätsgesicherte mediale Informationen sollten nutzer*innenfreundlich gestaltet, mit einem individuell anpassbaren Kompetenzrahmen sowie barrierefrei und leicht verständlich von seriösen Anbieter*innen zugänglich bereitgestellt und Fehl- und Falschmeldungen als solche einfach erkennbar gemacht werden 12 34 35 .
Insgesamt lässt sich für die Maßnahmenplanung zur Förderung der Gesundheitskompetenz ableiten, dass entsprechend des bio-psycho-sozialen Modell von Behinderung nicht Menschen mit Beeinträchtigung, sondern hemmende Umweltbarrieren verändert werden sollten, um die individuelle Gesundheitskompetenz zu verbessern 14 22 . Auch Maßnahmen, die aufgrund des hohen Anteils an Personen mit Beeinträchtigung, die Schwierigkeiten beim Finden von Informationen von Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen angeben, bei einer geleichzeitig erhöhten psychischen Belastung der Zielgruppe, sollten demnach verhältnisorientiert sein 22 36 37 38 . Entsprechend des Aktionsplans „Better health for all people with disabilites“ (2014–2021) sollte der Zugang zu Gesundheitsdiensten und -programmen verbessert und Barrieren der psychischen Versorgung von Menschen mit Beeinträchtigung reduziert werden 39 . Zudem sind weitreichende, niedrigschwellige und barrierefreie Unterstützungsmöglichkeiten z. B. durch Betreuungspersonal, Angehörige und (medizinisches) Fachpersonal notwendig 37 . Weiterhin kommt es v. a. für Menschen mit Beeinträchtigung darauf an, spezifische für sie hilfreiche Gesundheitsinformationen zu finden und anzuwenden. Im Sinne der organisationalen Gesundheitskompetenz sollten Anbietende von Gesundheitsinformationen diese für alle Zielgruppen verständlich und leicht auffindbar zur Verfügung stellen 13 .
Eine Limitation dieses Beitrages geht aus der Berechnung der allgemeinen Gesundheitskompetenz basierend auf einer Selbsteinschätzung hervor 28 . Dies kann in einer Unter- oder Überschätzung der eigenen Schwierigkeiten beim Umgang mit Gesundheitsinformationen resultieren. Bei der Interpretation der vorliegenden Ergebnisse ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass nur die selbstwahrgenommenen Schwierigkeiten der Befragten erhoben wurden, ohne die individuellen und kontextuellen Gründe für die berichteten Schwierigkeiten zu ermitteln. Bei der Erhebung der Gesundheitskompetenz sollte diese zukünftig als ein ganzheitliches, relationales Konzept verstanden und die vielfältigen Kontext- und Einflussfaktoren, wie soziale (z. B. Sozialstatus, Teilhabe, Partizipation) und situative Determinanten (z. B. Komplexität der Information) in den Studien und Auswertungen berücksichtigt werden 21 40 .
Des Weiteren ist zu beachten, dass es sich bei GEDA 2014/2015-EHIS um eine Querschnittstudie handelt, weshalb keine Rückschlüsse auf Kausalität möglich sind. Weiter bestehen einige (methodische) Einschränkungen bei der Nutzung des Surveys GEDA 2014/2015-EHIS. Bspw. wird die Gruppe der Menschen mit Behinderung durch den GEDA 2014/2015-EHIS-Survey nicht angemessen abgebildet, da nur Personen aus Privathaushalten befragt werden 28 29 . Menschen mit Beeinträchtigung, die in stationären Wohneinrichtungen leben (ca. 1 Mio. Personen), vor allem Menschen mit schwerst- mehrfacher Behinderung, werden so systematisch von der Befragung ausgeschlossen 15 . Weiterhin konnte keine Unterscheidung nach der Art der Behinderung mit den GEDA 2014/2015-EHIS-Daten vorgenommen werden 28 29 . Dies wäre aufgrund der Heterogenität der Gruppe der Menschen mit Behinderung und deren spezifischen Lebenssituationen und Bedarfe aber notwendig, um Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz ableiten zu können. Es ist anzunehmen, dass die Teilnehmenden vermehrt über physische und weniger über intellektuelle Beeinträchtigungen verfügen, denn bereits die Erhebungsweise (schriftlicher oder online Fragebogen) kann dazu führen, dass insbesondere solche Personen mit z. B. Schwierigkeiten beim Lesen und/oder Schreiben von einer Teilnahme ausgrenzt werden 28 29 . Wie bereits einige Studien zeigen, ist der Fragebogen sowie der HLS-EU-Q16 für einige Zielgruppen, u. a. Menschen mit eingeschränkter Lesekompetenz oder geistiger Behinderung, schwer verständlich und weniger angemessen 21 24 25 41 42 . Der hier verwendete HLS-EU-Q16-Fragebogen erfährt deshalb auch Kritik hinsichtlich der subjektiven Befragung und Einschätzung von Kompetenzen. Tatsächlich erfasst das Instrument die Schwierigkeit beim Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen, u. a. in Bezug zu Vorsorgeuntersuchungen oder der ärztlichen Zweitmeinung, nicht die Kompetenz als solches. Der HLS-EU-Q16 erfasst zudem nicht ausreichend die Multidimensionalität der Gesundheitskompetenz oder die Komplexität von Informationen, dahingehend, dass bspw. Teilhabemöglichkeiten nicht berücksichtigt werden 22 25 , 45]. In der GeKoMB-Studie wurde deshalb erstmals der HLS-EU-Q16 in Leichter Sprache angewendet, was sich als angemessener für Menschen mit Behinderung (insbesondere mit Lernschwierigkeiten) erwies 25 .
Insgesamt ist deutlich hervorzuheben, dass die vorliegenden Auswertungen unter Verwendung der GEDA 2014/2015-EHIS-Daten Aussagen über Personen mit Beeinträchtigung in privaten Haushalten in Deutschland erlauben. Dagegen sind Aussagen über die Gesundheitskompetenz von Menschen, die in stationären Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe leben – meist mit intellektuellen und mit schweren mehrfachen Behinderungen – nicht möglich, da diese kaum bzw. nicht unter den Teilnehmenden in Privathaushalten vertreten sein werden und zudem andere Erhebungsverfahren (z. B. Fragebogen in Leichter Sprache, physische 1:1-Befragungen inkl. Piktogramme) benötigen. Es ist allerdings anzunehmen, dass die vorliegenden Ergebnisse Aussagen über die Gesundheitskompetenz von Menschen mit überwiegend körperlichen und leichten geistigen Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger selbstständig in Privathaushalten leben, unter den oben genannten Limitationen, zulassen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien und die verwendete Datengrundlage gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Eine „Beeinträchtigung“ ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ein Körper- und Gesundheitszustand, der von dem „Lebensalter typischen Zustand abweicht“. D. h. der Begriff „Beeinträchtigung“ beschreibt Aktivitätseinschränkungen in unterschiedlichen Lebensbereichen, die Betroffene erfahren 14 . In diesem Beitrag werden sowohl Menschen mit Behinderung als auch Menschen mit chronischer Erkrankung als Menschen mit Beeinträchtigung verstanden.
Fazit für die Praxis.
Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz von Menschen mit Beeinträchtigungen sollten interprofessionellen Ansätzen folgen und auf verschiedenen Ebenen (insbesondere verhältnisorientiert) ansetzen.
Gesundheitsbezogene Informationen sollten evidenzbasiert, transparent, zielgruppenadäquat (u. a. barrierefrei) und leicht zugänglich zur Verfügung gestellt werden.
Weitere Studien sind nötig, um auf einer breiten Datenbasis die Entwicklung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung besser zu verstehen und zu beobachten. Insbesondere Menschen mit intellektuellen sowie schweren mehrfachen Behinderungen müssen adäquat in Erhebungen einbezogen werden. Studien sollten dabei auch individuelle, soziale und situative Determinanten von Menschen mit berücksichtigen, um der Mehrdimensionalität des Konzepts der Gesundheitskompetenz nachzukommen.
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