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. 2024 Mar 11;86(6):404–411. [Article in German] doi: 10.1055/a-2227-5481

Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen durch Gesundheitsämter in Baden-Württemberg während der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse einer Onlinebefragung

Health Promotion and Prevention of Non-Communicable Diseases by Public Health Departments in Baden-Württemberg during the COVID-19 Pandemic: Results of an Online Survey

Achim Siegel 1,, Daniela Hesmert 2, Jasmin Mangold 3, Anika Klein 4, David Häske 4, Sofie Wössner 4, Monika A Rieger 1,4, Stefanie Joos 2,4, Cornelia Mahler 3
PMCID: PMC11248641  PMID: 38467149

Zusammenfassung

Ziel der Studie Gesundheitsförderung und Prävention zählen zu den Kernaufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), insbesondere der Gesundheitsämter. Kaum bekannt ist, in welchem Ausmaß die Gesundheitsämter Aktivitäten im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen (G&PnüE) während der COVID-19-Pandemie fortführen konnten. Am Beispiel der Gesundheitsämter in Baden-Württemberg (BW) untersuchten wir daher, wie viel Personal den Ämtern für G&PnüE planmäßig zur Verfügung stand und wie viel Personal während der COVID-19-Pandemie tatsächlich für G&PnüE eingesetzt wurde, welche G&PnüE-Aktivitäten während der Pandemie durchgeführt wurden, welche zurückgestellt wurden und welche davon – nach Meinung der Ämter – vorrangig wiederaufgenommen werden sollten.

Methodik Für die Befragung der 38 Ämter in BW entwickelten wir einen teilstandardisierten Online-Fragebogen. Pro Amt sollte ein Fragebogen ausgefüllt werden. Die Befragungen fanden vom 1.9. - 4.11.2022 statt. Die Daten dieser explorativen Querschnittstudie wurden deskriptiv-statistisch mit dem Programm SPSS (Version 28) ausgewertet.

Ergebnisse Von den 38 Gesundheitsämtern nahmen 34 an der Befragung teil (89%). Die Ämter verfügten lt. Plan im Mittel über 2,44 Vollkräfte für G&PnüE (Median 2,00; SD 1,41; Range 0,20–5,00). Unter Pandemiebedingungen wurden im Mittel 1,23 Vollkräfte für G&PnüE eingesetzt (Median 0,95; SD 1,24; Range 0,00–4,50). Die Befragten nannten beispielhaft 61 G&PnüE-Aktivitäten, die unter Pandemiebedingungen durchgeführt wurden, und sie beschrieben 69 G&PnüE-Aktivitäten, die zurückgestellt werden mussten. Von letzteren sollten 40 nach Meinung der Befragten mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden. Die Analyse dieser vordringlich wiederaufzunehmenden Aktivitäten zeigt charakteristische Unterschiede: So wurde z. B. die Wiederaufnahme verhältnispräventiver Aktivitäten relativ häufiger als vordringlich angesehen als die Wiederaufnahme verhaltenspräventiver Aktivitäten.

Schlussfolgerungen Während der Pandemie setzten die befragten Ämter im Mittel nur die Hälfte ihrer für G&PnüE vorgesehenen Vollkräfte für G&PnüE ein. Vergleicht man verschiedene Kategorien von (während der Pandemie zurückgestellten) G&PnüE-Aktivitäten hinsichtlich der relativen Häufigkeit, mit der diese vordringlich wiederaufgenommen werden sollten, lassen sich charakteristische Unterschiede feststellen. Offen bleibt, welche Schlüsse aus diesen Unterschieden zu ziehen sind.

Schlüsselwörter: Gesundheitsförderung, Prävention, teilstandardisierte Online-Befragung, COVID-19-Pandemie, Öffentlicher Gesundheitsdienst

Einleitung

Gesundheitsförderung und Prävention zählen zu den Kernaufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) 1 2 3 , in Baden-Württemberg z. B. sind diese Aufgaben sogar in Gesetzesform ausführlich beschrieben 4 .

Unseres Wissens ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden, wie sich die COVID-19-Pandemie auf das Tätigkeitsspektrum der Gesundheitsämter ausgewirkt hat. Kaum bekannt ist z. B., in welchem Ausmaß die Gesundheitsämter Aktivitäten im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen (G&PnüE) während der COVID-19-Pandemie fortführen konnten. Da während der Pandemie Infektionsschutzmaßnahmen höchste Priorität hatten, ist anzunehmen, dass viele Aktivitäten im Bereich G&PnüE zurückgestellt werden mussten. Unklar ist auch, wie die Gesundheitsämter mit zurückgestellten G&PnüE-Aktivitäten umgingen bzw. umgehen, z. B. ob und wie dringend diese wiederaufgenommen werden sollten. Derartige Fragen könnten aber für die künftige „Stärkung“ bzw. Neuaufstellung des ÖGD nicht nur im Zuge des „Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ 5 6 7 von Belang sein. In der hier vorzustellenden Studie wurden daher – am Beispiel der Gesundheitsämter in Baden-Württemberg (BW) – u. a. folgende Fragen untersucht:

  • Welche personellen Ressourcen (Vollkräfte) stehen den Gesundheitsämtern in BW für G&PnüE-Aktivitäten planmäßig zur Verfügung und wie viele Vollkräfte wurden während der COVID-19-Pandemie tatsächlich im Bereich G&PnüE eingesetzt?

  • Welche G&PnüE-Aktivitäten wurden während der Pandemie durchgeführt, welche wurden wegen der Priorität von COVID-19-Maßnahmen zurückgestellt und welche davon sollen – nach Meinung der Ämter – vorrangig wieder aufgenommen werden?

Methodik

Die Studie ist Teil des interdiszipliniären Verbundprojekts Prev4ÖGD, das unter Leitung des Zentrums für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung Tübingen (ZÖGV) am Universitätsklinikum Tübingen durchgeführt wird. Prev4ÖGD wurde als Teil des Kompetenznetzwerks Präventivmedizin vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert (Förderkennzeichen: Az:04HV.MED(21)/11/1). Prev4ÖGD besteht aus drei Teilprojekten 8 9 , die sich mit verschiedenen Aspekten von Gesundheitsförderung und Prävention durch Gesundheitsämter in BW befassen.

Studiendesign und Studienregion

Die Forschungsfragen wurden im Rahmen einer Querschnittsstudie untersucht, in der alle 38 Gesundheitsämter in BW 10 zu einer teilstandardisierten Online-Befragung eingeladen wurden. Es wurde also eine Vollerhebung angestrebt.

Rekrutierung der Befragten

Am 01.09.2022 wurden die Gesundheitsämter per E-Mail eingeladen, an der Online-Befragung teilzunehmen. Die Einladung richtete sich an die Amtsleitungen und an die für den Bereich Gesundheitsförderung und Prävention zuständigen Personen. Die Adressaten wurden gebeten, den Fragebogen selbst auszufüllen oder das Ausfüllen an eine geeignete Person zu delegieren. Pro Gesundheitsamt sollte nur ein Fragebogen (anonym) ausgefüllt werden.

Erhebungsinstrument und -zeitraum

Der teilstandardisierte Fragebogen wurde vom Studienteam selbst entwickelt und mit der Software Unipark (Tivian) online umgesetzt. Der Fragebogen fokussierte u. a. folgende Themen:

  • Strukturelle Merkmale des Gesundheitsamts (z. B. Anzahl der Vollkräfte im Bereich G&PnüE),

  • G&PnüE-Aktivitäten des Gesundheitsamts,

    • die während der letzten 12 Monate durchgeführt wurden,

    • die während der Pandemie zurückgestellt werden mussten und

    • die während der Pandemie zurückgestellt wurden und (nach Meinung der Befragten) „mit höchster Priorität“ wiederaufgenommen werden sollten.

Ein Pre-Test wurde mit 28 Personen durchgeführt; 6 dieser Personen arbeiteten in Gesundheitsämtern im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention. Die Anmerkungen und Anregungen der Testpersonen wurden im Studienteam diskutiert, anschließend wurde der Fragebogen zum Zweck besserer Verständlichkeit modifiziert.

Bei der Analyse der während der Pandemie zurückgestellten G&PnüE-Aktivitäten interessierte uns vor allem folgende Frage: Sind die Befragten der Meinung, dass bestimmte Gruppen zurückgestellter G&PnüE-Aktivitäten mit höherer Priorität wiederaufgenommen werden sollten als andere Gruppen (z. B. Aktivitäten mit einem verhältnis präventiven Ansatz versus Aktivitäten mit einem verhaltens präventiven Ansatz)? Um dies herauszufinden, bildeten wir für jede Aktivitätengruppe G i einen Quotienten Q (G i ), der einen Indikator für die wahrgenommene „Wiederaufnahme-Priorität“ von G i im gesamten Sample darstellen sollte. Den Nenner des Quotienten bildete die Anzahl der Nennungen von G i -Aktivitäten unter allen zurückgestellten Aktivitäten, den Zähler die Anzahl der Nennungen von G i -Aktivitäten unter einer Teilmenge der zurückgestellten Aktivitäten, nämlich unter den mit höchster Priorität wiederaufzunehmenden Aktivitäten. Ein Quotient von „1“ für G i z. B. zeigt dann an, dass die Befragten alle zurückgestellten Aktivitäten der Gruppe G i auch als mit höchster Priorität wiederaufzunehmende Aktivitäten bewerteten; ein Quotient von „0,5“ bedeutet, dass nur die Hälfte der zurückgestellten Aktivitäten dieser Gruppe als mit höchster Priorität wiederaufzunehmende Aktivitäten bewertet wurden.

Die Datenerhebung begann am 01.09.2022 und endete am 04.11.2022. Am 18.09.2022 erhielten diejenigen Ämter, die bis zu diesem Tag noch keinen Fragebogen ausgefüllt hatten, eine Erinnerung per E-Mail. Ämter, die bis zum 10.10.2022 noch nicht geantwortet hatten, wurden in den Folgetagen telefonisch erneut um Teilnahme gebeten.

Datenauswertung

Die Daten wurden vom Online-Fragebogen als SPSS-Datendateien ausgelesen, anschließend wurden diese mithilfe der Software SPSS (Version 28) deskriptiv-statistisch ausgewertet.

Ethikvotum

Die Studie wurde von der Ethik-Kommission am Universitätsklinikum Tübingen positiv begutachtet (Projekt-Nr. 105/2022BO2).

Ergebnisse

Rücklauf

Von den 38 Gesundheitsämtern in BW beteiligten sich 34 (89%) an der Befragung. Personalsituation der Ämter im Bereich G&PnüE

Die planmäßig für den Bereich G&PnüE zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen (Vollkräfte) wurden wie folgt erhoben: „Wie viele Vollzeitstellen/Vollkräfte (inkl. befristete Stellen) stehen Ihrem Gesundheitsamt schätzungsweise für Aktivitäten und Projekte im Bereich ‚Gesundheitsförderung und Prävention nicht übertragbarer Erkrankungen‘ offiziell zur Verfügung?“ Insgesamt 30 der 34 Befragten nannten daraufhin die Anzahl der Vollkräfte, 4 Befragte antworteten „Eine grobe Schätzung ist mir nicht möglich“. Der Mittelwert der 30 gültigen Antworten lag bei 2,44 Vollkräften (Median 2,00; SD 1,41, Spannweite 0,20–5,00). Die geschätzte Anzahl der Vollkräfte, die in den zurückliegenden 12 Monaten – also noch unter Pandemiebedingungen – auch tatsächlich für G&PnüE eingesetzt wurden, belief sich bei 30 gültigen Antworten im Mittel auf 1,23 Vollkräfte (Median 0,95; SD 1,24; Spannweite 0,00–4,50), d. h. auf etwa die Hälfte der planmäßigen Anzahl. Zudem ermittelten wir für jedes Gesundheitsamt den Anteil der während der letzten 12 Monate tatsächlich für G&PnüE eingesetzten Vollkräfte an der planmäßigen Anzahl der G&PnüE-Vollkräfte. Dieser Anteil betrug im Mittel 41,0% (Median 30,0; SD 36,4; Spannweite 0–100).

Eine weitere Frage zur Personalsituation in den Ämtern lautete: „Zu welchen Professionen gehören die Mitarbeiter/-innen Ihres Gesundheitsamts, die im Bereich ‚Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen‘ tätig sind?“ ( Tab. 1 ).

Tab. 1 Antworten auf die Frage „Zu welchen Professionen gehören die Mitarbeiter/-innen Ihres Gesundheitsamts, die im Bereich ‚Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen‘ tätig sind?“ *.

Profession/Ausbildungshintergrund Anzahl Nennungen** 
Public Health/Gesundheitswissenschaft(en) 30
Medizin 17
Soziale Arbeit/Sozialpädagogik 10
Gesundheits-/Krankenpflege 4
Sportwissenschaft 4
Zahnmedizin 3
Soziologie 2
Erziehungswissenschaft 2
Prävention und Gesundheitsförderung 2

* Anzahl der Antwortenden: n=33. Eine Person hatte angegeben, dass vom betreffenden Gesundheitsamt keine G&PnüE-Aktivitäten unternommen werden. ** Enthält nur Professionen/Ausbildungshintergründe, die mehr als einmal genannt wurden. Weitere, je einmal genannte Ausbildungshintergründe waren: Altenpflege, Ergotherapie, Ernährungswissenschaft, Pharmazie, kommunale Gesundheitsmoderation, Sozialmanagement, Pflegewissenschaft, Theologie, Betriebswirtschaftslehre, Umweltjournalismus, Verwaltung (Sachbearbeiterin), Medizinische Fachangestellte.

Tab. 1 zeigt, dass in den G&PnüE-Bereichen fast aller Gesundheitsämter (30 von 33) Gesundheitswissenschaftler/innen vertreten sind. In den G&PnüE-Bereichen von 17 Ämtern sind Ärztinnen oder Ärzte der Humanmedizin vertreten und in den G&PnüE-Bereichen von 10 Ämtern Sozialarbeiter/Sozialpädogen.

Aktivitäten der Gesundheitsämter im Bereich G&PnüE während der COVID-19-Pandemie

In Bezug auf die während der COVID-19-Pandemie durchgeführten bzw. zurückgestellten G&PnüE-Aktivitäten lautete die Eingangsfrage: „Hat Ihr Gesundheitsamt in den zurückliegenden 12 Monaten trotz der COVID-19-Pandemie auch Aktivitäten oder Projekte im Bereich ‚Gesundheitsförderung und Prävention nicht-übertragbarer Erkrankungen‘ umgesetzt?“ (Der Terminus „umgesetzte Aktivitäten/Projekte“ wurde im Fragebogen wie folgt erläutert: „Veranstaltungen oder Angebote, die sich direkt an die Bevölkerung richteten oder deren Lebenswelt zu beeinflussen versuchten“). Diejenigen, die die Frage bejahten (n=26), wurden gebeten, maximal drei umgesetzte Aktivitäten zu nennen und hinsichtlich verschiedener Aspekte (wie z. B. Setting, Thema u.Ä.) genauer zu beschreiben. So beschrieben 25 Ämter insgesamt 61 Aktivitäten.

Anschließend wurde gefragt, ob das betreffende Gesundheitsamt Aktivitäten aus dem Bereich G&PnüE „während der COVID-19-Pandemie zurückstellen musste(n), weil COVID-19-Maßnahmen Vorrang hatten“. Die Frage wurde von 32 Befragten bejaht. Diese wurden dann gebeten, die ihrer Meinung nach „(maximal drei) wichtigsten Aktivitäten bzw. Projekte“ zu nennen, die während der Pandemie zurückgestellt werden mussten. So beschrieben 31 Befragte insgesamt 69 zurückgestellte Aktivitäten. Im Anschluss daran wurde gefragt, mit welcher Priorität die zurückgestellten Aktivitäten nach Meinung der Befragten wiederaufgenommen werden sollten. Drei Prioritätsstufen konnten angegeben werden; von den 69 während der Pandemie zurückgestellten Aktivitäten wurden 40 als „mit höchster Priorität“ wiederaufzunehmen charakterisiert. Tab. 2 fasst diese Ergebnisse zusammen.

Tab. 2 Anzahl an G&PnüE-Aktivitäten, die (a) in den letzten 12 Monaten durchgeführt, (b) während der Pandemie zurückgestellt und (c) mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden sollten.

Aktivitäten/Projekte Anzahl Nennungen (genannt von … Ämtern)
  1. Beispielhaft genannte G&PnüE-Aktivitäten/Projekte, die in den letzten 12 Monaten trotz COVID-19-Pandemie umgesetzt wurden

61 (25)
  1. Die „(maximal drei) wichtigsten Aktivitäten/Projekte“ im Bereich G&PnüE, die wegen des Vorrangs von COVID-19-Maßnahmen zurückgestellt werden mussten

69 (31)
  1. Zurückgestellte Aktivitäten/Projekte im Bereich G&PnüE, die mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden sollten

40 (31)

In den folgenden Tab. 3 4 5 wurde die „Wiederaufnahme-Priorität“ verschiedener Aktivitätengruppen verglichen – wie im Abschnitt „Methodik“ beschrieben. In Tab. 3 wurden die Aktivitäten je nach Settingbezug gruppiert.

Tab. 3 Setting-Zugehörigkeit(en)*der Aktivitäten, die während der Pandemie zurückgestellt werden mussten und nun „mit höchster Priorität“ wiederaufgenommen werden sollten.

Setting (A) Anzahl Nennungen unter den 69 zurückgestellten Aktivitäten (B) Anzahl Nennungen unter den 40 „mit höchster Priorität“ wiederaufzunehmenden Aktivitäten (C) Wiederaufnahme-Priorität von Aktivitäten mit Bezug zu den Settings: (B)/(A)
Kita/Kindergarten 29 16 0,55
Schule 32 22 0,69
Betrieb 7 7 1
Stadtteil/Kommune/Quartier 30 23 0,77
Sonstiges 5 4 0,80
Keinem Setting zuzuordnen 11 4 0,36

* Die Befragten konnten eine Aktivität mehreren Settings zuordnen, d. h. Mehrfachnennungen waren möglich.

Tab. 4 Während der Pandemie zurückgestellte und „mit höchster Priorität“ wiederaufzunehmende G&PnüE-Aktivitäten, jeweils nach Ausrichtung/Art der Prävention.

Ausrichtung/Art der Prävention (A) Anzahl Nennungen unter den 69 zurückgestellten Aktivitäten* (B) Anzahl Nennungen unter den 40 mit höchster Priorität wiederaufzunehmenden Aktivitäten**  (C) Wiederaufnahme-Priorität der Aktivitäten nach Ausrichtung/Art der Prävention: (B)/(A)
Überwiegend Verhaltensprävention oder verhaltensbezogene Gesundheitsförderung 25 13 0,52
Gleichermaßen auf Verhalten und Verhältnisse bezogene Prävention oder Gesundheitsförderung 29 20 0,69
Überwiegend Verhältnisprävention oder verhältnisbezogene Gesundheitsförderung 5 4 0,80

* Bei 10 der 69 zurückgestellten Aktivitäten wurde die Ausrichtung/Art der Prävention nicht angegeben (keine Angabe oder „kann ich nicht beurteilen“); **bei 3 der 40 mit höchster Priorität wiederaufzunehmenden Aktivitäten wurde die Ausrichtung/Art der Prävention nicht angegeben.

Tab. 5 Themen*der Aktivitäten, die während der Pandemie zurückgestellt wurden und nun „mit höchster Priorität“ wiederaufgenommen werden sollten.

Thema (A) Anzahl Nennungen bei zurückgestellten Aktivitäten (B) Anzahl Nennungen bei mit höchster Priorität wiederaufzunehmenden Aktivitäten (C) Wiederauf-nahme-Priorität des Themas: (B)/(A)
Autonomie im Alter 17 14 0,82
Resilienz/Lebenskompetenz 27 20 0,80
Migration und Gesundheit 14 11 0,79
Diabetes mellitus 14 11 0,79
Ernährung/Übergewicht 23 18 0,78
Suchtprävention/-bewältigung 19 14 0,74
Psychische Gesundheit ( nicht speziell Umgang mit Depression) 15 11 0,73
Armut und Gesundheit 18 13 0,72
Depression 7 5 0,71
Demenz 7 5 0,71
Gesunde Kindentwicklung 26 18 0,69
Verbesserung regionaler Versorgungsstrukturen 16 11 0,69
Gesundheitskompetenz 32 21 0,66
Bewegung/Sport/körperl. Aktivität 32 21 0,66
Zahnpflege/Mundhygiene 12 8 0,67
Achtsamkeits-/Entspannungstraining 9 6 0,67
Sonstiges 11 7 0,64
Schwangerschaft 5 3 0,60

* Die Befragten konnten eine Aktivität mehreren Themen zuordnen, d. h. Mehrfachnennungen waren möglich. Die Liste der Themen wurde weitgehend vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg übernommen, Daten aus 38 .

Die Befragten gaben für Aktivitäten in den Settings Betrieb (1) und Stadtteil/Kommune/Quartier (0,77) häufiger die höchste Wiederaufnahme-Priorität an als für Aktivitäten mit Bezug zu den Settings Kita/Kindergarten (0,55) und Schule (0,69) – und sogar deutlich häufiger als für Aktivitäten ohne Setting-Bezug (0,36) ( Tab. 3 ).

Auf die gleiche Weise wurde untersucht, ob es Unterschiede in der Wiederaufnahme-Priorität der zurückgestellten Aktivitäten hinsichtlich der Ausrichtung der Gesundheitsförderung bzw. Prävention gab ( Tab. 4 ).

Die Befragten gaben für Aktivitäten umso häufiger die höchste Wiederaufnahme-Priorität an, je stärker die Aktivitäten verhältnis- statt verhaltenspräventiv ansetzten ( Tab. 4 ).

Schließlich wurde noch geprüft, wie stark die Unterschiede in der Wiederaufnahme-Priorität sind, wenn man die G&PnüE-Aktivitäten nach ihren Themen kategorisiert ( Tab. 5 ).

Die Wiederaufnahme-Priorität nach Thema liegt zwischen 0,82 (Autonomie im Alter) und 0,60 (Schwangerschaft) ( Tab. 5 ).

Diskussion

Am Beispiel der Gesundheitsämter in Baden-Württemberg wurde untersucht, wie viel Personal den Ämtern für G&PnüE offiziell zur Verfügung steht, wie viel Personal unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie tatsächlich für G&PnüE eingesetzt wurde, welche G&PnüE-Aktivitäten während der Pandemie durchgeführt wurden, welche Aktivitäten während der Pandemie zurückgestellt wurden und welche davon nach Meinung der Ämter vorrangig wiederaufgenommen werden sollten. Entsprechende Daten sollten durch eine Online-Befragung aller 38 Gesundheitsämter in BW (Vollerhebung) generiert werden. An der Befragung beteiligten sich 34 (89%) Ämter.

Für G&PnüE verfügten die Gesundheitsämter planmäßig im Mittel über 2,44 Vollkräfte (VK); die Hälfte der Ämter verfügte über weniger als 2,00 VK. Unter Pandemiebedingungen setzten die Ämter im Mittel 1,23 VK tatsächlich auch für G&PnüE ein – also rund die Hälfte der planmäßigen Anzahl der VK. Die Hälfte der Ämter setzte dabei weniger als 0,95 VK für G&PnüE ein. Dieses Ergebnis bestätigt – und konkretisiert – Berichte, wonach die Gesundheitsämter während der Pandemie phasenweise überlastet waren und ein relevanter Anteil des planmäßig nicht für Gesundheitsschutz bzw. Infektionsbekämpfung vorgesehenen Personals von seinen üblichen Aufgaben abgezogen wurde, damit es die Bekämpfung der Pandemie unterstützen konnte 11 12 13 14 15 .

In den G&PnüE-Bereichen der meisten Ämter (n=30) arbeiteten Gesundheitswissenschaftler/innen. In 17 Ämtern arbeiteten im Bereich G&PnüE Ärzte/-innen der Humanmedizin, und in den G&PnüE-Bereichen von 10 Ämtern waren Sozialpädagogen/-innen oder oder Sozialarbeiter/innen vertreten. Andere Berufsgruppen waren deutlich seltener vertreten. Dieses Ergebnis ist ein Indiz dafür, dass die seit langem vom ÖGD und von Fachgremien vorgetragene Forderung, die Gesundheitsämter bäuchten mehr Fachpersonal – vor allem mehr gesundheitswissenschaftliches Personal 16 17 18 19 20 –, sich bereits zum Befragungszeitpunkt in einem beachtlichen „Personalaufwuchs“ niedergeschlagen hatte. Dies wird auch durch amtliche Statistiken der Jahre 2020–21 untermauert 21 22 . Im Kontrast zu früheren Darstellungen der Berufsgruppenverteilung im ÖGD 23 deutet die vorliegende Studie darauf hin, dass Gesundheitswissenschaftler/innen nun im ÖGD deutlich stärker vertreten sind als noch vor einigen Jahren. Der Großteil des zusätzlichen Fachpersonals ist dabei offenbar im Rahmen des „Pakts für den ÖGD“ eingestellt worden 5 21 22 .

Im Hinblick auf die übrigen Forschungsfragen zeigt die Studie folgende Ergebnisse: 25 der 34 befragten Ämter führten auch unter Pandemiebedingungen G&PnüE-Aktivitäten durch. Fast alle Gesundheitsämter mussten geplante G&PnüE-Aktivitäten während der Pandemie zurückstellen: Bei der entsprechenden Frage nannten 31 Befragte insgesamt 69 „wichtige Aktivitäten/Projekte“, die wegen des Vorrangs von COVID-19-Maßnahmen zurückgestellt werden mussten. Davon sollten 40 nach Meinung der Befragten mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden. Verhältnisbezogene Aktivitäten sollten häufiger mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden als verhaltensbezogene Aktivitäten ( Tab. 3 ), Aktivitäten mit Bezug zu den Settings Betrieb und Stadtteil/Quartier/Kommune sollten häufiger mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden als Aktivitäten mit Bezug zu den Settings Kita/Kindergarten und Schule. Letzteren wurde jedoch eine höhere Wiederaufnahme-Priorität zugeschrieben als Aktivitäten ohne Setting-Bezug ( Tab. 4 ). Wegen der teilweise geringen Fallzahlen und der nicht inferenzstatistisch abgesicherten Unterschiede sollten die Unterschiede in der Wiederaufnahme-Priorität generell mit Vorsicht interpretiert werden.

Könnten die zuletzt referierten Ergebnisse bedeuten, dass die Befragten – zumindest unter den momentanen Gegebenheiten – in verhältnispräventiven Aktivitäten (im Vergleich zu verhaltenspräventiven Aktivitäten) und in Aktivitäten in den Settings Stadtteil/Kommune/Quartier und Betrieb (im Vergleich zu Aktivitäten in den Settings Kita/Kindergarten und Schule oder zu Aktivitäten ohne Setting-Bezug) einen höheren Nutzen sehen – vielleicht sogar einen höheren Gesundheitsnutzen für die Bevölkerung insgesamt? Der Vorrang verhältnisbezogener gegenüber verhaltensbezogenen Aktivitäten jedenfalls entspricht einer expliziten Forderung wichtiger institutioneller Akteure im ÖGD bzw. im Umfeld des ÖGD 24 25 . Auch dass Aktivitäten ohne klaren Setting-Bezug bei der Wiederaufnahme nach der COVID-19-Pandemie tendenziell nicht priorisiert werden, liegt in der „Logik“ einer solchen Maßgabe 25 . Hingegen folgt es u.W. keiner der üblichen Maßgaben, dass die Settings Betrieb und Stadtteil/Kommune/Quartier gegenüber den Settings Kita/Kindergarten und Schule priorisiert werden. Der letztere Befund steht sogar – jedenfalls dem ersten Anschein nach – im Gegensatz dazu, dass die Förderung der Kinder- und Jugendgesundheit eine Kernaufgabe der Gesundheitsämter ist 1 26 27 , die nach der Pandemie umso dringlicher erscheint, da Kinder und Jugendliche stark unter den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung litten 27 28 29 30 31 32 33 34 – was offenbar vor allem für Kinder aus sozial schwächeren Familien gilt 31 32 . Letztlich muss offen bleiben, inwieweit die in der Studie ermittelten „Wiederaufnahme-Prioritäten“ einen (von den Befragten wahrgenommenen) Gesundheitsnutzen widerspiegeln, denn neben dem Gesundheitsnutzen der Bevölkerung kann es aus Sicht der Befragten durchaus noch andere Kriterien geben, bestimmten Aktivitäten die höchste Wiederaufnahme-Priorität zuzuschreiben: Dass z. B. für verhältnisbezogene Aktivitäten eine höhere Wiederaufnahme-Priorität resultierte als für verhaltensbezogene, könnte z. B. auch daran liegen, dass es bei verhältnisbezogenen Aktivitäten tendenziell mehr Kooperationspartner gibt – z. B. Geschäftsführer, Abteilungsleiterinnen oder Sicherheitsbeauftragte in Betrieben oder Sozialarbeiter in Stadtteilen –, die man nach einer „Corona-Pause“ nicht länger warten lassen will, um die Kooperationsbeziehung an sich nicht zu gefährden. In Settings wie Kindergarten oder Schule und bei eher verhaltensbezogenen Aktivitäten, die häufig ohne Setting-Bezug stattfinden können (z. B. Achtsamkeits- oder Entspannungstrainings), spielt die kontinuierliche Pflege von Kooperationsbeziehungen vermutlich eine geringere Rolle, auch wenn dies für die Settings Kindergarten und Schule wohl nur eingeschränkt gilt 35 36 . Diese Überlegung zeigt, dass der Gesundheitsnutzen der Zielgruppen (oder der Gesellschaft) aus Sicht der Ämter nicht das einzige Kriterium sein muss, damit eine Aktivität als „mit höchster Priorität wiederaufzunehmen“ eingeschätzt wird. Wir konnten keine Studien dazu finden, in denen die verschiedenen Aspekte und Kriterien untersucht wurden, die bei der Entscheidung für oder gegen die Neuaufnahme von Aktivitäten der Gesundheitsförderung und Prävention durch Gesundheitsämter üblicherweise berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund muss offen blieben, welche Überlegungen bei der Wiederaufnahme von während der COVID-19-Pandemie zurückgestellten Aktivitäten entscheidend sind.

Limitationen der Studie sind in den nicht inferenzstatistisch gesicherten Ergebnissen zu sehen sowie in der regionalen Begrenztheit der Stichprobe. Ferner ist zu berücksichtigen, dass „die Sicht des Amtes“ in der Studie stets durch die Sicht der einzelnen befragten Person repräsentiert wird und es also offen bleibt, inwieweit diese tatsächlich die Sichtweise „des Amtes“ vertritt. Eine Stärke der Studie liegt in ihrem Rücklauf, der mit 89% höher liegt als in ähnlichen Befragungsstudien 37 ; dies gewährleistet eine relativ hohe Repräsentativität und Validität der Ergebnisse.

Danksagung

Wir danken den Gesundheitsämtern, die an der Befragung teilgenommen haben, herzlich für ihre Teilnahme. Das Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen, erhält eine institutionelle Förderung durch den Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall).

Funding Statement

Fördermittel Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg — Az:04HV.MED(21)/11/1

Footnotes

Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Fazit.

Den Gesundheitsämtern in Baden-Württemberg stehen im Mittel 2,44 Vollkräfte für den Bereich G&PnüE zur Verfügung, von denen unter Pandemiebedingungen im Mittel die Hälfte für G&PnüE eingesetzt wurden. Gesundheitswissenschaftler/innen sind mittlerweile in den G&PnüE-Bereichen fast aller baden-württembergischer Gesundheitsämter vertreten. Andere Berufsgruppen kommen in G&PnüE-Bereichen deutlich seltener vor. Wenn es um die Wiederaufnahme von während der Pandemie zurückgestellten G&PnüE-Aktivitäten geht, sollen (nach Meinung der Befragten) verhältnispräventive Aktivitäten häufiger als verhaltensbezogene Aktivitäten mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden, und ebenso sollen Setting-bezogene Aktivitäten häufiger als Aktivitäten ohne Setting-Bezug mit höchster Priorität wiederaufgenommen werden.

Literatur


Articles from Gesundheitswesen (Bundesverband Der Arzte Des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany) are provided here courtesy of Thieme Medical Publishers

RESOURCES