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. 2021 Dec 23;85(4):242–249. [Article in German] doi: 10.1055/a-1690-6786

Spezialisierung der Schlaganfallversorgung in Deutschland: Strukturveränderungen im Zeitraum von 2006–2017

Specialization of Acute Stroke Care in Germany: Structural Changes During 2006–2017

Dijana Ebbeler 1,, Michael Schneider 1, Otto Busse 2, Klaus Berger 3, Patrik Dröge 4, Christian Günster 4, Manfred Kaps 5, Björn Misselwitz 6, Nina Timmesfeld 7, Max Geraedts 1
PMCID: PMC11248892  PMID: 34942663

Hintergrund

Aufgrund der zunehmenden Anzahl von Patient:innen mit akutem Schlaganfall rückt die Qualität der Schlaganfallbehandlung immer mehr in den Fokus. Epidemiologisch ist der Schlaganfall weltweit die zweithäufigste Todesursache und eine der Hauptursachen von Behinderungen im Erwachsenenalter 1 2 . Dabei kann eine zeitnahe Behandlung das Risiko langanhaltender gesundheitlicher Beeinträchtigungen reduzieren 3 4 . Deshalb zielen verschiedene Reformbemühungen darauf, eine räumlich gut erreichbare Versorgung mit spezialisierten und standardisierten Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen. Besonders in großflächigen Bundesländern besteht das Problem der zeitnahen Erreichbarkeit spezialisierter Krankenhäuser (KH) 5 . Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurden in Deutschland und Europa unterschiedliche Maßnahmen eingeführt: Für Europa wurde zur Qualitätsförderung bzw. -verbesserung ein Handlungsplan für die Schlaganfallversorgung von 2018 bis 2030 entwickelt, der unter anderem Ziele wie die Steigerung des Anteils behandelter Schlaganfälle in spezialisierten Stroke Units (SU) vorsieht 6 7 . Zudem wurden in Deutschland unterschiedliche, teilweise regional begrenzte, qualitätsfördernde Maßnahmen (qfM) wie z. B. die Zertifizierung von SU, Leitlinien, Qualitätsindikatoren zur Bewertung der Schlaganfallversorgung, Schlaganfall-Projekte bzw. Netzwerke, Führung von Schlaganfall-Registern und in manchen Bundesländern eine verpflichtende externe Qualitätssicherung für den akuten Schlaganfall (eQS-CI; = cerebraler Insult) eingeführt 8 9 10 11 12 13 14 15 . All diese Maßnahmen wurden in Deutschland jedoch nicht flächendeckend und in unterschiedlichem Maß eingeführt.

Bisherige Studien haben vereinzelt Entwicklungen der Versorgungsstrukturen beim akuten Schlaganfall analysiert. Anhand von Qualitätsparametern wurden unterschiedliche regionale Versorgungskonzepte gegenübergestellt 11 . Darüber hinaus wurden aktualisierte Zertifizierungskriterien für SU publiziert, die z. B. Mindestanforderungen an Fallzahlen oder Personal- oder Geräteausstattung aufzeigen 16 . Durch den Einsatz von Qualitätsindikatoren in bestimmten Regionen wurde gezeigt, dass die stationäre Akutversorgung von Schlaganfallpatient:innen für das Jahr 2012 zwar sehr gut war, jedoch keine vollständige Standardisierung der Schlaganfallversorgung in Deutschland vorliegt 12 . In der Literatur werden aufschlussreiche, nur auf bestimmte Region begrenzte (Projekt-)Ergebnisse berichtet 9 17 18 . Bislang wurden keine bundesweiten Entwicklungen unter Einbeziehung möglichst aller Schlaganfall-behandelnden Krankenhäuser (KH) mit und ohne Spezialisierung aufgezeigt. Unklar bleibt also das Ausmaß regionaler Unterschiede bei der Durchdringung mit qfM und deren Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung von Schlaganfallpatient:innen

Vor diesem Hintergrund untersucht diese Studie als Teil des vom Innovationsausschuss geförderten „QUASCH“-Projekts (Ergebnisse qualitätsgesicherter Schlaganfallversorgung: Hessen im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet - 01VSF18041) die langjährige Entwicklung der strukturellen Gegebenheiten der akuten Schlaganfallversorgung und der etablierten Maßnahmen auf Kreis-Ebene im deutschen Bundesgebiet. Dazu wird der qfM-Durchdringungsgrad als Anteil behandelter Patient:innen in Regionen mit qfM oder eQS-CI (Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern) im Zeitraum von 2006 bis 2017 betrachtet.

Methode

Diese retrospektive Beobachtungsstudie auf der Basis von Sekundärdaten nutzt verschiedene Datenquellen, die nachfolgend erläutert werden.

Qualitätsdatenbank  Das Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie (IVE) der Philipps-Universität Marburg führt eine Datenbank, in der alle seither durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Verfügung gestellten strukturierten Qualitätsberichte (QB) deutscher KH enthalten sind. In dieser (Qualitäts-)Datenbank sind Standort-bezogene Kerninformationen zu jedem KH, wie z. B. KH-Name, Adressdaten und Institutionskennzeichen (IK) abrufbar, wobei jeder Standort eine eigene Identifikationsnummer führt. Die QB wurden ab 2006 zunächst alle zwei Jahre und ab 2012 jährlich veröffentlicht.

Qualitätsberichte  Die QB für die Berichtsjahre 2006 bis 2017 wurden im XML-Datenformat in Microsoft Excel importiert und mit dem Programm IBM SPSS Version 27 (Statistical Package for the Social Sciences, IBM) weiterverarbeitet. Eingeschlossen wurden Adressdaten, Bettenzahl, Trägerschaft, relevante ICD-10 (I60; I61; I63; I64; G45, ausgenommen G45.4; =„CI-ICD“=cerebraler Insult) und „CI-OPS“ (8-98b, 8-981).

Alle anderen Variablen der QB wurden ausgeschlossen. Mittels IVE-Datenbank erfolgte die Standortzuordnung und eine anschließende Plausibilitätskontrolle anhand des Abgleichs kodierter CI-ICD/-OPS (Verbundbericht vs. Standortberichte). Ausgeschlossen wurden QB von psychiatrischen, psychosomatischen und Reha-Kliniken sowie Verbunds- bzw. Standortberichte, die in der Plausibilitätskontrolle (CI-ICD/-OPS) Auffälligkeiten aufwiesen.

Geografische Daten  Zur Operationalisierung des Durchdringungsgrades (Anteil behandelter Schlaganfälle unter einer qfM) pro Landkreis wurden geografische Daten vom Bundesamt für Kartografie und Geodäsie herangezogen. Die Datenverknüpfung erfolgte anhand der Postleitzahl der KH-Standorte und über das Programm QGIS.

Versichertendaten  Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) stellte dem IVE für das QUASCH-Projekt eine für Deutschland repräsentative Stichprobe von Schlaganfallpatient:innen mit Erstinsult für den Zeitraum 2007-2017 zur Verfügung. Die Daten zum Patient:innen-Wohnort (PLZ) und Behandlungsort (IK und PLZ) wurden zur Verknüpfung mit den QB-Daten und geografischen Daten genutzt, um u. a. Unterschiede zwischen Wohn- und Behandlungsort zu analysieren. Datenschutzrichtlinien wurden eingehalten, zudem liegt ein positives Ethikvotum der Universität Marburg vor.

Qualitätsfördernde Maßnahmen

SU nach QB  Die Merkmalszuordnung erfolgte, sofern die Kodierung von a) 250 CI-ICD und b) 125 CI-OPS vorlag. Der Begriff „Stroke Unit“ ist nicht urheberrechtlich geschützt; die Vorgehensweise ist auf Informationen aus der Literatur gestützt 16 19 . (SU QB)

SU Zertifikate  Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) stellte Daten über Zertifikatsanträge und -vergaben für SU zur Verfügung. Die Zuweisung des IK und der Standortinformation erfolgte anhand der Adressangaben mittels der IVE-Datenbank. (SU DSG)

Schlaganfallregister  Die Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Schlaganfall-Register (ADSR) stellte Daten über das Vorhandensein beteiligter KH pro Postleitzahlgebiet zur Verfügung. Diese PLZ-Informationen wurden mit den QB-Daten (PLZ der Standorte) verknüpft. (ADSR)

Befragung  Im Ersten Quartal 2019 wurden alle Gremien der Bundesländer für externe stationäre Qualitätssicherung (eQS) postalisch kontaktiert und um Teilnahme an der Befragung zu Aktivitäten im Bereich der eQS zum akuten Schlaganfall (eQS-CI) gebeten. Nach Absprache erfolgte ein telefonisches Interview, zur Ergänzung fehlender und unklarer Informationen. Die Rückmeldequote lag bei 100%. ( eQS )

Projekt- bzw. Netzwerkaktivitäten  Im Rahmen der Befragung ergaben sich Hinweise auf existierende Schlaganfall-Projekte bzw. -Netzwerke (PN). Daran teilnehmende KH verfügen z. B. über telemedizinische Vernetzungen mit zertifizierten (SU) KH. Entsprechende Ergänzungen für betreffende KH erfolgten durch Informationen aus der Literatur und Internetrecherche. (PN)

Statistisches Vorgehen  Alle Daten wurden univariat durch Abbildung der Häufigkeiten und Durchdringungsgrade analysiert. Der Trend verschiedener qfM-Kategorien im Jahresverlauf wurde bivariat anhand des Konkordanzkoeffizienten nach Kendall untersucht.

Durchdringungsgrad:

Die Operationalisierung erfolgte in zwei Stufen:

  1. für KH (QB) durch Berechnung des Anteils kodierter CI-ICD unter qfM auf Kreis-Ebene.

  2. für AOK-Patient:innen durch Berechnung des Anteils behandelter Patient:innen unter qfM auf Kreis-Ebene.

Kategorisierung der qfM  Da ADSR und eQS-CI lediglich limitierte Verknüpfungsmethoden boten und zudem von einer Durchdringung von 100% in betroffenen Gebieten ausgegangen wurde, erfolgte eine differenzierte Darstellung im vgl. zu SU (DSG/QB) und PN, da diese sich anhand konsistenterer Adressdaten sicherer einem KH-Standort zuweisen ließen. Daher wurden zwei Kategorien von qfM gebildet: SU QB, SU DSG und PN wurden als qfM Kategorie 1 zusammengefasst, während ADSR und eQS-CI die qfM Kategorie 2 bilden. Unter Anwendung dieser Methode sollte möglichen Ergebnisverzerrungen entgegengewirkt werden.

Ergebnisse

Der im Nachfolgenden aufgezeigte Durchdringungsgrad bezieht sich auf den durchschnittlichen Anteil an a) kodierten assoziierten CI-ICD (s. Tab. 1 , Abb. 1 und Abb. 2 ); b) behandelten AOK-Patient:innen (s. Tab. 2 , Abb. 2 ) unter vorhandenen qualitätsfördernden Maßnahmen (qfM) in den Kreisen des Bundesgebiets im Vergleich der Jahre 2006 (QB) bzw. 2007 (AOK) und 2017.

Tab. 1 Durchschnittlicher Anteil (in %) kodierter CI-ICD in Krankenhäusern mit qfM der Landkreise im Bundesgebiet pro Jahr.

Jahr* qfM Kategorie 1 qfM Kategorie 2
PN SU QB SU DSG**  ADSR*** eQS-CI
µ σ µ σ µ σ µ σ
2006 57,9 33,2 66,9 24,8 62,8 28,4 Regionen mit verpflichtender eQS-CI werden als 100% durchdrungen angesehen.
2008 65,4 30,1 72,8 23,1 69,8 26,0
2010 67,6 26,8 79,7 20,4 70,6 24,0 75,7 24,9
2012 68,2 28,5 80,5 19,5 75,8 22,3 78,6 22,1
2013 70,8 27,5 80,7 20,4 77,3 23,0 80,0 21,8
2014 71,7 29,9 84,4 17,8 77,2 24,2 79,6 23,8
2015 66,4 28,3 86,0 16,7 80,0 23,8 81,9 22,2
2016 70,6 30,4 86,4 16,6 81,9 21,2 81,2 22,9
2017 72,0 30,6 82,3 20,5 84,7 19,1 82,8 21,9

*QB wurden bis 2012 alle zwei Jahre, danach jährlich berichtet.; ** Für die Jahre 2006 und 2008 lagen keine Daten bzgl. DSG-Zertifizierung vor.; ***Zuordnung des Merkmals ADSR erfolgte auf Basis der PLZ.; qfM Kategorie 1 : Gebildet aus PN, SU QB und SU DSG; Detaillierte Darstellung der Anteile kodierter CI-ICD unter PN, SU QB und SU DSG.; qfM Kategorie 2 : Gebildet aus ADSR und eQS-CI; Detaillierte Darstellung der Anteile kodierter CI-ICD unter ADSR und eQS-CI.

Abb. 1.

Abb. 1

Durchdringung der Kreise unter qfM 2006 vs. 2017

Abb. 2.

Abb. 2

Entwicklung der durchschnittlichen Durchdringung (QB: CI-ICD ; AOK: Patient:innen) der Landkreise im Bundesgebiet mit qfM im Beobachtungszeitraum.

Tab. 2 Anteil pro Kreis unter qfM behandelter AOK Patient:innen mit akutem Schlaganfall - Wohnort im Vergleich zum Behandlungsort 2007 vs. 2017

2007 2017
Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent
AOK Versicherte* 36 646 100 31 426 100
Kreis Wohnort ohne qfM 9109 24,9 1699 5,4
Kreis Wohnort mit qfM 27 537 75,1 29 727 94,6
Behandelnde Krankenhäuser**  1180 100 941 100
Behandelndes Krankenhaus ohne qfM 527 44,7 266 28,3
Behandelndes Krankenhaus mit qfM 653 55,3 675 71,7
AOK Versicherte*** 36 645 100 31 424 100
Versicherte mit Wohnort in Kreis mit qfM und behandelndes Krankenhaus mit qfM 30 350 82,8 31 021 98,7
Kreis Wohnort≠Kreis Behandlungsort 10 066 27,5 9896 31,5
Kreis Wohnort=Kreis Behandlungsort 26 579 72,5 21 528 68,5

*Patient:innen mit fehlender geografischer Information wurden ausgeschlossen (2007: n=49; 2017: n=24).; ** Krankenhäuser mit fehlender geografischer Information wurden ausgeschlossen (2007: n=1 ; 2017: n=2 ).; ***Fallzählweise: Patient:innen oder Krankenhäuser mit fehlender geografischer Information wurden ausgeschlossen (2007: n=50; 2017: n=26).

Im Jahresvergleich der unter qfM behandelnden Krankenhäuser hat die Maßnahme ADSR den höchsten prozentualen Anstieg mit 20%, gefolgt von SU QB mit 15,4%. SU DSG und PN sind um 14,1% gestiegen ( Tab. 1 ).

Die Regionen Deutschlands unterscheiden sich deutlich im Jahresvergleich hinsichtlich der Durchdringung mit der qfM Kategorie 1 ( Abb. 1 ). Insgesamt sind nur wenige stärker durchdrungene Gebiete (50-100%) in Süd-Bayern, Hessen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern vorhanden. Ost-Deutschland, große Teile Süd-Deutschlands, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen sind kaum durchdrungen. Beispielsweise ist Berlin eine Region mit einer sehr hohen Bevölkerungsdichte und hat im Jahr 2006 vergleichsweise zu Süd-Ost-Bayern, mit geringer Bevölkerungsdichte, eine geringere Durchdringung mit KH der qfM Kategorie 1. Das Ruhrgebiet, das vergleichsweise eine geringere Bevölkerungsdichte als Berlin aber eine höhere als Süd-Ost-Bayern hat, war in 2006 stärker mit diesen qfM durchdrungen.

Die Versorgungssituation mit qfM Kategorie 1 in 2017 zeigt klare Änderungen: Flächen der im Jahr 2006 kaum durchdrungenen Kreise in Süd-Deutschland, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Ost-Deutschland sind im Jahr 2017 wesentlich durchdrungener ( Abb. 1 ).

Diese Teile Deutschlands sind vor allem auch mit anderen qfM abgedeckt ( Abb. 1 ): KH in Regionen mit gesetzlich verpflichtender eQS-CI oder KH mit freiwilliger Führung eines Schlaganfallregisters (ADSR) sind zu Beginn des Beobachtungszeitraums in vielen Regionen Deutschlands vertreten. Diese Art von qfM (qfM Kategorie 2) erfordert, auch wie zertifizierte SU, vielfältige Dokumentationen und das Erfüllen festgelegter Qualitätsanforderungen. Darüber hinaus erfolgt ein Austausch mit Gremien der eQS und u.U. ein strukturierter Dialog mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung 17 . Im Bundesgebiet sind keine Kreise vorhanden, in denen ADSR und eQS-CI zugleich vertreten sind.

Die qfM Kategorie 2 entwickelte sich insofern weiter, dass Bayern 2013 eQS-CI einführte und ADSR mehr Mitglieder gewann ( Abb. 1 ).

Insgesamt zeigten die QB-Analysen für den Beobachtungszeitraum einen durchschnittlichen Anteil kodierter CI-ICD in KH mit qfM ( Kategorie 1 und 2 ) von 90% und einen Anstieg von 2006 im Vgl. zu 2017 um 15% ( Abb.2 ).

Die Ergebnisse der AOK-Routinedaten zeigen im Jahresvergleich ähnliche Entwicklungen hinsichtlich unter mindestens einer qfM behandelter Patient:innen im Beobachtungszeitraum ( Abb. 2 ). Aus den Analysen ( Tab. 2 ) geht hervor, dass am Ende des Beobachtungszeitraums 20% weniger Patient:innen in einem Kreis ohne qfM wohnten. Die Behandlung erfolgte in 2007 und 2017 bei 30% der Patient:innen in anderen Kreisen als dem Wohnort. In 2007 waren in 55% der behandelnden KH qfM vorhanden, in 2017 72%.

Insgesamt ist die Anzahl kodierter Schlaganfälle und behandelter Patient:innen unter qfM gestiegen ( Abb. 2 ). Auch die Korrelationsanalysen zeigten einen signifikanten Trend hin zur Behandlung in KH mit qfM im Jahresverlauf ( Tab. 3 ).

Tab. 3 Trendanalyse der Durchdringung (QB: CI-ICD ; AOK: Patient:innen) mit qfM für den Beobachtungszeitraum – QB-Daten im Vgl. zu AOK-Daten

Zeit (Jahre) qfM Kategorie 1 qfM Kategorie 2 qfM Kategorie 1 u. 2
QB (2006-2017)
Korrelationskoeffizient 1 0,944**  0,833**  1,000** 
Sig. (2-seitig) . 0 0,002 .
N (Jahre) 9 9 9 9
AOK (2007-2017)
Korrelationskoeffizient 1 0,964**  0,891* 0,917** 
Sig. (2-seitig) . 0,000 0,000 0,000
N (Jahre) 11 11 11 11

**  Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).; * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (zweiseitig).; qfM Kategorie 1 : Anteil kodierter CI-ICD unter mindestens einer der qfM PN, SU QB oder SU DSG.; qfM Kategorie 2 : Anteil kodierter CI-ICD unter mindestens einer der qfM ADSR oder eQS-CI.; qfM Kategorie 1 und 2 : Anteil kodierter CI-ICD unter mindestens einer der qfM aus Kategorie 1 oder 2.

Diskussion und Limitationen

Die Regionen Deutschlands sind in unterschiedlichem Ausmaß mit qfM im Bereich der Versorgung von Schlaganfallpatient:innen durchdrungen. Der Durchdringungsgrad hat sich im Verlauf der Jahre 2006 bis 2017 insgesamt positiv entwickelt, wobei in immer mehr Regionen qfM durchgeführen und immer mehr Schlaganfallpatient:innen in KH mit qfM behandelt werden. Die signifikanten Trends im Beobachtungsverlauf zeigen sich bei der Anzahl kodierter Schlaganfälle in Kreisen mit qfM-Durchdringung auf der Basis der analysierten QB-Daten und auch bei den unter qfM-Bedingungen behandelten Schlaganfallpatient:innen (AOK-Routinedaten).

Die bundesweiten Analysen bestätigen die auf einzelne Regionen begrenzten Analysen von Kitzrow et al. 11 , die u. a. die Fallzahlen für SU-Behandlungen und die Steigerungsrate von systemischen Thrombolysen für vier Regionen ausgewertet haben.

Pross et al. 19 zeigten in ihrer Studie zwar, dass sich die Anzahl der an der Behandlung von Schlaganfallpatient:innen beteiligten KH im Laufe der Zeit reduzierte, jedoch stieg der Anteil an Patient:innen in SU. Eyding et al. 17 zeigten von 2013 auf 2018 ebenfalls den Anstieg der Quote akuter Schlaganfälle und Versorgung in spezialisierten KH im eQS-CI-Gebiet Hessen.

In Anbetracht der unterschiedlichen Definition von Behandlungen in SU sind für einen positiven Zusammenhang in allen Studien ähnliche Tendenzen erkennbar. Zu beachten ist, dass in den QB zwar eine SU als Versorgungsschwerpunkt im Bereich der Neurologie angegeben werden kann, jedoch im Vergleich zu einer DSG-zertifizierten SU keine Qualitätskriterien (Struktur-, Prozess oder Fallzahlvorgaben) für die „offizielle“ Kennzeichnung als SU einzuhalten sind 16 .

Im Vergleich zur Studie von Hillmann et al. 12 , die für 2012 zeigten, dass 82% der Patient:innen direkt in einer SU aufgenommen wurden, weisen unsere Analysen darauf hin, dass im selben Jahr 76% (SU DSG) bzw. 81% (SU QB) der CI-ICD in KH mit SU kodiert wurden. Jedoch ist nicht davon auszugehen, dass tatsächlich alle Schlaganfälle auch direkt in einer SU aufgenommen wurden.

Im Unterschied zur Studie von Eyding et al. 17 , die einen Anteil behandelter Patient:innen außerhalb des Wohnorts von 7,6% für das Jahr 2018 berichteten, zeigen unsere Analysen einen starken positiven Trend hin zur Behandlung von Schlaganfällen in spezialisierten KH mit einem Anteil von 31,5% außerhalb des Wohnorts behandelter Patient:innen in 2017. Ein möglicher Grund für die Differenz kann die breitere Auswahl an CI-ICD und die Betrachtung des ganzen Bundesgebiets in unserer Studie sein.

Die Ergebnisse zeigten zwar eine Mehrung der qfM im gesamten Bundesgebiet, jedoch ist noch unklar, ob die Durchdringung mit qfM an allen behandelnden Standorten oder eine stärkere Zentralisierung bessere Patientenoutcomes bewirken. Dies wird im weiteren Verlauf des „QUASCH“-Projekts analysiert.

Als Limitation für die Interpretation unserer Analysen ist zu beachten, dass die Durchdringung mit qfM mit den vorhandenen Daten nicht vollständig erfassbar ist. Daher sind geringfügige Abweichungen hinsichtlich des Anteils der Durchdringung mit qfM möglich, wobei insgesamt konservativ vorgegangen wurde. Wie in der Studie von Misselwitz et al. 9 gehen wir davon aus, dass wahrscheinlich mehr CI-ICD in KH mit qfM kodiert wurden, da durch die Verwendung anonymisierter bzw. pseudonymisierter Daten die Verknüpfung mit verschiedenen Datenquellen erschwert oder unmöglich sein kann 18 . Den ADSR-Daten fehlte aus Datenschutzgründen das IK. Zur Lösung der Problematik wurde das Merkmal ADSR anhand der PLZ mit den QB-Daten verknüpft. Dabei konnten zwar nicht alle Gebiete erfasst werden, was wahrscheinlich auf die heterogene Adressdokumentation der Datenquellen zurückzuführen ist (z. B. Adresse des KH-Standorts entspricht nicht der Adresse der Verwaltung). Auch bei eQS-CI gilt zu beachten, dass zwar bekannt ist, in welchen Bundesländern verpflichtende Regelungen verfügbar sind, jedoch nicht alle Schlaganfall-behandelnden KH auch offiziell eQS-CI registriert sind. Dies betrifft lediglich einen geringen Anteil der KH. Zur besseren Differenzierung haben wir in Abb. 1 entsprechend qfM Kategorie 2 (Verknüpfung durch geografische Angaben) separat von qfM Kategorie 1 (Verknüpfung durch KH-Adressdaten und IK) abgebildet und alle Gebiete eingefärbt, die durch die geografischen Daten der ADSR und eQS-CI gegeben waren.

Auch die Daten der DSG-SU weisen Hindernisse auf – nicht jedes KH war beispielsweise durchgehend zertifiziert. Dies bedeutet nicht zwangsläufig eine fehlende spezialisierte Behandlung in den betreffenden Jahren. So waren Schließungen, Neueröffnungen oder Fusionen häufiger Grund für die Lücken, auch finanzielle Aspekte der Zertifizierung könnten Einfluss haben. Aus diesem Grund haben wir nach der Erstzertifizierung fortlaufend eine spezialisierte Versorgungsform der betreffenden Krankenhäuser angenommen.

Insgesamt gelang uns auf diese Weise der Vergleich bzw. die Verfolgung der Entwicklung unterschiedlicher Maßnahmen für das gesamte Bundesgebiet. Ein direkter kompetitiver Vergleich der verschiedenen qfM war nicht Ziel der vorliegenden Arbeit, sondern wird im weiteren Verlauf des QUASCH-Projekts angestrebt, indem die hier präsentierten Ergebnisse zur Durchdringung mit qfM im Bundesgebiet genutzt werden, um den Einfluss von qfM bei der Versorgung von Schlaganfallpatient:innen auf deren Versorgungsergebnisse zu untersuchen.

Schlussfolgerung

Bundesweit ist die gesundheitliche Versorgung von Schlaganfallpatient:innen durch eine zunehmende Förderung qualitätsverbessernder Maßnahmen gekennzeichnet, die auf eine flächendeckende und möglichst qualitativ hochwertige Versorgung von Schlaganfallpatient:innen zielen. Die noch existierenden regionalen Versorgungslücken bei der spezialisierten Schlaganfallversorgung sollten durch qualitätsgeprüfte und bewährte Maßnahmen geschlossen werden, damit in Zukunft alle Patient:innen qualitativ hochwertig behandelt werden können.

Die Zusammenführung verschiedener Datenquellen zur Analyse der Gesundheitsversorgung wird aus teilweise wenig nachvollziehbaren Datenschutzgründen oder implausibler oder unvollständiger Verknüpfungsvariablen erschwert.

Footnotes

Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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