Am Internationalen Gregor-Mendel-Tag, dem 8. März 2024, feierte das Institut für Humangenetik der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI) unter dem Titel „Was kann die Genetik in der Medizin?“ seine 60jährige Geschichte und zeigte spannende Perspektiven für die Zukunft der Genomischen Medizin auf.
Am 8. März 1865 stellte Gregor Mendel in Brünn die zweite Hälfte seiner „Versuche über Pflanzenhybriden“ vor, und seit 2016 wird auf Anregung des Mendelianums in Brno (Brünn, Tschechien) der 8. März als Internationaler Gregor-Mendel-Tag begangen. Der Festakt am Nachmittag im Audimax der MUI umfasste Vorträge zur Entwicklung des Instituts sowie zu aktuellen Forschungsthemen der Humangenetik. Unter dem Titel „Forum Humangenetik Innsbruck“ stellten sich die Bereiche und Schwerpunkte des Instituts im Foyer des Audimax vor. Abends wurde das Jubiläum mit einem Festessen unter dem Mendelschen Leitmotiv „Erbsen“ und anschließendem Tanz in der Innsbrucker Villa Blanca gefeiert.
Mit 31. März 1963 wurde Prof. Dr. Hans Schröcksnadel auf die neu eingerichtete „Lehrkanzel für Medizinische Biologie“ der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck berufen. Einer seiner Söhne, der Innsbrucker Gynäkologe Prof. Dr. Hans Schröcksnadel, berichtete, dass bereits in der ersten Medizinischen Fakultät in Innsbruck ab 1674 Botanik als Teil der Ausbildung in der Chirurgie gelehrt wurde. Nach wechselvollen Jahren zwischen 1782 und 1869, in denen medizinische Fächer z.T. lediglich in einem Lyzeum gelehrt wurden, wurde 1869 die medizinische Fakultät mit erweitertem Biologieunterricht erneut eingerichtet. Separat von der Medizinischen Biologie bestand 1939-45 in Innsbruck ein Institut für Erb- und Rassenbiologie unter der Leitung von Friedrich Stumpfl, welches zur Pathologie gehörte und nach dem Krieg als „Institut für Anthropologie und Erbbiologie“ noch bis 1947 weitergeführt wurde. Für die Biologie wurden nach 1945 die Vorlesungen ausgesetzt, ab 1950 in der Anatomie und Physiologie weitergeführt. Prof. Schröcksnadel leitete ab 1963 die neu etablierte Medizinische Biologie mit den Schwerpunkten Sportbiologie, Strahlenbiologie, Serumlipide und Lipide sowie einem medizinisch-biologischen Labor. 1972 wurden ein Chromosomenlabor für die zytogenetische Diagnostik sowie genetische Beratungsmöglichkeiten eingerichtet, und es erfolgte die Umbenennung zum Institut für Medizinische Biologie und Genetik. Am 16. Oktober 1981 wurde die „Humangenetische Untersuchungs- und Beratungsstelle“ am Institut durch den damaligen Gesundheitsminister Dr. Kurt Steyrer eröffnet. Prof. Schröcksnadel wurde 1983 emeritiert und verstarb 1985 im Alter von 72 Jahren.
O. Univ.-Prof. Dr. med. Gerd Utermann, der das Institut am 1. September 1984 übernahm, berichtete bei der Jubiläumsveranstaltung über die eindrucksvolle weitere Entwicklung. Kontinuierlich wurde das Personal aufgestockt und neben der wissenschaftlichen Tätigkeit auch die humangenetische Diagnostik und Beratung weiter ausgebaut. Im Organigramm von 1987 finden sich neben der Klinischen Genetik auch zwei Bereiche für Biochemische Genetik (einer geleitet von ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Schweiger) sowie ein Bereich Sexualmedizin (ao. Univ.-Prof. Dr. Kurt Loewit). Ein wesentlicher Schwerpunkt des Instituts war die Klärung von Struktur, Funktion, Genetik und Stoffwechsel des Lipoprotein(a) bzw. Lp(a), Hierzu wurde, wie Prof. Utermann berichtete, ein breites Methodenspektrum etabliert und u.a. erstmals die später so genannte Mendelian Randomization angewandt. 1990 erfolgte die Umbenennung in Institut für Medizinische Biologie und Humangenetik. Im weiteren Verlauf entstanden u.a. Arbeitsgruppen für Stoffwechselstörungen und Atherosklerose sowie für Molekulare Zellbiologie/Signaltransduktion, aus denen später die MUI-Sektionen/Institute für Genetische Epidemiologie unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Florian Kronenberg sowie Zellgenetik unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Gottfried Baier hervorgingen. 2004 wurden an der aus der medizinischen Fakultät hervorgegangenen MUI das Institut für Medizinische Biologie und Humangenetik und das Institut für Biochemische Pharmakologie zu einem Department fusioniert und in Sektionen gegliedert. Prof. Utermann emeritierte Ende September 2008. Prof. Dr. med. Johannes Zschocke, Ph.D. führte mit der Übernahme der Institutsleitung zum 1. Oktober 2008 die Humangenetik und Klinische Genetik in der Sektion Humangenetik zusammen; darin verortet ist unter der Bezeichnung Zentrum Medizinische Genetik Innsbruck auch die medizinisch-genetische Patient*innenversorgung mit Ambulanz und Labordiagnostik ebenfalls unter der Leitung von Prof. Zschocke. 2019 wurden die Sektionen wieder zu Instituten umbenannt, und das Institut für Humangenetik besteht seither unter diesem Namen.
Neben den beiden institutshistorischen Berichten gab es Vorträge zu verschiedenen aktuellen Themen der Humangenetik. Frau Prof. Dr. med. Evelin Schröck, Direktorin des Instituts für Klinische Genetik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden und aktuelle Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH), spannte unter dem Thema „Humangenetik – von Seltenen Erkrankungen zur Personalisierten Medizin“ einen Bogen von den Beiträgen der vielen Frauen in der Genetik – der 8. März ist auch Weltfrauentag – zur Bedeutung der Genetik für Präzisionstherapien speziell auch in der Onkologie. Dabei betonte sie die Wichtigkeit des Nachweises konstitutioneller genetischer Varianten bei verschiedenen Tumorerkrankungen und stellte verschiedene interdisziplinäre Netzwerke und Konsortien vor. Nach ihrem Vortrag wurde das Institut für Humangenetik im Video – aktuell noch abrufbar auf der Homepage www.humgen.at – vorgestellt. Im zweiten Vortragsblock berichtete Prof. Kronenberg über aktuelle Forschungen zum Lipoprotein (a), einem zentralen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welches aufbauend auf den Arbeiten von Prof. Utermann intensiv am Institut für Genetische Epidemiologie erforscht wird. Er besprach die aktuellen therapeutischen Möglichkeiten und betonte, dass jeder Mensch einmal in seinem Leben den Lp(a)-Wert bestimmen lassen sollte. Prof. Dr. med. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn und Vizepräsident der GfH, berichtete unter dem Thema „Was lernen wir aus Genomen?“ über verschiedene Forschungsergebnisse aus dem Bonner Institut mit dem Fokus auf multifaktorielle bzw. polygene Störungen. Neben Ergebnissen aus der Infektionsgenetik am Beispiel von COVID und der Aufklärung der Genetik des männlichen Haarverlusts illustrierte er die Möglichkeiten der modernen Humangenetik am Beispiel der Analyse des Genoms von Ludwig van Beethoven, durch die seine Leberzirrhose und damit die Ursache von Beethovens Tod aus einem Zusammenspiel genetischer und nicht-genetischer Faktoren erklärt werden kann. Univ.-Prof. Dr. med. Johannes Zschocke, Ph.D. stellte zum Abschluss der Veranstaltung genetische Zukunftstechnologien vor, sprach über das österreichische Genomprojekt sowie die unterschiedlichen Berufsbilder in der Humangenetik, und fasste die Herausforderungen des Faches in Österreich zusammen. Zu letzteren zählte er die Anerkennung der Medizinischen Genetik als klinisches Fach im „nicht-klinischen Bereich“, die Integration von medizinisch-genetischen Leistungen in das Universitätsklinikum sowie allgemeiner das Entwickeln von neuen Konzepten für eine an Zentren angesiedelte spezialisierte ambulante Versorgungsstruktur im Öffentlichen Gesundheitswesen.
Ein Hauptelement der Veranstaltung war das „Forum Humangenetik“, quasi eine auf 90 Minuten verlängerte Pause, in der sich alle Bereiche und Schwerpunkte des Instituts mit Ständen und Postern im Foyer des Audimax vorstellten und für Fragen bzw. Gespräche zur Verfügung standen. Das Spektrum der Themen reichte von verschiedenen Aspekten der klinischen Genetik und der genetischen Sprechstunde mit dem neuen Berufsbild „Genetischer Fachassistent“ (Genetic Counsellor) über die vielfältigen labordiagnostischen Verfahren bis hin zur Biochemischen Genetik und der Grundlagenforschung mit Drosophila zum Selberuntersuchen im Mikroskop. Passend zum Internationalen Gregor-Mendel-Tag konnte man beim Schätzspiel „Erbsenzählen“ (in einem Erlenmeyerkolben mit 7324 Erbsen, entsprechend der Anzahl der Samen in Mendels 1. Versuch) entweder durch seine Rechenkünste oder sein Glück ein Humangenetik-Lehrbuch bzw. eine Saatmischung zur Anzucht von Erbsen gewinnen. Gedankt sei an dieser Stelle dem Rektor der MUI, Herrn Univ.-Prof. Dr. W. Wolfgang Fleischhacker, für sein Grußwort, den vielen Teilnehmer*innen aus Medizin, Politik, Krankenversicherung u.a. aus ganz Österreich und den Nachbarstaaten, sowie den Sponsoren der Industrieausstellung am Nachmittag.
Die Bildrechte gehören den Autor*innen bzw. dem Institut für Humangenetik
Contributor Information
Beatrix Mühlegger, MSc. PhD., Email: beatrix.muehlegger@i-med.ac.at.
Univ.-Prof. Dr. med. Johannes Zschocke, Ph.D., Email: johannes.zschocke@i-med.ac.at.