Zusammenfassung
Partizipatives Design (PD) ermöglicht den Einbezug von Nutzer:innen in den Entwicklungsprozess digitaler Technologien im Gesundheitswesen. Der Einsatz von PD birgt jedoch Hürden, da theoretische und methodische Entscheidungen zu treffen sind. Oftmals werden diese in Forschungsarbeiten in der Versorgungsforschung nicht hinreichend dargestellt oder begründet. Dies kann zu einer eingeschränkten Bewertbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse führen. Der vorliegende Beitrag thematisiert drei Schwerpunkte: Erstens wird ein Überblick über die wesentlichen theoretischen und methodischen Entscheidungen gegeben, die im Rahmen des PD aus Perspektive der Versorgungsforschung getroffen werden müssen. Zweitens werden die damit einhergehenden Herausforderungen aufgezeigt und drittens Erfordernisse für die zukünftige Anwendung und (Weiter-)Entwicklung des PD in der Versorgungsforschung beschrieben.
Schlüsselwörter: Partizipatives Design, Co-Design, Versorgungsforschung, Patient:innen Partizipation, Telemedizin, Digital Health
Abstract
The use of participatory design (PD) provides a framework for involving users in the process of developing healthcare technologies. Within PD, theoretical and methodological decisions need to be made. However, these decisions are often not adequately described or justified. This can lead to limited interpretability of the results. This paper has three objectives: First, to provide an overview of the key theoretical and methodological decisions that must be made in PD from the perspective of health services research; second, to describe the associated challenges and third, to describe action requirements for the future development of PD in health services research.
Key words: Participatory Design, Co-Design, Health Service Research, Patient Participation, Telemedicine, Digital Health
Hintergrund
Ein frühzeitiger Einbezug von Nutzer:innen in die Entwicklung gesundheitsbezogener Technologien ist erforderlich, um deren Bedarfe, Bedürfnisse und Problemlagen zu berücksichtigen und sozio-technische Innovationen so zu gestalten, dass sie von ihnen angewendet werden 1 2 . Hierbei nimmt der Ansatz des partizipativen Designs (PD) als Ordnungsrahmen eine besondere Rolle ein 3 4 . Im PD gestalten Nutzer:innen aktiv die Inhalte der Technologien mit und treffen wesentliche Entscheidungen 5 . Die Zunahme gesundheitsbezogener Technologien in der Versorgungsrealität zeigt die Notwendigkeit einer theoretischen und methodischen Auseinandersetzung mit dem PD aus Perspektive der Versorgungsforschung auf 6 . Besonders relevant ist in diesem Kontext die Berücksichtigung der Nutzer:innenperspektive und die Notwendigkeit des PD 6 .
PD wird in einem breiten Feld angewendet: Es bestehen diverse Übersichtsarbeiten zu PD, in denen (1) unabhängig vom technischen Anwendungsfall und dem Anwendungskontext das Thema PD generisch beleuchtet wird 4 7 , (2) spezifische Nutzer:innengruppen (z. B. ältere Personen) 2 oder (3) spezifische Anwendungsfälle, wie etwa (z. B. Telemedizin) im Fokus stehen 8 .
Im Rahmen des PD sind zahlreiche (methodische) Entscheidungen zu treffen, die in Forschungsarbeiten oftmals nicht hinreichend begründet werden, was zu einer eingeschränkten Bewertbarkeit des methodischen Vorgehens und der Ergebnisse führen kann 7 . Obwohl das Interesse an PD in den letzten Jahren zugenommen hat – auch aufgrund der Aufnahme in Ausschreibungen zur Forschungsförderung – besteht diesbezüglich weiterhin ein unzureichende Auseinandersetzung aus methodischer und theoretischer Perspektive.
Dieser Beitrag verfolgt aus Perspektive der Versorgungsforschung drei Schwerpunkte: Erstens wird ein Überblick über die wesentlichen theoretischen und methodischen Entscheidungen gegeben, die im Rahmen des PD gesundheitsbezogener Technologien getroffen werden müssen. Zweitens werden die damit einhergehenden Herausforderungen aufgezeigt sowie drittens Erfordernisse für die zukünftige Anwendung und (Weiter-) Entwicklung des PD beschrieben. Die Gliederung erfolgt anhand der folgenden Fragen 2 :
Wie wird PD definiert?
Wer sind die einbezogenen Nutzer:innen im Bereich des PD in der Versorgungsforschung?
Wie hoch ist der Grad der Partizipation?
Wann werden die Nutzer:innen einbezogen?
Wie werden die Nutzer:innen einbezogen?
Wie wird Partizipatives Design definiert?
Das PD entstand bereits vor 25 Jahren, als Arbeitsplätze zunehmend von Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen wurden („Scandinavian Approach“) 9 . Heutzutage sind das Verständnis und die Definitionen des PD überaus heterogen 9 .
Während eine einheitliche Definition des PD weiterhin nicht besteht, legt dieser Beitrag die Definition aus dem International Handbook of Participatory Design von Robertson und Simonsen (S. 2) zugrunde. Hier wird PD als „()…a process of investigating, understanding, reflecting upon, establishing, developing, and supporting mutual learning between multiple participants in collective ‘reflection-in-action. The participants typically undertake the two principle roles of users and designers where the designers strive to learn the realities of the users’ situation while the users strive to articulate their desired aims and learn appropriate technological means to obtain them ” verstanden 10 . Die Definition hebt prägnant wesentliche Merkmale des PD hervor: Erstens stellt PD einen Prozess dar. Zweitens erfolgt PD als gegenseitiger Lernprozess zwischen Forscher:innen, Entwickler:innen und Nutzer:innen und drittens wird Nutzer:innen ohne Kenntnis von Fachsprache oder Techniken von Forscher:innen oder Entwickler:innen eine gewichtige Stimme bei der Entwicklung neuer Technologien gegeben. 10 . Ergänzend bzw. verstärkend zu dieser Definition finden sich in der Literatur oftmals die folgenden zentralen Merkmale 7 11 :
Demokratisierung von Entscheidungsprozessen: PD basiert auf demokratischen Entscheidungsprozessen, in denen die von einem Problem betroffenen Individuen (Nutzer:innen) Designentscheidungen mitbestimmen.
Gegenseitige Lernprozesse: Entwickler:innen und Forscher:innen lernen die Bedürfnisse und Problemlagen der Nutzer:innen kennen, während Nutzer:innen Inhalte der technischen Entwicklung sowie deren Möglichkeiten und Grenzen erfahren.
Beobachtung latenter (impliziter) Wissensstrukturen : Es werden Bedürfnisse und Problemlagen entdeckt, die sich ohne ein partner:innenschaftliches Vorgehen wahrscheinlich nicht beobachten ließen.
Wechselseitige Kreativität: Durch gemeinschaftliches Arbeiten aller Beteiligten können Potentiale der Kreativität entfaltet und gesteigert werden.
Neben dem PD 3 4 werden verwandte Entwicklungsansätze genutzt, wie etwa das User-Centered Design (UCD) oder das Co(operative)-Design (CD) 5 . Diese unterschieden sich jedoch von dem Ansatz des PD, da sie in der Regel nicht mit einer konkreten Partizipation einhergehen, sondern die Nutzer:innen hierbei oftmals nur als Studien- und Informationsobjekt dienen. Auch ist der Ansatz der partizipativen Forschung von dem PD abzugrenzen, da hierbei Bürger:innen in einen Forschungsprozess einbezogen werden 12 . Im Gegensatz zur partizipativen Technologieentwicklung, in der Studienteilnehmer:innen in den Prozess der Entwicklung einer Technologie einbezogen werden, findet im Prozess der partizipativen Forschung der Einbezug von Studienteilnehmer:innen in den übergeordneten Forschungsprozess statt 13 .
Eine präzise Definition, was in einem Forschungs- und Entwicklungskontext unter PD zu verstehen ist, wird oftmals nicht vorgenommen 7 . Zudem findet eine Beschreibung der benannten Prinzipien des PD nicht 14 oder nur unzureichend statt 15 . So wird, ohne eine konkrete Definition des PD vorzunehmen, in Studien häufig ausgewiesen, dass PD bei der Technikentwicklung eingesetzt wurde. Die Bandbreite reicht hierbei von abstrakten Beschreibungen wie „Einbezug von Nutzer:innen“ bis zu expliziten Definitionen mit der Beschreibung von Entwicklungsphasen unter einer begründeten Anwendung der Methoden 9 . Aus Perspektive der Versorgungsforschung ist es folglich notwendig, PD in Forschungs- und Entwicklungsprojekten präzise zu definieren. Damit einhergehend ist zu reflektieren, welche konzeptionellen und methodischen Konsequenzen aus den Prinzipien des PD abzuleiten sind. Dies ist insbesondere in multiprofessionellen Entwicklungsprojekten von Bedeutung, um ein einheitliches Verständnis des PD zu erreichen und darauf aufzubauen.
Wer sind die Nutzer:innen?
Eine der wesentlichen Fragen des PD gesundheitsbezogener Technologien ist, wer die Nutzer:innen der zu entwickelnden Technologie sind 2 . Dies beinhaltet zudem die Frage, wie sich sicherstellen lässt, dass die in das PD einbezogenen Nutzer:innen einen Querschnitt der zukünftigen Nutzer:innen darstellen, die eine neue Technologie unter Alltagsbedingungen anwenden sollen. Die Fragestellung ist dahingehend relevant, da sichergestellt werden muss, dass sich die Ergebnisse mit einem gewissen Maß an Generalisierbarkeit auf die späteren Nutzer:innen übertragen lassen. Da das Design und die Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Regel mit einer geringen Anzahl an Nutzer:innen durch formative Evaluationsstudien erfolgt, ergibt sich die Herausforderung, die Ergebnisse auf die Gesamtpopulation der zukünftigen Nutzer:innen zu übertragen 16 . Dies gilt insbesondere für heterogenen Populationen 1 , bei denen sich folglich nicht die gesamte Spannbreite von Bedürfnissen und Eigenschaften der Nutzer:innen abbilden lässt. Weiter ist bekannt, dass Personen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden, seltener an Forschungs- und Entwicklungsarbeiten teilnehmen. Deswegen muss versucht werden, marginalisierten Gruppen die Beteiligung an einem Prozess des PD zu erleichtern 2 , um eine nicht intendierte Verstärkung von sozialer Ungleichheit zu verhindern (Digital Divide). Unter dem Begriff Digital Divide ist eine soziale Kluft zu verstehen, durch die u. a. Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status in geringerem Maße an der Anwendung digitaler Technologien teilhaben als Personen mit einem hohen sozioökonomischen Status 17
Der Einbezug geeigneter Nutzer:innengruppen stellt eine Herausforderung dar, die frühzeitig bei der Planung adressiert werden muss. Dies gilt für verschiedene (Technologie-)Fähigkeiten 18 , Diversität der Geschlechter, des Gesundheitszustands 19 und Altersgruppen 2 .
Entscheidende Gruppen für den Einbezug sind je nach Technologie und deren Ausrichtung Patient:innen, Pflegebedürftige und ggf. deren An- und Zugehörige, als auch Professionelle im Gesundheitswesen (Pflegende, Mediziner:innen, Therapieberufe, Medizinische Fachangestellte, psycho-soziale Berufsgruppen) als Nutzer:innen der Technologie. Hieraus ergeben sich besondere Anforderungen im Rahmen partizipativer Technikentwicklung, da die Nutzer:innengruppen entweder vulnerabel oder schwer erreichbar (z. B. aufgrund von Arbeitsbelastung) sind. Bestimmte Interessengruppen sind ggf. über Selbsthilfegruppen organisiert, andere hingegen – insbesondere bei akuten Erkrankungen – lediglich im Rahmen der unmittelbaren Versorgung erreichbar, in dieser Situation jedoch vielfach überfordert oder nicht interessiert, sich aktiv in ein Forschungs- oder Entwicklungsvorhaben einzubringen.
Darüber hinaus ist es entscheidend, weitere Stakeholder (Politiker:innen, administrative Berufsgruppen) entsprechend ihres Einflusses einzubeziehen. Hierfür kann die Nutzung von Stakeholder-Maps hilfreich sein, um Nutzer:innen sowie Sektoren für die Technologie(-entwicklung) zu identifizieren und übersichtlich darzustellen 20 . Unterschieden werden kann hier nach individuellen, industriellen und gesellschaftlichen Akteur:innen. Die Stärke des Einflusses kann in das Mikro- (individuelle Ebene), Meso- (institutionelle Ebene) und Makrolevel (sozio-politische Ebene) unterteilt werden, auf denen die Personen Einfluss nehmen können (vgl. Abb. 1 ). Besonders von diesem Phänomen betroffen sind u. a. Personen mit Migrationsgeschichte, mit chronischen Krankheiten und ältere Personen 21
Abb. 1.
Abbildung zur Einordnung der Stakeholder angelehnt an Ebrahimi et al. 22].
Dies ermöglicht den Einbezug der relevanten Personen im Verlauf der Entwicklung im sinnvollen und notwendigen Ausmaß 23 .
Systematische Übersichtsarbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass in Forschungsarbeiten zur Entwicklung gesundheitsbezogener Technologien unter Einsatz von PD bislang demographische Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht und sozioökonomischer Status) sowie die Ein- und Ausschlusskriterien der Nutzer:innen oftmals nur unzureichend transparent berichtet werden 7 24 25 Hierbei sollte zudem das individuelle Maß der Kompetenzen zur Nutzung digitaler gesundheitsbezogener Technologien (z. B. eHealth-Literacy) der Nutzer:innen offengelegt werden.
Entscheidend für einen erfolgreichen Einbezug ist die oben benannte stetige Berücksichtigung des partizipativen Ansatzes, bei dem Forscher:innen und Nutzer:innen voneinander lernen und Nutzer:innen keine weiteren Kenntnisse als die bestehende Praxisexpertise benötigen.
Wie hoch ist der Grad der Partizipation?
Partizipation kann im PD mit unterschiedlicher Graduierung erfolgen. Es stellt sich wie bei der partizipativen Forschung die Frage, ab welchem Grad ein Vorhaben als partizipativ bezeichnet werden kann 12 13 . Der Grad der Partizipation umfasst den Handlungsspielraum, der den Teilnehmer:innen in Aktivitäten des PD ermöglicht wird 2 12 . Dieser wird in der Literatur allerdings unterschiedlich definiert.
Eine differenzierte Auseinandersetzung wird etwa im Bereich der partizipativen Forschung und der Gesundheitsförderung mit dem Stufenmodel der Partizipation nach Wright geführt ( Abb. 2 ) 13 . Die Stufen der Partizipation werden hierbei in vier Bereiche unterteilt: Nicht-Partizipation, Vorstufen der Partizipation, Partizipation und Selbstorganisation 13 . Die ersten beiden Stufen (Anweisung und Instrumentalisierung) gelten als Nicht-Partizipation. Je höher eine Stufe im Modell angesiedelt ist, umso höher ist der Grad der Partizipation und der Einfluss der beteiligten Personen, wobei mehr Beteiligung nicht per se als besser zu bewerten ist, da nicht alle Nutzer:innen an allen Phasen eines partizipativen Projekts gleich beteiligt sein wollen oder können 13 .
Abb. 2.
Stufen der Partizipation nach Wright 13 .
Dem gegenüberzustellen ist etwa ein Vorschlag von Merkel und Kurcharski, in welchem das „Engagement Level“ der Nutzer:innen in vier Stufen unterteilt wird 2 : (I) Keine Einbindung impliziert die Vorwegnahme der Bedürfnisse und Präferenzen, etwa auf Grund von Literaturquellen, (II) Niedrige Einbindung umfasst die Erfragung der Präferenzen der Nutzer:innen, etwa durch Interviews, (III) Mittlere Einbindung erfolgt während einzelner Entwicklungsphasen einer Technologie, etwa bei der Evaluierung eines Prototyps, bei dem sie in der Lage sind, den Prozess des Designs direkt und aktiv zu beeinflussen, (IV) Vollständige Beteiligung benennt einen Ansatz, bei dem die Nutzer:innen, Forscher:innen und Entwickler:innen als gleichberechtigte Partner:innen in allen Phasen des Designprozesses agieren und die Möglichkeit haben, den Prozess aktiv zu beeinflussen oder zu beenden.
Eine weitere Graduierung wird von Göttgens und Oertelt-Prigione als „levels of end user involvement“ bezeichnet, ohne jedoch den Begriff „Partizipation“ konkret zu benennen 25 . Sie differenzieren zwischen Nutzer:innen (Users), Informant:innen (Informants), Testenden (Testers) sowie Design-Partner:innen (Design Partners).
Betrachtet man Übersichtsarbeiten, die sich mit der Partizipation in der Technologienentwicklung auseinandersetzen, so fällt auf, dass die Diskussion über die Graduierung der Partizipation nahezu ausgelassen wird 4 7 18 26 . Aus Perspektive der Versorgungsforschung ist es relevant, dass eine intensivere Diskussion und theoretische und konzeptionelle Fundierung zu den verschiedenen Beteiligungsgraden innerhalb des PD stattfindet. Hiermit geht einher, dass bei der Anwendung des PD ein Bewusstseins- und Reflexionsprozess über die Frage stattfindet, wie hoch der Grad der Partizipation gestaltet werden soll 13 .
Wann werden die Nutzer:innen einbezogen?
Das „Wann“ des PD bezieht sich vordergründig auf den Zeitpunkt, zu welcher Entwicklungsphase einer Technologie zukünftige Nutzer:innen in die Entwicklung einbezogen werden. So können zukünftige Nutzer:innen etwa vor der eigentlichen Entwicklung einbezogen werden, um grundsätzliche Bedürfnisse zu erheben oder sie können in späteren Stadien der Entwicklung partizipieren, um die Technologie weiterzuentwickeln. Das „Wann“ kann sich jedoch ebenfalls auf die Häufigkeit und Kontinuität des Einbezugs beziehen.
In der Literatur finden sich unterschiedliche Ansätze und Kategorisierungen von Entwicklungsstufen. Bei Vandekerckhove et al. 7 etwa wird der Entwicklungsprozess in (1) Predesign Phase, (2) Early Design Phase und (3) Post First Prototype Phase eingeteilt. Merkel und Kucharski 2 hingegen orientieren sich an dem Entwicklungsmodell mit vier Entwicklungsstufen nach Shah 27 : (1) Ideen generieren und Konzeptentwicklung, (2) Entwicklung von Prototypen, Design und Re-Design, (3) Prototyp-Testung und Testung im Anwendungsfeld sowie (4) Anwendung der bestehenden Technologie am Markt und Feedback der Nutzer:innen.
Mehrheitlich werden Nutzer:innen in der Bedarfsanalyse, der Designentwicklung, bei der Testung von Prototypen sowie der Evaluation beteiligt 2 18 . Dies folgt dem Konsens aus inhaltlicher und normativer Perspektive, dass ein frühzeitiges Einbeziehen der Nutzer:innen für die Erhöhung der Qualität anzustreben ist 2 7 . Eine Gefahr ist, dass der Einbezug ausschließlich in frühen Phasen erfolgt und somit eine Scheinpartizipation stattfindet, um beispielsweise Fördervoraussetzungen zu erfüllen 2 . Scheinpartizipation kann jedoch in allen Phasen der Entwicklung stattfinden.
Zu kritisieren ist hierbei die oftmals projektbezogene Betrachtung (project-based temporality), in der der gesamte Lebenszyklus einer Technologie ausgelassen wird 28 . Es finden sich nur wenige Studien, die einen Einbezug von Nutzer:innen in allen Projektschritten berichten 4 .
Aus Perspektive der Versorgungsforschung ist es demzufolge notwendig, sowohl den Zeitpunkt des Einbezugs als auch die jeweilige Rolle der Nutzer:innen zu definieren. Dies gilt für die Planung, Durchführung und Dokumentation im Rahmen des PD. Die unterschiedlichen Ansätze und Kategorisierungen von Entwicklungsstufen führen zu einer eingeschränkten Vergleichbarkeit von Entwicklungsprozessen. Da PD gerade im Zeitverlauf seine wahre Wirkung entfaltet, bei dem die Nutzer:innen über einen längeren Zeitraum mit Forscher:innen und Entwickler:innen über verschiedene Entwicklungsphasen zusammenarbeiten, wäre es sinnvoll, sie in allen Stufen durchgängig zu beteiligen 18 . Tatsächlich erfolgt derzeit eine derart umfassende Beteiligung eher selten 2 . Sollte es in Forschungsprojekten vorkommen, dass ein Einbezug in allen Phasen nicht möglich ist (aufgrund von finanziellen Mitteln, hoher Belastung der Nutzer:innen o.ä.), so ist abzuwägen, zu welchem Projektzeitpunkt der Einbezug notwendig und/oder am inhaltlich gewinnbringendsten ist 2 .
Wie werden die Nutzer:innen einbezogen?
Die Methoden, die im Prozess des PD zum Einsatz kommen, sind überaus vielfältig und abhängig von dem Ziel, welches mit dem Einsatz der Methode erreicht werden soll. Hierbei sind sowohl die Entwicklungsphase der Technologie als auch die Merkmale der Nutzer:innen (z. B. Alter und sozioökonomischer Status) relevant 9 18 29 .
In einer Übersichtsarbeit wurde herausgearbeitet, dass in den 57 eingeschlossenen Studien 15 Fokusgruppen (26%), 13 Interviews (23%), elf Workshops (19%) und zwei allgemeine Umfragen (3%) im Rahmen des PD verwendet wurden 4 . Bei zehn dieser Studien (18%) wurde eine Mischung dieser Methoden eingesetzt und bei fünf Studien (9%) wurde keine explizite Methodik beschrieben. Ähnliche Ergebnisse werden in einer weiteren Übersichtsarbeit beschrieben 24 . In der Übersichtsarbeit von Vandekerckhove et al. war die am häufigsten verwendete Methode das Prototyping mit Mock-ups (sogenannten Klickprototypen) 7 . Insbesondere bei der Evaluation von Prototypen kommen Methoden zum Einsatz, mit denen Usability oder Akzeptanz neuer Technologien evaluiert wird 7 .
Interessanterweise findet in verschiedenen Übersichtsarbeiten kaum eine Auseinandersetzung mit der Thematik statt, wie explizit methodische Entscheidungen begründet werden 1 2 . Aus Perspektive der Versorgungsforschung ist eine differenzierte und transparent begründete Entscheidung zu den eingesetzten Methoden jedoch von hoher Relevanz 7 . Denn durch die Wahl der Methode wird entschieden, wie Entscheidungskompetenzen an die beteiligen Personen vergeben werden und ob die grundlegenden Merkmale des PD gegeben sind. In der Literatur werden unterschiedliche Typen von Argumenten als Grundlage für methodische Entscheidungen angeführt 7 : Argumente des ersten Typs legen als primäre Grundlage für die Methodenwahl dar, Ideen zur Verbesserung von Technologien oder Services durch die Methode weiterzuentwickeln. Argumente des zweiten Typs weisen als primäre Entscheidungsgrundlage auf, dass die gewählte Methode in jeweils anderen Forschungsprojekten bereits mit einem ähnlichen Ziel eingesetzt wurde. Argumente des dritten Typs legen ihre methodische Entscheidung präzise dar und argumentieren, warum eine bestimmte Methode in der jeweiligen Situation relevant ist 7 . In vielen Studien zum PD finden sich jedoch keine explizit formulierten Argumente für die Methodenwahl 7 .
Schlussbetrachtung
Über die hier diskutierten Fragen, die die theoretischen und methodischen Entscheidungen des PD beeinflussen, sind weitere Aspekte für die Versorgungsforschung relevant. Beispielsweise findet derzeit kein einheitliches Reporting in Forschungsarbeiten zum PD statt 25 . Obwohl Reporting Guidelines mittlerweile einen Standard beim Berichten von Studienergebnissen darstellen, liegen derzeit keine spezifischen Reporting Guidelines für PD vor 30 . Ebenso findet keine einheitliche Anwendung von Frameworks zur Strukturierung des PD satt 31 . Dies führt darüber hinaus zu einer erschwerten Bewertung der Anwendungen im Gesundheitswesen, da Passgenauigkeit durch Nutzer:innen selbst bewertet werden sollte. Aus Perspektive der Versorgungsforschung ist das PD folgerichtig ein Handlungsfeld, welches einer intensiveren methodischen und theoretischen Auseinandersetzung bedarf.
Footnotes
Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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