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. 2024 Jul 11;86(11):739–745. [Article in German] doi: 10.1055/a-2305-7716

Themen und Aktivitäten landesgesetzlich verankerter kommunaler und bezirklicher Gesundheitskonferenzen 2013–2022: Ergebnisse eines non-reaktiven Online-Screenings

Key Topics and Activities of Local and District Health Conferences between 2013 and 2022: Results of a Non-Reactive Online Screening

Julia Brockschnieder 1, Julia Haas 1, Julia Neubauer 1, Kathrin Prosser 1, Bertram Szagun 1,
PMCID: PMC11555775  PMID: 38608718

Zusammenfassung

Ziel der Arbeit Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat unter anderem die Gesundheitsförderung und Prävention, Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsplanung zur Aufgabe. Zur Vernetzung und Koordinierung kommunaler Akteure sind dafür vielerorts kommunale oder bezirkliche Gesundheitskonferenzen (GKen) etabliert, die in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen landesgesetzlich verankert sind. Aufgrund des Mangels an systematischen und übergreifenden Untersuchungen zu GKen wird eine deskriptive Analyse ihrer Merkmale, Themenschwerpunkte und Aktivitäten in ausgewählten Bundesländern durchgeführt.

Methoden Auf Basis eines nonreaktiven Online-Screenings der Aktivitäten von 2013 bis 2022 erfolgt eine Vollerhebung der GKen in vier Bundesländern (n=110). Systematisch erhoben werden Informationen zu Strukturmerkmalen, Themen und GK-Aktivitäten. In den Konferenzen behandelte Themen werden mit Gesundheitszielen der Länder abgeglichen. Nach einem Untersucherabgleich erfolgen übergeordnete univariate sowie bivariate Analysen nach Bundesland, Gebietskörperschaft und Gründungsjahr.

Ergebnisse Insgesamt häufig behandelte Themen in den GKen sind die Primärversorgung, Kinder- und Jugendgesundheit und Gesundheit im Alter, Infektionsschutz, Bewegung und Ernährung sowie Sucht, wobei sich die Häufigkeiten zwischen den Bundesländern und Gebietskörperschaften zum Teil erheblich unterscheiden. Themen in den GKen zeigen deutliche Assoziationen mit den jeweiligen Landesgesundheitszielen. Gesundheitsversorgung wird deutlich häufiger in Landkreisen als in kreisfreien Städten thematisiert. Jüngere Konferenzen (ab 2011 gegründet) weisen bei der Häufigkeit von Plenumssitzungen und bei Pressemitteilungen eine höhere Aktivität auf als ältere GKen.

Schlussfolgerung GKen zeigen eine erhebliche Breite an Themenschwerpunkten – häufig angelehnt an landesspezifische Gesundheitsziele – mit erkennbaren Unterschieden zwischen Land und Stadt. Jüngere Konferenzen zeigen eine höhere Aktivität als ältere, was ein Hinweis auf Nachhaltigkeitsprobleme unter aktuellen Rahmenbedingungen sein könnte. Anders als bei der Gesundheitsberichterstattung zeigt sich kein Stadt-Land-Gefälle bzgl. der GK-Aktivität. Die sich aus dieser deskriptiven Analyse ergebenden Hypothesen sollten weiter untersucht werden, um ein nachhaltiges Wirken der GKen sicherzustellen.

Schlüsselwörter: Kommunale Gesundheitskonferenz, Öffentlicher Gesundheitsdienst, Gesundheitsplanung, Kommune

Hintergrund

Gesetzliche Rahmenbedingungen der kommunalen Gesundheitskonferenzen

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) als dritte Säule des Gesundheitswesens ist verantwortlich für Gesundheitsförderung und -prävention, Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsplanung, die Koordinierung und Vernetzung der Akteure des Gesundheitswesens sowie Kontroll- und Überwachungsaufgaben 1 . Auf der Ebene des kommunalen ÖGD sind Gesundheitskonferenzen als Instrument der Gesundheitsplanung zu verorten, die hierbei der Koordinierung und Vernetzung der Gesundheitsakteure dienen 2 . Die kommunalen Gesundheitskonferenzen (GKen) sind bislang in Nordrhein-Westfalen (NRW, seit 1997), Baden-Württemberg (BW, seit 2015) und Hessen (HE, seit 2021), die bezirklichen GKen in Hamburg (HH, seit 2001) und Berlin (BE, seit 2006) gesetzlich verankert. Auch ohne gesetzliche Grundlage können GKen eingerichtet werden; in einigen Bundesländern gibt bzw. gab es Förderprogramme für die Etablierung und den Betrieb von Gesundheitskonferenzen oder -regionen 3 . Die landesgesetzlichen Grundlagen gestalten sich heterogen und wenig spezifiziert, wodurch sie einen breiten Handlungskorridor bieten. Dieser spiegelt sich in einem weit gefächerten Themenspektrum der GKen wider 4 5 , das von Gesundheitsförderung und Prävention bis hin zu Versorgung reicht. Konkrete Aufgaben und organisationale Aspekte, wie z. B. die Zusammensetzung der Konferenzen, deren Sitzungshäufigkeit und die Einrichtung einer Geschäftsstelle, sind nicht überall klar ausformuliert. Eine thematische Orientierung könnten möglicherweise die Gesundheitsziele der Länder darstellen.

Forschungsstand und Erkenntnisinteresse

Bislang gibt es wenige Übersichtsarbeiten über GKen, die sich zudem meist auf einzelne Bundesländer beschränken 3 4 5 6 7 . Positiv wird eine verbesserte professions- und organisationsübergreifende Zusammenarbeit „im Sinne eines regionalen Gesamtansatzes“ berichtet 3 8 ; neben dem vagen gesetzlichen Rahmen werden die fehlende demokratische Legitimation und der lediglich beratende Auftrag der GKen kritisch diskutiert 9 . Die aus Studien resultierenden Forderungen beziehen sich meist auf die Schaffung verlässlicher Strukturen, wie bspw. einer regionalen Netzwerkkoordination sowie auf verbindliche und klarere Vorgaben bei gleichzeitigem Erhalt eines Gestaltungsspielraums für GKen 3 6 7 . Forschungsergebnisse zur Gesundheitsberichterstattung (GBE), welche gemäß Public-Health-Action-Cycle konzeptionell als Basis für bedarfsgesteuerte Planungs- und Koordinationsprozesse fungiert 6 , legen außerdem Unterschiede zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten offen. Eine hohe Integration und planungsbezogene Intersektoralität der GBE ist demnach häufiger in kreisfreien Städten als in Landkreisen zu verzeichnen 10 11 . Zudem wurde in Städten eine höhere Bedeutung für Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen und ein höherer Professionalisierungsindex als in Landkreisen gefunden 12 . Diese Ergebnisse legen nahe, die GKen differenziert hinsichtlich der Gebietskörperschaft zu untersuchen. Obwohl viele GKen schon langjährig fortbestehen, liegen nur wenige Informationen über ihre Merkmale, Themenschwerpunkte und Aktivitäten vor. Die vorliegende Arbeit soll anhand folgender Forschungsfragen einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten:

  1. Welche Themenkomplexe werden von kommunalen und bezirklichen Gesundheitskonferenzen in Bundesländern mit landesgesetzlicher Verankerung bevorzugt behandelt und welche Aktivität zeigen diese Planungsgremien auf?

  2. Welche strukturellen Voraussetzungen sind mit einer erhöhten Aktivität der Konferenzen assoziiert?

Methode

Forschungsdesign und untersuchte Grundgesamtheit

Aufgrund des heterogenen und wenig erforschten Untersuchungsfelds wird ein deduktives Vorgehen, im Verlauf ergänzt um induktive Elemente, gewählt. Die explorative Datenerhebung erfolgt durch ein systematisches, non-reaktives Onlinescreening aller landesgesetzlich verankerten GKen mit Ausnahme von Hessen (in der Aufbauphase befindlich). Hierdurch ist eine Vollerhebung möglich und Nonresponse sowie Antwortverzerrungen werden vermieden. Die untersuchte Grundgesamtheit umfasst 110 ÖGD-Einheiten und damit mindestens ebenso viele potenziell bestehende GKen. Eine Aufteilung nach Gebietskörperschaft sowie nach Bundesland kann Tab. 1 entnommen werden.

Tab. 1 Gründungsdaten und Themenanzahl der GKen nach Gebietskörperschaft und Bundesland *Kumulierte Einheiten (Zweckgemeinschaften): Gesundheitsamt für zwei Kommunen zuständig

Gebietskörperschaften Bundesländer
Landkreise (n=60) Kreisfreie Städte (n=25) Kumulierte Einheiten* (n=6) Stadt-bezirke (n=19) Gesamt (n=110) NRW (n=53) BW (n=38) BE (n=12) HH (n=7) Gesamt (n=110)
Gründungsjahr
Bis 2000 10 12 0 2 24 22 0 2 0 24
2001 – 2010 5 0 1 9 15 2 4 2 7 15
Ab 2011 27 1 5 3 36 7 26 3 0 36
Gesamt 42 13 6 14 75 31 30 7 7 75
Anzahl Themen Ø 7,6 8,2 9,3 5,4 7,4 9,4 4,6 7,3

Datenerhebung

Im Vorfeld der Datenerhebung wird auf Basis länderspezifischer, nationaler und internationaler Gesundheitsziele ein Codebuch erstellt, das sich in die Abschnitte Strukturmerkmale der GKen, behandelte Themen und Aktivität gliedert. Die gewählten Aktivitätsindikatoren werden aus den Landesgesetzen des ÖGD abgeleitet. Induktive Anpassungen am Codebuch erfolgen nach einem Pretest, der mit einer zufälligen Stichprobe aus 20 Kommunen durchgeführt wird. Die Vollerhebung erfolgt unabhängig durch vier Personen von November 2022 bis Januar 2023 mit anschließendem Abgleich der Ergebnisse sowie einer Nachrecherche bei Abweichungen in Zweier-Teams. Durch ein systematisches Suchverfahren werden objektive und reliable Daten gewonnen. Die Suche erfolgt mit den Begriffen „Kommunale Gesundheitskonferenz UND *Gebietskörperschaft*“ sowie „Gesundheitskonferenz UND *Gebietskörperschaft*“ in derselben Suchmaschine und zusätzlich auf der jeweiligen Verwaltungswebsite der Gebietskörperschaft. Aufgrund der im Pretest identifizierten differenzierten Datenlage werden die Suchbegriffe für die Vollerhebung bei begrenzten Ergebnissen punktuell ergänzt, bspw. um die Begriffe „Geschäftsstelle“, „Mitglieder“ und „Gründung“. Als primäre Datenquellen dienen Dokumente und Textpassagen von Internetauftritten der GKen bzw. Websites der jeweiligen Gebietskörperschaft sowie die Bürgerinformationsportale (z. B. Session). Sekundäre Datenquellen sind Presseartikel und Websites Dritter, die über die Stichwortsuche der Suchmaschine angezeigt werden. Einbezogen werden alle öffentlich zugänglichen Informationen der letzten zehn Jahre (2013-2022).

Datenauswertung

Die erhobenen Daten werden in Microsoft Excel erfasst und anschließend mit der Statistik-Software SPSS, Version 27 ausgewertet. Variablen mit ausreichend hoher Präsenz werden mittels Subgruppenanalysen tiefergehend analysiert, u. a. in Hinblick auf das Bundesland und die Gebietskörperschaft. Des Weiteren wird ein Abgleich der in GKen behandelten Themen mit den jeweiligen Landesgesundheitszielen durchgeführt 13 14 15 16 17 .

Ergebnisse

Überblick

Das im Rahmen des Online-Screenings erhobene Material weist z.T. große Unterschiede hinsichtlich der Datenquantität wie auch -qualität auf. Für 108 der 110 untersuchten ÖGD-Einheiten werden Hinweise auf die Existenz einer GK gefunden 1 ; zu 75 GKen kann ein Gründungsjahr identifiziert werden. Die jüngeren Konferenzen sind demnach in Landkreisen angesiedelt; betrachtet nach Bundesland bestehen die am längsten etablierten Konferenzen in NRW ( Tab. 1 ). Die Spanne der behandelten Themen in GKen reicht von durchschnittlich 4,6 in BE bis 9,4 in BW. 81 GKen haben eine Geschäfts- oder Koordinierungsstelle eingerichtet (73,6%), über eine Geschäftsordnung verfügen 43 Konferenzen (39,1%). 36 GKen benennen online ihre Mitglieder (32,7%).

Zu den häufig behandelten Themen gehören die Primärversorgung (Hausärzte, Rettungsdienste, Apotheken) sowie Kinder- und Jugendgesundheit mit jeweils über 60%, Infektionsschutz (45,5%) und Gesundheit im Alter (44,5%), Bewegung und Ernährung sowie Sucht (je 40,9%). Psychische und seelische Erkrankungen/Gesundheit und gesundheitliche Kompetenz und Selbsthilfe werden von circa einem Drittel der GKen thematisiert (34,5% und 33,6%) ( Tab. 2 ).

Tab. 2 Themen der GKen nach Gebietskörperschaft und Bundesland (absolute Zahlen, Prozentangaben in Klammern) *Ausgenommen kumulierte ÖGD-Einheiten und Stadtbezirke **Lesebeispiel: 31,7% der GKen in Landkreisen der untersuchten Grundgesamtheit befassen sich mit dem Thema psychische und seelische Erkrankungen/Gesundheit (abgeleitet aus dem erhobenen Datenmaterial)

Gebietseinheit Gebietskörperschaften* Bundesländer
Themenkomplex Land-kreise (n=60) Kreisfreie Städte (n=25) Gesamt (n=85) NRW (n=53) BW (n=38) BE (n=12) HH (n=7) Gesamt (n=110)
Krankheitsbilder / Psyche
Psychische und seelische Erkrankungen/Gesundheit 19 (31,7)** 10 (40,0) 29 (34,1) 18 (34,0) 13 (34,2) 3 (25,0) 4 (57,1) 38 (34,5)
Sucht 24 (40,0) 12 (48,0) 36 (42,4) 26 (49,1) 12 (31,6) 4 (33,3) 3 (42,9) 45 (40,9)
Lebensphasen
Gesundheit rund um die Geburt 12 (20,0) 8 (32,0) 20 (23,5) 10 (18,9) 11 (28,9) 2 (16,7) 1 (14,3) 24 (21,8)
Kinder- & Jugendgesundheit 36 (60,0) 14 (56,0) 50 (58,8) 30 (56,6) 25 (65,8) 7 (58,3) 5 (71,4) 67 (60,9)
Gesundheit im Arbeitsleben (BGM) 12 (20,0) 9 (36,0) 21 (24,7) 12 (22,6) 10 (26,3) 2 (16,7) 1 (14,3) 25 (22,7)
Gesundheit im Alter 24 (40,0) 11 (44,0) 35 (41,2) 19 (35,8) 21 (55,3) 5 (41,7) 4 (57,1) 49 (44,5)
Lebensstil
Bewegung & Ernährung 26 (43,3) 7 (28,0) 33 (38,8) 12 (22,6) 25 (65,8) 4 (33,3) 4 (57,1) 45 (40,9)
Gesundheitliche Kompetenz 20 (33,3) 11 (44,0) 31 (36,5) 16 (30,2) 17 (44,7) 3 (25,0) 1 (14,3) 37 (33,6)
Versorgung
Primärversorgung 47 (78,3) 12 (48,0) 59 (69,4) 33 (62,3) 32 (84,2) 1 (8,3) 2 (28,6) 68 (61,8)
Sekundärversorgung 17 (28,3) 3 (12,0) 20 (23,5) 7 (13,2) 17 (44,7) 0 (0,0) 1 (14,3) 25 (22,7)
Krankenhausversorgung 17 (28,3) 8 (32,0) 25 (29,4) 16 (30,2) 11 (28,9) 0 (0,0) 0 (0,0) 27 (24,5)
Pflegerische Versorgung 15 (25,0) 5 (20,0) 20 (23,5) 13 (24,5) 9 (23,7) 1 (8,3) 1 (14,3) 24 (21,8)
Fachkräftemangel 18 (30,0) 4 (16,0) 22 (25,9) 11 (20,8) 14 (36,8) 1 (8,3) 0 (0,0) 26 (23,6)
Sonstiges
Infektionsschutz 33 (55,0) 12 (48,0) 45 (52,9) 29 (54,7) 19 (50,0) 1 (8,3) 1 (14,3) 50 (45,5)

Themen der GKen

Psychische und seelische Erkrankungen/ Gesundheit werden am häufigsten in den kreisfreien Städten (40,0%) sowie in HH (4 von 7 GKen) thematisiert. Mit dem Thema Sucht beschäftigen sich GKen in allen Bundesländern, jene in NRW mit knapp 50% am häufigsten. GKen in kreisfreien Städten (48,0%) behandeln stoffgebundene und -ungebundene Abhängigkeiten etwas häufiger als Landkreise (40,0%). Bewegung und Ernährung wird von über der Hälfte der GKen in BW (65,8%) und HH (4 von 7) thematisiert. In BW wird das Thema somit fast drei Mal häufiger behandelt als in NRW (22,6%). Zudem zeigt sich in Landkreisen mit 43,3% eine häufigere Thematisierung als in kreisfreien Städten (28,0%). Mit gesundheitlicher Kompetenz und Selbsthilfe befasst sich ein Drittel der GKen, dabei zeigt sich in Städten eine um 10 Prozentpunkte höhere Präsenz als in Landkreisen. Die Themenkomplexe Gesundheit rund um die Geburt, im Arbeitsleben und im Alter werden etwas häufiger in kreisfreien Städten (32%, 36% und 44%), Kinder- und Jugendgesundheit etwas häufiger in Landkreisen (60,0%) bearbeitet. Mit Infektionsschutz (Corona sowie andere Infektionskrankheiten, Impfen, MRE) befassen sich Landkreise (55,0%) etwas häufiger als kreisfreie Städte (48,0%), in den Stadtstaaten spielt dieses Thema in den GKen eine nachgeordnete Rolle. Die Primär -, Sekundär - und pflegerische Versorgung sowie Fachkräftemangel und Personalgewinnung stehen deutlich häufiger in Landkreisen auf der Agenda als in kreisfreien Städten ( Abb. 1 ). Einzig bei der Krankenhausversorgung dreht sich dieses Bild. Stadtbezirke setzen sich deutlich seltener mit Versorgungsthemen auseinander.

Abb. 1.

Abb. 1

Versorgungsthemen in GKen nach Gebietskörperschaft (absolute Zahlen in Klammern).

Aktivität der GKen

Der Anteil der Konferenzen, der im Erhebungszeitraum fünf und mehr Plenumssitzungen durchgeführt hat, ist in Landkreisen mit 31,7% höher als in kreisfreien Städten (24%), Stadtbezirke zeigen diesbezüglich die geringste Aktivität (10,5%). Hinsichtlich des Alters (Gründungsjahr) zeigt sich hier für die jüngeren Konferenzen (ab 2011 gegründet) mit 36,1% eine höhere Aktivität als für die langjährig etablierten (vor 2000 gegründet) mit 16,7% ( Abb. 2 ). Hinsichtlich verschiedener Veröffentlichungen der GKen ist in der mittleren Alterskategorie (2001-2010) die höchste (33,3%), in der Gruppe der ältesten Konferenzen mit 20,8% die niedrigste Aktivität zu verzeichnen. Zu Sitzungen der GKen in Stadtbezirken gibt es im Erhebungszeitraum mit 57,9% am häufigsten mindestens eine Pressemitteilung, gefolgt von Landkreisen mit 46,7% und kreisfreien Städten mit 24,0%. Bezüglich des Alters der Konferenz zeigt sich die höchste Aktivität von Pressemitteilungen in der jüngsten Gruppe (66,7%). Hinsichtlich der Aktualität veröffentlichter Pressemitteilungen in den vergangenen fünf Jahren (2018-2022) kann festgestellt werden, dass Landkreise mit 38,3% häufiger aktuelle Pressemitteilungen veröffentlichen als Konferenzen in kreisfreien Städten (20,0%). Die jüngsten Konferenzen (ab 2011 gegründet) sind mit 50% aktiver als die älteren Konferenzen (bis 2000 gegründet: 41,7%; zwischen 2001 und 2010 gegründet: 40,0%). In Bezug auf die Aktualität veröffentlichter Protokolle (ebenfalls im Fünf-Jahreszeitraum ab 2018) besteht zwischen Landkreisen (28,3%) und kreisfreien Städten (28,0%) nahezu kein Unterschied. Ältere Konferenzen haben zwischen 2018 und 2022 seltener ein Protokoll veröffentlicht (25,0%) als jüngere (30,6%) und zwischen 2001 und 2010 gegründete Konferenzen (33,3%). Des Weiteren ist das Vorhandensein einer Geschäfts- oder Koordinierungsstelle mit einer höheren Sitzungsaktivität assoziiert (30,9% gegenüber 17,2% ohne Geschäfts-/Koordinierungsstelle). Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in Bezug auf die Häufigkeit von drei oder mehr Veröffentlichungen (27,2% gegenüber 17,2% ohne Geschäfts-/Koordinierungsstelle) und das Vorhandensein von Pressemitteilungen zu Plenumssitzungen (46,9% gegenüber 41,4% ohne Geschäfts-/Koordinierungsstelle). Die Aktivitätsunterschiede zwischen Gebietskörperschaften und Alter der Konferenzen können aufgrund der Assoziation zwischen Gebietskörperschaftsprofil und Durchschnittsalter der Konferenzen miteinander konfundiert sein. So unterscheiden sich in den untersuchten Flächenländern NRW und BW sowohl die Anteile von Städten und Landkreisen wie auch die Gründungsdaten erheblich i.d.S., dass die GK-Gründung in Städten durchschnittlich früher erfolgte. Um potenzielle Konfundierungseffekte zu prüfen, erfolgt daher eine – durch die geringen Fallzahlen deutlich erschwerte – nach Flächenland stratifizierte Analyse des Aktivitätsprofils nach Gebietskörperschaft. Diese zeigt stabile Aktivitätsunterschiede abhängig vom Gründungsjahr geschichtet nach Gebietskörperschaft und eine Instabilität der Aktivitätsunterschiede der Gebietskörperschaften unter Einbeziehung des Gründungsjahrs.

Abb. 2.

Abb. 2

Aktivitätsprofil der GKen nach Gründungsjahr und Gebietskörperschaft (in Prozent).

Landesgesundheitsziele und Themen

Psychische und seelische Erkrankungen/ Gesundheit, Gesundheit im Alter und von Kindern und Jugendlichen ist in allen vier Bundesländern als Ziel verankert; Gesundheit rund um die Geburt, Bewegung und Ernährung sowie Sucht in drei der vier Länder. Diese Themen weisen im Suchlauf insgesamt eine hohe Präsenz auf, wobei die Ergebnisse zwischen den Bundesländern variieren. Gesundheitliche Kompetenz ist in BW und HH im Zielkatalog festgehalten, am häufigsten befasst sich jedoch NRW – ohne entsprechende Zielformulierung – mit diesem Thema (54,7%). Die Primärversorgung ist in keinem der Bundesländer explizit als Ziel verankert, wird in diesen unterschiedlich häufig thematisiert und weist eine durchschnittliche Häufigkeit von 61,8% auf.

Diskussion

Themenwahl und Gesundheitsziele

Die häufige Thematisierung von Primärversorgung, Kinder- und Jugendgesundheit und Gesundheit im Alter in GKen bestätigt frühere Forschungsergebnisse 4 . Weitere verbreitete Themen sind Suchterkrankungen, Bewegung und Ernährung sowie psychische und seelische Erkrankungen/ Gesundheit. Die Erwartung, dass sich Themen der GKen mit den jeweiligen Landesgesundheitszielen decken, kann zum Teil bestätigt werden. Daneben gibt es jedoch erwartungsgemäß auch rein regionale, evtl. aufgrund lokaler Bedarfslagen abgeleitete, Themensetzungen 4 6 .

Stadt-Land-Unterschiede und zeitliche Effekte

Beim Fachkräftemangel, der Primär-, Sekundär- und pflegerischen Versorgung wird deutlich, dass sich Landkreise häufiger mit diesen Themen auseinandersetzen als Städte. Dies könnte mit einer geringeren Versorgungsdichte auf dem Land zusammenhängen. Entsprechend der per Gesetz präventiven Ausrichtung der Konferenzen in HH zeigt sich hier eine geringere Thematisierung von Versorgung; außerdem könnte diese aufgrund der räumlichen Nähe eher auf Stadtstaaten-Ebene thematisiert werden, womit die Zuständigkeit außerhalb der bezirklichen Konferenzen läge. Die bivariat höhere Aktivität von GKen in Landkreisen, die sich unter anderem in der Sitzungshäufigkeit und der Aktualität der letzten Pressemitteilung zeigt, könnte aufgrund der Schichtungsergebnisse eher konfundierungsbedingt sein (das heißt, es handelt sich potenziell um einen Alterseffekt). Städte sind jedoch nach der Studienlage in der planungsbezogenen GBE aktiver, was sich für die GK-Aktivität nicht zeigen lässt. Möglich wäre, dass in Städten für Planungs- und Koordinierungsprozesse andere Gremien als die GKen genutzt werden. Die stärker integrierte Planungsaktivität könnte eher auf eine höhere Relevanz der kommunalpolitischen Ausschüsse als Planungsgremien hinweisen. Das Alter der GKen ist hingegen deutlich mit deren Aktivität assoziiert. Ab 2011 gegründete Konferenzen weisen im Erhebungszeitraum vor allem bei Plenumssitzungen eine höhere Aktivität als ältere Konferenzen auf. Bei den bis zum Jahr 2000 gegründeten Konferenzen lässt sich vor allem bei der Anzahl von Plenumssitzungen, Veröffentlichungen und der Aktualität des letzten veröffentlichten Protokolls eine geringere Aktivität feststellen. Diese Ergebnisse könnten auf Ermüdungserscheinungen hinweisen, ursächlich könnten Nachhaltigkeitsprobleme der GKen unter den gegebenen Rahmenbedingungen sein. Kritisch diskutiert werden hier zum Beispiel die maximale thematische Breite der GKen, eingeschränkte Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten u. a. durch eine geringe oder fehlende Ressourcensteuerungsfunktion sowie die lediglich beratende und koordinierende Tätigkeit der Konferenzen 6 8 .

Ausblick

Die Ergebnisse der deskriptiven Analysen könnten auf strukturelle Entwicklungsbedarfe der GKen hindeuten. Bereits gefordert werden verlässliche Finanzierungsmodelle sowie ein klarer gesetzlicher Auftrag für die GKen, zum Beispiel in Form von Kreistagsbeschlüssen 7 8 19 . Die Erarbeitung eines Organigramms und einer Geschäftsordnung sowie die regelmäßige Durchführung von Plenumssitzungen werden empfohlen 7 . Es gibt jedoch weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Nachhaltigkeit der GKen und der Unterschiede von Städten und Kreisen, um die Potenziale der GKen als Planungs- und Koordinierungsgremien bestmöglich stärken zu können. Von potentiell hoher Bedeutung für die GKen ist das aktuell geplante Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das die kommunalen Zuständigkeiten und Spielräume für Prävention und Gesundheitsversorgung in Zusammenhang mit Gesundheitskiosken, Primärversorgungszentren und Gesundheitsregionen stärken soll 20 . Dies könnte einen wichtigen und positiv zu bewertenden Effekt auf die spezifischen Zuständigkeiten und damit Relevanz kommunaler Planungsgremien bewirken.

Limitation

Das explorative Vorgehen stellt eine erste länderübergreifende Analyse der landesgesetzlich verankerten GKen dar. Das gewählte nonreaktive Verfahren ermöglicht eine Vollerhebung der GK-Präsenzen, kann aber verfahrensbedingt nicht deren vollständige Charakterisierung gewährleisten. Quantität und Qualität online dargestellter Inhalte hängen unter anderem von den Arbeitsweisen der Verwaltungseinheiten sowie vorhandenen Ressourcen für die Veröffentlichung von Inhalten ab; außerdem kann aus forschungspraktischen Gründen keine systematische Analyse der Inhalte sozialer Medien einbezogen werden. D.h. die Sensitivität des Verfahrens ist durch Messungenauigkeiten begrenzt, was jedoch aufgrund des Untersuchungsgegenstands auch für Befragungen als methodische Alternative gelten würde. Des Weiteren kann zur Planungsaktivität in anderen Gremien und Ausschüssen mit dieser Arbeit keine Aussage getroffen werden. Aufgrund der geringen Anzahl von Stadtbezirken und kumulierten ÖGD-Einheiten sind hier keine weiteren bivariaten Analysen möglich. Die Kontrolle der Aktivitätsvariablen auf Confounding ist aufgrund der Fallzahlen nur eingeschränkt möglich, was auch die Erkennung von auf der föderalen Struktur beruhenden Effekten erschwert. Die Analyse beruht allein auf Beobachtungsdaten, die Aussagekraft bzgl. eventueller Kausalitäten ist dadurch erheblich eingeschränkt.

Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1

Die Grundlage für BW bilden 38 ÖGD-Einheiten 18 . Eingeschlossen wird die primäre Konferenz des Landkreis Karlsruhe, eine zusätzlich freiwillig eingerichtete GK (Stadt Karlsruhe) wird nicht berücksichtigt.

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