Zusammenfassung
Ziel der Studie Die Studie untersucht, inwieweit Medizinische Fachangestellte durch eine Weiterbildung zu Präventionsberatern präventive Maßnahmen in Hausarztpraxen unterstützen können.
Methodik Zwischen Juli 2019 und Dezember 2020 wurde in Hausarztpraxen einer ländlichen Region in Brandenburg präventive Maßnahmen durch ausgebildete Präventionsberater in Hausarztpraxen angesiedelt. Sie bestanden in der längerfristigen Unterstützung von Personen bei Lebensstiländerungen in den Bereichen „Ernährung“, „Bewegung“ und „Entspannung“. Die begleitende Prozess- und Ergebnisevaluation beinhaltete Prä-Post-Vergleiche ausgewählter medizinischer Parameter sowie die Untersuchung möglicher Veränderungen der Gesundheitskompetenz und gesundheitsbezogenen Lebensqualität mithilfe standardisierter Fragenbögen (HeiQ-Core, SF-12v2). Weiterhin wurden thematische Analysen von Fortbildungsunterlagen, Teilnehmenden-Befragungen mithilfe eines Fragebogens, zwei Fokusgruppen mit Präventionsberatern sowie fünf Interviews mit Studienteilnehmenden durchgeführt.
Ergebnisse Es wurden vier Hausarztpraxen und zwei Gesundheitseinrichtungen rekrutiert und sieben MFAs zu Präventionsberatern ausgebildet. 38 Personen wurden in das Präventionsprogramm eingeschlossen. Zwar wurden die Beratungsgespräche insgesamt nach Fortbildungsvorgaben durchgeführt, doch sorgten diverse individuelle sowie strukturelle Barrieren für eine geringe Inanspruchnahme der Intervention.
Schlussfolgerungen Inwieweit am Individuum angepasste präventive Maßnahmen in Hausarztpraxen erfolgreich mithilfe von zu Präventionsberatern weitergebildeten MFAs etabliert werden können, steht in starker Abhängigkeit zu den jeweiligen Praxisstrukturen sowie der vorliegenden Patientenklientel. Eine erfolgreiche zeitliche Integration und Koordination der Tätigkeiten als Präventionsberater im Praxisalltag erscheint dabei zielführend für Interventionen der hier evaluierten Art.
Schlüsselwörter: Hausarzt, Prävention, Verhaltensprävention, Evaluation, Gesundheitsförderung, Gesundheitskompetenz
Abstract
Purpose of the Study The study investigates the extent to which medical assistants can support primary prevention measures in family practices as prevention advisors.
Methods Between July 2019 and December 2020, preventive measures were implemented by trained prevention counselors in general practitioners’ practices in a rural region in Brandenburg. They consisted of longer-term support for individuals in lifestyle changes in the areas of “nutrition”, “exercise” and “relaxation”. The accompanying process and outcome evaluation included pre-post comparisons of selected medical parameters as well as the investigation of possible changes in health literacy and health-related quality of life using standardized questionnaires (HeiQ-Core, SF-12v2). Furthermore, thematic analyses of training documents, participant surveys using a questionnaire, two focus groups with prevention counselors, and five interviews with study participants were conducted.
Results Four primary care practices and two health care facilities were recruited and seven health care workers were trained as prevention counselors. Thirty-eight individuals were enrolled in the prevention program. Although overall counseling sessions were conducted according to training specifications, various individual as well as structural barriers ensured low uptake of the intervention.
Conclusions The extent to which preventive measures adapted to the individual can be successfully established in primary care practices with the help of health care workers trained as prevention counselors depends strongly on the respective practice structures as well as the patient clientele. Temporal integration and coordination of the activities of prevention advisors in the daily practice routine seems to be likely to lead to success in interventions of the kind evaluated here.
Key words: prevention, behavioral prevention, evaluation, health promotion, health literacy, primary care physician
Einleitung
Nicht-übertragbare Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes mellitus machen einen großen Teil der Krankheitslast in Deutschland aus; Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen die häufigste Todesursache dar 1 . Dabei werden mangelhaftes Ernährungs- und Bewegungsverhalten für ca. 80 Prozent der Herzinfarkte und 70 Prozent der Schlaganfälle verantwortlich gemacht und gelten als vermeidbar 2 3 4 5 . Nach § 20 SGB V können Krankenkassen Präventionskurse bezuschussen, die Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung und Suchtmittelkonsum adressieren. Die Nachfrage nach solchen Präventionskursen variiert je nach Alter und Geschlecht, wobei 50- bis 59-jährige Personen und Frauen überproportional häufig verhaltenspräventive Maßnahmen nutzen 6 . Auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) spielen eine zunehmende Rolle, insbesondere in den Bereichen Diabetes Typ 2, Brustkrebs und Depression 7 .
Hausärzte sind aufgrund ihres regelmäßigen Kontakts mit einem Großteil der Bevölkerung für die Prävention von besonderer Bedeutung 8 . Vor allem die persönliche Beratung spielt in der Hausarztpraxis eine wichtige Bedeutung im Bereich der Prävention 9 . Hierbei wurden bis dato zahlreiche Instrumente erarbeitet, wie etwa motivierende Interviews, das 5A-Konzept, sowie der FRAMES- und der BATHE-Ansatz, die je nach Kontext des Patienten Anwendung finden können 10 . Obwohl seit Verabschiedung des Präventionsgesetzes mehr Ärzte als zuvor präventive Beratungen durchführen 11 , wird das Potential der hausärztlichen Praxis für die Gesundheitsprävention nicht vollumfänglich ausgeschöpft, da vielen Versorgern gängige Primärpräventionsangebote entweder nicht bekannt sind 12 oder andere Barrieren, wie etwa ein Mangel an Zeit, vorliegen 13 14 .
Im Hinblick auf die Unterstützung präventiver hausärztlicher Tätigkeiten sind in den vergangenen Jahren medizinische Fachangestellte (MFAs) in den Fokus gerückt. So ist etwa die Delegation von Hausbesuchen an solche MFAs denkbar, die präventive Fähigkeiten in den Bereichen Sturzprophylaxe und Ernährungsberatung aufweisen 15 . Ärzte wären zudem bereit, Beratungen zu Ernährungs- und Rauchverhalten sowie zu körperlicher Bewegung an MFAs zu delegieren 16 . Als Vorteile derartiger Ansätze gelten unter anderem, dass sie Patienten einen besseren Zugang zu Gesundheitsleistungen bieten und deren Qualität steigern, sowie dem Hausarzt Zeit sparen können. Hierzu zählt auch, dass nicht-ärztliches Personal einen Gesprächspartner darstellen kann, mit dem die Kommunikation für Patienten leichter fällt als mit Ärzten 17 . An dieser Stelle setzt die Intervention „Die Präventionsberater“ an, welche mithilfe der Schulung von MFAs zu Präventionsberatern dazu beitragen möchte, am Patienten ausgerichtete Präventionsangebote in Hausarztpraxen zu etablieren. Der vorliegende Artikel stellt das Potential derartiger Ansätze anhand von Evaluationsergebnissen für diese Intervention dar.
Methodik
Intervention
„Die Präventionsberater“ wurde zwischen Juli 2019 und Dezember 2020 in einer ländlichen Region in Brandenburg von der KV COMM, einer Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, durchgeführt und aus Strukturfondsmitteln finanziert. Sie beinhaltete die Fortbildung von MFAs zu Präventionsberatern (PBs) sowie deren anschließende Tätigkeit in dieser Funktion für ein Jahr. Die teilnehmenden MFAs waren in niedergelassenen Hausarztpraxen oder Gesundheitseinrichtungen der Region tätig. Die Fortbildung wurde vom Berufsverband der Präventologen e.V. nach dessen Curriculum durchgeführt und erfolgte berufsbegleitend innerhalb von sechs Ganztagsseminaren mit einem zeitlichen Umfang von jeweils acht Stunden. Sie umfasste sechs fachtheoretische sowie praktische Module zu den Themen „Wissen zu Gesundheitsförderung und Prävention in der Arztpraxis“ (Modul 1), „pädagogischen und persönlichen Kompetenzen der Salutogenese und Resilienz“ (Modul 2), „Ernährung, Bewegung, Körperbewusstsein und Physioanalyse“ (Modul 3), „Gesundheitsförderung im Kontext von Stress, Entspannung und Schlaf“ (Modul 4), zu „psychischer Gesundheit, Depression, Sucht, psychischen Erkrankungen“ (Modul 5) sowie zu „Gesundheitskompetenzentwicklung und Gesundheitstraining“ (Modul 6). Dazu gehörten insbesondere auch Kenntnisse zu motivierender Gesprächsführung, Coaching und Kommunikation.
Die Beratertätigkeit gliederte sich in fünf verhaltenspräventive Einzelberatungsgespräche pro Teilnehmer im Abstand von jeweils drei Monaten. Beim ersten Beratungsgespräch wurden mit den Teilnehmenden individuelle Gesundheitsziele erarbeitet, deren Erreichen im Rahmen der Intervention anzustreben seien. In den Folgegesprächen wurde die Erreichung der festgelegten Ziele evaluiert und diese bei Bedarf angepasst. Die Erstansprache für die Teilnahme am Präventionsprogramm erfolgte durch den PB oder den Arzt. Als potentielle Zielgruppen galten dabei sowohl Patienten, bei denen verhaltensbezogene Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Erkrankungen, insbesondere dem metabolischen Syndrom, vorlagen, oder die bereits eine oder mehrere chronische Erkrankungen aufwiesen. Dazu gehörten Patienten nach Herzinfarkt oder Schlaganfall oder mit Diabetes, Adipositas, Hypertonie, Fettstoffwechselstörung oder Tabak- oder riskantem Alkoholkonsum. Darüber hinaus erhielten PBs und Ärzte im Rahmen der Rekrutierung individuelle Entscheidungsfreiheit, um Personen zu rekrutieren, welche aus ihrer Sicht von dem Präventionsprogramm profitieren würden. Personen unter 18 Jahren waren von einer Teilnahme an der Intervention ausgeschlossen.
Datenerhebung
Die Intervention „Die Präventionsberater“ wurde mithilfe einer Ergebnis- und Prozessevaluation ausgewertet, welche qualitative und quantitative Erhebungsmethoden beinhalteten. PBs und Studienteilnehmende willigten schriftlich der Studienteilnahme ein. Es wurde angenommen, dass die Studie bei 70 Teilnehmenden eine Power von 80+% hat, um eine Differenz der gepaarten Mittelwerte von 2,03 zu finden (bei einer alpha-Fehler-Rate von 5+% und einer Standardabweichung von 6). Dies wurde als realistische Änderung sowohl der Summenscores der Erhebungsinstrumente als auch der medizinischen Parameter angesehen 18 19 . Die Ergebnisevaluation stellt einen Prä-Post-Vergleich der Gesundheitskompetenz, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQL) sowie ausgewählter medizinischer Parameter der Studienteilnehmenden dar (Body-Mass-Index (BMI), HbA1c, Blutzucker, Lipoprotein niederer Dichte (LDL), systolischer und diastolischer Blutdruck, Gesamtcholesterin sowie Nikotin- und Alkoholkonsum). Gesundheitskompetenz wurde mit dem HeiQ-Core-Fragebogen erhoben 20 , HRQL mit der deutschen Version des SF-12v2-Fragebogens 21 . Erwartet wurde eine Steigerung der Mittelwerte der Scores zu Gesundheitskompetenz und der HRQL um einen Wert von mindestens zwei nach zwölf Monaten Laufzeit der Intervention. Die Vergleichszeitpunkte waren dabei zu Beginn (T0) und zum Abschluss der Intervention nach zwölf Monaten (T2). Die Werte wurden aus den Patientenakten entnommen.
Die Prozessevaluation fokussierte auf die Anwendung der Schulungsinhalte in den Beratungen, ebenso wie auf Barrieren in der Umsetzung der Intervention. Für die Prozessevaluation wurden zwei Fokusgruppendiskussionen mit teilnehmenden PBs durchgeführt. Die erste Diskussion wurde zu Beginn der Intervention zur Bewertung der Schulungsinhalte geführt. Die zweite wurde sechs Monate nach Beginn der Intervention abgehalten (T1). Das Thema war die Umsetzbarkeit des Programms in der Praxis. Darüber hinaus wurden leitfadengestützte Interviews mit Studienteilnehmenden geführt, um deren Erfahrungen mit den Beratungsgesprächen und dem Setting der Beratungen zu erheben. Interviews und Fokusgruppen wurden aufgezeichnet und transkribiert. Um das Rekrutierungsverhalten der PBs zu erheben, wurden Listen an diese ausgehändigt, auf welchen der Ansprache-Grund angekreuzt werden sollte. Aufbauend auf einer thematischen Analyse des Schulungsmaterials wurde ein Fragebogen konzipiert, der die inhaltliche Gestaltung der Beratungssitzungen ermitteln sollte (sechs Monate nach Interventionsbeginn) und von den Studienteilnehmenden ausgefüllt wurde. Die quantitativen Daten wurden mithilfe von ausgedruckten Fragebögen erhoben und anschließend in digitalisierter Form auf einem Server abgelegt, der nur direkten Studienmitarbeitenden zugänglich ist. Die Transkriptionen der Interviews und Fokusgruppen wurden pseudonymisiert und ebenfalls auf einem Server abgelegt, der nur direkten Studienmitarbeitenden zugänglich ist.
Datenanalyse
Zur Ermittlung der Veränderung der Gesundheitskompetenz wurden die Mediane der acht Subdimensionen des HeiQ-Core-Fragebogens zu T0 und T2 miteinander verglichen. Mithilfe der Optum-Software „PRO CoRE“ wurden die Mittelwerte für die zwei SF-12v2-Subscores jeweils für T0 und T2 errechnet und anschließend verglichen. Die Prä-Post-Analysen der medizinischen Parameter wurde für solche durchgeführt, für die zu T2 maximal fünf Prozent Missings im Vergleich zu T0 aufwiesen. Für die Interpretation sämtlicher Prä-Post-Vergleiche wurden p-Werte anhand von Wilcoxon-Mann-Whitney-Tests für gepaarte, nicht normalverteilte Daten berechnet (T0 zu T2). Sämtliche statistischen Analysen wurden mithilfe des Programms R durchgeführt (Version 4.0.5.). Die qualitativen Daten der Prozessevaluation wurden mithilfe von MAXQDA verwaltet und thematisch analysiert.
Ergebnisse
Studienpopulation
Es wurden vier Arztpraxen und zwei Gesundheitseinrichtungen rekrutiert und sieben MFAs zu PBs ausgebildet. 38 Personen wurden in das Präventionsprogramm eingeschlossen. Bei 87+% der Teilnehmenden lag ein Adipositas-Grad vor ( Tab. 1 ). Im Verlauf der Intervention kam es zu zwei Abbrüchen seitens teilnehmender Patienten, wobei eine vorliegende Schwangerschaft sowie ein längerer Krankenhausaufenthalt als Gründe dienten.
Tab. 1 Übersicht Soziodemografie und Angaben zu den Studienteilnehmenden bei Studieneinschluss inkl. Vorerkrankungen und medizinische Parameter (n+=+38).
Soziodemografische Eigenschaften | Anzahl (n) | % | |
Alter | |||
21–40 | 7 | 18,4 | |
41–60 | 17 | 44,7 | |
61–80 | 10 | 26,3 | |
Keine Angabe | 4 | 10,5 | |
Geschlecht | |||
Männlich | 11 | 28,9 | |
Weiblich | 23 | 60,5 | |
Keine Angabe | 4 | 10,5 | |
Schulabschluss | |||
Hauptschule od. kein Abschluss | 13 | 34,2 | |
Fachhochschule | 10 | 26,3 | |
Abitur | 7 | 18,4 | |
Sonstiger | 1 | 2,6 | |
Keine Angabe | 7 | 18,4 | |
In Partnerschaft lebend | |||
Ja | 24 | 63,2 | |
Nein | 8 | 21,1 | |
Keine Angabe | 6 | 15,8 | |
Medizinische Parameter | Anzahl (n) | % | |
Body-Mass-Index, kg/m² | |||
25–29,9 (Übergewicht) | 4 | 10,5 | |
30–34,9 (Adipositas Grad I) | 16 | 42,1 | |
35–39,9 (Adipositas Grad II) | 9 | 23,7 | |
40+++(Adipositas Grad III) | 8 | 21,1 | |
keine Angabe | 1 | 2,6 | |
Blutdruck (systolisch), mmHg | |||
+<+120 | 2 | 5,3 | |
120–129 | 6 | 15,8 | |
130–139 | 12 | 31,6 | |
140–159 | 9 | 23,7 | |
160–179 | 4 | 10,5 | |
+>+180 | 1 | 2,6 | |
keine Angabe | 4 | 10,5 | |
Vorerkrankungen (Mehrfachnennung möglich) | |||
Muskel-Skelett-Erkrankungen | 18 | 47,4 | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen | 8 | 21,1 | |
Bluthochdruck | 18 | 47,4 | |
Erhöhte Blutfette | 12 | 31,6 | |
Erhöhter Blutzucker/Diabetes | 9 | 23,7 | |
Krebs/Leukämie/Lymphome | 1 | 2,6 | |
Chronische Atemwegserkrankungen | 4 | 10,5 | |
Allergien | 7 | 18,4 | |
Chronische Erkrankungen der Nerven oder Sinnesorgane | 3 | 7,9 | |
Psychische Erkrankungen | 9 | 23,7 | |
Blasen- Prostata- oder Nierenerkrankungen | 2 | 5,3 | |
Migräne oder Kopfschmerzen | 5 | 13,2 | |
Andere chronische Erkrankungen | 5 | 13,2 | |
Sonstiges | 4 | 10,5 |
Ergebnisevaluation
Insgesamt änderte sich die Gesundheitskompetenz der Studienteilnehmenden nicht. In den Subdimensionen des HeiQ-Core-Fragebogens ließen sich leicht positive („Kooperation und Zurechtfinden im Gesundheitssystem“) sowie in zwei Fällen negative Veränderungen der Mediane feststellen („Gesundheitsförderliches Verhalten“, „Konstruktive Einstellungen“) ( Tab. 2 ). Die Veränderungen waren statistisch nicht signifikant. In Bezug auf die HRQL konnten zu T2 keine Veränderungen der körperlichen Komponenten des SF-12v2 festgestellt werden, jedoch stiegen die psychischen Komponenten signifikant von 46,5 auf 49,9 an ( Tab. 2 ). Für die medizinischen Parameter lagen lediglich für BMI und systolische Blutwerte zu T2 genügend Werte vor, um Medianvergleiche durchzuführen ( Tab. 2 ).
Tab. 2 Veränderungen der Gesundheitskompetenz (HeiQ-Core), der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF-12v2) sowie des BMIs und des systolischen Blutdrucks nach 12 Monaten. Für den SF-12v2 werden zu T0 und T2 Mittelwert und Standardabweichung (SD) dokumentiert, für alle weiteren Variablen Median und Interquartilsabstand (IQR). Für den HeiQ-Core lagen zu T0 36 und zu T2 28 Fragebögen vor. Für den SF-12v2 lagen zu T0 34 und zu T2 28 Fragebögen vor.
Dimension | T 0 (IQR/SD) | T 2 (IQR/SD) | p-Wert | |
---|---|---|---|---|
HeiQ-Core | Gesundheitsförderliches Verhalten | 3,00 (1,00) | 2,75 (0,75) | 0,26 |
Aktive Beteiligung am Leben | 3,00 (0,80) | 3,00 (0,90) | 0,18 | |
Selbstüberwachung und Krankheitsverständnis | 3,00 (0,58) | 3,00 (0,67) | 0,44 | |
Konstruktive Einstellungen | 3,40 (0,80) | 3,20 (1,10) | 0,09 | |
Erwerb von Fertigkeiten und Handlungsstrategien | 3,00 (0,75) | 3,00 (0,75) | 0,49 | |
Soziale Integration und Unterstützung | 3,00 (1,10) | 3,00 (0,70) | 0,41 | |
Kooperation und Zurechtfinden im Gesundheitssystem | 3,00 (0,60) | 3,20 (1,20) | 0,29 | |
Emotionales Wohlbefinden | 2,17 (0,83) | 2,17 (1,17) | < 0,001 | |
SF-12v2 | Körperliche Komponenten (PCS) | 46,9 (8,5) | 46,9 (8,6) | 0,68 |
Psychische Komponenten (MCS) | 46,5 (11,0) | 49,9 (10,3) | 0,03 | |
med. Parameter | BMI | 34,2 (6,4) | 33,8 (9,2) | < 0,001 |
Blutdruck (systolisch) | 131 (12,0) | 128 (15,5) | 0,05 |
Prozessevaluation
Anwendung der Schulungsinhalte: Inhalte, Umsetzbarkeit, Effekte und Verbesserungspotentiale
Die Fokusgruppen hatten eine Länge von 91 und 67 Minuten; die Interviews dauerten zwischen 9 und 24 Minuten und wurden telefonisch geführt. Tab. 3 zeigt aussagekräftige Zitate für die folgenden Analysen.
Tab. 3 Beispielzitate für die Themen der Prozessevaluation.
Thema | Beispielzitate |
---|---|
1. Anwendung der Schulungsinhalte: Inhalte, Umsetzbarkeit, Effekte und Verbesserungspotentiale | |
Zu viel Lehrinhalte während der Fortbildung | „Also, ich fand es jetzt gar nicht verkehrt, dass du selber den Hintergrund mal weißt. Du wirst ihn nie weitergeben. Aber ich bin ein Mensch, ich möchte vieles verstehen, um es dann weitergeben zu können. Ich mag viele Sachen nicht machen, wenn ich wenn ich es nicht verstehe oder den Sinn nicht sehe. Klar [es] war viel. Ich habe vieles auch selber nicht verstanden. Aber das mal gehört zu haben, fand ich nicht schlimm und auch nicht verkehrt.“ (Präventionsberater) |
„Ich verstehe die Formeln nicht, Wie soll ich sie jetzt den Patienten rüberbringen?“ (Präventionsberater) | |
„Ich denke, wenn man da noch ins Detail richtig reingehen würde, dann würde man mit der Zeit [des Beratungsgesprächs] gar nicht mehr klarkommen.“ (Präventionsberater) | |
„Das ist nicht unsere Aufgabe, Ernährungsberater [zu sein]. Sowas sind wir nicht. Kleine Tipps geben, klar, […] aber diese ganzen Details, das fand ich zu viel.“ (Präventionsberater) | |
„Das nehmen die auch nicht auf die Patienten. Man muss immer gucken, was man für eine Klientel hat.“ (Präventionsberater) | |
vorhandenes Wissen und Zertifizierung der MFA | „Dieser Präventionsberater, wir waren alle ein bisschen der Meinung, dass wir das in unserem alltäglichen Leben sowieso schon mitmachen, aber hier nochmal so eine richtige intensive Schulung bekommen, um das ein bisschen professioneller zu machen. […] Wir wissen jetzt, wovon wir reden, wir können es auch beweisen – wir haben unser Zertifikat.“ (Präventionsberater) |
„[Ich habe] Denkanstöße bekommen. Sicherlich weiß man viele Sachen eigentlich.“ (Präventionsberater) | |
„Also ich fühle mich in der Umsetzung sicher. Im Vorfeld wusste man auch schon eine gesunde Lebensweise funktioniert. Das haben wir eigentlich von Kindesbeinen auf gelernt.“ (Präventionsberater) | |
„[Präventions-]Gespräche haben wir im täglichen Praxisalltag sowieso geführt.“ (Präventionsberater) | |
vorhandenes Wissen der Patienten | „Die Patienten, die ich in der Betreuung habe, die wissen auch worauf es ankommt, was sie falsch machen und was sie verändern möchten. Es fehlt halt jemand, der nochmal ein Auge darauf hat.“ (Präventionsberater) |
„[Der] eine Patient, der schon erfolgreich ist, […] der hat gesagt: „Was soll ich jetzt hier? […] Ich weiß alles […] eigentlich können wir das abkürzen […] Ich weiß, was ich will, ich weiß, was ich machen muss.“ (Präventionsberater) | |
„Viele brauchen wirklich nur diesen Anstoß. Jeder weiß, wie man sich vernünftig ernährt, jeder weiß, dass Bewegung gut tut.“ (Präventionsberater) | |
Menschenbild und Kommunikationstechnik | „Man ist ja eigentlich nur noch Begleiter […] und hört zu, hört die Geschichten und sagt: „Ja, super.” oder sagt auch etwas dazu, aber meistens ist es nur, was ich auch sehr angenehm finde, ein Gespräch, in dem man auf gleicher Augenhöhe ist. Meistens fühlen die [Patienten] sich am Anfang so: „Ich bin hier und um Gottes Willen die erwarten so viel von mir.” Und man merkt es richtig, wenn die im Laufe der Zeit dann auf Augenhöhe sind und mit ihren Problemen selber zurechtkommen und ihr Leben selber meistern. Man ist dann nur noch Begleiter irgendwann und das finde ich toll.“ (Präventionsberater) |
„Dass man einen bestimmten Fragestil hat oder einen bestimmten Rede[stil], dass man nicht den Leuten irgendwas einredet oder sie überredet. Sondern, dass die sozusagen mit einem zusammen auf diesen Weg kommen.“ (Präventionsberater) | |
Verständnis der Beratungstätigkeit | „Ich erkläre den Patienten, dass ich sie gerne begleiten will, aber Ihnen nicht sagen werde, was genau sie zu tun haben dass sie ihren Weg finden müssen.“ (Präventionsberater) |
„Dass sie da ihren Weg finden müssen, weil es soll ja auch nachhaltig sein und wenn ich denen einen Weg aufdiktiere, funktioniert es ganz klar nicht. Und wenn die ihren eigenen Weg finden und man unterstützt - nur so kann es auf Dauer funktionieren, dass die auch nach dem Jahr noch weitermachen.“ (Präventionsberater) | |
„Ich werde ihnen [den Patienten] keine Vorschriften machen, was sie zu tun haben - sie müssen es einfach wollen und ihren Weg dabei finden. Ich kann sie da nur unterstützen und anschieben." (Präventionsberater) | |
Gesundheitsziele | „Fast alle musste man erstmal runterholen und sagen: „Ja, das ist ein Ziel, aber lass uns mal klein anfangen. Das hier kann ja irgendwo stehenbleiben.” Oder man sagt am Anfang: „Das werden wir in einem Jahr nicht schaffen, dieses Ziel.“ [..] Wir können jetzt erst nur so weit darauf hinarbeiten, dass man dann den Weg allein weitergehen kann.” (Präventionsberater) |
„Die Ziele, die sie sich stecken, die sind meist utopisch […] Die musste man dann gleich am Anfang ein bisschen runterholen.“ (Präventionsberater) | |
„Meistens sind es dann immer Wahnsinnswünsche. Da gehe ich dann höchstens drauf ein und sage: „Also wir machen jetzt erstmal Stück für Stück. […] Und dann kleine Schritte.“ (Präventionsberater) | |
Beratungsatmosphäre | „Ich denke, das wird auch immer eine Antipathie – Sympathie sein. Aber bei meiner Präventionsleiterin habe ich mich geborgen gefühlt.“ (Studienteilnehmende) |
„Also ich bin doch gern hingegangen. Die Präventionsberaterin ist eine ganz Liebe, ich habe mich sehr aufgehoben und verstanden gefühlt.“ (Studienteilnehmende) | |
„Die Anfänge waren für mich sehr schwer, weil ich von einer Ärztin ein bisschen „Du, Du” gekriegt habe, weil meine Werte schlecht waren. Da hat [die Präventionsberaterin] mich aufgebaut.“ (Studienteilnehmende) | |
„Es ist halt eine Arztpraxis. Also so, wie man sich da eben fühlt, wenn man beim Arzt ist, aber dadurch, dass ich wusste, dass jetzt nicht Frau Doktor reinkommt, sondern [die Schwester] war das immer ganz angenehm.“ (Studienteilnehmende) | |
2. Teilnahme am Präventionsprogramm | |
Alter und Teilnahme | „Aber, wenn es in die Tiefe geht, dann haben natürlich die älteren Menschen keine Lust.“ (Präventionsberater) |
„Ich habe nur ältere Menschen ab 70 aufwärts, die sind da eher zurückhaltend.“ (Präventionsberater) | |
“Wie kommen [die älteren Menschen] dann hierher? Wer fährt sie denn? Ist natürlich dann auch wieder mit Aufwand verbunden. Dann heißt es wieder: „Ich habe keinen, der mich fährt, ich habe keinen, der mich bringt”. (Präventionsberater) | |
„…und denn sagt er da „Nein, er hat nicht so wirklich Ziele”. (Präventionsberater) | |
Teilnahmemotivation Gewichtsreduktion | „Bei [meinen Patienten] geht es um Gewichtsreduktion, darum Medikamente loszuwerden, sprich auch den Bluthochdruck zu senken, die Nebenerkrankung damit auch zu minimieren und zu reduzieren.“ (Präventionsberater) |
„Meine Patienten sind zwecks Adipositas [in der Beratung].“ (Präventionsberater) | |
3. Barrieren der Umsetzung | |
Zeitabstände der Beratungssitzungen | „Das setzt die [Patienten] auch einen bisschen unter Druck, dass sie dann vierteljährlich kommen und auf die Waage gehen.“ (Präventionsberater) |
„Dann haben wir schon die Zeiten zwischen den Gesprächen von nur einem Mal im Quartal auf 6 Wochen verkürzt. Aber eigentlich müsste ich die [Patienten] jede Woche sehen, damit man ihnen immer wieder in den Arsch treten kann, damit sie was für sich tun.“ (Präventionsberater) | |
„Ich hätte mehr erwartet, weil wenn die im Gespräch sind, sind die immer wunderbar motiviert. Und wenn die die Tür hinter sich zu machen, wenn die dann wieder rausgehen, dann ist das, als wenn das alles nicht passiert ist und das läuft zu Hause dann so weiter wie gehabt.“ (Präventionsberater) | |
Zeitmangel | „Das raubt auch irgendwo Kraft, dieser Zeitfaktor. [Die Präventionsberatung] in den normalen Arbeitsalltag mit einzubauen ist schwierig, weil man sich darauf konzentriert und sagt: „Lass den Rest erstmal hinten runterfallen, solange der Patient da vor dir sitzt.“ Aber man geht dann letztendlich mit einem unguten Gefühl nach Hause, weil die normale Arbeit liegen bleibt und das macht mich persönlich unzufrieden.“ (Präventionsberater) |
Räumliche Gegebenheiten der Praxis | „Bei mir ist es eher […] ein räumliches Problem, weil wir eine Lehrpraxis sind und wir viele Studenten haben […]. Wenn die Präventionspatienten – die meistens berufstätig sind – Zeit für mich haben, [ist das] am Nachmittag. Dann haben wir oft Studenten da und dann finde ich immer nicht so richtig einen Raum für mich, wo ich hinkann. Das war eher immer mein Problem, dass ich das immer so mache, dass ich es irgendwie hinkriege, dass ich ein Räumchen für mich habe.“ (Präventionsberater) |
„Die Sprechstunde läuft, man muss einen Raum haben, […] wo man reingehen kann und sowas alles. Das ist immer […] was keiner bedenkt. Die Praxis muss […] noch nebenbei [laufen] und man will auch ungestört mit den Patienten sprechen, da soll nicht immer einer hereinkommen.“ (Präventionsberater) |
Wenngleich die PBs die Schulung insgesamt als sehr positive Erfahrung beschrieben, wurde darauf hingewiesen, dass theoretische Aspekte teilweise zu komplex und unverständlich aufbereitet waren und in der Beratung kaum Anwendung fanden. Hierzu zählte insbesondere tiefgreifendes wissenschaftliches Hintergrundwissen zum Thema Ernährung. Vielmehr wurde während der Beratung oftmals auf Wissen zurückgegriffen, das bereits vor der Schulung vorhanden war. Die vermittelten theoretischen Inhalte der Schulung dienten vor allem dazu, die Richtigkeit vorhandenen Wissens der PBs zu bestätigen. Als für die Beratung von Bedeutung empfanden die PBs vor allem die praktische Hilfestellungen im Alltag sowie den sozialen Druck, der durch die Kontrollfunktion der Treffen mit dem PB erzeugt wurde. Auch die in der Schulung erlernten Kommunikationstechniken waren für die PBs von besonderer Bedeutung, da sie mit deren Hilfe die persönlichen Bedürfnisse, Zielsetzungen und Möglichkeiten der Teilnehmenden fokussieren konnten. Die PBs sahen ihre Aufgabe dabei nicht hauptsächlich in der Vermittlung von spezifischem Wissen, sondern in der Rolle des persönlichen Ansprechpartners, der dem Teilnehmer zur Erreichung von Gesundheitszielen unterstützend zur Seite steht. Dabei konnten sie die vermittelten Standardabläufe der Beratung bedürfnis- und situationsspezifisch an die Patienten anpassen und fehlendes Wissen recherchieren. Dies setzte bereits bei der Findung realistischer Gesundheitsziele für die Teilnehmenden an.
In den Patienteninterviews (n+=+5) wurde die Gesprächsatmosphäre und -führung in den Beratungssitzungen durchgängig als äußerst angenehm beschrieben. Die PBs waren in der Lage, den Patienten die Angst vor Verurteilung zu nehmen, wenn Gesundheitsziele nicht erreicht werden konnten. Gleichzeitig fühlten sich Patienten von den PBs ernst genommen. So entstand während der Beratungssituation eine Art safe space , der für Patienten ein hilfreiches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Ansätzen und der klassischen Sprechstundensituation mit Ärzten darstellte. Unterstützt wurde dies dadurch, dass PBs von Patienten als besonders vertrauenswürdig eingeschätzt wurden, was auch dadurch bedingt wurde, dass die Teilnehmenden teilweise bereits seit Jahren von diesen innerhalb der Praxis betreut wurden. Auch der Teilnehmerfragebogen (n+=+24) zeigte, dass die Patienten mit dem Beratungsprogramm insgesamt sehr zufrieden waren ( Abb. 1 ).
Abb. 1.
Ergebnisse des Patientenfragebogens, eigene Darstellung (n+=+24).
Teilnahme am Präventionsprogramm
Die Rekrutierung der Patienten in die Intervention erfolgte über verschiedene Wege. Während in der Regel Patienten aus der eigenen Praxis die Zielgruppe waren, legte mindestens ein PB Informationen zu der Intervention in anderen Arztpraxen aus. Ein Bericht in einer Lokalzeitung machte das Programm zudem unter der ansässigen Bevölkerung bekannt. Die PBs berichteten von einem eher geringen Interesse an der Intervention und von Schwierigkeiten damit, Teilnehmende anzuwerben. Die Patientenklientel der Praxen wurde als nicht passend eingestuft, was durch ein allgemein fortgeschrittenes Alter, Immobilität sowie der Abwesenheit von Gesundheitszielen und dem Vorliegen psychischer Herausforderungen bedingt war. Studienteilnehmende äußerten als Motivation für die Teilnahme an der Intervention vor allem den Wunsch nach einer Reduktion von Gewicht sowie dem Erlernen eines gesünderen Lebenswandels.
Barrieren in der Umsetzung
Wenngleich das Beratungskonzept sehr positiv aufgenommen wurde, vermuteten manche PBs, dass vor allem die Kontrollfunktion der Sitzungen bewirkte, dass sich Patienten an vereinbarte Maßnahmen hielten. Dementsprechend verkürzten einige der PBs bei ausbleibendem Erfolg die Abstände zwischen den Sitzungen. Mehrfach wurde die teilweise mangelnde Vereinbarkeit der Beratertätigkeit mit den alltäglichen Pflichten der MFAs thematisiert, wonach die Beratungen häufig während des regulären Praxisalltags stattfinden mussten. Auch der hohe Dokumentationsaufwand der Evaluation erschwerte die Durchführung der Beratungsgespräche aus Sicht der PBs, auch wenn mit Fortschreiten der Studie Routinen entwickelt werden konnten, um diesen Effekt zu verringern. Darüber hinaus konnten Teilnehmende, die ihr Gewicht reduzieren wollten, nicht in Sportkursen untergebracht werden, da kaum entsprechende Kurse in der Region angeboten wurden.
Aufgrund der Sars-CoV-2-Pandemie änderte sich die Durchführbarkeit der Beratungsgespräche. Die Pandemie führte dazu, dass Beratungstermine teilweise verschoben, telefonisch oder mit Maske in der Praxis geführt wurden. Die telefonische Beratung wurde als angemessener Ersatz für eine Vor-Ort-Beratung angesehen, wenn die Patienten ein grundsätzlich hohes Maß an Selbstständigkeit aufwiesen und selber an ihren Gesundheitszielen arbeiten konnten. Einige PBs äußerten jedoch Vertrauensprobleme gegenüber ihren Patienten, da telefonische Angaben nicht kontrolliert werden konnten.
Diskussion
Die vorliegende Evaluation konnte auf mehreren Ebenen Erkenntnisse zur Intervention „Die Präventionsberater“ erarbeiten. Mit Ausnahme einer Subdimension des SF-12v2 konnte keine signifikante Steigerung der Gesundheitskompetenz oder der gesundheitsbezogenen Lebensqualität festgestellt werden. Die PBs waren im Wesentlichen in der Lage, die erlernten Schulungsinhalte in Beratungsgesprächen umzusetzen und so in der hausärztlichen Versorgung gesundheitspräventive Beratungen durchzuführen. Der partizipative und patientenorientierte Ansatz, Präventionsziele gemeinsam und flexibel zu identifizieren und zu adjustieren, zeigte dabei Potentiale für eine individuelle Betreuung von Patienten, wobei sich ein vertrauensvolles Verhältnis zum PB als besonders bedeutsam herausstellte.
Die Evaluation konnte Ansatzpunkte zur optimierten Gestaltung ähnlicher Interventionen ermitteln. So zeigte sich, dass die Schulung theoretisches Wissen vermittelte, welches nicht in die Beratungen einfloss. Vielmehr sollten Schulungen auf anwendungsorientiertes Wissen fokussieren, wozu etwa Ansätze für die Entwicklung von Eigenständigkeit in der Umsetzung und Aufrechterhaltung von vereinbarten Maßnahmen gehören. Auf diese Weise können Patienten befähigt werden, positive Effekte zwischen den Beratungssitzungen und nach deren Abschluss aufrechtzuerhalten. Weiterhin kann eine Präzisierung der für die Intervention in Frage kommenden Personen die Durchführung und insbesondere die initiale Rekrutierung erleichtern. Im Hinblick auf die eingeschlossene Patientenklientel mag ein Fokus auf Adipositas und kardiovaskuläre Erkrankungen sinnvoll erscheinen. Die Beratung von Menschen mit psychischen Erkrankungen könnte in diesem Zusammenhang aus der Beratungsstruktur ausgeschlossen werden.
Es konnte festgestellt werden, dass die Passung der Intervention an die individuellen Praxisabläufe nur unzureichend ausgeprägt war. So sollten Fragen bezüglich Personal- und Zeitmanagement der Beratungstätigkeit sowie zum Bereitstellen von Räumlichkeiten vorab geklärt werden, um Mehrbelastung der MFAs und negative Auswirkungen auf den Praxisalltag zu vermeiden. Eine wenigstens anteilige telefonische oder Video-Betreuung kann hierbei Kapazitäten einsparen und gleichzeitig die Frequenz des Austausches hoch halten. Ähnliche Interventionen könnten in der Zukunft somit dem allgemeinen Trend der Digitalisierung im Präventionsbereich folgen 6 22 . Als zusätzliche Belastung erwies sich der speziell für die Ergebnis- und Prozessevaluation erforderliche von den Beratenden zu leistende Dokumentationsaufwand, der sich negativ auf die Datenerhebung auswirkte und sich darin ausdrückte, dass es den PBs im Praxisalltag nicht möglich war, sämtliche für die Einordnung der Intervention relevanten Daten zu erheben. Zur Passung gehören letztlich auch ergänzende, Praxis-externe Angebote, wie etwa Sport- oder Entspannungskurse, die den Teilnehmenden strukturierte Möglichkeiten zur Erreichung ihrer Gesundheitsziele bieten können. Im Rahmen der vorliegenden Intervention mangelte es solchen Angeboten in der Region, sodass sportliche Aktivitäten zu einem Gutteil der Eigenorganisation der Teilnehmer überantwortet wurden. Intervention ähnlich zu der hier untersuchten sollten aus diesem Grund sicherstellen, dass Kurse verfügbar sind oder eigene Angebote schaffen.
Die ungeeignete Passung mündete letztlich darin, dass die Intervention nur von wenigen Patienten in Anspruch genommen wurde und das ursprünglich anvisierte Rekrutierungsziel von 70 Patienten deutlich verfehlt wurde. Es konnte nicht erhoben werden, wie viele Patienten in den Arztpraxen angesprochen wurden und letztlich eine Teilnahme ablehnten, da die an die PBs ausgehändigten Dokumentationslisten nicht genutzt wurden. Das verzerrende Potential von Selbstselektion durch besonders motivierte Teilnehmende kann im Rahmen der Intervention demnach nicht bewertet werden. Zudem ist der Grund für die geringe Anzahl an Teilnehmerfragebogen-Rückläufern nicht bekannt, jedoch wird vermutet, dass der allgemeine Dokumentationsaufwand der PBs hierfür ursächlich ist. Ähnlich zu vielen präventiven Interventionen konnten nur vergleichsweise wenige Männer in die Studie eingeschlossen werden. Inwieweit mithilfe von PBs am Individuum angepasste verhaltenspräventive Maßnahmen in Hausarztpraxen erfolgreich etabliert werden können, hängt demnach von einem komplexen Zusammenspiel von Schulungsinhalten, Praxisstrukturen und Dynamiken zwischen Patientenklientel und PBs ab. Im Hinblick auf die dargelegten Ergebnisse erscheint es zuallererst bedeutsam, sowohl das Interventionsdesign als auch die individuellen Praxisabläufe derartig zu harmonisieren, dass Präventionsberatung und MFA-Tätigkeiten in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Hierzu zählen insbesondere räumliche und zeitliche Freiräume für die PBs, sodass sich diese fokussiert der Beratung widmen können.
Ethische und rechtliche Anforderungen
Für die Evaluation der Studie liegt ein Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane vor (E-01–20190708).
Funding Statement
Fundref Information Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg — KV Consult- und Managementgesellschaft mbH —
Footnotes
Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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