Abstract
Hintergrund
Die Therapielandschaft des metastasierten hormonsensiblen Prostatakarzinoms (mHSPC) hat sich in den letzten Dekaden grundlegend von einer alleinigen Androgendeprivationstherapie (ADT) hin zu einer intensivierten Kombinationstherapien gewandelt.
Fragestellung
Inwieweit haben die Daten der prospektiven Phase-III-Studien Einzug in den klinischen Alltag in der Behandlung des mHSPC innerhalb der letzten 5 bzw. 10 Jahre erhalten.
Ergebnisse
Insgesamt konnten für die vorliegende Studie 1098 mHSPC-Patienten mit einem medianen Alter bei Metastasierung von 70 Jahre und einem medianen prostataspezifischen Antigen (PSA) von 43 ng/ml inkludiert werden. Signifikante Unterschiede zeigten sich bzgl. des PSA-Nadirs beim mHSPC nach Jahresstratifizierung. Ebenso zeigten sich signifikante Unterschiede bezüglich der eingesetzten Systemtherapien beim mHSPC und metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC; p < 0,001). Bezüglich der jährlichen Änderungsraten („estimated annual percentage changes“, EAPC) der letzten 10 Jahre zeigte sich ein signifikanter Abfall der ADT-Monotherapie von 85 % (2013) zu 29 % (2023, EAPC: −12 %, p < 0,001). Umgekehrter Weise zeigt sich ein signifikanter Anstieg von Substanzen zur Blockade des Androgenrezeptorsignalweges (ARSI) von 6 % in 2013 auf 55 % in 2023 (EAPC: +21,7 %, p < 0,001). Bezüglich der Docetaxel-Chemotherapie zeigt sich über die letzten 10 Jahre ein glockenhafter Verlauf von 8 % in 2013 zu 25 % in 2019 und einem Abfall auf 0 % in 2023. Der Anteil der Triplet-Therapien lag 2023 bei 16 %.
Schlussfolgerung
Innerhalb der letzten 10 Jahre zeigt sich eine Adaptation der Phase-III-Studien zur intensivierten Kombinationstherapien beim mHSPC in der klinischen Realität mit dem häufigsten Einsatz von ARSI und Triplet-Therapie beim mHSPC.
Schlüsselwörter: ARSI, Triplet-Therapie, Androgenrezeptorsignalweg, Chemotherapie, Prostatakrebs
Abstract
Background
The treatment landscape of metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC) has undergone fundamental changes in recent decades, moving away from the sole use of androgen deprivation therapy (ADT) and towards intensified combination therapies.
Purpose
To what extent have the data from prospective phase III studies influenced clinical practice in the management of mHSPC over the past 5 or 10 years?
Results
A total of 1098 mHSPC patients with a median age at metastasis of 70 years and a median prostate-specific antigen (PSA) level of 43 ng/ml were included in the present study. Significant differences were observed in terms of PSA nadirs in mHSPC after stratification by year of metastatic onset. Significant differences were also observed regarding systemic therapies applied in mHSPC and metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC; p < 0.001). Regarding the annual estimated percentage change (EAPC) over the past 10 years, a significant decrease in ADT monotherapy from 85% (2013) to 29% (2023; EAPC: −12%, p < 0.001) was observed. Conversely, there was a significant increase in androgen receptor signaling inhibitor (ARSI) use from 6% in 2013 to 55% in 2023 (EAPC: +21.7%, p < 0.001). Regarding docetaxel chemotherapy, a bell-shaped pattern was apparent over the past 10 years, with rates increasing from 8% in 2013 to 25% in 2019 and decreasing to 0% in 2023. The proportion of triplet therapies was 16% in 2023.
Conclusion
Over the past 10 years there has been an adaptation of intensified combination therapies for mHSPC in clinical reality, with the most frequent use of ARSI and triplet therapies.
Keywords: ARSI, Triplet therapy, Androgen receptor signaling inhibitor, Chemotherapy, Prostatic neaplasms
Einleitung
Über viele Dekaden hinweg war die vorherrschende Behandlungsmethode für Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem (mHSPC) als auch metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) die alleinige Androgendeprivationstherapie (ADT; [1]). Nachdem erstmals im Jahr 2004 und folgend die ersten Kombinationstherapie aus ADT und Docetaxel sowie weitere Kombinationen für mCRPC-Patienten einen Überlebensvorteil zeigten, hat sich der Fokus der Forschung in den letzten 10 Jahren verstärkt auf das mHSPC verlagert [2, 3]. In dieser Zeit haben verschiedene Kombinationstherapien mit ADT plus Docetaxel-Chemotherapie oder Substanzen zur Blockade des Androgenrezeptorsignalweges (ARSI) wie Abirateron bei bestimmten Metastasierungsmuster wie „high volume“ nach CHAARTED oder „high risk“ nach LATITUDE einen signifikanten Überlebensvorteil gezeigt [4–6]. Zusätzlich konnten kürzlich für ARSI wie Apalutamid und Enzalutamid ein Überlebensvorteil unabhängig von der Metastasenlast und dem Zeitpunkt der Metastasierung (primäres vs. sekundäres mHSPC) nachgewiesen werden und somit stellen ARSI-Therapien den aktuellen Goldstandard in der mHSPC-Behandlung dar [7–9].
Die zuletzt präsentierten Daten zur sog. Triplet-Therapie aus ADT plus Docetaxel und Abirateron sowie ADT plus Docetaxel und Darolutamid zeigten zudem einen signifikanten Überlebensvorteil im Vergleich zur Standardbehandlung mit ADT und Docetaxel v. a. bei Patienten mit einer High-volume-Erkrankung [10–13]. Aktuell vergeht kaum ein internationaler Kongress, auf dem keine neue Daten zu Kombinationstherapien für das mHSPC und mCRPC vorgestellt werden. Offen bleibt, inwieweit die mHSPC-Kombinationstherapien der Phase-III-Studien auch wirklich Einzug in die klinische Praxis in der Behandlung des mHSPC gefunden haben. Entsprechend beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Frage nach den Trends der Anwendungen der Kombinationstherapien innerhalb der letzten 10 Jahre beim mHSPC aus Sicht der klinischen Behandlungsrealität.
Material und Methoden
Patientenkohorte
Für die vorliegende Studie wurden nach vorherigem Ethikvotum alle mHSPC-Patienten, welche mindestens einmal seit 2014 im Tumorboard des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen Frankfurt (UCT) vorgestellt und diskutiert wurden, retrospektiv aus der metastasierten Prostatakarzinomdatenbank der Klinik für Urologie der Goethe-Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland, inkludiert. Alle Tumor- sowie Patientencharakteristika sowie onkologischen Verlaufsdaten wurden aus den vorliegenden elektronischen Patientenakten anonymisiert entnommen. Insgesamt qualifizierten sich somit 1098 mHSPC-Patienten für den Einschluss in die vorliegende Studie. Ein Großteil der Therapiesequenzen für Patienten im mHSPC und mCRPC wurde dabei durch die niedergelassenen Urologen und Urologinnen eingeleitet.
Statistik und primäre Endpunkte
Die analytische Auswertung der Daten umfasste die Erfassung von Häufigkeitsverteilungen für kategorial gekodete Variablen sowie die Ermittlung von Medianen unter Einbeziehung der Interquartilsabstände (IQR) für kontinuierlich gekodete Variablen. Für die vorliegenden Tumor- und Patientencharakteristika wurden alle verfügbaren Daten innerhalb des Einschlusszeitraumes genutzt und eine Stratifizierung der Studienpopulation erfolgte entsprechend nach dem Jahr der Metastasierung (≤ 2006–2012 vs. 2013–2017 vs. 2018–2024).
Die primären Endpunkte der Studie waren die relativen Veränderungen des Anteils von De-novo- vs. sekundär metastasierten mHSPC-Patienten sowie die Therapieverteilungen im mHSPC über die letzten 5 bzw. 10 Jahre (seit 2013 bzw. seit 2018). Aufgrund des vornehmlichen Wandels der Systemtherapie im mHSPC innerhalb der letzten Dekade beschränkten sich die Trendanalysen lediglich auf die letzten 10 Jahre. Die Änderungen wurden statistisch mittels Log-linear-Regressionen erstellt, um die jährliche Änderungsrate („estimated annual percetange change“, EAPC) zu berechnen und graphisch darzustellen [14, 15]. Änderungen bei einem Signifikanzlevel von p < 0,05 wurden als statistisch signifikant gewertet. Sämtliche Analysen wurden mithilfe der Statistiksoftware R (Version 2023.12.1 +402) durchgeführt.
Ergebnisse
Insgesamt konnten für die vorliegende Studie 1098 mHSPC-Patienten inkludiert werden (Tab. 1). Das mediane Alter bei der Metastasierung lag bei 70 (IQR: 64–76) Jahren mit einem medianen PSA von 43 (11–223) ng/ml. Der Anteil der Patienten mit Estern Cooperative Oncology Group (ECOG)-Status ≥ 2 lag an der Gesamtkohorte bei 6,5 %. Die Rate an De-novo-mHSPC-Patienten lag bei 60 % und eine primäre viszerale Metastasierung lag in 8,3 % der Fälle vor. Die Rate der Lokaltherapie bei Patienten mit Low-volume-de-novo-mHSPC stieg von 44 % (≤ 2006–2012) auf 66 % in 2018–2024 (p = 0,6) an.
Tab. 1.
N | Gesamt N = 10981 | Jahre ≤ 2006–2012, N = 165 (15 %)1 | Jahre 2013–2017, N = 363 (33 %)1 | Jahre 2018–2024, N = 570 (52 %)1 | p-Wert2 | |
---|---|---|---|---|---|---|
Alter metastasiertes PCa | 1029 | 70 (64, 76) | 67 (61, 70) | 70 (64, 75) | 71 (64, 77) | < 0,001 |
PSA mHSPC | 561 | 43 (11, 223) | 15 (7, 150) | 77 (17, 425) | 40 (11, 175) | < 0,01 |
PSA-Nadir mHSPC | 378 | 0,5 (0,1, 2,9) | 2,0 (0,9, 4,5) | 1,0 (0,2, 4,1) | 0,3 (0,05, 2,0) | < 0,001 |
PSA-Abfall ≥ 99 % | 316 | 153 (48 %) | 4 (29 %) | 27 (41 %) | 122 (52 %) | 0,095 |
PSA mCRPC | 374 | 15 (4, 65) | 30 (10, 64) | 16 (4, 71) | 13 (4, 64) | 0,15 |
ECOG ≥ 2 | 796 | 52 (6,5 %) | 4 (4,1 %) | 31 (11 %) | 17 (4,1 %) | < 0,001 |
Gleason Score | 964 | – | < 0,001 | |||
6–7 | – | 308 (32 %) | 57 (45 %) | 73 (23 %) | 178 (34 %) | – |
8–10 | 656 (68 %) | 69 (55 %) | 241 (77 %) | 346 (66 %) | ||
Lokaltherapie De-novo-low-volume-mHSPC | 160 | 94 (59 %) | 4 (44 %) | 22 (46 %) | 68 (60 %) | 0,6 |
Viszerale Metastasen mHSPC | 902 | 75 (8,3 %) | 8 (7,4 %) | 21 (7,8 %) | 46 (8,8 %) | 0,8 |
High-volume-mHSPC | 655 | 327 (50 %) | 22 (54 %) | 99 (58 %) | 206 (46 %) | 0,028 |
High-risk-mHSPC | 669 | 364 (54 %) | 25 (58 %) | 110 (63 %) | 229 (51 %) | 0,022 |
De-novo-mHSPC | 1076 | 645 (60 %) | 73 (48 %) | 225 (62 %) | 347 (62 %) | < 0,01 |
Systemtherapie mHSPC | 1064 | – | < 0,001 | |||
Docetaxel | – | 107 (10 %) | 4 (2,5 %) | 44 (13 %) | 59 (11 %) | – |
ADT mono/nmHSPC/nmCRPC | 601 (56 %) | 138 (86 %) | 269 (77 %) | 194 (35 %) | ||
ARSI | 308 (29 %) | 17 (11 %) | 27 (7,7 %) | 264 (48 %) | ||
Triplet | 28 (2,6 %) | 0 (0 %) | 0 (0 %) | 28 (5,1 %) | ||
Other | 20 (1,9 %) | 2 (1,2 %) | 10 (2,9 %) | 8 (1,4 %) | ||
Systemtherapie mCRPC | 1098 | – | < 0,001 | |||
ADT mono | – | 71 (6,5 %) | 30 (18 %) | 36 (9,9 %) | 5 (0,9 %) | – |
Chemotherapie | 132 (12 %) | 35 (21 %) | 44 (12 %) | 53 (9,3 %) | ||
RLT | 24 (2,2 %) | 1 (0,6 %) | 9 (2,5 %) | 14 (2,5 %) | ||
ARSI | 367 (33 %) | 61 (37 %) | 157 (43 %) | 149 (26 %) | ||
Radium | 32 (2,9 %) | 8 (4,8 %) | 23 (6,3 %) | 1 (0,2 %) | ||
Keine/andere/NA | 472 (43 %) | 30 (18 %) | 94 (26 %) | 348 (61 %) |
PCa Prostatakarzinom, PSA prostataspezifisches Antigen, mCRPC metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom, ECOG Eastern Cooperative Oncology Group, ADT Androgendeprivationstherapie, nmHSPC/nmCRPC nicht-metastasiertes HSPC/CRPC, ARSI Substanzen zur Blockade des Androgenrezeptorsignalweges, RLT Lutetium-Radioligandentherapie, NA unbekannt/Nichterreichen des mCRPC
1 Median (IQR), n (%)
2 Kruskal-Wallis rank sum test; Pearson’s χ2-Test; Fisher’s exact test
Nach Stratifizierung entsprechend der Diagnosejahre zeigt sich eine signifikante Zunahme im Alter der Patienten bei Metastasierung von 67 Jahren (≤ 2006–2012) zu 70 Jahren (2013–2017) und 71 Jahren (2018–2024, p < 0,001). Ebenso zeigte sich bei der Behandlung des mHSPC ein signifikant tieferer PSA-Nadir bei den beiden zuletzt behandelnden Kohorten (median 0,3 ng/ml für 2018–2024 und 1,0 ng/ml für 2013–2017) im Vergleich zu der eher historisch behandelten mHSPC-Kohorte (2,0 für ≤ 2006–2012, p < 0,001). Diese Unterschiede des absoluten PSA-Nadirs spiegelten sich auch im relativen PSA-Abfall ≥ 99 % wider, ohne ein Erreichen des Signifikanzniveaus: 52 % vs. 41 % vs. 29 % für die Jahre 2018–2024 vs. 2013–2017 vs. ≤ 2006–2012 (p = 0,095). Die Rate an High-volume- nach CHAARTED-Kriterien sowie High-risk-mHSPC-Patienten nach LATITUDE zeigte sich in den aktuell behandelnden Patienten am geringsten.
Veränderungen im Metastasierungszeitpunktes
Bei Rate der De-novo-metastasierten mHSPC-Patienten zeigt sich eine signifikante Zunahme von 48 % (Jahre ≤ 2006–2012) auf 62 und 62 % für die Jahresintervalle 2013–2017 sowie 2018–2024. In der Darstellung der EAPC-Trendanalysen (Abb. 1), zeigt sich über die letzte Dekade (2013–2023) keine statistisch signifikanten Veränderungen im Verhältnis von De-novo- vs. sekundär metastasierten mHSPC-Patienten.
Verwendung und Trends der Systemtherapien
Bezüglich der eingesetzten Systemtherapien beim mHSPC, als auch bei der Erstlinientherapie des mCRPC zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den drei verglichenen Gruppen (Tab. 1). Die verschiedenen Therapiesequenzen der Gesamtperiode vom mHSPC hin zur Erstlinie des mCRPC sind in einem „sankey plot“ graphisch dargestellt (Abb. 2).
Bezüglich der EAPC-Analysen der letzten 10 Jahre der mHSPC-Patienten zeigt sich ein signifikanter Abfall der ADT-Monotherapie von 85 % im Jahr 2013 zu 29 % im Jahr 2023 beim mHSPC (EAPC: −11,9 %, p < 0,001; Abb. 3a). Umgekehrt zeigt sich ein signifikanter Anstieg der ARSI-Therapien von 6 % in 2013 auf 55 % in 2023 (EAPC: +21,7 %, p < 0,001). Hinsichtlich des Einsatzes der Docetaxel-Chemotherapie zeigt sich über die letzten 10 Jahre ein glockenhafter Verlauf mit einem 8 %-Einsatz in 2013 ansteigend auf bis zu 25 % im Jahr 2019 und einem Abfall auf 0 % in 2023.
Betrachtet man diese jährlichen Änderungsraten selektiver für die letzten 5 Jahre (2018–2023, Abb. 3b), so zeigt sich eine Änderung der Docetaxel-Chemotherapieanwendung von (20,3 % zu 0 %) zu Gunsten der ARSI-Therapie (30,4 % auf 55,4 %) sowie die Verabreichung einer Triplet-Therapie bestehend aus ARSI und Chemotherapie (bis zu 16 % in 2023).
Diskussion
Die vorliegende Studie befasste sich mit der Fragestellung, inwieweit die Intensivierung der Kombinationstherapie beim mHSPC aus zahlreichen Phase-III-Studien Einzug in den alltäglichen klinischen Behandlungsalltag einer deutschen Metropolregion gefunden hat. Hierfür wurden entsprechende Stratifizierungen der mHSPC-Patienten gemäß dem Jahr der Metastasierungszeitpunkte, als auch verschiedene Trendanalysen durchgeführt und damit wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Erstens zeigten sich klinisch wichtige, als auch statistisch signifikante Unterschiede in den Patienten- und Tumorcharakteristika der inkludierten mHSPC-Patienten nach Stratifizierung des Jahres der Metastasierungsdiagnose. Einerseits zeigte sich ein höheres Alter der medianen Metastasierung über die vergangenen Jahre hinweg (von 67 auf 71 Jahre), als auch eine Erhöhung des Anteils an De-novo-mHSPC-Patienten (von 48 % auf 62 %) in den Jahren ≤ 2006–2012 zu 2013–2017. Im Vergleich dazu zeigte sich keine signifikante Veränderung mehr in dem Verhältnis zwischen De-novo- und sekundär metastasierten mHSPC-Patienten in der letzten Dekade zwischen 2013–2023. Eine mögliche Erklärung für die entsprechend niedrigere relative Rate an sekundär metastasierten Patienten in der letzten Dekade im Vergleich zum Zeitraum ≤ 2006–2012 mag die Verbesserung des anatomischen Verständnisses und der damit verbundenen besseren onkologischen Resultate bei der radikalen Prostatektomie, als auch das bessere technische Verständnis und die Entwicklung der definitiven Strahlentherapie in der Behandlung des nicht-metastasierten Prostatakarzinoms sein [16–19]. Darüber hinaus steigt die Lebenserwartung von Männern in Deutschland weiter an, was zum Entstehen von De-novo-metastasierten PCa auch in höherem Alter führen könnte.
Weiterhin zeigt sich, dass aktuell behandelte mHSPC-Patienten einen tieferen absoluten PSA-Nadir aufwiesen, als Patienten die zwischen 2013–2017 sowie ≤ 2006–2012 behandelt wurden. Ebenso zeigt sich eine höhere Rate am relativen PSA-Abfall ≥ 99 % in den aktuell behandelnden mHSPC-Patienten. Dieser Trend ist von Bedeutung, da bereits mehrere Studien den Stellenwert des PSA-Nadirs als Surrogat auf das Gesamtüberleben nachweisen konnten. So zeigte beispielsweise eine zuletzt veröffentliche Post-hoc-Analyse der TITAN-Studie, dass bei mHSPC-Patienten ein Cut-off unter Apalutamid-Therapie ≤ 0,02 ng/ml mit den besten Überlebenswahrscheinlichkeiten vergesellschaftet ist [20, 21]. Dies ist als ein Hinweis auf die höhere Wirksamkeit der Kombinationstherapien zu werten, welche in der Zeit ebenfalls zugenommen haben.
Der Trend hin zu einem tieferen absoluten PSA-Nadir und der höheren Rate an relativen PSA-Abfall in unserer Kohorte deckt sich mit den gemachten Beobachtungen hinsichtlich der verwendeten Systemtherapie beim mHSPC. Die in den EAPC-Analysen dargestellten Kurven zeigen eine eindeutige Zunahme und Adaptation der intensivierten Systemtherapien beim mHSPC in der klinischen Alltagsrealität. Umgekehrt, zeigen die Analysen auch eine signifikante Abkehr von einer ADT-Monotherapie beim mHSPC innerhalb der letzten 10, als auch letzten 5 Jahren bis auf aktuell 29 %. Diese Trends sind insofern von Bedeutung, dass aktuelle Analysen anderer Arbeitsgruppen noch einen hohen Anteil an einer Nutzung der ADT-Monotherapie beim mHSPC u. a. auch in Deutschland von bis zu 34–58 % belegen [22, 23]. Die Zunahme der ARSI-Therapie und der drastische Abfall der Docetaxel-Chemotherapie innerhalb der letzten 5 Jahre zeigt die Adaption der ARSI-Kombinationstherapie und Triplet-Therapie als Goldstandard der Erstlinientherapie beim mHSPC. Ähnliche Szenarien und Trends aus anderen Ländern wurden in einem kürzlich veröffentlichen systematischen Review von Dodkins et al. bezüglich des mHSPC zusammengefasst [24]. Diese klinische Adaptation der intensivierten Therapie beim mHSPC der kürzlich publizierten Phase III ist wichtig, da die Kombinationstherapie aus ARSI zusätzlich zur ADT im Vergleich zur alleinigen ADT einen einem deutlichen absoluten als auch relativen Überlebensvorteil gezeigt haben [7, 8, 12]. Der Anstieg der Triplet-Therapie ist v. a. auf ausgewählte Patienten mit einer High-volume‑/High-risk-Erkrankung beschränkt, da hier in Studien die höchste Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte [10, 13].
Die vorliegende Studie ist nicht frei von Limitationen. Neben dem monozentrischen Charakter der Studie sollte in der Interpretation der Daten auch die retrospektive Analytik Beachtung finden, welche mit den bekannten Limitationen wie nicht vollständig vorliegenden Patienten- und/oder Tumorcharakteristika von einzelnen Patientengruppen vergesellschaftet sein kann. Zum Beispiel konnte bei einigen Patienten der ADT-Monotherapien nicht zwischen einem mHSPC- oder einem nmCRPC- bzw. nmHSPC-Krankheitsstadium unterschieden werden. Alle Patienten mit ADT wurden jedoch als mHSPC-Patienten gewertet. Ebenso können Unterschiede in Stagingmodalitäten zu Verzerrungen geführt haben. Zudem spiegelt die aktuell vorliegende Studie die klinische Versorgungsrealität im Einzugsgebiet einer großen deutschen Metropolregion sowie einer Universitätsklinik nieder. Somit können die gewonnenen Erkenntnisse nicht auf alle deutschen Regionen und Behandlungsräume ausgeweitet werden.
Fazit für die Praxis
Die Studienergebnisse zeigen deutliche Veränderungen in den onkologischen vom metastasierten hormon-sensiblen Prostatakarzinom (mHSPC)-Patienten über die letzten Jahre hinweg, wie beispielsweise der absolute PSA-Abfall (prostataspezifisches Antigen).
Zudem vor allem die Adaptation der ARSI-Therapie (Substanzen zur Blockade des Androgenrezeptorsignalweges) als Erstlinientherapie im mHSPC aus Phase-III-Studien sowie der Beginn der Verabreichung von sog. Triplet-Therapien im klinischen Alltag.
Die ADT-Monotherapie (Androgendeprivationstherapie) wird erfreulicherweise nur noch seltener angewendet
Acknowledgments
Förderung
Die vorliegende Studie ist Teil des EPIC-REAP Projekts (Enhancing Prostate cancer care In Germany Combining Real-world data And AI for Enhanced Analysis and Precision) gefördert vom Mildred-Scheel Nachwuchszentrum Frankfurt.
Funding
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Wenzel, S. Banek, F.K. H. Chun und P. Mandel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Footnotes
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Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Contributor Information
Mike Wenzel, Email: mike.wenzel@unimedizin-ffm.de.
Philipp Mandel, Email: philipp.mandel@unimedizin-ffm.de.
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