Abstract
Der fortgeschrittene Morbus Coats stellt im Kleinkindalter eine der schwierigsten Differenzialdiagnosen zum Retinoblastom dar. Wir beschreiben die klinischen und histologischen Befunde zweier Jungen im Alter von 9 und 21 Monaten mit einseitiger Leukokorie. Trotz umfassender Diagnostik mittels Narkoseuntersuchung, MRT und Ultraschall konnte ein Retinoblastom nicht sicher ausgeschlossen werden, und es erfolgte eine Enukleation. Histologisch wurde die Diagnose eines Morbus Coats gesichert. Da eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen Morbus Coats und Retinoblastom schwierig sein kann, halten wir in zweifelhaften Fällen auch angesichts der eingeschränkten Visusprognose und potenzieller Sekundärkomplikationen beim fortgeschrittenen Morbus Coats eine Enukleation für indiziert.
Schlüsselwörter: Morbus Coats, Leukokorie, Retinoblastom, Intraokularer Tumor, Amotio retinae
Keywords: Coats’ disease, Leucocoria, Retinoblastoma, Intraocular tumour, Retinal detachment
Abstract
Advanced Coats’ disease is one of the most difficult differential diagnoses of retinoblastoma in early childhood. We describe the clinical and histological findings in two boys, ages 9 months and 21 months, with unilateral leucocoria. Despite comprehensive diagnostics that included examination under general anaesthesia, magnetic resonance imaging, and ultrasound, retinoblastoma could not be excluded, and the eyes were enucleated. Histological diagnosis of Coats’ disease was confirmed. Because differentiation between retinoblastoma and Coats’ disease may be difficult, enucleation seems to be indicated in uncertain cases due to the reduced visual prognosis and the risk of secondary complications in advanced Coats’ disease.
Innerhalb weniger Wochen sahen wir zwei 9 und 21 Monate alte Jungen mit einseitiger Leukokorie bei Verdacht auf ein Retinoblastom (Rb). Im Folgenden soll die differenzialdiagnostische Abklärung besonders zwischen Retinoblastom und Morbus Coats dargestellt werden.
Fall 1
Anamnese
Ein 9 Monate alter Junge wurde bei uns mit seit 3 Monaten bestehender linksseitiger Leukokorie vorgestellt. Anamnestisch war postpartal ein Innenschielen links aufgefallen. Die Familienanamnese war bezüglich Augenerkrankungen unauffällig.
Klinischer Befund und Verlauf
Bei der Erstvorstellung war am linken Auge keine Pupillenlichtreaktion nachweisbar. In der Narkoseuntersuchung stellte sich rechts ein unauffälliger Befund dar, links lag bei normalem Vorderabschnitt eine temporal und inferior betonte, bis an die Linsenrückfläche heranreichende Netzhautablösung vor (Abb. 1). Sonographisch fand sich eine Netzhautablösung sowie nach temporal eine fragliche Kalkablagerung mit Schallschatten ohne Tumornachweis. In der zusätzlich durchgeführten Bildgebung (MRT) zeigte sich eine sichelförmige, den Bulbus zu zwei Drittel ausfüllende, teils hyperintense (T1- gewichtete Aufnahmen), teils hypointense (T2-gewichtete Aufnahmen) Raumforderung ohne Kontrastmittel-Enhancement.
Abb. 1.
Fundusbefund des linken Auges des 9-monatigen Jungen (Fall 1) mit hochblasiger Netzhautablösung und oberflächlichen Teleangiektasien
Der Befund wurde neuroradiologisch als eingeblutetes Retinoblastom interpretiert. Da anhand der Befunde keine eindeutige Abgrenzung zwischen einem Retinoblastom und einem Morbus Coats möglich war, erfolgte aufgrund der funktionellen Erblindung und der drohenden Entwicklung eines Sekundärglaukoms die Enukleation des linken Auges.
Histopathologie
Lichtmikroskopisch zeigte sich eine komplette seröse Netzhautablösung mit ausgedehnten intra- und subretinalen Exsudationen (Abb. 2a). In den inneren Netzhautschichten fanden sich zahlreiche, dilatierte Blutgefäße (Abb. 2b). Die äußeren Netzhautbereiche sowie der subretinale Raum wiesen Cholesterinkristalle und Histiozyten mit einem schaumigen Zytoplasma auf (Abb. 2c). In der äußeren Körnerschicht fanden sich stellenweise dichte Ansammlungen von hyperchromatischen Zellen mit hoher Kern-Plasma- Relation, die z. T. kranzartig um ein zentrales Lumen herum angeordnet waren und aufgrund ihres Erscheinungsbilds entfernt an Flexner-Wintersteiner- und Homer-Wright-Rosetten, die beim Rb vorkommen können, erinnerten (Abb. 2c). Ein solider Netzhauttumor war jedoch nicht darstellbar. Retinales Pigmentepithel, Aderhaut, Sklera und Sehnerv waren unauffällig. Anhand der histopathologischen Befunde wurde die Diagnose eines Morbus Coats gestellt.
Abb. 2.
Lichtmikroskopische Befunde des linken Auges des 9-monatigen Jungen (Fall 1). a Übersichtsaufnahme: seröse Netzhautablösung. b Dilatierte Blutgefäße im Bereich der inneren Netzhautschichten (Pfeile), c Histiozyten mit blasigem Zytoplasma (Pfeilspitzen), fokale Ansammlungen von hyperchromatischen Zellen (weißer Pfeil) mit Pseudorosettenbildung (schwarze Pfeile)
Fall 2
Anamnese
Ein 21 Monate alter Junge wurde zur Abklärung bei neu aufgetretener Leukokorie und Innenschielen links überwiesen. Laut Angaben der Eltern seien zuvor beide Augen unauffällig gewesen; Augenerkrankungen waren in der Familie nicht bekannt.
Klinischer Befund und Verlauf
Bei starker Abwehr des Jungen war eine klinische Untersuchung ohne Narkose kaum möglich. Eine Lichtreaktion am linken Auge war nicht sicher nachweisbar. Bei der Narkoseuntersuchung fand sich keine Rubeosis iridis, funduskopisch lag eine komplette, trichterförmige Amotio retinae mit intraretinalen Hämorrhagien und fraglichen oberflächlichen Teleangiektasien vor (Abb. 3a). Die Netzhaut imponierte sonographisch als enger Trichter; der subretinale Raum erschien echoarm (Abb. 3b). MRT-Aufnahmen des linken Auges zeigten eine homogene Signalanhebung des Glaskörpers und eine strangförmige fraglich kontrastmittelanreichernde retrolentikuläre Struktur. Neuroradiologisch wurden ein Retinoblastom, eine exsudative Retinopathie und ein persistierender hyperplastischer primärer Glaskörper (PHPV) erwogen. Ein Mikrophthalmus lag allerdings nicht vor.
Abb. 3.
Linkes Auge des 21-monatigen Jungen (Fall 2). a Fundusbefund mit peripheren Teleangiektasien und Gefäßtortuositas b Ultraschallbefund mit trichterförmiger Amotio retinae
Da vom klinischen Aspekt her ein Rb nicht ausgeschlossen werden konnte und die Visusprognose bei totaler Amotio retinae reduziert war, wurde der Entschluss zur Enukleation gefasst.
Histopathologie
Das histologische Bild entsprach dem des zuvor beschrieben Patienten. Der Befund war durch zahlreiche teleangiektatische Blutgefäße, eine vollständig serös abgelöste Netzhaut und dichte intra- sowie subretinale Histiozytenansammlungen gekennzeichnet. Aufgrund der histopathologischen Veränderungen wurde die Diagnose eines fortgeschrittenen Morbus Coats gestellt.
Diskussion
Der Morbus Coats stellt eine wichtige Differenzialdiagnose zum Rb dar [6, 7]. Beim Morbus Coats handelt es sich um eine nicht hereditäre, ätiologisch unklare, in 95% einseitige Erkrankung, die überwiegend Jungen im frühen Kindesalter (Mittel: 5. Lebensjahr) betrifft [6, 7, 8]. Das durchschnittliche Erkrankungsalter beim Rb ist mit 1,5 Jahren geringer und entspricht dem unserer Patienten [7].
Trotz zahlreicher etablierter morphologischer, sonographischer und radiologischer Kriterien (z. B. intraokulare Verkalkungen), die bei der Unterscheidung zwischen Morbus Coats und Rb herangezogen werden können, ist, wie bei unseren Patienten dargestellt, insbesondere in fortgeschrittenen Stadien eine sichere differenzialdiagnostische Abgrenzung nicht immer möglich. In einer Studie mit 500 Patienten, die aufgrund einer Leukokorie in einem ophthalmoonkologischen Zentrum in Philadelphia untersucht wurden, lag in 58% ein Rb, in 27,8% ein PHPV und in 16% ein Morbus Coats als Ursache der Leukokorie zugrunde [6]. Meier et al. analysierten die Daten von 83 Augen von 58 Kindern mit Leukokorie im Alter bis zu 7 Jahren. Im Gegensatz zur obigen Häufigkeitsverteilung fand sich hier die kindliche Katarakt mit 35% als häufigste Diagnose. Ein Retinoblastom lag nur in 6% der Fälle vor, ein Morbus Coats mit 2 betroffenen Augen nur in. 2,4% der Fälle [2].
Klinisch zeichnen sich Patienten mit Morbus Coats durch retinale Teleangiektasien, erweiterte Kapillaren, Mikroaneurysmen und arteriovenöse Kurzschlüsse aus [7]. Charakteristisch sind gleichfalls intra- und subretinale Lipidexsudate [7]. In fortgeschrittenen Stadien kann es zudem zu einer exsudativen Amotio retinae und einem Sekundärglaukom kommen. Beim Rb hingegen liegen meist gleichförmige Gefäßerweiterungen vor; subretinale Lipidexsudate kommen beim Retinoblastom praktisch nicht vor, hier sind rein seröse subretinale Exsudate typisch [5, 7]. Im Gegensatz zu den charakteristischen Kalkschatten beim Rb findet man intraokulare Verkalkungen beim Morbus Coats nur sehr selten [7]. Kalzifikationen finden sich dabei meist im Niveau des RPE.
In der MRT erscheint bei Erkrankungen wie Morbus Coats oder PHPV die subretinale Flüssigkeit in der Regel hyperintens in T1- und T2- gewichteten Aufnahmen; ein KM-Enhancement ist nicht vorhanden [3]. Die abgehobene Netzhaut ist typischerweise hypo-oder isointens (T1- und T2-gewichtete Aufnahmen) und weist gelegentlich ein leichtes KM-Enhancement auf. Ein Rb hingegen (mit einer Dicke von mehr als 2 mm) stellt sich typischerweise in T1-gewichteten Bildern hyperintens dar, hypointens in T2- gewichteten Darstellungen [3]. Im Verlauf kommt es in unterschiedlichem Ausmaß zu einem KM-Enhancement. Unter Berücksichtigung der genannten MRT-Kriterien ließ sich bei unseren beiden Patienten, insbesondere beim ersten Kind, bei dem sich die Läsion in T1-Aufnahmen hyperintens und in T2-Darstellungen hypointens zeigte, primär ein Rb vermuten.
Die histopathologische Beurteilung erlaubte die eindeutige Diagnosestellung. Sie zeigte die für den Morbus Coats charakteristischen Teleangiektasien und ausgeprägte intra- und subretinale Exsudationen [11]. Flexner-Wintersteiner-Rosetten, Homer-Wright-Rosetten, Nekrosen und für ein Rb pathognomonische hyperdense, rundliche bis spindelförmige Tumorzellen waren nicht vorhanden.
Die Stadienteinteilung und Behandlung beim Morbus Coats zeigt Tab. 1. Bei Patienten im Stadium 3B war bei dem von Shields ausgewerteten Patientengut in 94% der Fälle die Sehschärfe 20/200 oder schlechter, in 11% wurde eine Enukleation erforderlich. Im Stadium 4 war die Sehschärfe immer unter 20/200, in 78% wurde eine Enukleation erforderlich [8].
Tab. 1.
Stadieneinteilung und Behandlungsoptionen beim Morbus Coats nach Shields [8]
Stadium | Morphologische Kriterien | Therapieoptionen |
---|---|---|
1 | Retinale Teleangiektasien | Beobachtung |
2 | Teleangiektasien und Exsudation (A – extrafoveal, B – foveal) | Photokoagulation, Kryotherapie |
3 | Exsudative Netzhausablösung (A – subtotal, B – total) | Photokoagulation, Kryotherapie, Operation der Netzhausablösung, Enukleation |
4 | Totale Netzhauablösung und Sekundär- glaukom | Enukleation |
5 | Endstadium (nicht schmerzhaftes Auge mit totaler Amotio und oft Katarakt oder Phtisis bulbi) | Beobachtung; ggf. Enukleation |
Während einige Autoren bei Vorliegen einer Amotio retinae mit/ohne Sekundärglaukom eine Enukleation favorisieren, bevorzugen andere trotz eingeschränkter Visusprognose bulbuserhaltende Maßnahmen [1, 4, 8, 10]. Die bei unseren Patienten durchgeführte Enukleation erscheint auch im Hinblick auf eine Studie von Char gerechtfertigt: Er analysierte 10 Patienten mit Netzhautablösung bei Morbus Coats, bei denen die beste postoperative Sehschärfe trotz operativer Wiederanlage der Netzhaut bei maximal 0,1 lag. Fünf Patienten nahmen keinen Lichtschein mehr wahr [1].
Aufgrund unserer klinischen Erfahrung und der gegenwärtigen Literaturlage erachten wir bei Kindern mit Leukokorie und ausgeprägter exsudativer Amotio retinae, bei denen nicht eindeutig zwischen Morbus Coats und Retinoblastom differenziert werden kann, eine Enukleation – sowohl aufgrund der möglichen Spätkomplikationen (schmerzhaftes Sekundärglaukom, Phtisis bulbi) als auch im Hinblick auf die deutlich eingeschränkte Visusprognose – für gerechtfertigt. Berücksichtigt werden sollte auch, dass ein bulbuseröffnender Eingriff im Falle eines Retinoblastoms zu einer Verschlechterung der Lebensprognose sowie zu Nebenwirkungen durch die infolgedessen erforderlich werdenden Strahlenbzw. Chemotherapien führen kann.
Zudem sollte beachtet werden, dass in seltenen Fällen ein Rb neben einem sekundären Morbus Coats vorkommen kann [9].
Acknowledgments
Fazit für die Praxis
Trotz fortgeschrittener klinischer Diagnostik stellt der Morbus Coats nach wie vor eine oftmals nur schwer abzugrenzende Differenzialdiagnose zum Rb dar. Sollte bei Patienten mit Leukokorie ein Rb nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden können, erscheint angesichts potenzieller Sekundärkomplikationen und reduzierter Visusprognose eine Enukleation beim fortgeschrittenen Morbus Coats gerechtfertigt.
Footnotes
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
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