Das akute schwere Atemnotsyndrom (SARS) hat in der allgemeinen wie auch in der medizinischen Öffentlichkeit über Wochen eine starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen. War das angesichts der tatsächlichen Fallzahlen und Mortalität angemessen? Sind andere Epidemien wie die Influenza oder die Tuberkulose nicht relevanter? Anzeichen für eine zwischenzeitlich gewonnene Kontrolle über die Epidemie scheinen diesen Schluss zu unterstützen. Eine Antwort auf diese Frage sollte jedoch nicht ohne die Beachtung der folgenden Überlegungen versucht werden.
Wie mittlerweile feststeht, hat die SARS-Epidemie von der Provinz Guangdong in China ihren Ausgang genommen. Von dort verbreitete sie sich in Hongkong, Taiwan, Kanada (überwiegend Toronto), Singapur und Vietnam. Bis zum 5. Juni wurden weltweit 8.454 Fälle registriert, darunter 8.286 (98%) in diesen "Kernländern". Die übrigen Fälle verteilen sich über viele andere Länder, einschließlich den USA und Europa. In Deutschland wurden 10 Fälle beobachtet. Diese kleinen Fallzahlen entsprachen offenbar regelmäßig importierten Infektionen und wurden selbst nicht zu Ausgangspunkten neuer epidemischer Ausbrüche. Die Letalität in den Kernländern betrug 9% (n=785), in den restlichen Ländern war sie nur knapp halb so groß (4%, n=7; (Tabelle 1; http://www.who.int/csr/sars/en/).
Country | Cumulative number of case(s) | Number of new cases since last WHO update | Number of deaths | Number recovered | Date last probable case reported | Date for which cumulative number of cases is current |
---|---|---|---|---|---|---|
Australia | 5 | 0 | 0 | 5 | 12/May/2003 | 13/Jun/2003 |
Brazil | 3 | 0 | 0 | 2 | 9/Jun/2003 | 9/Jun/2003 |
Canada | 242 | 4 | 32 | 150 | 12/Jun/2003 | 12/Jun/2003 |
China | 5.327 | 0 | 343 | 4.530 | 11/Jun/2003 | 13/Jun/2003 |
China, Hong Kong Special Administrative Region | 1.755 | 0 | 293 | 1.380 | 11/Jun/2003 | 13/Jun/2003 |
China, Macao Special Administrative Region | 1 | 0 | 0 | 1 | 21/May/2003 | 12/Jun/2003 |
China, Taiwan | 693 | 5 | 81 | 385 | 13/Jun/2003 | 13/Jun/2003 |
Colombia | 1 | 0 | 0 | 1 | 5/May/2003 | 5/May/2003 |
Finland | 1 | 0 | 0 | 1 | 7/May/2003 | 20/May/2003 |
France | 7 | 0 | 0 | 6 | 9/May/2003 | 22/May/2003 |
Germany | 10 | 0 | 0 | 9 | 4/Jun/2003 | 13/Jun/2003 |
India | 3 | 0 | 0 | 3 | 13/May/2003 | 14/May/2003 |
Indonesia | 2 | 0 | 0 | 2 | 23/Apr/2003 | 13/Jun/2003 |
Italy | 9 | 0 | 0 | 9 | 29/Apr/2003 | 12/Jun/2003 |
Kuwait | 1 | 0 | 0 | 1 | 9/Apr/2003 | 20/Apr/2003 |
Malaysia | 5 | 0 | 2 | 3 | 20/May/2003 | 9/Jun/2003 |
Mongolia | 9 | 0 | 0 | 9 | 6/May/2003 | 2/Jun/2003 |
New Zealand | 1 | 0 | 0 | 1 | 30/Apr/2003 | 12/Jun/2003 |
Philippines | 14 | 0 | 2 | 12 | 15/May/2003 | 12/Jun/2003 |
Republic of Ireland | 1 | 0 | 0 | 1 | 21/Mar/2003 | 12/Jun/2003 |
Republic of Korea | 3 | 0 | 0 | 3 | 14/May/2003 | 13/Jun/2003 |
Romania | 1 | 0 | 0 | 1 | 27/Mar/2003 | 22/Apr/2003 |
Russian Federation | 1 | 0 | 0 | 0 | 31/May/2003 | 31/May/2003 |
Singapore | 206 | 0 | 31 | 169 | 18/May/2003 | 11/Jun/2003 |
South Africa | 1 | 0 | 1 | 0 | 9/Apr/2003 | 3/May/2003 |
Spain | 1 | 0 | 0 | 1 | 2/Apr/2003 | 5/Jun/2003 |
Sweden | 3 | 0 | 0 | 3 | 18/Apr/2003 | 13/May/2003 |
Switzerland | 1 | 0 | 0 | 1 | 17/Mar/2003 | 16/May/2003 |
Thailand | 9 | 0 | 2 | 6 | 7/Jun/2003 | 11/Jun/2003 |
United Kingdom | 4 | 0 | 0 | 4 | 29/Apr/2003 | 13/Jun/2003 |
United States | 71 | 1 | 0 | 36 | 10/Jun/2003 | 12/Jun/2003 |
Viet Nam | 63 | 0 | 5 | 58 | 14/Apr/2003 | 7/Jun/2003 |
Total | 8.454 | 10 | 792 | 6.793 |
Indexfälle der Ausbreitung in die verschiedenen "Kernländer" waren medizinisch Tätige bzw. ihre unmittelbaren Kontaktpersonen. Als Übertragungsweg liegt somit die Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch nahe, obwohl andere Übertragungswege nicht ausgeschlossen werden können. Als Erreger konnte ein Virus identifiziert werden. Das SARS-Virus konnte molekulargenetisch den Coronaviren zugeordnet werden; es handelt sich allerdings zweifelsfrei um eine neue Mutante (Drosten et al. 2003; Ksiazek et al. 2003). Von seiner Art liegt es zwischen den bei Vögeln und den bei Rindern nachgewiesenen Spezies. Inzwischen ist der Virusnachweis über die "Reverse Transkriptase PCR" (RT-PCR) und serologisch über die indirekte Immunfluoreszenz möglich. In einigen Fällen in Kanada konnte ein zweites Virus gefunden werden, das Metapneumovirus (Drosten et al. 2003; Ksiazek et al. 2003).
Klinisch stellt sich das SARS mit einer akut einsetzenden Symptomatik von Fieber und respiratorischen Symptomen unspezifisch dar (Booth et al. 2003; Poutanen et al. 2003; Tsang et al. 2003). Ein Verdachtsfall wird demnach einzig durch die Exposition konstituiert, nämlich durch einen Aufenthalt in einem der "Kernländer" innerhalb der letzten 10 Tage oder einen engen Kontakt mit einem SARS-erkrankten Patienten. Ein wahrscheinlicher Fall liegt in dieser Konstellation bei zusätzlichem Nachweis pulmonaler Infiltrate im Röntgenbild oder jedwedem Fall von ARDS ohne autoptisch identifizierbare Ursache vor.
Aufgrund der mittlerweile verfügbaren Nachweismethoden für das SARS-Coronavirus wird die differenzialdiagnostische Abgrenzung von anderen respiratorischen Infektionen deutlich erleichtert. Ein negativer Test auf SARS allein schließt ein SARS jedoch keineswegs aus; erst die Zusammenschau der Ergebnisse von mehreren SARS-Nachweisverfahren, der übrigen Infektionsdiagnostik sowie des Verlaufs erlauben eine verlässlichere Aussage (http://www.who.int/csr/sars/casedefinition/en; http://www.cdc.gov/ncidod/sars/casedefinition.htm; http://www.rki.de/INFEKT/SARS/SARS.HTM).
Die Todesursache des SARS ist in der Regel ein schweres ARDS bzw. assoziierte Komplikationen. Erste autoptische Untersuchungen von Lungenpräparaten solcher Patienten erlauben Einblicke in die Pathogenese des SARS. Offenbar zeigen sich histopathologische Unterschiede entsprechend der Dauer der Erkrankung. Bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer unter 10 Tagen fanden sich epitheliale Schäden mit Zilienverlust und squamöser Metaplasie. In allen Fällen waren hyaline Membranen, eine Pneumozytenproliferation sowie eine Ödembildung erkennbar. Im Falle einer längeren Krankheitsdauer über 10 Tage zeigte sich ein diffuser Alveolarschaden sowie eine Riesenzellbildung, die offenbar überwiegend in Makrophagen ihren Ursprung findet. In einigen Fällen fand sich auch eine Hämophagozytose. Somit besteht die Pathogenese der SARS-Coronavirus-Pneumonie im Kern in einer Stimulation von Epithelzellen, Typ-2-Pneumozytenproliferation und squamöser Metaplasie. Dieses inflammatorische Muster mit Makrophagen als inflammatorischer Leitzelle steht im Gegensatz zum typischen diffusen Alveolarschaden, in dem Neutrophile und Fibroblasten die führenden Träger der Zellproliferation darstellen (Nicholls et al. 2003).
Eine wichtige Beobachtung stellten deutlich vergrößerte Pneumozyten dar, die vergrößerte Zellkerne und ein granuliertes Zytoplasma aufwiesen (Nicholls et al. 2003). Letzteres entspricht wahrscheinlich einer Virusansammlung im Golgi-Apparat. Tatsächlich konnte elektronenmikroskopisch in Nierenzellen von Ratten der Vermehrungszyklus der Coronaviren beobachtet werden. Offenbar vermehren sich die Viren im endoplasmatischen Retikulum, von wo aus sie in den Golgi-Apparat gelangen. Hier findet eine Vesikelbildung statt. Die Vesikel wandern in Richtung Zellmembran, um von dort aus ausgeschleust zu werden und andere Zellen zu infizieren (Scientists, in a life or death race, track down SARS virus. International Herald Tribune May 27th, 2003, p 2).
Naturgemäß liegen kontrollierte Studien zur Therapie des SARS noch nicht vor. Eine verlässliche Aussage zur Wirksamkeit verfügbarer antiviraler Medikamente bzw. immunmodulierender Substanzen lässt sich daher nicht treffen. Aktuell konzentrieren sich die therapeutischen Bemühungen um eine In-vitro-Testung verfügbarer Substanzen. Hier liegen jedoch noch keine klinisch verwertbaren Ergebnisse vor.
Worin liegt nun nach dieser ersten epidemischen Welle die nachhaltige öffentliche und medizinische Bedeutung dieser SARS-Epidemie? Zunächst muss festgehalten werden, dass es sich nicht um die erste Epidemie dieser Art in jüngerer Zeit handelt. Hantavirus, Hendravirus, H5 N1-Influenzaviren sowie das Nipah-Virus sind Beispiele für lokale Epidemien von Atemwegsinfektionen mit neuen Erregern (Woodhead et al. 2003). Die SARS-Epidemie macht wie ihre Vorgänger auf exemplarische Weise deutlich, dass Infektionsepidemien zur permanenten latenten Bedrohung der menschlichen Gesundheit und Zivilisation gehören. Im SARS-Fall ist es offenbar zu einer Mutation des Coronavirus bei Geflügel gekommen. Der Erreger ist in der Folge im Rahmen eines zu engen Kontakts zwischen Mensch und Geflügel auf den Menschen "übergesprungen". Die Wahrscheinlichkeit der Manifestationen von Infektionsepidemien erhöht sich überall dort, wo eine hohe Populationsdichte, mangelnde Hygiene und hohe Mobilität zusammenkommen. Infektionsepidemiologisch gesehen stellen somit Bevölkerungswachstum, Verelendung und Globalisierung ein potenziell explosives Gemisch dar.
Mit auf diese Weise entstandenen wiederkehrenden regionalen Infektionsepidemien werden wir somit auf Dauer rechnen müssen. Es wird dann jeweils darauf ankommen, die regionalen Ausbrüche dieser Epidemien zu kontrollieren und ein Übergreifen auf andere Regionen oder Länder zu verhindern. Die SARS-Epidemie macht deutlich, wie das erfolgreich durchgeführt werden kann. Rasche Identifikation von Ausbrüchen, Indexfällen und Ausbreitungswegen, zusammen mit den molekularen und computergestützten Möglichkeiten der Infektionsdiagnostik sowie umgehende Formulierung und Sicherstellung hygienischer Umgangsregeln mit Verdachtsfällen stellen zusammen eine sichere Basis für die Eindämmung sich ausbreitender Epidemien auch durch unbekannte Erreger dar. Diese Instrumente haben im Falle von SARS hervorragend funktioniert und wahrscheinlich viele Nationen vor schweren Epidemien bewahrt. WHO, CDC und viele wissenschaftliche Institute (übrigens auch in Deutschland; Drosten et al. 2003) haben hier ein Vorbild abgegeben, wie auch in Zukunft gesundheitliche Gefahren dieser Art durch entschlossenes und konzentriertes Vorgehen abgewehrt werden können. In der Zwischenzeit sollte die Forschung über das neue SARS-Coronavirus intensiviert werden; nichts spricht dafür, dass es bei diesem Ausbruch bleiben wird.
Literatur
- Booth JAMA. 2003;289:2801. doi: 10.1001/jama.289.21.JOC30885. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- Drosten N Engl J Med. 2003;348:1967. doi: 10.1056/NEJMoa030747. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- http://www.cdc.gov/ncidod/sars/casedefinition.htm
- http://www.rki.de/INFEKT/SARS/SARS.HTM
- http://www.who.int/csr/sars/casedefinition/en
- http://www.who.int/csr/sars/en/
- Ksiazek N Engl J Med. 2003;348:1953. doi: 10.1056/NEJMoa030781. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- Nicholls Lancet. 2003;361:1773. doi: 10.1016/S0140-6736(03)13413-7. [DOI] [PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]
- Poutanen N Engl J Med. 2003;348:1995. doi: 10.1056/NEJMoa030634. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- Scientists, in a life or death race, track down SARS virus. International Herald Tribune May 27th, 2003, p 2
- Tsang N Engl J Med. 2003;348:1977. doi: 10.1056/NEJMoa030666. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
- Woodhead Eur Respir J. 2003;21:739. doi: 10.1183/09031936.03.00035403. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]