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. 2016:931–933. [Article in German] doi: 10.1007/978-3-662-48678-8_127

Biologische Waffen – eine Herausforderung an Diagnostik, Therapie, Klinik und Prävention

J H Kuhn 4,, T Ulrichs 5,, G-D Burchard 6,
Editors: Sebastian Suerbaum1, Gerd-Dieter Burchard2, Stefan HE Kaufmann3, Thomas F Schulz1
PMCID: PMC7123896

Zusammenfassung

Mediziner und Wissenschaftler müssen die Gefahren, die von biologischen Waffen ausgehen, kennen und über mögliche vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen informiert sein, um Bevölkerung und Patienten behandeln und ggf. beruhigen zu können.

Steckbrief

Mediziner und Wissenschaftler müssen die Gefahren, die von biologischen Waffen ausgehen, kennen und über mögliche vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen informiert sein, um Bevölkerung und Patienten behandeln und ggf. beruhigen zu können.

Definition

Es existiert keine international akzeptierte Legaldefinition für den Begriff »biologische Waffe« (B-Waffe). Manchmal werden bestimmte Erreger und Toxine als Biowaffen bezeichnet. Experten sprechen normalerweise erst dann von solchen, wenn biologische Agenzien (Organismen, Toxine, sich replizierende Einheiten) durch Konzentrationsprozesse, Stabilisatoren und andere Zusätze in Kampfstoffe verwandelt wurden oder/und wenn sich diese in Vorrichtungen zur Dispersion und Dissemination befinden.

Die US-amerikanischen Gesundheits- und Landwirtschaftsministerien veröffentlichen Listen mit den humanpathogenen Agenzien, die als wahrscheinliche Ausgangsstoffe für die Konstruktion von Biowaffen gelten (Literatur, Tab. 127.1). Mediziner sollten daher diese Agenzien und die von ihnen verursachten Krankheitsbilder kennen und differenzieren können.

Kategorie A (höchste Priorität) Kategorie B Kategorie C (niedrigste Priorität)
Bacillus anthracis Burkholderia mallei weitere Rickettsien
Francisella tularensis Burkholderia pseudomallei Mycobacterium tuberculosis
Yersinia pestis Brucellen
Campylobacter jejuni
Chlamydophila psittaci
Coxiella burnetii
Escherichia coli O157:H7, O104:H4
Listeria monocytogenes
Rickettsia prowazekii
Salmonellen
Shigellen
Vibrionen
Yersinia enterocolitica
Arenaviren: Chapare-Virus, Guanarito-Virus, Junín-Virus, Lassa-Virus, Lujo-Virus, Machupo-Virus Alphaviren: Eastern, Western, Venezuelan Equine Encephalitis Virus (EEEV, WEEV, VEEV = Pferdeenzephalitisviren) Bunyaviren: Heartland-Virus, SFTSV
Dengue-Viren 1–4 Bunyaviren: Kalifornisches Enzephalitisvirus, LaCrosse-Virus Chikungunya-Virus
Filoviren: Ebola-, Marburgviren Caliciviren Coronaviren: MERS-Coronavirus, SARS-Coronavirus
HPS-Hantaviren Hepatitis-A-Virus Flaviviren: Gelbfieber-Virus, Virus der Kyasanur‘schen Waldkrankheit, Virus des Omsker hämorrhagischen Fiebers, Alkhurma-Virus
Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber-Virus Flaviviren: Japanisches Enzephalitisvirus, St. Louis Enzephalitisvirus FSME-Virus und verwandte Serotypen, Powassan-Virus
Rift-Valley-Fieber-Virus (RVFV) West-Nil-Virus (WNV) HFRS-Hantaviren
Variolavirus und verwandte Pockenviren Henipaviren
Influenzaviren
Tollwut-Virus
Balamuthia mandrillaris Coccidioides immitis
Cryptosporidium parvum Coccidioides posadasii
Cyclospora cayetanensis
Entamoeba histolytica
Giardia lamblia
Naegleria fowleri
Toxoplasmen
Mikrosporidien
Clostridium botulinum-Toxin Clostridium perfringens-Epsilontoxin Prionen
Rizin
Staphylococcus-Enterotoxin B

Einsatzmöglichkeiten

Biologische Waffen können dazu eingesetzt werden, Menschen, Tiere, Pflanzen oder Materialien anzugreifen. Ziel eines Aggressors kann es sein, Individuen oder ganze Populationen erkranken zu lassen oder gar auszurotten oder aber ökonomischen Schaden anzurichten.

Man unterscheidet:

  • Biokriegführung: Anwendung biologischer Waffen zu taktischen oder strategischen Zwecken während eines militärischen Konflikts

  • Bioterrorismus: im Vordergrund stehen ideologische (politische, religiöse, ökologische) Motive

  • Bioverbrechen: dienen dem Verfolgen persönlicher Ziele (Rache, finanzieller Gewinn)

Da biologische Waffen das Potenzial besitzen, viele Tausende von Opfern zu fordern, werden sie zusammen mit den Chemie-, Nuklear- und radiologischen Waffen zu den Massenvernichtungsmitteln (»mass casualty weapons« oder »weapons of mass destruction«) gezählt.

Geschichte

Die systematische Entwicklung biologischer Waffen begann während des 1. Weltkriegs. Zuvor verwendeten einzelne Personen oder Angehörige militärischer Verbände Erreger, um taktische Vorteile in kriegerischen Auseinandersetzungen zu erlangen. Beispiele hierfür sind das Katapultieren von mit Yersinia pestis infizierten Leichen über Burgmauern in Frankreich im Jahr 1340 oder in Kaffa im Jahr 1346 sowie das Überreichen von mit Variolaviren infizierten Laken und Taschentüchern an nordamerikanische Indianerstämme durch die Briten im Jahr 1763.

Staatlich finanzierte offensive Biowaffenprogramme zur Biokriegsführung wurden u. a. von Deutschland (1915–1918), Frankreich (1921–1926, 1935–1940), Großbritannien (1940–1956), Irak (1975–?), Japan (1931–1945), Kanada (1925–1947), Südafrika (1981–1995), UdSSR (1918–1992) und USA (1941–1969) unternommen. Durch falsche Geheimdienstberichte über die gegnerische Seite wurden die Biowaffenprogramme initiiert bzw. forciert. Soweit bekannt setzte bisher nur Japan Biowaffen gegen Menschen ein, und zwar während des 2. Weltkriegs in Nordchina.

Bisher ist nur ein Fall eines erfolgreichen bioterroristischen Angriffs bekannt. Dieser erfolgte 1984, als Mitglieder einer religiösen Sekte in den USA Salatbars mit Salmonellen kontaminierten und so Lebensmittelvergiftungen bei 751 Menschen verursachten. Ziel der Sekte war es, eine Kommunalwahl zugunsten der von ihr unterstützten Partei zu beeinflussen.

Zu den bekannten Bioverbrechen zählen die Intoxinationen von Individuen mit Diphtherietoxin, Digitalisglykosiden, Rizin oder Insulin sowie die absichtlichen Infektionen von Individuen mit Ascaris suum, HIV-1, Salmonella Typhi und Shigella dysenteriae. Großes Aufsehen erregte zuletzt das Versenden von mit Milzbrandsporen gefüllten Briefen an Medienvertreter und Politiker im Jahr 2001 in den USA.

Indikatoren für einen bioterroristischen Anschlag

In den letzten Jahren wurden in Deutschland umfangreiche Vorkehrungen gegen bioterroristische Anschläge getroffen. So wurden z. B. Impfstoffvorräte angelegt und Notfallpläne erarbeitet. Allerdings kann es schwer sein, einen bioterroristischen Anschlag als solchen zu erkennen. Als Arzt sollte man in folgenden Situationen an einen Anschlag denken:

  • plötzliches, unerklärliches Auftreten einer großen Zahl von Erkrankten oder Verstorbenen

  • viele Patienten mit ähnlichen Symptomen

  • Auftreten einer Erkrankung, die für eine bestimmte geografische Region ungewöhnlich ist

  • synchronisierte Krankheitsverläufe

  • ungewöhnlich viele Fälle mit schweren Verläufen

Spezielle Symptome, bei deren Auftreten ein Anschlag zu erwägen ist, sind:

  • verbreitertes Mediastinum (ohne Thoraxtrauma): Milzbrand

  • vesikulopustulöser Ausschlag mit Beteiligung von Hand- und Fußsohlen, Gesicht häufiger als Rumpf, alle Läsionen in der gleichen Entwicklungsphase → Pocken

  • absteigende Paralyse beginnend mit Hirnnervenlähmungen → Botulismus

  • erhöhte Inzidenz schwerer Pneumonien bzw. von Pneumonien mit Hämoptoe (Bluthusten) → Pest

  • erhöhte Inzidenz atypischer Pneumonien → Tularämie

  • erhöhte Inzidenz von Patienten mit Fieber und Hämorrhagien → virale hämorrhagische Fieber

Kontrolle biologischer Waffen

Biologische Waffen werden seit Jahrhunderten geächtet. Das Genfer Protokoll von 1925 verbietet speziell die Erstanwendung bakteriologischer Kampfstoffe. Deren Produktion und bakteriologische Gegenschläge wurden den ratifizierenden Nationen jedoch nicht verboten.

Die Biowaffen-Konvention (Biological and Toxin Weapons Convention, BTWC) von 1972 verbietet Besitz und Herstellung biologischer Waffen und verlangt die Zerstörung von Restbeständen. Die Konvention wurde bis 2016 von 182 Ländern unterzeichnet und von 173 Ländern ratifiziert. Da die B-Waffen-Konvention keine Kontrollmaßnahmen wie z. B. gegenseitige Inspektionen vorsieht, ist illegitimen offensiven Programmen zumindest theoretisch Tür und Tor geöffnet.

Illegitime Aktivitäten sind schwer aufzudecken, da die Erforschung hochgefährlicher Erreger unter dem Deckmantel medizinischen Erkenntnisgewinns erfolgen kann. Fabriken zur Impfstoffentwicklung sind z. B. schwer von solchen zu unterscheiden, die Erreger in großen Mengen anzüchten. Der Irak, die Sowjetunion und Südafrika sind Beispiele für Länder, welche die Konvention ratifiziert und dennoch missachtet haben.

In den Kapiteln dieses Buches sind die wichtigsten möglichen biowaffenfähigen Erreger (vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen, Tab. 127.1) ausführlich beschrieben worden.

In Kürze

Biologische Waffen – eine Herausforderung an Diagnostik, Therapie, Klinik und Prävention

Definition

Keine allgemeingültige vorhanden.

Einsatzmöglichkeiten

Alle Organismen sowie Materialen können Angriffsziele sein. Opfer können Individuen oder Populationen sein. Je nach der Intention des Aggressors unterscheidet man Biokriegsführung, Bioterrorismus und Bioverbrechen.

Geschichte

Viele Nationen unterhielten offensive Biowaffenprogramme. Deren Produkte kamen jedoch so gut wie nie zum Einsatz. Bisher wurde nur ein bioterroristischer Angriff auf Menschen verzeichnet. Bioverbrechen dagegen sind häufiger.

Kontrolle biologischer Waffen

Das Genfer Protokoll von 1925 verbietet die Erstanwendung bakteriologischer Kampfstoffe. Die B-Waffen-Konvention von 1972 verbietet die Entwicklung oder den Besitz aller biologischen und toxikologischen Waffen und verlangt die Vernichtung von Restbeständen. Die Unterzeichner können jedoch nicht überprüft werden.

Literatur

  1. US Department of Health and Human Services (2016) NIAID emerging infectious diseases/pathogens. Online unter: https://www.niaid.nih.gov/topics/biodefenserelated/biodefense/pages/cata.aspx.
  2. US Department of Health and Human Services, US Department of Agriculture (2016) Select agent and toxins list. Online unter: http://www.selectagents.gov/SelectAgentsandToxinsList.html.
  3. United Nations Office at Geneva (2016) Membership of the Biological Weapons Convention. Online unter: http://www.unog.ch/80256EE600585943/(httpPages)/7BE6CBBEA0477B52C12571860035FD5C?OpenDocument.

Articles from Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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