Skip to main content
Springer Nature - PMC COVID-19 Collection logoLink to Springer Nature - PMC COVID-19 Collection
. 2018 Sep 14;34(5):14–16. [Article in German] doi: 10.1007/s15012-018-2831-5

70 Jahre WHO — eine Geschichte mit Höhen und Tiefen

Peter Leiner 1,
PMCID: PMC7149194

Abstract

Seit nunmehr sieben Dekaden setzt sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihren 194 Mitgliedstaaten dafür ein, dass allen Menschen das höchstmögliche Gesundheitsniveau zuteil wird. Der wohl größte Erfolg in diesen Jahren ist die Ausrottung der Pocken. Als nächstes Ziel soll die Welt poliofrei werden.


Gesundheit ist vollkommenes körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen — das ist ein zentraler Punkt der Gründungsurkunde der Weltgesundheitsorganisation (WHO). An diesem Credo richtet die Organisation seit nunmehr 70 Jahren ihre Aktivitäten und Anstrengungen aus. Die Gründungsurkunde der WHO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen trat am 7. April 1948 in Kraft. Auch heute noch steht die allgemeine Gesundheitsversorgung im Zentrum der Bemühungen der WHO. Das macht Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, geboren in Eritrea, deutlich. Der ehemalige Gesundheits- und Außenminister von Äthiopien wurde im Mai 2017 zum Generaldirektor der WHO gewählt und trat damit die Nachfolge von Dr. Margaret Chan aus China, an.

graphic file with name 15012_2018_2831_Fig1_HTML.jpg

„Gesundheit ist ein Menschenrecht und eine politische Grundsatzentscheidung“

Im Herbst vergangenen Jahres betonte er bei einer Veranstaltung in Budapest, dass Gesundheit kein Luxus für diejenigen sein dürfe, die ihn sich leisten können: „Gesundheit ist ein Menschenrecht und eine politische Grundsatzentscheidung, um die ich die Länder dringend bitten möchte.“ Um die Ziele der WHO zu erreichen, setzt er auf die Zusammenarbeit mit der EU — auf europäischer wie auf globaler Ebene.

Als Erinnerung an die Gründung der WHO und als jährlicher Auftakt für längerfristige Kampagnen ist seit 1950 der 7. April Weltgesundheitstag. Dieser Tag bietet weltweit die Gelegenheit, gesundheitspolitische Schlüsselthemen anzugehen. In den vergangenen beiden Jahren waren das Diabetes und Depressionen, in diesem Jahr ist es die flächendeckende Gesundheitsversorgung („universal health coverage“). Der Hintergrund: Jeder Mensch sollte Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können — unabhängig von Ort und Zeit und ohne dabei in eine finanzielle Notlage zu geraten.

Regelmäßige Revisionen der ICD-Klassifikation

Eines der vielen Themen, welche die Organisation im Visier hat, sind übertragbare Krankheiten. Vor Kurzem hat sie eine Liste jener Infektionskrankheiten zusammengestellt, bei denen vorrangig besondere Anstrengungen in Forschung und Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gemacht werden sollen. Dazu gehören Infektionen mit den Ebola- und Marburg-Viren, mit MERS und SARS, das hämorrhagische Krim-Kongo-, das Lassa- und das Rift-Valley-Fieber sowie Infektionskrankheiten durch Zika-, Nipa- und Henipa-Viren. Zudem nimmt die WHO auch Krankheiten durch bisher unbekannte Erreger verstärkt in den Fokus.

Nicht nur an der Bekämpfung von Krankheiten ist die WHO beteiligt. Fragt man Ärzte, womit sie das Akronym spontan assoziieren, kommt meist die Antwort: Klassifikation der Erkrankungen. Tatsächlich wurde die WHO bei ihrer Gründung 1948 mit der 1893 erstellten „International List of Causes of Death“ (ICD, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) betraut. Sie publizierte damals die sechste ICD-Revision. Seit 1967 gibt es die WHO-Nomenklaturvorschriften, mit denen vertraglich festgeschrieben ist, die aktuellste ICD-Version zu verwenden, die den jeweiligen Fortschritt dokumentiert. Das gilt inzwischen weltweit für mehr als 100 Länder. Für Deutschland steht seit Anfang des Jahres 2018 eine „German Version“, die ICD-10-GM, zur Verfügung, die das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI) kostenfrei als Pdf-Datei anbietet. Anfang Juni diesen Jahres wurde zudem auf der Homepage der WHO der seit Mai 2012 in Arbeit befindliche ICD-11 in seiner endgültigen Version veröffentlicht.

Ausrottung der Pocken: Sieg mit Hürden

Zu den größten Erfolgen, die mithilfe der WHO in den letzten Jahrzehnten erzielt worden sind, gehört die Ausrottung der Pocken. Das entsprechende Impfprogramm wurde zwischen 1967 und 1977 durchgeführt. Im Dezember 1979 wurde dann ein Abkommen darüber geschlossen, dass alle bis dato verbliebenen Restbestände des Virus zerstört werden. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin wurde dieser Prozess Ende der 1980er-Jahre offiziell abgeschlossen. Nur zwei Laboratorien — eines in Russland, das andere in den USA — haben nach Angaben der WHO noch Proben dieser Viren. Am 8. Mai 1980 erklärte die Weltgesundheitsversammlung der WHO die Welt für pockenfrei. Zuvor waren allein im 20. Jahrhundert vermutlich mehr als 500 Millionen Menschen an den Folgen einer Infektion mit dem Variolavirus, dem Erreger der Pocken, gestorben. Allerdings verliefen die Aktivitäten innerhalb dieses Programms wohl nicht reibungslos. So zitiert die Biochemikerin und Immunologin Laurie Garrett in ihrem Buch „Die kommenden Plagen“ den japanischen Arzt Dr. Isao Arita, Ende der 1970er-Jahre WHO-Verantwortlicher im Kampf gegen die Pocken: „Die Wissenschaft leidet zweifelsohne unter der Bürokratie“. Arita fügte noch hinzu: „Wenn wir nicht jede einzelne WHO-Regel mehrmals gebrochen hätten, wäre uns der Sieg über die Pocken niemals gelungen. Niemals.“

Misstrauensvotum gegen das WHO-Management

In den ersten Jahren nach Gründung der WHO fokussierte sich die Organisation nach Angaben von Dr. Yves Beigbeder auf die Bekämpfung von Malaria, die Gesundheit von Mutter und Kind, die Behandlung von Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten sowie auf Ernährung und Umwelthygiene. Beigbeder war von 1955 bis 1984 Personalreferent in mehreren Regionalbüros der WHO, zuletzt stellvertretender Personalchef am Amtssitz in Genf. Er erinnerte daran, dass die WHO 1955 ein ambitioniertes Programm zur Ausrottung von Malaria gestartet hatte, das jedoch gegen Ende der 70er-Jahre als gescheitert angesehen worden war. 1974 sei zudem ein erfolgreiches Onchozerkose-Kontrollprogramm gegen Flussblindheit in Westafrika und das weltweit angelegte, erweiterte Schutzimpfungsprogramm für Kinder durchgeführt worden.

Im Jahr 1987 — sechs Jahre nach den ersten Dokumentationen von Aids-Erkrankungen, die damals noch als GRID („gay-related immunodeficiency syndrome“) bezeichnet worden waren — wurde schließlich das weltweite Programm zur Bekämpfung von HIV und Aids initiiert. Ein Jahr darauf folgte das zur Bekämpfung der Kinderlähmung (Polio), an der in den späten 1980er-Jahren weltweit noch 250.000 Menschen jährlich erkrankten und rund 25.000 starben. Seit 2002 gilt zumindest die europäische Region als poliofrei. Nach Angaben des WHO-Regionalbüros für Europa ist allerdings einer der drei bekannten Typen von Poliowildviren (Typ 1) in manchen Regionen Pakistans und Afghanistans noch immer endemisch. Zudem zirkulierten in mehreren Ländern, darunter in der Ukraine, im Jahr 2015 von Impfstoffen abgeleitete Polioviren.

Am 8. Mai 1980 erklärte die Weltgesundheitsversammlung der WHO die Welt für pockenfrei.

Das globale Programm der WHO gegen HIV und Aids wurde 1996 schließlich durch die Einrichtung des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen zu HIV/Aids (UNAIDS) ersetzt, zu einem Zeitpunkt, als bereits mehr als 4,6 Millionen Menschen an Aids gestorben und mehr als 20 Millionen mit HIV infiziert waren. Für Beigbeder war diese Entscheidung „ein Schlag gegen die Führungsspitze und ein Misstrauensvotum gegen das Management der Organisation“. Sie engagiert sich nun in der Koordination der Aktivitäten verschiedener Organisationen im Kampf gegen die Pandemie.

Kritik am Vorgehen gegen die Schweinegrippe

Ein wenig rühmliches Ereignis unter den Aktivitäten der WHO war die Bekämpfung der durch Influenza Typ A (H1N1) ausgelösten Schweinegrippe. Erste Informationen, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, gab es Anfang 2009. Im Juni desselben Jahres rief die Organisation den Beginn einer Pandemie aus. Der Grund für diese Maßnahme: In zwei WHO-Regionen waren Infektionen mit dem Virus in insgesamt 74 Ländern dokumentiert worden. Die Aktivitäten der Organisation stützten sich damals erstmalig auf die International Health Regulations (IHR, Internationale Gesundheitsvorschriften), die 2007 in Kraft getreten waren. Die IHR dienen dazu, „die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, davor zu schützen und dagegen Gesundheitsschutzmaßnahmen einzuleiten, und zwar auf eine Art und Weise, die den Gefahren für die öffentliche Gesundheit entspricht und auf diese beschränkt ist und eine unnötige Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs und Handels vermeidet“, so die WHO. Die Schweinegrippe stellte also gewissermaßen einen Stresstest dar.

Im August 2010 gab die WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan auf einer Pressekonferenz schließlich das Ende der Viruspandemie bekannt. Nach Angaben von Beigbeder waren bis zu diesem Zeitpunkt 18.500 Todesfälle nach Infektion mit dem Virus gemeldet worden. Kritik an den Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie kam auf, weil unter anderem von der WHO von einer viel höheren Sterberate ausgegangen worden war. In dem Report „Strengthening Response to Pandemics and other Public-Health Emergencies“ von 2011 des WHO-Überprüfungsausschusses wurde das Geschehen aufgearbeitet und wurden Vorschläge unterbreitet, wie in einer ähnlichen Situation effektiver gehandelt werden kann. Vom Vorwurf des Überschreitens von Befugnissen wurde die WHO in dem Report befreit.

Finanzierung durch Mitgliedsländer und karitative Stiftungen

Finanziell unterstützt wird die WHO unter anderem durch die Mitgliedsländer (freiwillige Beiträge: 35 %) und karitative Stiftungen (ca. 14 %) wie die Bill & Melinda Gates Foundation sowie durch die Organisation der Vereinten Nationen (ca. 5,6 %). Von diesem Gesamtvolumen (ca. sechs Milliarden US-Dollar 2016/17) fließt derzeit mit Anteilen von 37,5 % am meisten in die Bekämpfung von Poliomyelitis und etwa 18,6 % in die Bekämpfung von plötzlichen Ausbrüchen von Infektionskrankheiten.

Das Budget für alle Programme zusammen lag 2016/17 bei 4,3 Milliarden US-Dollar, für 2018/19 wurden etwa 100 Millionen mehr veranschlagt. Mit etwa 800 Millionen Dollar ist der größte Anteil für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten vorgesehen. Danach folgt die Unterstützung von Gesundheitssystemen mit rund 600 Millionen und Ausgaben für organisationsweite Serviceaufgaben mit etwa 730 Millionen Dollar.

2018 wird das Jahr der WHO-Kampagnen

Die WHO hat in den letzten Jahrzehnten bereits viel erreicht und dazu beigetragen, dass viele Hundert Millionen Menschen gesünder leben können. WHO-Direktor Tedros’ Vision: Eine Welt, in der jeder Menschen ein gesundes und produktives Leben führen kann, unabhängig davon, wer er ist oder wo auf der Welt er lebt. Dass dies auch noch auf lange Sicht nicht realisiert sein wird, machen die vielen Baustellen, an denen die WHO arbeitet, deutlich. Diese reichen aktuell von der Bekämpfung der Pest in Madagaskar, der vermehrt auftretenden Antibiotikaresistenzen und der noch immer nicht beendeten HIV-Pandemie über Programme gegen die hohe Sterberate aufgrund von Atemwegserkrankungen wie die Anti-Tabak-Kampagne bis hin zu Programmen für eine bessere Versorgung mit Arzneimitteln und dem Kampf gegen Genitalverstümmelungen. Von Letzteren sind immernoch mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen in 30 Ländern Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens betroffen.

2018 ist für die WHO natürlich ein besonderes Jahr. In Erinnerung an die Gründung im Jahr 1948 wurde das Jubiläum weltweit von zahlreichen neuen Kampagnen zur allgemeinen Gesundheitsversorgung (Primary Health Care) begleitet, die weit über das Jahr 2018 hinausreichen sollen.

Aufbau der WHO.

Die WHO setzt sich aus der Weltgesundheitsversammlung, dem Exekutivrat und dem Sekretariat mit dem Generaldirektor (derzeit Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus aus Äthiopien) mit Sitz in Genf zusammen. Die Weltgesundheitsversammlung tagt einmal im Jahr. Zudem gibt es sechs Regionalbüros: Europa (Kopenhagen), Amerika (Washington), Afrika (Brazzaville), östlicher Mittelmeerraum (Kairo) und westlicher Pazifikraum (Manila). Dem Regionalbüro Europa sind 53 Mitgliedstaaten zugeordnet. In der Kopenhagener Zentrale, in den vier Außenstellen sowie in 29 Länderbüros der Mitgliedstaaten arbeiten Fachleute aus dem Bereich der öffentlichen Gesundheit wie auch aus anderen Disziplinen. Die WHO unterhält eine ganze Reihe von Programmen, Partnerschaften und Projekten. Sie reichen von Themen wie Luftqualität und Gesundheit, Antibiotikaresistenz und Vogelgrippe über Gesundheit und Menschenrechte bis hin zu Ernährung, Palliativversorgung und Bekämpfung von Tropenkrankheiten.

Rückschlag im Kampf gegen Frambösie.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie schwierig die weltweite Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist, ist — abgesehen von Malaria, Tuberkulose und Aids — die durch Treponema pallidum ssp. pertenue über Schmierinfektion und nicht auf sexuellem Wege übertragene Frambösie. Sie befällt Haut, Knochen und Gelenke, vor allem bei Kindern im Alter zwischen 5 und 15 Jahren. Man schätzt, dass derzeit etwa 89 Millionen Menschen in Endemiegebieten mit dem Erreger infiziert und erkrankt sind. 2012 startete die WHO erneut ein Programm zur Ausrottung dieser Infektionskrankheit bis 2020, nachdem ein solcher Versuch zwischen 1954 und 1964 nach der Behandlung von 50 Millionen Menschen mit Penicillin fehlgeschlagen war. Aktuell gibt es jedoch Hinweise aus einer Studie im Inselstaat Papua Neu-Guinea nach einem Follow-up von 42 Monaten, dass die Entstehung von Resistenzen gegen Azithromycin die Ausrottungsbemühungen erst einmal zunichte gemacht hat. Aus der Studie lassen sich die zwei Lehren ziehen, dass zum einen mehr als 90 % der Einwohner eines Endemiegebietes in die Therapie einbezogen werden müssen und zum anderen eine einmalige Behandlung mit dem Antibiotikum nicht ausreicht.

Quellen


Articles from hautnah dermatologie are provided here courtesy of Nature Publishing Group

RESOURCES