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. 2010 Jan 25:353–361. [Article in German] doi: 10.1016/B978-343722511-6.10033-1

Wichtige arbeitsmedizinische und hygienische Risiken

F Hofmann
Editors: C Madler, K-W Jauch, K Werdan, J Siegrist, F-G Pajonk
PMCID: PMC7152377

33.1. Infektionskrankheiten

33.1.1. Risiken für die Beschäftigten

Grundsätzlich kommen alle Infektionskrankheiten der Patienten, mit denen im Rahmen von Diagnostik und Therapie umgegangen wird, als arbeitsmedizinisches Risiko von Beschäftigten im Gesundheitsdienst in Betracht. Die wichtigste Rolle spielen in der Praxis heutzutage im Wesentlichen aber die Virushepatitiden und die Tuberkulose. Weiterhin sind – auch gemäß Berufskrankheitenstatistik – Infektionskrankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und Varizellen von Bedeutung, wobei anzunehmen ist, dass hier eine hohe Dunkelziffer an nicht angezeigten Fällen die Statistik verfälscht, da diese vier Infektionen häufig als ”harmlose Kinderkrankheiten“ der häuslichen (und nicht der beruflichen) Sphäre zugeordnet werden. AIDS ist nicht in erster Linie als infektiologische Gefährdung zu betrachten (während der letzten beiden Jahrzehnte sind weltweit nur wenige hundert Fälle einer Patienten-Beschäftigten-Übertragung bekannt geworden), sondern vor allem wegen des erhöhten Arbeitsaufwands und der psychischen Belastung bedeutsam.

Die ”alten“ Infektionskrankheiten wie Poliomyelitis – trotz der 2002 von der WHO festgestellten Freiheit von autochthoner Poliomyelitis in Europa – und Diphtherie sollten natürlich ebenso wie die bereits genannten Erkrankungen als präventivmedizinische Herausforderung für die Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst verstanden werden.

AIDS

Alle bisherigen Untersuchungen zur AIDS-Epidemiologie haben gezeigt, dass Antikörperträger (Anti-HIV 1) bei den Angehörigen der medizinischen Berufe nicht überrepräsentiert sind und dass derzeit weniger als 60 000 Angehörige der deutschen Wohnbevölkerung infektiös sind. Da bis Mitte der 1990er Jahre keine routinemäßige Postexpositionsprophylaxe nach HIV-Kontakt vorgenommen wurde, sind lediglich die bis dato vorgenommenen Untersuchungen als wissenschaftlich wirklich stichhaltig zu betrachten, die gezeigt haben, dass die Übertragungsrate bei ca. 0,2 bis 0,3 % liegen dürfte (Centers for Disease Control 1995). Seither haben sich sowohl der Prozentsatz der unter antiretroviraler Medikation stehenden Patienten als auch der Einsatz derselben Medikamente bei verletzten Mitarbeitern im medizinischen Bereich stark erhöht. Daher dürfte das Risiko bei Kanülenstichen an HIV-infizierten Patienten mittlerweile gegen Null streben. Auf ein Risiko soll aber an dieser Stelle hingewiesen werden, das auch HIV-Nadelstichverletzungen in ein anderes Licht rückt: HIV-Infizierte sind häufig Träger weiterer Erreger wie z.B. von Mykobakterien, anderen Auslösern opportunistischer Infektionen, aber auch des Hepatitis-C- und des Hepatitis-B-Virus.

Hepatitis A

Die Hepatitis A (HA) ist eine weltweit verbreitete Infektionskrankheit, deren Erreger, das Hepatitis-A-Virus (HAV), fäkal-oral bzw. über infizierte Lebensmittel übertragen wird. Blut mit ca. 100 000 Viruskopien/ml kommt nur in seltenen Fällen bei Inokulation großer Mengen in Betracht, da es im Vergleich zum Stuhl (mit ca. 1 Mrd. Viruskopien/ml) sehr viel schwächer infektiös wirkt. Die arbeitsmedizinische Gefährdung durch HAV liegt aber nicht nur in der außerordentlich hohen Keimzahl im Stuhl begründet, sondern hat ihren Grund auch in der Resistenz des Erregers, der noch wesentlich stabiler ist als das Poliovirus. So sind in Lebensmitteln selbst 60 Tage nach HAV-Kontamination noch infektionstüchtige Erreger nachweisbar. Eine Chronifizierung findet nicht statt. Deshalb richtet sich das arbeitsmedizinische Augenmerk in der Regel auf akut an HA erkrankte Personen mit den typischen Zeichen einer frischen Hepatitis (erhöhte Serumtransaminasen etc.) und einem positiven Anti-HAV-IgM-Nachweis.

Die bislang durchgeführten Studien zur HA-Gefährdung im Gesundheitsdienst zeigen, dass das relative Risiko von (deutschen) Angehörigen der Krankenpflege und der Kinderkrankenpflege – je nach Altersgruppe – bei durchschnittlich 2 liegt, verglichen mit der Antikörperseroprävalenz bei Nichtexponierten (Hofmann et al. 1996).

Hepatitis B

Von den Virushepatitiden, die in den letzten Jahren in Deutschland bekannt geworden sind, waren bis zum Jahr 2000 etwa 35 bis 40 % B-Hepatitiden. Dass die Zahl seither absolut wie relativ zurückgegangen ist, liegt an der 1995 (zusätzlich zur Risikogruppenvakzination) eingeführten Säuglings- und Kinderimpfung (Jilg 1997). Bei den Berufskrankheiten der im Gesundheitsdienst Beschäftigten nimmt die Infektion seit den 1960er Jahren einen vorderen Platz ein. Diese Entwicklung konnte (mangels flächendeckender Impfung) auch durch die Einführung der HB-Schutzimpfung Anfang der 1980er Jahre nicht entscheidend beeinflusst werden.

MEMO.

Aus virologischer Sicht betrachtet, deutet das Vorhandensein von Anti-HBs und Anti-HBc auf eine ausgeheilte Infektion hin.

Der Nachweis des HBs-Antigens ist mit dem Vorliegen einer frischen oder chronischen Infektion assoziiert, wobei von potenzieller Infektiosität auszugehen ist (bis zu 1 % der deutschen Wohnbevölkerung (Kralj et al. 1998).

Bisweilen finden sich auch isoliert anti-HBc-positive Personen, von denen einige (geringgradig) infektiös sind.

Obwohl einzig und allein der Nachweis von HBV-DNA einen positiven Infektiositätsbeweis liefert, sollten doch in erster Linie alle HBsAg-positiven Personen als infektiös eingestuft werden.

Zur Gefährdung des medizinischen Personals ist festzustellen, dass im Vergleich zu nichtexponierten Personen ein etwa 2,5-fach erhöhtes Risiko besteht, was bei der Betrachtung der Anti-HBs-/Anti-HBc-Prävalenz in verschiedenen Berufsgruppen deutlich wird (Abb. 33.1 ). Das durchschnittliche Übertragungsrisiko bei der Kanülenstichverletzung eines Nichtimmunen an einem infektiösen Patienten liegt bei ca. 30 %, kann aber bei hoher Viruslast (HBeAg-positive Patienten) auch bis 100 % betragen (Hofmann u. Berthold 1998).

Abb. 33.1.

Abb. 33.1

Geschätzte Anti-HBs-/Anti-HBc-Prävalenz nach Tätigkeit/Beruf und Alter bei Beschäftigten des Universitätsklinikums Freiburg 1995 (n = 1517)

(Kralj N, Inauguraldissertation, Universität Freiburg 1996)

Hepatitis C

Noch auf lange Sicht dürfte eine Verhütung der Hepatitis C (HC), hervorgerufen durch das Hepatitis-C-Virus (HCV), nicht möglich sein, da noch kein Erfolg versprechender Weg zur Impfstoffproduktion beschrieben werden konnte. Grundsätzlich infektiös sind alle Patienten mit einer positiven HCV-RNA. In der Regel sind all diese akut oder chronisch Infizierten auch anti-HCV-positiv. Umgekehrt ist bei einigen anti-HCV-positiven Personen keine HCV-RNA nachweisbar. Dennoch sollten (wie im Fall von AIDS anti-HIV-positive Personen) alle anti-HCV-positiven Personen als infektiös betrachtet werden – derzeit in Deutschland bis zu 1 % der Wohnbevölkerung. Das Übertragungsrisiko für eine Infektion im Gefolge einer Kanülenstichverletzung liegt – je nach HCV-Genotyp – bei bis zu 4,4 % (Hofmann et al. 1997), wobei ein Mittelwert von etwa 2 % anzunehmen ist. Das relative Risiko für eine chronische HCV-Infektion bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst liegt in derselben Größenordnung wie für die HBV-Infektion (Kralj et al. 2007).

Hepatitis D

Der Erreger der Hepatitis D (HDV) ist ein defektes hepatotropes RNA-Virus, das auf die Helferfunktion des HBV angewiesen ist. Es ist daher nur in Gegenwart von HBV infektiös und vermehrungsfähig. Da die Übertragung von HDV eng mit der HBV-Infektion assoziiert ist, gibt es zwischen der HB- und der HD-Epidemiologie zahlreiche Parallelen. In Deutschland ist der Erreger in den letzten Jahren bei einer Reihe von HBs-Ag-Positiven nachgewiesen worden. Von 625 HBs-Ag-positiv getesteten Seren in einer Freiburger Studie waren 4,3 % auch anti-HDV-IgG-positiv. Extrapoliert man diese Zahlen auf das Vorkommen von HBsAg (derzeit max. ca. 1 % Prävalenz in Deutschland), so ergibt sich bei einem Kanülenstich ein Risiko von 0,043 % für das simultane Vorliegen von HBV und HDV (Berthold et al. 1993).

Hepatitis E

Bei Hepatitis E handelt es sich um eine Krankheit, die in der Infektiologie seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Für Schwangere besteht ein erhebliches Mortalitätsrisiko, sie heilt aber – von wenigen Chronifizierungsfällen bei Immunschwachen abgesehen – in der Regel folgenlos aus. Infektiös sind Patienten mit positiver HEV-RNA. Die Zahl der Antikörperträger dürfte hierzulande unter 5 % liegen. Arbeitsmedizinische Risiken ließen sich im Bereich Chirurgie/Endoskopie darstellen, was auf eine erhöhte Infektionsgefahr beim Umgang mit Stuhl hinweisen dürfte.

Masern, Mumps und Röteln

Da die Masern-Mumps-Röteln-Impfung hierzulande nicht obligatorisch verabreicht wird, muss bei lückenhafter Impfung von Kindern damit gerechnet werden, dass sich die Erkrankungshäufigkeit in Richtung Erwachsenenalter verschiebt. Das hat eindrucksvoll der Masernausbruch in Coburg gezeigt, bei dem 2001/02 mehr als 1100 Personen erkrankten; immerhin knapp 4 % davon waren älter als 20 Jahre. Damit ergibt sich ein zunehmendes Risiko vor allem in der Akutmedizin. Weitere Epidemien traten 2005/2006 in Nordrhein-Westfalen sowie 2008 in Baden-Württemberg auf.

Ringelröteln

Die erstmals von Tschamer beschriebenen Ringelröteln galten bis vor kurzem noch als harmlose Erkrankung des Kindesalters. Erst während der 1980er Jahre konnte gezeigt werden, dass das 1974 entdeckte Parvovirus B19 der Erreger der Krankheit ist. Wie schwerwiegend die Komplikationen sein können, die das DNA-Virus hervorrufen kann (z.B. Hydrops fetalis mit Fruchttod bei Schwangeren), wurde erst in den letzten Jahren erkannt. Da bislang kein Impfstoff existiert, gehört das Personal im Gesundheitsdienst zu den am stärksten gefährdeten Berufsgruppen. Eine erste großangelegte epidemiologische Studie (n = 498) hat gezeigt, dass die Antikörperdurchseuchung beim Krankenpflege- und Kinderkrankenpflegepersonal unter 30 Jahren 2,5-mal höher ist als bei gleichaltrigen Verwaltungsangestellten. Sie entspricht damit exakt derjenigen mit Anti-HBc vor Beginn der HB-Impfkampagnen in den 1980er Jahren. Über die Übertragungshäufigkeit liegen derzeit keine Daten vor. Deshalb sollte bei Frauen im gebärfähigen Alter entsprechend der Gefährdungsbeurteilung eine Antikörperbestimmung vorgenommen werden.

Tuberkulose

Die Bedeutung der Tuberkulose hat in den westlichen Industrieländern in den letzten Jahren deutlich abgenommen (WHO 2002). Mit der parallel zunehmenden Zahl von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken dürfte sich dieser Trend allerdings in naher Zukunft wieder umkehren, gehört die Tuberkulose doch bekanntlich zu den wichtigsten Begleitkrankheiten der AIDS-Kranken/HIV-Infizierten. Daher verdient diese ”klassische“ Infektionskrankheit derzeit unsere besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt, dass sie bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst auch 2007 noch zu den drei wichtigsten Berufskrankheiten gehört (Hofmann et al. 2000). Da schon seit Jahrzehnten kein Impfstoff mit absolut protektiver Wirkung existiert, andererseits aber die Gefährdung wegen der hohen Anzahl der tuberkulinpositiven Personen nur schwer abgeschätzt werden kann, liegen keine zuverlässigen Daten zur Bedeutung in der Akutmedizin vor.

Varizellen

Die durch das zur Familie der Herpesviren gehörende Varicella-Zoster-Virus (VZV) ausgelösten Windpocken mit der Zweitkrankheit Herpes zoster (Gürtel-/Gesichtsrose) waren lange Zeit nach den Virushepatitiden und der Tuberkulose die nächstwichtige infektiöse Berufskrankheit beim Pflegepersonal. Im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Anamnese müssen Personen ohne Anamnese als nichtimmun und damit gefährdet betrachtet werden. Deshalb ist im Gesundheitsdienst ein entsprechendes Screening (Anti-VZV-Bestimmung zumindest bei Personen mit leerer Anamnese) zu empfehlen. Seronegative Personen sind zu impfen.

Weitere Infektionskrankheiten

Grundsätzlich können alle Infektionserreger, mit denen ein Patient befallen ist, auch auf das behandelnde Personal übertragen werden. So ist allein bei mehr als 20 Erregern eine Übertragung dokumentiert worden (auch bei ”Exoten“ wie dem Marburg-Virus). Auch durch Tröpfcheninfektion sind zahlreiche pathogene Organismen im Gesundheitsdienst weitergegeben worden (insbes. Influenzaviren, Neisseria meningitidis, Corynebakterien, Coronaviren wie SARS-CoV). Im Hinblick auf die Kürze dieser Darstellung sollten die entsprechenden Informationen von Fall zu Fall von der Homepage des Robert-Koch-Instituts (RKI) (www.rki.de) abgerufen werden.

33.1.2. Risiken für die Patienten

In den vergangenen 35 Jahren ist in der internationalen Literatur in mehr als 1000 Fällen über die Transmission von HBV, HCV und HIV (in dieser Reihenfolge) von infektiösen Mitarbeitern im Gesundheitsdienst auf Patienten berichtet worden (Hofmann et al. 2001). Dabei erreichten die Übertragungsraten durch infektiöse Ärzte während invasiver Eingriffe im Falle von HBV Werte von bis zu 13 % und bei HCV von 5 %. Es sollte daher insbesondere in der Akutmedizin auf eine adäquate Gefährdungsbeurteilung geachtet werden. Infektiöse Beschäftigte sollten ggf. von bestimmten Tätigkeiten, wie sie die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) im Verbund mit dem Robert-Koch-Institut definiert hat (RKI, 1999, RKI, 2001), ausgeschlossen werden.

33.2. Prävention von Infektionskrankheiten beim Personal

Die Prävention von Infektionskrankheiten beim Personal in der Akutmedizin stützt sich auf immunologische (z.B. Schutzimpfung) und technische Maßnahmen.

33.2.1. Schutzimpfung

Ein aktueller Impfplan kann Tabelle 33.1 entnommen werden, der die Vorstellungen der Ständigen Impfkommission (STIKO 2007) zugrunde liegen (Tab. 33.1 ). Allerdings ist in der Akutmedizin häufig keine Unterscheidung in Abteilungen mit oder ohne Kinderbelegung möglich. Deshalb werden z.B. Masern-Mumps-Röteln-Impfungen für alle Beschäftigten empfohlen.

Tab. 33.1.

Impfplan in der Akutmedizin

Krankheit Komplikationen über Krankheit hinaus Impfstoff Verabreichung Impfangebot
Diphtherie toxoid mehrfach regelmäßig alle 10 Jahre (bei enger Kontaktmöglichkeit alle 5), bevorzugt Kombivakzinen
Hepatitis A tot mehrfach ohne Screening (Anti-HAV) alle deutschen Beschäftigten ab Geburtsjahrgang 1950 mit Stuhlkontakt regelmäßig alle 10 Jahre, ansonsten nach Screening: Anti-HAV-negativ
Hepatitis B tot, gentechnisch mehrfach alle anti-HBc-negativen Beschäftigten mit Blutkontakt alle 10 Jahre
Influenza tot mehrfach regelmäßig jährlich
Masern/Mumps/Röteln
  • Enzephalitis, Otitis

  • Meningitis, Orchitis, Mastitis, Pankreatitis

  • Embryopathie

MMR lebend einmalig Beschäftigte ohne Immunitäts- oder Impfnachweis bei Frauen im gebärfähigen Alter mit Erfolgskontrolle (Röteln-Antikörper)
Poliomyelitis tot mehrfach regelmäßig alle 10 Jahre (bevorzugt Kombivakzinen)
Tetanus toxoid mehrfach regelmäßig alle 10 Jahre (bevorzugt Kombivakzinen)
Tuberkulose lebend (BCG) einmalig nicht empfohlen
Varizellen
  • Fetopathie, Enzephalomeningomyelitis

lebend 2-fach seronegative Beschäftigte

33.2.2. Postexpositionsprophylaxe – Vorgehen nach Kanülenstichverletzungen

In der Akutmedizin ist das richtige Vorgehen nach Kanülenstichverletzungen von größter Bedeutung, können doch im Rahmen solcher Verletzungen vermeidbare Berufskrankheiten entstehen.

MEMO.

Grundsätzlich sollte eine intensive Spülung mit nächstmöglich erreichbarem Wasser oder NaCl-(ggf. PVP-Jod-)Lösung vorgenommen werden.

Im Prinzip besteht bei jeder Stichverletzung mit einer gebrauchten Kanüle die Möglichkeit der HBV-Übertragung. Daher ist es eine der wichtigsten Präventionsaufgaben des Betriebsarztes im Gesundheitsdienst, für diesen Fall ein System zu entwickeln, das eine schnelle Prophylaxe ermöglicht:

  • 1.

    Information: Wichtigste Maßnahme ist die Erreichbarkeit des Betriebsarztes. Die Beschäftigten sollen angehalten werden, jede Kanülenstichverletzung zu melden. Nach der Meldung lässt sich der Betriebsarzt die Telefonnummer des Betroffenen geben und forscht nach, wie die letzten Daten zur HBV-Immunität des Betreffenden aussahen. Gleichzeitig muss er versuchen, Informationen über den Immunitätsstatus des entsprechenden Patienten zu bekommen.

  • 2.

    Nachdem sich der Betriebsarzt über die Immunitätslage von Beschäftigtem und Patient informiert hat, ruft er den Beschäftigten zurück. Mehrere Verfahrensweisen sind denkbar (Tab. 33.2 ).

Tab. 33.2.

Befundkonstellationen und Vorgehen bei Hepatitis-B-Gefährdung

Befund Vorgehen
Patient ist HBsAg- und anti-HBs-negativ Es besteht keine Infektiosität; der (nichtimmune) Beschäftigte sollte zur Vermeidung ähnlicher Zwischenfälle in der Zukunft dennoch schutzgeimpft werden.
Patient ist HBsAg-negativ und anti-HBs-positiv, damit immun Identisch
Patient ist HBsAg-positiv und daher als infektiös anzusehen Auch wenn die Stichverletzung bis zu 48 h zurückliegt, sollte in diesem Fall der nichtimmune Beschäftigte simultan aktiv (Oberarm) und passiv (Glutaeus) mit HB-Impfstoff und HBIG immunisiert werden.

Ist der Patient nicht ermittelbar, sollte nach dem STIKO-Prozedere (Tab. 33.3 ) verfahren werden. Dabei gilt:

  • Keine Maßnahmen sind notwendig, wenn
    • bei der exponierten Person Anti-HBs nach Grundimmunisierung ≥ 100 IE/l betrug und die letzte Impfung nicht länger als 5 Jahre zurückliegt oder
    • innerhalb der letzten 12 Monate ein Anti-HBs-Wert von ≥ 100 IE/l gemessen wurde (unabhängig vom Zeitpunkt der Grundimmunisierung).
  • Sofortige Verabreichung einer Dosis Hepatitis-B-Impfstoff (ohne weitere Maßnahmen), wenn
    • die letzte Impfung bereits 5–10 Jahre zurückliegt – selbst wenn Anti-HBs direkt nach Grundimmunisierung ≥ 100 IE/l betrug.
  • Sofortige Testung des ”Empfängers“ (des Exponierten), wenn
    • Empfänger nicht bzw. nicht vollständig geimpft ist oder
    • Empfänger ”Low-Responder“ ist (Anti-HBs nach Grundimmunisierung < 100 IE/l) oder
    • der Impferfolg nie kontrolliert wurde oder
    • die letzte Impfung länger als 10 Jahre zurückliegt.

Tab. 33.3.

Hepatitis-B-Prophylaxe nach Exposition, wenn Patient unbekannt/nicht getestet und Daten des Beschäftigten vorliegen/aktuell bestimmt wurden

Aktueller Anti-HBs-Wert Erforderliche Gabe von
HB-Impfstoff HB-Immunglobulin
100 IE/l nein nein
10 bis < 100 IE/l ja nein
< 10 IE/l ja ja
nicht innerhalb von 48 h zu bestimmen ja ja

Das weitere Vorgehen ist vom Testergebnis abhängig (Tab. 33.3). ”Non-Responder“ (Anti-HBs < 10IE/l nach 3 oder mehr Impfungen) und andere gesicherte Anti-HBs-Negative erhalten nach Exposition unverzüglich HB-Impfstoff und HB-Immunglobulin.

Im Hinblick auf das Risiko einer HCV-Übertragung sollte auch hier postexpositionelle Vorsorge betrieben werden: Ist beim Beschäftigten der Anti-HCV-Status nicht bekannt, wird nach der Kanülenstichverletzung am anti-HCV-positiven Patienten Blut abgenommen und asserviert. Ist der HCV-RNA-Test nach einem Monat negativ, kann man von einer nicht erfolgten Übertragung ausgehen. Sollte eine Serokonversion stattgefunden haben (dabei auch Test des Serums zum Zeitpunkt der Verletzung), ist die Indikation zur antiviralen Behandlung zu stellen.

Bei der Übertragung von Mykobakterien per Kanülenstichverletzung handelt es sich um ein sehr seltenes Ereignis. Grundsätzlich sollte bei vorher tuberkulinnegativen Personen ein Tuberkulintest durchgeführt werden – ein Vorgehen, das nach weiteren 2 Monaten wiederholt werden sollte. Wird der Test positiv, sollte die weitere Tuberkulosediagnostik erfolgen. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass eine durch eine Kanülenstichverletzung erworbene Knochentuberkulose auch klinisch schon nach relativ kurzer Zeit so auffällig ist (Anschwellen des entsprechenden Fingers), dass das diagnostische/therapeutische Vorgehen ohnehin angezeigt ist.

Auch wenn die Übertragung von HIV per Kanülenstichverletzung ein sehr seltenes Ereignis ist, sollte doch die Verfahrensweise feststehen: Im Hinblick auf die sich rasch ändernden Modalitäten der Therapie (und damit der Postexpositionsprophylaxe) sollte auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de) geachtet werden. Nur unter folgenden Voraussetzungen ist eine antiretrovirale Prophylaxe zu erwägen:

  • sehr tiefe Stich- oder Schnittverletzung

  • sichtbare, frische Blutspuren auf dem verletzenden Instrument

  • verletzende Kanüle oder Nadel zuvor in einer Vene oder Arterie platziert

  • Indexperson hat hohe Viruslast

33.2.3. Weitere immunologische Präventionsmöglichkeiten

Weitere immunologische Präventionsmöglichkeiten bieten ggf. auch postexpositionelle Schutzimpfungen (”Inkubationsimpfungen“) wie z.B. bei Hepatitis A, Masern, Mumps, Röteln u.Ä. (s. Impfempfehlungen der STIKO, jeweils im Sommer aktualisiert) bzw. bei Ausbrüchen (Diphtherie, bakterielle Meningitis) die Chemoprophylaxe mit entsprechenden Antibiotika/Chemotherapeutika.

33.2.4. Technischer und organisatorischer Infektionsschutz

Bei zahlreichen Erregern ist eine immunologische Prophylaxe nicht möglich. Nicht nur im Hinblick auf diese, sondern allgemein sind daher alle Möglichkeiten des technischen Infektionsschutzes und der persönlichen Schutzausrüstung auszuschöpfen. Zum technischen Infektionsschutz gehören in erster Linie:

  • die sichere Entsorgung von spitzen/scharfen Gegenständen in geeigneten Behältnissen

  • arbeitsorganisatorische Maßnahmen, die zur Senkung der Infektionsgefahr führen (z.B. Schaffung von gut ausgeleuchteten Übergabezonen bei OP)

  • Verwendung von Instrumenten und anderen Bedarfsgegenständen, die nach sicherheitstechnischen Prinzipien gestaltet sind. Bei den Venenverweilkanülen unterscheidet man z.B. zwischen aktiven (der Anwender aktiviert das System) und passiven (automatische Aktivierung durch normale Handhabung) Sicherheitssystemen. In der seit kurzem geltenden Technischen Regel zur Biostoffverordnung (TRBA 250) wird der Einsatz solcher Sicherheitssysteme gemäß dem ”Stand der Technik“ gefordert, sodass in Zukunft kaum noch ein Betrieb im Gesundheitsdienst auf die Verwendung von Hilfsmitteln wird verzichten können, die helfen können, das Risiko von Nadelstichverletzungen signifikant zu senken. Eine Übersicht über den gegenwärtigen Stand der Dinge gibt ein kürzlich erschienenes Standardwerk zum Thema (Hofmann 2003).

Zur persönlichen Schutzausrüstung gehören:

  • effizienter Hautschutz mit angemessener Reinigung und Pflege

  • Benutzung von Handschuhen (ggf. doppelt getragen, am besten mit Indikator) (Hofmann et al. 2004)

  • weitere Körperschutzmittel je nach Erreger (Brille, Visier, Mundschutz, Maske)

33.3. Dermatosen

Mit jährlichen Steigerungen von 10 % bei den im Gesundheitsdienst gemeldeten Hauterkrankungen während des vergangenen Jahrzehnts sind die Berufsdermatosen mittlerweile zu einem der größten arbeitsmedizinischen Probleme bei den Beschäftigten in der Akutmedizin geworden. In 80 % der Fälle kommen als Ursache Desinfektionsmittel in Frage,bei weiteren 20 % Arzneimittel, Gummi und Gummiinhaltsstoffe. Daher muss die vorberufliche Beratung als die wichtigste Prävention von Dermatosen betrachtet werden, wobei der atopischen Disposition ein hoher Stellenwert zukommt. Eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen der letzten Jahre war neben der Propagierung von verbessertem Hautschutz, Hautreinigung und Hautpflege der Ersatz von gepuderten durch ungepuderte Latexhandschuhe (Heese et al. 1995). Im Hinblick auf die Komplexität des Themas sei an dieser Stelle auf entsprechende dermatologische Spezialwerke verwiesen.

33.4. Wirbelsäulenerkrankungen

Das Personal in der Akutmedizin ist insbesondere durch langjähriges Heben und Tragen in ungünstiger Körperhaltung sowie das Umlagern von Patienten gefährdet. Das belastet die Bandscheiben besonders im Lendenwirbelsäulenbereich. Zahlreiche Studien belegen, dass mit einem relativen Risiko von etwa 3 gegenüber Nichtexponierten gerechnet werden kann (Michaelis et al. 2001). Die wichtigsten Präventionsmöglichkeiten bestehen in:

  • einer angemessenen Ausrüstung mit Hebehilfen (Deckenlifter bevorzugt, aber auch Bodenlifter)

  • kleinen technischen Hilfen wie Drehscheiben, Gehgürtel, Gleitmatten, Hebekissen etc.

  • der regelmäßig durchgeführten Rückenschule

33.5. Weitere arbeitsmedizinische Risiken in der Akutmedizin

Psychomentale Belastungen haben in der Arbeitsmedizin in den letzten Jahren einen immer höheren Stellenwert gewonnen. Insbesondere in der Akutmedizin sind folgende Belastungen an der Tagesordnung:

  • Nacht- und Schichtarbeit

  • zu wenig Personal

  • Zeitdruck abends und morgens

  • Konfrontation mit leidenden Patienten

  • fehlende Kontaktmöglichkeiten mit anderen Kollegen

  • starke Konzentrationsanforderungen

  • Personalkonflikte u.a.m.

Im schlimmsten Fall können diese Belastungen zum Burnout (”Ausbrennen“) oder zur Sucht (Alkohol, Medikamente u.Ä.) führen.

Literatur

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