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. 2020 Apr 3;59(4):442–449. [Article in German] doi: 10.1007/s00120-020-01200-1

Urologie in der Corona-Virus-Pandemie – Leitfaden 4/20

Urology in the corona-virus pandemic—a guideline 4/20

M C Kriegmair 1, K F Kowalewski 1, B Lange 2, A Heininger 2, T Speck 3, H Haas 4, M S Michel 1,
PMCID: PMC7156798  PMID: 32296888

Abstract

Die Corona-Virus-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme weltweit vor eine große Herausforderung. Für die Urologie gilt es, den Ausbau der Strukturen zur Behandlung der unter COVID-19 („corona virus disease 2019“) leidenden Patienten bestmöglich zu unterstützen. Gleichzeitig muss es das Ziel sein, eine angemessene gesundheitliche Versorgung von urologischen Notfällen und dringlichen urologischen Behandlungen auch während der Pandemie möglichst zu gewährleisten. Hierzu müssen Patienten individuell priorisiert, alternative Therapiekonzepte erwogen und regionale und überregionale Kooperationen genutzt werden. Den Praxen kommt bei der Versorgung, Sichtung und Koordination urologischer Notfälle eine große Bedeutung zu. Urologische Kliniken müssen sich durch geeignete Maßnahmen wie dem Schaffen eines separaten, entsprechend ausgestatteten Notfalloperationssaals darauf vorbereiten, Notfalloperationen und Interventionen an SARS-CoV-2-positiven Patienten („severe acute respiratory syndrome corona virus 2“) durchzuführen und Hygienemaßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter festlegen.

Schlüsselwörter: COVID-19, Priorisierung, Patientenversorgung, Umverteilung, Dringliche Operationen

Hintergrund

Seit den ersten beschriebenen Verdachtsfällen einer neuartigen Lungenerkrankung am 26.12.2019 [1] in China hat sich die durch das Corona-Virus SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome corona virus 2“) verursachte Erkrankung („corona virus disease 2019“, COVID-19) laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer weltweiten Pandemie [2] mit aktuell 938.373 bestätigten Fällen entwickelt (Stand 02.04.2020, Johns Hopkins University, USA, https://coronavirus.jhu.edu/map.html). Das Epizentrum verlagert sich aktuell aus Europa in die Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Eindämmung der Erkrankung wurden in Deutschland und den meisten weiteren europäischen Ländern starke Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens vorgenommen. Dennoch stehen die Gesundheitssysteme weltweit vor einer schwierig zu bewältigenden Herausforderung. Um die rasch steigende Zahl an Patienten mit COVID-19-Erkrankung adäquat versorgen zu können, gilt auch in Deutschland das vorrangige Ziel, die zu erwartenden knappen Beatmungs- und intensivmedizinschen Kapazitäten zu erhöhen. Der bestmögliche Ausbau der Versorgungsstrukturen für die unter COVID-19 leidenden Patienten unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Notfallversorgung hat in der politischen Strategie und Kommunikation höchste Priorität. Dies spiegelt sich in der öffentlichen Wahrnehmung und medialen Berichterstattung wider. Gemäß den Empfehlungen des Bundesministeriums für Gesundheit vom 13.03.2020 sind alle Krankhäuser angewiesen, elektive Operationen nicht mehr durchzuführen, um sich auf den zu erwartenden Anstieg der COVID-19-Patienten vorzubereiten. Durch das Vorhalten von Intensiv/-Kapazitäten („intermediate care“) sowie die Verlagerung von Ressourcen weg von den operativen Disziplinen entsteht jedoch ein bisher in der öffentlichen und politischen Diskussion wenig bedachter Konflikt zwischen Bereitstellung der Kapazitäten für COVID-19-Patienten und Verknappung der Ressourcen für dringliche (z. B. onkologische) Operationen. Allen Akteuren des Gesundheitssystems muss bewusst sein, dass Praxen und Kliniken in Deutschland einen Versorgungsauftrag haben, der sich auf alle Arten von Erkrankungen – nicht nur auf COVID-19 – erstreckt. Daher sollten alle Anstrengungen unternommen werden, die übrige Patientenversorgung während der SARS-CoV-2-Pandemie nicht unverhältnismäßig auf eine reine Notfallversorgung zu reduzieren, sondern eine Behandlung mittelfristig lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Tumorleiden weiterhin sicherzustellen. Es gilt, ganzheitliche und fachspezifische Strategien zu entwickeln, um eine angemessene Diagnostik und Therapie für dringliche Patienten auch während der Pandemie zu gewährleisten.

Ziel dieses Leitfadens ist es, eine dynamische Diskussionsgrundlage zur Gewährleistung einer angemessenen urologischen Versorgung während der Corona-Pandemie zu schaffen. Aufgrund der sich täglich ändernden Lage kann dies nur als Momentaufnahme ohne Anspruch auf Vollständigkeit erfolgen. Durch Rückmeldungen, neue Erkenntnisse und Ergänzungen soll der Leitfaden angepasst werden und wachsen.

Herausforderungen und Lösungsansätze für die Urologie während der Corona-Pandemie

Notfallversorgung aufrechterhalten – auf Praxen und Kliniken kommt es an!

Eine zentrale Maßnahme aller Akteure muss es sein, die Notfallversorgung urologischer Patienten aufrechtzuerhalten. In den Kliniken ist eine Reduktion des OP-Programms sowie der Ambulanzen veranlasst, um Personal und Gerätschaften für die Versorgung von COVID-19 betroffenen Patienten zu mobilisieren. Aufgrund dieser Entwicklung kommt den urologischen Praxen bei der Versorgung, Sichtung und Koordination von urologischen Notfällen in den jeweiligen Regionen eine große Bedeutung zu. Zahlreiche niedergelassene Kollegen beteiligen sich bereits jetzt an dem Ausbau ihrer Kapazitäten zu Versorgung und Sichtung urologischer Notfälle, um die urologischen Kliniken zu entlasten. Dazu gehört beispielsweise die Erweiterung der verfügbaren Sprechstundenzeiten für Patienten mit akuten Beschwerden. In Absprache mit Kollegen und Kliniken in der jeweiligen Region kann dabei auch auf eine zeitliche Koordination geachtet werden, um die Abend- oder Wochenendstunden ebenfalls abzudecken. Wichtig ist eine gute Information der Patienten darüber, an wen sie sich zu welcher Zeit im Notfall zu wenden haben. Für Patienten, bei denen eine Behandlung im Krankenhaus nötig ist, muss ein schneller unbürokratischer Kommunikationsweg mit dem Klinikteam gewählt werden, um die Patienten effektiv zu übergeben und weiter zu behandeln. Letztlich müssen Kliniken mit einer urologischen Notfallversorgung diese auch weiterhin 24 h am Tag gewährleisten. Ende März erfolgte durch einige Kassenärztliche Vereinigungen die Abfrage nach der Bereitschaft niedergelassener Ärzte für die Mitarbeit in den Kliniken, um dort mögliche Personalengpässe auszugleichen. Zum aktuellen Zeitpunkt bleibt abzuwarten, inwiefern diese Maßnahmen auch in der Urologie ergriffen werden müssen. Ein Festlegen der Rahmenbedingungen zum jetzigen Zeitpunkt und das frühzeitige Ausstellen von Verträgen als Arbeitnehmer auf Abruf sollte diese Maßnahme jedoch für den akuten Bedarfsfall bestmöglich vorbereiten.

Ressourcen für die Versorgung von COVID-19-Patienten mobilisieren

Den internistischen Disziplinen sowie der Anästhesie und Intensivmedizin kommt die mit Abstand größte Bedeutung bei der Versorgung des zu erwartenden Anstiegs der COVID-19-Patienten zu. Urologische Kliniken und ihre Mitarbeiter können sich jedoch an vielen Stellen am Aufbau umfassender Strukturen zur Diagnostik und Versorgung der COVID-19 betroffenen Patienten beteiligen [3]. Dazu zählt das Freistellen Intensiv- oder -erfahrener Urologen, Assistenzärzte und Pflegekräfte für die Tätigkeit auf den Intensivstationen sowie die Mitarbeit aller Ärzte in Corona-Diagnosestützpunkten oder auf Indexstationen, wo Patienten mit noch nicht gesichertem Verdacht auf eine SARS-CoV‑2-Infektion behandelt werden. Weitere Maßnahmen sind der Ausbau der eigenen postoperativen Überwachung in urologischen Bereichen zur Überwachung von Patienten nach dringlichen urologischen Operationen, um Kapazitäten der anästhesiologisch oder internistisch geführten Stationen freizuhalten. Eine Restrukturierung der Operationsbereiche mit Konzentration auf eine reduzierte Zahl von Sälen mit angepassten Laufzeiten kann menschliche und apparative Ressourcen für die Versorgung von COVID-19-Patienten mobilisieren. Mehr denn je gilt es, postoperative Komplikationen und (IMC‑)Liegezeiten (z. B. durch den Einsatz erfahrener Operationsteams) zu minimieren.

Angemessene urologische Versorgung während der Pandemiezeit ermöglichen

Neben der Unterstützung des Ausbaus aller Kapazitäten des Gesundheitssystems zur Behandlung der zu erwartenden steigenden Zahl an Patienten mit COVID-19 ist es Aufgabe der deutschen Urologie, dringende Diagnostik und Therapie weiterhin zu gewährleisten. In unserem Fach mit den meisten soliden Tumorerkrankungen wird es weiterhin zahlreiche Patienten geben, die z. B. aufgrund einer onkologischen Erkrankung einer zeitnahen Diagnostik oder Behandlung bedürfen. Urologen in Praxen und Kliniken müssen sich weiterhin für die dringliche Diagnostik und Therapie dieser Patienten mit Nachdruck einsetzen. Urologische Patienten sollen nicht als unumkehrbar medizinisch Benachteiligte der Pandemie zum Opfer fallen, falls OP- und IMC-Kapazitäten weiter verknappt werden. Mehr denn je ist eine enge und reibungslose Zusammenarbeit von Praxen und Kliniken entscheidend, um die Patienten adäquat und im entsprechenden Zeitfenster zu behandeln. Hier gilt es, die Patienten individuell zu priorisieren, wofür die Autoren einen dynamischen und zwischenzeitlich aktualisierten Leitfaden über die DGU zur Verfügung gestellt haben (Abb. 1). Dieser wurde bereits von anderen urologischen Gesellschaften im Ausland übernommen. Vergleichbare Priorisierungslisten wurden von anderen Disziplinen und nationalen Fachgesellschaften erarbeitet [4, 5]. Während der Pandemie führen Kliniken täglich aktualisierte Wartelisten ihrer zu behandelnden Patienten gemäß dieser oder interner Priorisierungsvorgaben. Dieses Vorgehen ermöglicht dynamisch und in Absprache mit anderen Disziplinen, auf Veränderungen der OP-Kapazitäten zu reagieren und Patienten im angemessenen Zeitfenster zu therapieren. Eine pauschale Priorisierung ist sicherlich nicht nur bedingt möglich. Weitere individuelle Aspekte müssen von den behandelnden Ärzten berücksichtigt werden. Dazu gehören patientenbezogene Parameter wie Alter, Vorerkrankungen oder individuelle Vorstellungen des Patienten sowie das Abwägen und die Verfügbarkeit alternativer nichtoperativer Therapien (z. B. aktive Überwachung, Strahlentherapie) sowie medikamentöser oder neoadjuvanter Therapieansätze. Zur Aufrechterhaltung der urologischen Versorgung ist eine regionale und überregionale Absprache der urologischen Kliniken erforderlich. In einzelnen Regionen können sich urologische Kliniken organisieren, um Behandlungen – in Hinblick auf die Versorgungssituation der COVID-19-Patienten – schwerpunktmäßig vorzuhalten. Hier gilt es, auf schon bestehender Schwerpunktbildung aufzubauen. Neben der Verlegung von Patienten sollte auch der unbürokratische Austausch von Personal in Erwägung gezogen werden, so wie es schon vielerorts in Deutschland vorbereitet ist.

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Des Weiteren müssen wir uns der Möglichkeit einer überregionalen Verlagerung von Patienten für dringliche Diagnostik und Therapien mit urologischen Krankheitsbildern bewusst sein. Dies kann zur Entlastung in schwer betroffenen Regionen während des noch vor uns stehenden Gipfels der Pandemie beitragen. In bisher von der Pandemie stärker beeinträchtigten Ländern wie Italien wurden Krankenhäuser nahezu vollständig der Behandlung von Patienten mit COVID-19 zugeordnet, sodass in operativen Fächern eine reine Notfallversorgung vorgehalten wurde. Damit war eine überregionale Verlegung urologischer Patienten für dringliche Therapie notwendig [4]. Eine Verlagerung urologischer Patienten ist in der Regel deutlich leichter als von Patienten mit COVID-19. Nichtsdestotrotz ist der Wunsch nach heimatnaher Betreuung in Zeiten von Kontaktverboten und Ausgangsperren noch ausgeprägter als bisher. Hier gilt es, sich jederzeit der Fürsorgepflicht gegenüber dem Patienten sowie der gesamtgesellschaftlichen Solidarität bewusst zu sein.

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Patienten ermutigen sich weiter urologisch vorzustellen

Zwar besteht die Notfallversorgung weiterhin, doch schon jetzt erkennen sowohl Praxen als auch Kliniken, dass Patienten durch die große Verunsicherung selbst mit akuten Beschwerden (von der Angina pectoris bis zur Makrohämaturie) zu Hause bleiben und nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen. Meist besteht die Furcht vor einer Ansteckung oder die Angst, auf ein sich abschottendes und überfordertes Gesundheitssystem zu treffen. Deswegen ist es wichtig den Patienten zu vermitteln, dass eine angemessene urologische Versorgung auch zu Pandemiezeiten gewährleistet ist. Urologen müssen ihre Kommunikationskanäle nutzen, um Patienten zu unterstützen, sich mit akuten Beschwerden oder bei anstehenden dringlichen Operationen weiterhin vorzustellen. Dies ist insbesondere auch wichtig, um angesichts des noch vor uns stehenden Gipfels der Pandemie einen später nicht mehr zu bewältigenden Versorgungsengpass abzuwenden. Informationsverbreitung über Homepages, Onlineportale und Newsletter ist eine geeignete Maßnahme, um Patienten auf die Verfügbarkeit der urologischen Versorgung hinzuweisen. Durch kurzfristige Terminangebote können bereits vereinbarte spätere Termine vorgezogen und damit Terminkalender gestrafft werden. Telefon- oder Online-Sprechstunden können in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung als Ersatz für eine persönliche und fraglich dringlich erforderliche Vorstellung genutzt werden. Ziel ist es, mit dem jeweiligen Patienten Alternativen abzuwägen und eine gemeinsame Strategie in der aktuellen Lage festzulegen.

Ein Verschieben rein elektiver Diagnostik und Therapie ist in der aktuellen Situation unausweichlich. Aufgrund der allgemeinen Verunsicherung sagen viele Patienten nicht dringliche Termine ab, um das eigene Risiko einer Ansteckung bei Kontakt mit Gesundheitsversorgern zur reduzieren. Der Großteil der Patienten zeigt Verständnis für die aktuelle Situation des Gesundheitssystems. Eine Aufnahme in Wartelisten oder die Vergabe von zukünftigen Terminen vorbehaltlich der weiteren Entwicklung kann als Instrument für die Patientenbindung und -beruhigung dienen. Freiwerdende Kapazitäten in den Praxen können für dringliche Patienten oder Notfälle genutzt werden.

Mitarbeiter schützen und handlungsfähig bleiben

Für Mitarbeiter in Kliniken und Praxen besteht aufgrund der notwendigen Kontakte eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Ziel aller Maßnahmen muss es sein, die Mitarbeiter vor Infektionen zu schützen und im Falle von Personalausfall handlungsfähig zu bleiben. Dazu steht eine Vielzahl an möglichen Maßnahmen zur Verfügung. Das Anbringen von Plexiglasscheiben am Empfang einer Praxis oder Ambulanz als dem am stärksten frequentierten Bereich vermindert das Risiko für eine direkte Tröpfcheninfektion. Durch eine Reduktion der direkten Kontaktpunkte der Mitarbeiter untereinander kann die Ansteckungsgefahr potenziell weiter reduziert werden. In Praxen und Kliniken können möglichst autarke Teams gebildet werden, die im Wechsel zeitlich und räumlich getrennt Patienten versorgen. Dies ermöglicht die Fortführung der Patientenversorgung, auch wenn es in einem der Teams zu einer Ansteckung und zum Ausfall mehrerer Mitarbeiter kommt. Aktuell befinden wir uns am Beginn der Pandemie in Deutschland. Durch die Reduktion der urologischen elektiven Versorgung können Mitarbeiter u. U. freigestellt werden und sich im Home-Office mit Restrukturierung und Organisation befassen. Dies reduziert die Kontakte und hält Mitarbeiter vor, die bei personellen Ausfällen zur Verfügung stehen. Konferenzen und Teammeetings sollten auf das absolute Minimum an Teilnehmern reduziert oder im Idealfall per Videoschaltung abgehalten werden. An zahlreichen Kliniken werden Tumorboards mittlerweile rein elektronisch abgehalten.

Das strenge Befolgen der Hygienemaßnahmen im Krankenhaus und der Praxis, sowie die Bereitstellung von adäquater Schutzausrüstung müssen oberste Priorität haben. Bei bestätigtem oder hochgradigem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion bei einem Patienten sollten Schutzkittel, Schutzhandschuhe, FFP2-Masken und Schutzbrillen bei direktem Kontakt mit dem Patienten (z. B. Blutentnahme, Ultraschall, Katheterisierung etc.) getragen werden. Bei Visiten mit Abstand >2 m zum Patienten reicht in der Regel ein Mundschutz mit Visier [6]. Das generelle Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei jedem Patientenkontakt, unabhängig einer positiven SARS-CoV-2-Anamnese, kann das allgemeine Infektionsrisiko weiter minimieren; dadurch wird insbesondere die Ansteckungsgefahr die von unerkannten Erkrankungen bei Mitarbeitern ausgehen kann, reduziert.

Zu Pandemiezeiten ist die Situation in den Praxen insbesondere auch aufgrund der zu beachtenden Hygienemaßnahmen komplex. Dies liegt v. a. an der aktuell flächendeckenden Verknappung passender Schutzausrüstung, sowie der oft fehlenden Möglichkeiten, Patienten zeitnah zu testen und angemessen zu isolieren. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, in den urologischen Praxen vorrangig die Patienten ohne bzw. mit nur geringem Verdacht für eine SARS-Cov‑2-Infektion zu behandeln (aktuell die Mehrheit der Patienten) und die Patienten mit begründetem Verdacht oder Symptomen von COVID-19 zunächst in einem ambulanten Diagnostik Stützpunkt zu testen. Im Fall eines positiven Testergebnisses muss der Patient unter häusliche Quarantäne gestellt werden. Hier gilt es individuell abzuwägen, ob eine dringliche urologische Weiterbehandlung bis zum Ende der Quarantäne warten kann. Unter Umständen kann die Entscheidungsfindung bzgl. weiteren Therapien mit dem Patienten telefonisch festgelegt und schon während der Quarantäne organisiert werden. Falls die urologische Therapie nicht warten kann, sollte Kontakt mit einer urologischen Klinik aufgenommen werden, in der entsprechende Möglichkeiten zur weiteren Testung und Isolierung gegeben sind. Zur Orientierung stellt das RKI laufend aktualisierte Handlungsempfehlungen zur Verfügung [7]. Insbesondere bei begründetem Verdacht auf eine Infektion sollte von einer Behandlung in der Praxis zunächst abgesehen werden. Ein relevantes Ansteckungsrisiko beim Umgang mit COVID-19-Patienten besteht bei Kontakt zu respiratorischen Sekreten oder bei aerosolbildenden Maßnahmen. Zur Identifikation möglicher SARS-Cov-2-positiver Patienten kann eine telefonische Abfrage von Symptomen und Risikoanamnese vor der Vorstellung erfolgen. Alternativ kann ein Fragebogen per Aufsteller vor der Praxis ausgehändigt werden, den die Patienten vor Kontakt mit den Mitarbeitern ausfüllen haben, um so eine Lenkung der Patienten zu ermöglichen.

Interventionen und Operationen an SARS-CoV-2-positiven Patienten vorbereiten

Angesichts der rasanten Entwicklung der Pandemie sind urologische Interventionen und Operationen an SARS-CoV-2-positiven oder an COVID-19 erkrankten Patienten unausweichlich. Wichtig sind die richtige und strenge Indikationsstellung sowie das Ausschöpfen konservativer Maßnahmen als Alternative zu einem Eingriff. Dieser sollte falls irgendwie möglich nach Abklingen der COVID-19-Erkrankung erfolgen. Für den Patienten bedeutet eine Intervention eine zusätzliche Belastung in einem oft gesundheitlich kritischen Zustand und für das klinische Personal besteht die Gefahr der Ansteckung. Diese ist bei medizinischen Maßnahmen und Operationen im Nasen-Rachen-Raum und Kopf-Hals-Bereich besonders hoch. Erste Studien deuten auf einen niedrigen oder ausbleibenden Nachweis von SARS-CoV‑2 im Urin und Blut von an COVID-19 erkrankten Patienten hin, wohingegen das Virus im Stuhl hochfrequent nachweisbar war [8, 9]. Weiterhin sollte auch ein besonderes Augenmerk auf laparoskopischen Eingriffen liegen, für die Studien eine Virusdissemination durch das Pneumoperitoneum beschrieben haben [10, 11]. Für SARS-CoV‑2 liegt jedoch hierfür aktuell keine Evidenz vor und laparoskopische Eingriffe erfolgen seit Jahrzehnten bei Patienten mit Viruserkrankungen wie HIV oder Hepatitis ohne zusätzliche Sicherheitsbedenken.

Nichtsdestotrotz ist in der aktuell unklaren Datenlage ein offenes Vorgehen zu favorisieren, das bei Notfalleingriffen in der Urologie oft Mittel der Wahl ist. Sollte ein laparoskopischer Zugang gewählt werden, können gemäß den Empfehlungen der Society of American Gastrointestinal and Endoscopic Surgeons Filtersysteme beim Ablassen des Pneumoperitoneums verwendet werden [12]. Darüber hinaus empfehlen Zheng et al. weitere Maßnahmen wie das Senken des Druckes des Pneumoperitoneums und den Verzicht auf monopolaren Strom [13]. Inwieweit eine systematische Testung aller Patienten vor Operationen oder zumindest vor laparoskopischen Eingriffen auch im urologischen Fachgebiet sinnvoll ist, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie sowie der Verfügbarkeit der Tests in Deutschland ab. Schon jetzt sollten die Empfehlungen der Robotic Urology Section (ERUS) der EAU für entsprechende Fälle berücksichtig werden [14].

Interdisziplinärer Operationssaal für Notfalleingriffe bei bestätigtem oder begründetem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion

Zur Organisation der Notfalleingriffe bei bestätigtem oder begründetem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion des Patienten in Kliniken empfiehlt sich die Einrichtung eines interdisziplinär genutzten, möglichst alleine stehenden COVID-19-Notfalloperationssaales, der ausschließlich für diesen Zweck zu Verfügung steht. Hier können alle für die Eingriffe nötigen Materialien und insbesondere spezielle Schutzausrüstung vorgehalten werden. Eine Rauchgasabsaugung, die in den meisten Kliniken nicht in allen OP-Bereichen verfügbar ist, kann hier für alle Fachdisziplinen installiert werden. Ein Ausweichraum ggf. mit erweiterten interventionellen Möglichkeiten wie Angio- oder Röntgentischen kann bei speziellen Anforderungen oder beim Anfall von mehreren Patienten genutzt werden.

Umgang bei bestätigtem oder begründetem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion im OP

Vor Durchführung eines operativen Eingriffs sollte gemäß der Vorgaben des RKI eine Zuordnung in eine der folgenden Risikogruppen erfolgen: (I) Patienten mit gesicherter COVID-19-Erkrankung oder Patienten mit begründetem Verdacht auf eine COVID-19-Erkrankung, (II) Patienten mit Verdacht auf COVID-19 im Rahmen einer differenzialdiagnostischen Abklärung.

Folgende allgemeine Empfehlungen zum Umgang mit COVID-19-Patienten sind in Rücksprache mit der hausinternen Krankenhaushygiene zu beachten [6, 15].

Transport
  • Während des Transports trägt der Patient einen Mund-Nasen-Schutz (falls nicht beatmet), beim Transport von Patienten der Risikogruppe I trägt das Begleitteam einen langärmeligen Schutzkittel, eine FFP2-Maske, Schutzbrille und Schutzhandschuhe.

  • Im Rahmen des ressourcensparenden Einsatzes der Schutzausrüstung kann der Transport durch das OP-Team übernommen werden.

Narkoseinleitung
  • Patient ist bereits intubiert und mit geschlossener Absaugung versorgt: Mitglieder des Anästhesieteams benötigen neben Schutzkitteln, Schutzhauben und Schutzhandschuhen FFP2-Masken und Schutzbrillen.

  • Patient muss intubiert oder bronchioskopiert werden: Mitglieder des Anästhesieteams benötigen neben Schutzkitteln, Schutzhauben und Schutzhandschuhen FFP3-Masken und Schutzbrillen.

  • Wechsel der Handschuhe und Händedesinfektion nach Intubation.

  • Für detaillierte Ausführungen die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene beachten[15].

Operation
  • Geschlossene Türen,

  • Reduktion des OP-Teams auf ein erfahrenes Kernteam und Erweiterung durch einen zusätzlichen Springer außerhalb des Operationssaals,

  • OP-Team betritt den Saal erst nachdem der Patient intubiert und an das Narkosebeatmungsgerät im OP-Saal angeschlossen ist; es verlässt den OP-Saal bevor der Patient extubiert wird.

  • Schutzausrüstung des urologischen Operationsteam, neben der üblichen OP-Kleidung: FFP2-Masken und Schutzbrillen (Gruppe I) sowie normaler Mundschutz mit Visier (Gruppe II),

  • Verwendung von Rauchgasabsaugung und bipolarem Strom,

  • vorzugsweise offener statt laparoskopischer OP-Zugang,

  • Material- und Medikamentenwägen sollen ausschließlich für diesen Operationssaal verwendet werden.

Narkoseausleitung
  • Anästhesie-Team behält Schutzausrüstung von der Narksoeeinleitung bis zur Abgabe des Patienten bei; Handschuhe werden vor Verlassen des OP-Saals ausgezogen, Hände desinfiziert und frische Handschuhe angezogen.

  • Anzahl der Anwesenden auf das unverzichtbare Minimum reduzieren,

  • Kein Zutritt von Patienten mit V.a. COVID-19 zum Aufwachraum und direkte Verlegung auf (Intensiv)Station.

Saalreinigung
  • Ablegen der Schutzkleidung des OP-Teams gemäß Anleitung im OP-Saal und Händedesinfektion,

  • Ablegen der Schutzkleidung des Anästhesieteam nach Abgabe des Patienten,

  • Wechsel der Beatmungsschläuche inklusive patientennahem HME-Filter, ein Wechsel der Kreisteile ist nicht notwendig,

  • nach Abschluss der Operation Reinigung des OP-Saals mit begrenzt viruzidem Flächendesinfektionsmittel.

Schlussfolgerung

Die SARS-CoV-2-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme weltweit vor eine große Herausforderung. Die Anzahl der stark steigenden und behandlungsintensiven Patienten mit COVID-19 fordert eine Ausweitung und Umverteilung von Ressourcen. In dieser besonderen Situation müssen Urologen durch Restrukturierung und Priorisierung den Ausbau der Behandlungsstrukturen zur Versorgung der COVID-19-Patienten unterstützen. Gleichzeitig muss eine urologische Notfallversorgung sowie eine angemessene Versorgung der dringlich zu behandelnden urologischen Patienten auch während der Pandemie gewährleistet sein. Der Schutz der Mitarbeiter und der Patienten hat dabei hohe Priorität.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M.C. Kriegmair, K.F. Kowalewski, B. Lange2, A. Heininger2, T. Speck, H. Haas und M.S. Michel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Literatur

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