Seit der Novellierung der Musterberufsordnung der in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) im Mai 2018 haben – mit Ausnahme von Brandenburg – alle Landesärztekammern die Möglichkeit der ausschließlichen Fernbehandlung, d. h. der ärztlichen Behandlung und Beratung ohne vorherigen physischen Patientenkontakt, in ihre Berufsordnungen aufgenommen.
Exemplarisch heißt es in § 7 Abs. 4 der Berufsordnung für die in Nordrhein tätigen Ärztinnen und Ärzte:
„Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“
Diese berufsrechtliche Weichenstellung ist das Ergebnis einer langen und z. T. sehr kontrovers geführten Diskussion um die Gestaltung und Förderung der Telemedizin. Diese Entwicklung gewinnt im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Coronakrise zunehmend an Bedeutung. Immer drängender stellen sich dabei auch Fragen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Fernaufklärung, also der Aufklärung der Patienten per Video oder Telefon.
Fernbehandlung und Fernaufklärung einen die physische Distanz zwischen Arzt und Patient und der Einsatz von Fernkommunikationsmitteln. Doch mit der (berufsrechtlich normierten) Zulässigkeit der Fernbehandlung geht nicht automatisch auch die Wirksamkeit einer durchgeführten Fernaufklärung einher. Zur Beantwortung der Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen ein Patient fernaufgeklärt werden kann und darf, hilft ein Blick auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen und deren Begründungen:
Mündlichkeit der ärztlichen Patientenaufklärung
Mit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Jahre 2013 wurde die bis dahin umfassend ergangene Rechtsprechung zum ärztlichen Behandlungsverhältnis im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) kodifiziert. Seitdem bestimmt § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass die Aufklärung des Patienten mündlich zu erfolgen hat. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/10488) heißt es dazu:
„Dem Patienten soll die Möglichkeit eröffnet werden, in einem persönlichen Gespräch mit dem Behandelnden gegebenenfalls auch Rückfragen zu stellen, sodass die Aufklärung nicht auf einen lediglich formalen Merkposten innerhalb eines Aufklärungsbogens reduziert wird. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Aufklärung in einfach gelagerten Fällen auch fernmündlich erfolgen (BGH v. 15. Juni 2010, Az. VI ZR 204, 2009). Lediglich ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Einwilligende in Textform erhalten hat.“
Es wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Norm an der bisherigen Rechtsprechung orientierte und bei der ärztlichen Aufklärung grundsätzlich von einem persönlichen Gespräch bei physischer Anwesenheit von Arzt und Patient ausgeht und lediglich in Ausnahmefällen, nämlich „in einfach gelagerten Fällen“, eine fernmündliche Aufklärung zulassen wollte. In dem zitierten Urteil aus dem Jahre 2010 hatte der BGH seine Entscheidung damit begründet, dass es auch im Telefongespräch möglich sei, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Indes könne der Patient jederzeit auf ein persönliches Gespräch mit physischer Anwesenheit des Arztes bestehen.
(Keine) Änderungen durch das Digitale-Versorgungs-Gesetz
Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung – auch im Gesundheitswesen – erkannte der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Anpassung der gesetzlichen Vorschriften und brachte das sog. Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) auf den Weg. Im Entstehungsprozess für dieses Gesetz lag zunächst ein Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums vor, der eine Erweiterung des § 630e Abs. 1 BGB um folgenden Satz beabsichtigte:
„Im Rahmen einer telemedizinischen Behandlung kann die Aufklärung nach Satz 1 auch unter Einsatz der für die Behandlung verwendeten Fernkommunikationsmittel erfolgen.“
Diese Ergänzung wurde dann aber wieder fallen gelassen, sodass sie keinen Einzug in den Beschlusstext des Gesetzes fand, welches am 19.12.2019 in Kraft trat. Dennoch gab der Gesetzgeber sein Vorhaben nicht auf und machte in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/13438) wegweisende Ausführungen, die zeigen, dass die Fernaufklärung durchaus möglich sein soll. Es heißt dort:
„Eine Ergänzung oder Abänderung des § 630e Absatz 1 und 2 BGB ist allerdings nicht veranlasst. Denn die nach Maßgabe des § 630e Absatz 1 BGB vorzunehmende Aufklärung des Patienten kann bereits nach geltendem Recht auch unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln erfolgen, solange diese den unmittelbaren sprachlichen Austausch zwischen dem Patienten und dem Behandelnden zulassen.“
„Das BGB enthält keine Legaldefinition der mündlichen Kommunikation. Nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre setzt der Begriff der Mündlichkeit die gemeinsame körperliche Anwesenheit aller Beteiligten nicht voraus.“
„Das traditionell übliche persönliche Gespräch in der Praxis des Behandelnden kann heute durch die Verwendung von Telekommunikationsmitteln ersetzt werden, ohne dass Patient und Behandelnder sich in den gleichen Räumlichkeiten aufhalten müssen.
Gleiches gilt für die Aufklärungspflicht des Behandelnden gegenüber dem Patienten hinsichtlich Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken einer einwilligungsbedürftigen medizinischen Maßnahme.“
Unter Bezugnahme auf die Begründung des Patientenrechtegesetzes (s. oben) stellt der Gesetzgeber darauf ab, dass die ehemals noch geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verwendung von Fernkommunikationsmittelns angesichts der steigenden technischen Qualität und gesellschaftlichen Akzeptanz heute nicht mehr bestehen – auch nicht im Rahmen der Aufklärung „hinsichtlich schwerwiegend gelagerter Behandlungsfälle“: Denn – so die Gesetzesbegründung weiter:
„Insbesondere bei der Videosprechstunde ist eine dem unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt vergleichbare Gesprächssituation gegeben, sodass der Patient alle erforderlichen Rückfragen mit dem Behandelnden unmittelbar erörtern kann.“
Das DVG enthält also keine ausdrückliche neue gesetzliche Regelung zur Fernaufklärung, es legalisiert dennoch die Fernaufklärung für die praktische Anwendung. Der Gesetzgeber zeigt, dass er die Fernaufklärung nicht nur für einfach gelagerte Behandlungsfälle für zulässig erachtet, sondern generell für alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen eröffnen will. Technik und Gesellschaft hätten eine Weiterentwicklung erfahren, die nunmehr auch eine Weiterentwicklung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient erlaube.
Fernaufklärung im Einzelfall
Alle Ärztinnen und Ärzte müssen aber stets individuell abwägen, ob ein Aufklärungsgespräch am Telefon, per Videotelefonie oder in einem persönlichen Gespräch mit dem Patienten erfolgen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Telefongespräch nicht so nah an das persönliche Gespräch heranreichen kann wie die Videotelefonie. Bei der Frage der Ausgestaltung des Aufklärungsgesprächs sollte außerdem bedacht werden, ob zuvor bereits ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat und wie schwerwiegend sich der in Rede stehende Eingriff darstellt.
Der notwendige Inhalt der Aufklärung umfasst wie sonst auch die Erläuterung der Behandlung und ihrer Risiken sowie möglicher Behandlungsalternativen. Der aufklärende Arzt muss sich vergewissern, dass der Patient Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs im Großen und Ganzen verstanden hat und er auf alle Rückfragen des Patienten eingegangen ist. Bei der Durchführung des Aufklärungsgesprächs sind nicht nur etwaige Sprachprobleme oder intellektuelle Defizite des Patienten zu berücksichtigen, sondern auch die individuellen Fähigkeiten des Patienten im Umgang mit dem genutzten Kommunikationsmedium zu bedenken. Sollte über eine Fernbehandlung aufgeklärt werden, muss zusätzlich auch über deren Besonderheiten und die grundsätzliche Möglichkeit einer Behandlung vor Ort informiert werden.
Bei verbleibenden Zweifeln hinsichtlich der Zulässigkeit der Fernaufklärung im Einzelfall sollte der Arzt den Patienten sicherheitshalber um ein persönliches Gespräch in physischer Anwesenheit bitten. Denn im Streitfall obliegt es dem Arzt, zu beweisen, dass die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgte. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Dokumentation bei der Fernaufklärung besonders sorgfältig und lückenlos geführt werden. Die Verwendung von Aufklärungsbögen ist gerade bei der Fernaufklärung dringend anzuraten.
Fazit
Die Digitalisierung hat die Möglichkeiten der Telemedizin erweitert und bewirkt auch im Gesundheitswesen eine zunehmende Akzeptanz für den Einsatz digitaler Anwendungen und Medien.
Die Kommunikation über Videotelefonie ist mittlerweile technisch derart fortgeschritten, dass in der Regel kaum noch ein Unterschied zum persönlichen Gespräch festzustellen ist.
Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und folgerichtig die Weichen für die Fernaufklärung – wenn auch nicht ausdrücklich – gestellt.
Wie zahlreich von der Möglichkeit der Fernaufklärung künftig Gebrauch gemacht werden wird, lässt sich nicht prognostizieren. Im Zusammenhang mit der Legalisierung der ausschließlichen Fernbehandlung wurde allerdings bereits betont, dass der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt weiterhin den sog. Goldstandard ärztlichen Handelns darstelle. In Anlehnung daran muss wohl auch die Fernaufklärung als eine zusätzliche Option, nicht jedoch als grundsätzliche Alternative zum persönlichen Aufklärungsgespräch verstanden werden.
Wie streng die Rechtsprechung die Zulässigkeit der Fernaufklärung im Einzelfall bewerten wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sollten Ärzte die Zulässigkeit der Fernaufklärung stets sorgfältig prüfen und die Durchführung gut dokumentieren, um etwaigen Haftungsrisiken begegnen zu können.
Beispiele aus der Praxis
G. Gahn
In der Neurologie beschäftigen uns im Zusammenhang mit der fernmündlichen Aufklärung aktuell im Wesentlichen 2 Szenarien:
COVID-19-Pandemie – Intensivbehandlung aus dem Ausland verlegter Patienten
Nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie kam es im Elsass zu einer Überlastung der lokalen Krankenversorgung und einem Mangel an Intensivbehandlungsbetten mit der Möglichkeit einer maschinellen Beatmung. 4 beatmungspflichtige COVID-19-Patienten wurden daraufhin aus dem Universitätsklinikum Straßburg in das Städtisches Klinikum Karlsruhe verlegt. Diese Patienten wurden auf der neurologischen Intensivstation behandelt, die räumlich ideal für Isolationspatienten gelegen ist.
Im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung mussten zahlreiche grundlegende Entscheidungen getroffen werden, z. B. der Beginn einer Dialyse, die Durchführung einer Tracheotomie und auch die Änderung eines Therapieziels mit Beendigung der intensivmedizinischen Therapie. Da die Patienten in Narkose lagen, konnten sie selbst nicht aufgeklärt werden. Wir konnten vor Ort nicht persönlich mit den Angehörigen der Patienten sprechen, um den mutmaßlichen Willen des Patienten herauszufinden und über invasive Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären. Die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland war geschlossen, und in unserer Klinik herrschte Besuchsverbot. Zudem konnten nicht alle Angehörigen ausreichend Deutsch und von uns sprachen nur einige Ärzte fließend Französisch.
Zur Entscheidungsfindung riefen wir die Angehörigen mindesten 2‑mal an und dokumentierten diese Telefonate in der Krankenakte. Während des ersten Anrufs wurden die Angehörigen von uns fernmündlich informiert und aufklärt. Während des zweiten Anrufes strebten wir fernmündlich eine Entscheidung zwischen Einwilligung und Ablehnung der von uns vorgeschlagenen Maßnahme an. Dieses Vorgehen funktionierte problemlos, auch im Falle der Therapiezieländerung und des Versterbens eines Patienten. 2 Patienten konnten nach Entwöhnung vom Respirator im Einvernehmen mit den Angehörigen wieder zurückverlegt werden.
Ähnliche Szenarien kommen regelmäßig bei nichtaufklärungsfähigen Patienten vor, deren Angehörige, Bevollmächtigte oder gesetzliche Betreuer weit entfernt leben.
Telemedizinische Schlaganfallbehandlung
Wir führen täglich bei telemedizinischen Kooperationen im Rahmen eines akuten Schlaganfalls eine Fernbehandlung durch. Hier liegt im Allgemeinen die fachliche Verantwortung für die spezialisierte Konsiliarleistung beim sog. Telekonsilarzt der neurologischen Abteilung im Zentrum. Die Patientenbehandlung an sich liegt in der Verantwortung des vor Ort behandelnden Arztes – üblicherweise kein Neurologe – im peripher gelegenen Kooperationskrankenhaus. Der Arzt vor Ort klärt über Behandlungsverfahren wie z. B. eine Thrombolyse oder Verlegung zur Thrombektomie auf. Streng genommen ist er aber fachlich nicht kompetent für diese Aufklärungsleistung. Eine fernmündliche Aufklärung des Patienten über den Telekonsilarzt erfolgt normalerweise nicht. Dieser führt die Therapie selbst auch gar nicht durch, sondern berät aufgrund seines Spezialwissens den vor Ort tätigen Arzt. Zudem berät er unter Zeitdruck im Rahmen einer Notfallsituation.
In dieser Notfallsituation ist eine fernmündliche Aufklärung durch den neurologischen Konsiliararzt nicht praktikabel, da trotz aller technischen Finessen ein persönliches Gespräch zwischen dem Konsiliararzt auf dem Videobildschirm und dem Patienten auf der Notaufnahme – oder gar CT-Liege – sicher für beide Seiten unbefriedigend verläuft.
Eine Lösung könnte darin bestehen, dass der Konsiliararzt während der Telekonferenz mit dem vor Ort tätigen Arzt die Ein- und Ausschlusskriterien für eine Thrombolyse abfragt und in seinem patientenbezogenen Behandlungsstandard dokumentiert. Andererseits sollten die Ärzte vor Ort im Rahmen der regelmäßigen Fortbildungen der Partnerkliniken über die Aufklärungsinhalte nachweislich geschult werden, die zudem vor Ort mit einem Behandlungsstandard (SOP) hinterlegt sein sollten.
Hierbei sollte auch das häufige Problem des off label use der Thrombolyse mit einem Behandlungsstandard berücksichtigt werden, bei dem regelmäßig zwischen Vorenthalten einer nachgewiesen wirksamen Therapie, Stand der Wissenschaft und fehlender Medikamentenzulassung abgewogen werden muss.
Ähnliches gilt für die Verlegung eines Patienten mit einem Schlaganfall, wenn er zur weiteren Therapie, z. B. einer mechanischen Thrombektomie, auf Empfehlung des Konsiliararztes in ein Zentrum verlegt wird und der Patient nicht vom Telekonsilarzt aufgeklärt werden kann oder nicht einwilligungsfähig ist.
Beide Beispielszenarien verdeutlichen einerseits die Bedeutung der fernmündlichen Kommunikation und andererseits die Wichtigkeit einer standardisierten und präzisen Dokumentation der wesentlichen Gesprächs- und Behandlungsinhalte, um das konstruktive Miteinander im Behandlungsverlauf zwischen Patienten, Angehörigen und Ärzten transparent darzustellen.

Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
A. Wienke, L. Hübner und G. Gahn geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Contributor Information
A. Wienke, Email: awienke@kanzlei-wbk.de
G. Gahn, Email: neurologie@klinikum-karlsruhe.de
