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editorial
. 2020 Apr 24;15(3):151–152. [Article in German] doi: 10.1007/s11377-020-00438-7

Gastrointestinale Infektiologie

Infectious diseases in gastroenterology

M Müller-Schilling 1,, A Stallmach 2,
PMCID: PMC7181105  PMID: 32341713

Wie bei kaum einem anderen Gebiet in der Medizin wird in der Infektiologie eine ganze Reihe verschiedener Ziele verfolgt. Neben dem Schutz und der Behandlung des Individuums vor und bei Infektionskrankheiten und deren möglichen Folgen, spielen insbesondere gesellschaftlich bedeutende Ziele, wie die Unterbrechung von Infektionsketten und die globale Eradikation von Erregern, eine große Rolle.

Infektionskrankheiten können Ängste verursachen – das Unbehagen und die Sorgen, aber auch die von vielen empfundene Hilflosigkeit im Umgang mit den SARS-CoV-2-Infektionen, die zur Coronapandemie im Winter 2019/2020 führte, machen dieses nur allzu deutlich. Um diesen Ängsten und Sorgen adäquat zu begegnen, aber insbesondere auch Infektionen frühzeitig zu diagnostizieren und korrekt zu behandeln, ist ein kontinuierlich zu aktualisierendes Wissen nötig.

Durch die zunehmend alternde Bevölkerung mit steigenden Komorbiditäten und Infektionsanfälligkeit, die weitreichenden Resistenzprobleme sowie durch die besonderen Herausforderungen von reise- und migrationsassoziierten Infektionskrankheiten erfahren gastroenterologische Infektionskrankheiten zurzeit einen großen Bedeutungszuwachs. Auch stellen komplexe diagnostische und endoskopisch-therapeutische Interventionen in der Hochleistungsmedizin und die Organtransplantation, mit ihren spezifischen Infektionsrisiken, besondere Anforderungen an Infektionsprävention und Infektionsmanagement. Nicht zuletzt werden auch der rasante Wissenszuwachs zur gastrointestinalen Mikrobiota neue Ansätze für das Krankheitsverständnis und die Therapiemöglichkeiten von gastrointestinalen Infektionen generieren, wie der bereits als Behandlungsoption bei der rekurrenten Clostridioides-difficile-Infektion etablierte fäkale Mikrobiotatransfer zeigt.

Unter den auf dem Boden des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtigen Erkrankungen in Deutschland spielen infektiöse Ursachen gastrointestinaler Infektionen mit bis zu 60 % die wichtigste Rolle. Vor allem virale, bakterielle und nachrangig parasitäre Erreger sind hierbei von Bedeutung. Saisonbedingt sind Noro- und Rotaviren im Rahmen von Ausbrüchen besonders wichtig. Die Campylobacter-Enteritis ist mit 60.000–70.000 übermittelten Fällen pro Jahr die häufigste bakterielle meldepflichtige Krankheit in Deutschland. Clostridioides difficile ist der häufigste Erreger nosokomialer infektiöser Diarrhöen weltweit. Wir haben uns deshalb mit diesem Heft vorgenommen, aktuelle Standards und neue Entwicklungen für unsere tägliche Praxis und die optimale Versorgung unserer Patienten zu besprechen. Praxisrelevante Darstellungen und die Definition eines State-of-the-Art-Vorgehens in Diagnostik und Therapie bilden den Fokus unserer Beiträge. Daher freuen wir uns, dass renommierte Kolleginnen und Kollegen mit Ihren Übersichtsbeiträgen in diesem Schwerpunktheft konkrete, praxisnahe Empfehlungen aussprechen. So werden im ersten Teil des Hefts die neuen molekulargenetischen Möglichkeiten zur Diagnostik gastrointestinaler Durchfallerkrankungen und die klinischen Konzepte zur Behandlung dieser diskutiert. M. Muche et al. vergleichen in ihrem Beitrag die sog. integrierten „Gastroenteritis-Panel“, bei denen mittels Multiplex-PCR-Untersuchung eine einzige Stuhlprobe simultan auf eine Vielzahl bakterieller, viraler und protozoaler Erreger untersucht werden kann, mit der Effektivität konventioneller Methoden der Stuhldiagnostik. Die neuen molekularen Gastroenteritis-Panel zeichnen sich hierbei durch kürzere Prozessierungszeit und signifikant höhere Detektionsraten aus. Es bleibt aber zu klären, ob dies zu einer Verbesserung der Therapie oder des Hygienemanagements führen kann. Die Autoren kommen daher zum Schluss, ihren Einsatz derzeit nur in speziellen Situationen als Zusatzmethode zur konventionellen Diagnostik zu empfehlen.

Weltweit gehören gastrointestinale Infektionen zu den häufigsten erregerbedingten Erkrankungen überhaupt und spielen unter den 10 häufigsten Todesursachen insbesondere bei Kindern eine wichtige Rolle. In Deutschland erleidet nahezu jeder Erwachsene pro Jahr mindestens eine Episode einer akuten Durchfallerkrankung. C.D. Spinner und C. Schulz zeigen in ihrem Beitrag, wie bei der Initiierung von Erregerdiagnostik und antimikrobieller Therapie ökonomische Erwägungen – ebenso wie epidemiologische Überlegungen zur Vermeidung von Ausbruchsgeschehen – berücksichtigt werden können.

Auch anhand der Clostridioides-difficile-Infektion (CDI) wird deutlich, dass neben den Erkenntnissen aus der evidenzbasierten Medizin durchaus ökonomische Aspekte die gewählte Therapie steuern. Der Beitrag von S. Lieberknecht und M.J.G.T. Vehreschild bietet hier eine Neuevaluation der Diagnostik- und Therapieempfehlung für die CDI. Eine Einteilung der CDI in Schweregrade ist in Bezug auf die Antibiotikaauswahl nicht mehr vorzunehmen. Fidaxomicin schützt im Vergleich zu Vancomycin effektiver vor Rezidiven bei ähnlicher primärer Heilungsrate. Daher empfehlen die Autoren aus medizinischer Sicht den Einsatz von Fidaxomicin in allen Subgruppen. Unter ökonomischen Aspekten diskutieren die Autoren eine Priorisierung von Patienten mit rezidivierender CDI oder von Patienten mit spezifischen Risikofaktoren. Ab dem ersten Rezidiv sollte eine Kombination mit dem monoklonalen Antitoxin-B-Antikörper Bezlotoxumab erwogen werden.

Die Frage, ob wir als Gastroenterologen mit unseren Endoskopen eine Gefährdung für den Patienten darstellen, wird ebenfalls adressiert. M. Jung bespricht die Aufbereitung von flexiblen Endoskopen und deren Schwachstellen. Die Aufbereitung umfasst mehrere Teilschritte mit Reinigung, Desinfektion, Trocknung und Lagerung. Infektserien durch MRGN-kontaminierte Duodenoskope und bakterielle Kontaminationsraten in Aufbereitungsstudien (5–15 %) weisen hier auf grundsätzliche Probleme hin. Als Schwachstellen gelten die Reinigung schwer zugänglicher Endoskopbereiche (Distalende von Duodenoskopen), Mikroschäden der Instrumente und generell der manuelle Teil der Aufbereitung. Priorität hat daher die Qualifikation des aufbereitenden Personals, eine innovative Designänderung der Endoskope und die Entwicklung neuer Aufbereitungsformen.

Im zweiten Teil des Schwerpunktheftes werden infektiöse Lebererkrankungen, begonnen bei der Hepatitis E, Lebererkrankungen bei Reiserückkehrern über Infektionen bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen zu Patienten nach Lebertransplantation dargestellt.

Ein Update zur Hepatitis E ist der Beitrag von D. Bettinger. Die Infektion mit dem Hepatitis-E-Virus (HEV) ist weltweit die häufigste Ursache akuter viraler Hepatitiden. Hepatitis E muss daher immer in der Differenzialdiagnose und Abklärung von unklar erhöhten Leberwerten bedacht werden.

Patienten mit Leberzirrhose sind charakterisiert durch eine Dysfunktion des Immunsystems („cirrhosis-associated immune dysfunction“, CAID). Die Auswirkung der Fehlsteuerung des Immunsystems auf das intestinale Mikrobiom wird von T. Bruns behandelt. Zirrhoseassoziierte Veränderungen der Darmmikrobiota und der intestinalen Barrierefunktion korrelieren mit dem Auftreten von Komplikationen wie bakteriellen Infektionen, hepatischer Enzephalopathie, portaler Hypertension und akut-auf-chronischem Leberversagen. Präzisionsmedizinische Ansätze zur Therapie durch spezifische Taxa ausgelöster Komplikationen stellen daher ein innovatives therapeutisches Konzept dar.

Die frühzeitige Diagnostik und Therapie von Infektionen verbessern das Überleben von Patienten mit Leberzirrhose signifikant. Daher sollte die Infektfokussuche bei jedem Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose sowie Verschlechterung der Erkrankung zum Standard gehören. S. Schmid et al. diskutieren die Therapie der häufigsten Primär- und Sekundärinfektionen bei Patienten mit Leberzirrhose und akut-auf-chronischem Leberversagen, dessen Haupttrigger in Europa bakterielle Infektionen sind.

Leberspezifische Erkrankungen bei Reiserückkehrern stehen im Fokus des Beitrages von S. Wendt et al. Oft ist die Leber primär oder sekundär betroffen. Als Auslöser kommen sowohl alle Erregerklassen wie auch toxische Substanzen infrage: Bei unklaren Lebersymptomen und passender Reiseanamnese sollte immer an Malaria und die viszerale Form der Leishmaniose gedacht werden. Hepatitisviren (HAV, HBV/HDV, HCV, HEV) und Erreger viraler und bakterieller Begleithepatitiden (CMV, EBV, HIV, Flaviviren, Rickettsien, Brucellen, Treponemen, Leptospiren etc.) sollten ebenfalls differenzialdiagnostisch erwogen werden. Leberabszesse durch Entamoeba histolytica und hypervirulente Klebsiellen sind potenziell lebensbedrohlich und müssen frühzeitig erkannt und therapiert werden.

Das Thema virale Infektionen bei Lebertransplantierten wird von S. Cisek und H. Wedemeyer behandelt. Mit den aktuell zur Verfügung stehenden antiviralen Substanzen können Hepatitis B, C und D sehr effektiv nach Lebertransplantation kontrolliert werden. Damit eröffnet sich auch die Option der Transplantation von Organen von HCV- bzw. HBV-positiven Spendern für virusnegative Patienten. Auch hier muss wieder die Hepatitis E in der Differenzialdiagnose von unklar erhöhten Leberwerten nach Lebertransplantation ebenso wie Infektionen mit Herpesviren berücksichtigt werden.

Insgesamt freuen wir uns sehr über die hohe Qualität der Beiträge und danken allen Autoren*innen der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Der Gastroenterologe, dass Sie unserer Einladung nachgekommen sind. Unseren Lesern wünschen wir viel Spaß und Erkenntnisgewinn für die tägliche Arbeit in Klinik und Praxis.

Interessenkonflikt

M. Müller-Schilling und A. Stallmach geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Contributor Information

M. Müller-Schilling, Email: martina.mueller-schilling@ukr.de

A. Stallmach, Email: andreas.stallmach@med.uni-jena.de

Weiterführende Literatur


Articles from Der Gastroenterologe are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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