Abstract
Wie Studien regelmäßig belegen, sind Pflegende dem Risiko an psychischen Belastungen zu leiden besonders ausgesetzt. Im Rahmen der Corona-Pandemie sind diese Belastungen nun noch einmal deutlich erhöht. Am Universitätsklinikum Charité in Berlin hat deshalb eine Arbeitsgruppe Empfehlungen für Führungskräfte zur Reduktion von Stress und psy- chischer Belastung bei Pflegefachpersonen im Rahmen der aktuellen Covid-19-Pandemie zusammengestellt. Insbesondere werden die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, des Internationalen Roten Kreuzes und der Vereinten Nationen berücksichtigt.
Keywords: Schlüsselwörter: Corona, Gesundheitsfachkräfte, Führungskultur, Pflege, psychische Gesundheit
Schützen Sie Mitarbeiter vor psychischen Belastungen In der aktuellen Covid-19-Pandemie stehen Pflegefachpersonen vor großen Herausforderungen. Zahlreiche außergewöhnliche Stressoren und Risiken beeinträchtigen nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit der Pflegenden. Eine Situation, in der Führungskräfte besonders gefordert sind, für sich und ihre Mitarbeiter Sorge zu tragen.
Seit Monaten stellt die Corona-Pandemie die Gesundheitssysteme und damit die Gesundheitsfachkräfte aller Berufsgruppen vor große Herausforderungen - weltweit. Zu den allgemeinen psychischen Belastungen und Stressfaktoren kommen nun Pandemie-spezifische Stressoren (IASC 2020) hinzu, wie:
Das Risiko, sich und andere zu infizieren, insbesondere weil die Übertragung des Virus noch nicht vollständig geklärt ist
Die Fehlinterpretation von Symptomen anderer Erkrankungen (z.B. einer Erkältung) als Symptome einer Covid-19-Erkrankung mit resultierenden Ängsten, infiziert zu sein
Die Sorge um die eigenen Kinder, die infolge von Schulschließungen womöglich allein zuhause sind
Die Sorge vor Verschlechterungen der eigenen physischen und psychischen Gesundheit bei Mitarbeitern, die vorbestehende Erkrankungen oder Risikofaktoren aufweisen
Das Auftreten von Stress und psychischen Belastungen ist eine weitgehend normale Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis. Im Rahmen der aktuellen Covid-19-Pandemie ist aber vorallem bei Pflegenden, die besonders dicht am Patienten arbeiten, mit dem Auftreten von weiteren Reaktionen (IASC 2020) zu rechnen:
Angst, selbst zu erkranken oder zu versterben
Angst vor sozialer Isolation, wenn man mit der Erkrankung in Verbindung gebracht wird
Gefühl von Hilflosigkeit, Bezugspersonen nicht beschützen zu können und Sorgen, dass Bezugspersonen versterben könnten
Der Angst vor Trennung von Bezugspersonen infolge von Isolations- oder Quarantäne-Maßnahmen
Gefühle von Hilflosigkeit, Langeweile und depressiver Symptome infolge von Isolation oder Quarantäne
Der Reaktivierung bedrohlicher Erfahrungen aus früheren Epidemien oder Gesundheitskrisen größeren Ausmaßes
Stress ist eine normale Reaktion
Zudem sind Pflegende spezifischen weiteren Stressoren ausgesetzt (Brooks et al. 2020, IASC 2020, IRC & RCS 2018):
Stigmatisierung gegenüber Menschen, die mit an Covid-19 erkrankten Patienten arbeiten
Strikte Sicherheitsmaßnahmen wie das Tragen von Schutzkleidung, die dauerhafte Notwendigkeit von Konzentration und Wachsamkeit sowie stark regulierte Verfahrensanweisungen die Spontanität und Autonomie einschränken und die Reduktion von körperlichen Berührungen
Höhere berufliche Belastungen (längere Arbeitszeiten, mehr Patienten, hoher Weiterbildungsdruck)
Reduzierte soziale Unterstützung infolge langer Arbeitszeiten und Stigmatisierung von Gesundheitsfachkräften im Umgang mit Covid-19 Patienten
Reduzierte Selbstfürsorge infolge Zeit- und Energiemangel
Unzureichende Informationen über die Konsequenzen von längerfristiger Exposition zu infizierten Patienten
Sorgen, die eigene Familie und Bezugspersonen mit Covid-19 anstecken zu können
Konfrontation mit Ärger und Wut gegen die Regierung oder das Gesundheitssystem durch Patienten
Gefühle von Isolation durch die Separation von dem Team, mit dem sie üblicherweise arbeiten
Sorgen, dass die Kollegen mit zusätzlicher Arbeit konfrontiert werden, falls man sich selbst in Quarantäne befindet
Wenngleich das Auftreten von Stress, psychischer Belastung und negativen Emotionen unter den aktuellen Umständen grundsätzlich als normale Reaktion zu bewerten ist, haben die Belastungen, denen Pflegende in Zeiten der Covid-19-Pandemie ausgesetzt sind, grundsätzlich das Potential, das Auftreten von psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depression oder Traumafolgestörungen zu fördern (Bao et al. 2020). So wurden auch im Rahmen des letzten SARS-Ausbruchs in China erhöhte Level von Stress, Ängsten, Depression und allgemein psychischer Belastung bei Gesundheitsfachkräften festgestellt (Wu et al. 2009, Xlang et al. 2020). Im Rahmen früherer Epidemien, beispielsweise des Ebola-Ausbruchs (20132016) in Westafrika, zeigte sich, dass psychische Belastungen und Ängste in einer solchen Situation eine zentrale Rolle spielen und nicht nur die Verbreitung einer Erkrankung befördern, sondern auch zu Einschränkungen im Gesundheitssystem führen können, wenn beispielsweise Gesundheitsfachkräfte infolge dieser Belastungen nicht mehr zur Arbeit erscheinen (Shultz et al. 2016).
Bewältigung der psychischen Belastung
Vor diesem Hintergrund haben internationale Organisationen erste Empfehlungen zur Reduktion der psychischen Belastung veröffentlicht. Nach den Empfehlungen der WHO (2020) und des Inter-Agency-Standing-Committee (IASC 2020) der Vereinten Nationen gilt es, sich bewusst zu machen, dass unter den aktuellen Umständen das Erleben von Stress, Überforderung und heftigen Emotionen eine normale Reaktion ist. Es bedeutet nicht, dass man seinem Job oder den Anforderungen nicht gewachsen oder "schwach" ist (WHO 2020). Heftige Emotionen, Ärger, Reizbarkeit oder Stimmungsschwankungen sind als nachvollziehbar zu betrachten und nicht schuldhaft zu verarbeiten. Dabei kann es zu Rollenkonfusionen und Selbstwertproblemen kommen. Unter alltäglichen Bedingungen erleben sich Pflegende in ihrer Arbeit häufig als Unterstützer der Patienten. Aufgrund der Belastungsfaktoren im Rahmen der Covid-19-Pandemie kann nun auch bei ihnen das Gefühl von Überforderung oder der Wunsch nach Unterstützung und Hilfe entstehen. Dies kann das bisherige Selbstbild infrage stellen. Zweifel kommen auf, inwiefern sie ihre berufliche Rolle weiterhin ausfüllen können, wenn sie sich selbst doch psychisch stark gefordert fühlen. Wichtig scheint dabei (neben der Reduktion der Belastung oder professioneller Unterstützung) ein achtsamer Umgang mit und die Akzeptanz der eigenen emotionalen Reaktion. Auch als Pflegeperson darf man psychisch belastet sein. So wurde im Rahmen einer US-Studie beim Zika-Ausbruchs 2015 gezeigt, dass die Unterdrückung von Ängsten und negativen Emotionen eher zu einer Verstärkung von Ängsten führt und ein Teufelskreis entstehen kann.
Auch unter den aktuell extremen Bedingungen ist auf eine Erfüllung der basalen Grundbedürfnisse zu achten, sind ausreichend Pausen zu nehmen, auf eine gesunde Ernährung zu achten und weiterhin körperlich aktiv zu sein (WHO 2020). Dabei kann insbesondere regelmäßige körperliche Aktivität zur Reduktion von Ängsten und psychischer Belastung beitragen (Petzold et al., 2020). Zudem kann ein Austausch mit Kollegen, die ähnliche Belastungen erleben und bei denen ein freier Austausch meist auch ohne Einschränkungen durch den Datenschutz möglich ist, helfen, die psychische Belastung zu reduzieren (IASC 2020). Das Aufrechterhalten sozialer Kontakte - auch im privaten Bereich - ist eine äußerst wichtige Komponente für den Erhalt der psychischen Gesundheit. In Fällen, in denen dies aufgrund von Isolations-/Quarantänemaßnahmen oder Ängsten vor einer Ansteckung nicht möglich ist, kann auf Telekommunikation zurückgegriffen werden (IASC 2020). Um das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit zu erlangen, sollten bestehende Routinen aufrechterhalten oder neue etabliert werden (IRC 2020). Zudem kann auch die Erinnerung daran, zu einem Team zu gehören und eine bedeutungsvolle Aufgabe zu erledigen, zu einer besseren Bewältigung der psychischen Belastung beitragen (IRC 2020).
Nehmen Sie die Empfindungen Ihrer Mitarbeiter ernst
Aus vorherigen Krisen haben die WHO (2020), das IASC (2020) und das Internationale Rote Kreuz (2018) bereits Hinweise zur Rolle von Führungskräften im Gesundheitssektor bei der Reduktion der psychischen Belastung ihrer Mitarbeiter zusammengefasst (s. Checkliste). Alle kommen zu dem Ergebnis, dass Führungskräfte zunächst die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter neben den zahlreichen anstehenden Aufgaben im Blick behalten sollten. Verschaffen Sie Ihren Mitarbeitern das Gefühl, sich mit Stress und psychischen Belastungen vertrauensvoll an ihre Vorgesetzten wenden zu können. Die wiederum sollten diese Wahrnehmungen ernst nehmen. Denn dem Schutz der Mitarbeiter muss eine hohe Priorität eingeräumt werden (WHO 2020).
Um Orientierung zu geben und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu fördern, sollten Führungskräfte darauf achten, ihren Mitarbeitern alle relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen und dabei klar und eindeutig zu komunizieren (IASC 2020). Zudem ist sicherzustellen, dass die Mitarbeiter auch in Phasen hoher Arbeitsbelastung Pausen und Erholungsmöglichkeiten wahrnehmen und Maßnahmen der Selbstfürsorge durchführen (IASC 2020). Um die belastungsreduzierende Wirkung von kollegialem Austausch nutzbar zu machen, sollten Führungskräfte ihren Mitarbeitern Gelegenheit geben, sich mit anderen Teammitgliedern auszutauschen (Brooks et al. 2020, IASC 2020). Eröffnen Sie Mitarbeitern auch Zugang zu psychosozialen und psychologischen Hilfsangeboten; achten Sie insbesondere darauf, dass eine potentielle Inanspruchnahme von Hilfsangeboten nicht mit einer Stigmatisierung verbunden wird (IASC 2020).
Geben Sie auch auf sich selbst acht
Neben der Fürsorge für ihre Mitarbeiter sollten Führungskräfte auch die Selbstfürsorge im Blick behalten - sie sind diesbezüglich wichtige Rollenvorbilder für ihre Mitarbeiter (IASC 2020). Weiterhin sollten flexible Änderungen der Arbeitszeiten ermöglicht werden, falls Mitarbeiter selbst oder enge Familienmitglieder von belastenden Ereignissen betroffen sind (WHO 2020). Eine wesentliche Rolle kommt Führungskräften zudem bei der Vermittlung von Wertschätzung zu. Gerade diese Wertschätzung nimmt in Krisenzeiten eine wichtige protektive Funktion bezüglich der psychischen Gesundheit ein (IRC 2018). Um Desorientierung und Hilflosigkeitsgefühlen vorzubeugen, ist außerdem die Etablierung einer klarer Rollen- und Aufgabenverteilungen notwendig, wobei diese der aktuellen Lage regelmäßig angepasst werden sollte (WHO 2018).
Wenngleich umfassendere Handlungsempfehlungen und eine systematische Erforschung der psychischen Belastung von Pflegefachpersonen im Rahmen der Covid-19-Pandemie dringend notwendig erscheinen, bieten die hier aufgeführten Hinweise doch eine erste Orientierung. Notwendig ist aber die Etablierung umfassender Maßnahmen zur Förderung der körperlichen und psychischen Gesundheit von Pflegefachpersonen.
Fazit.
Pflegende sind als Gesundheitsfachkräfte im Rahmen der Covid-19-Pandemie mit zahlreichen Belastungen und Stressoren konfrontiert.
Die Prävention und Reduktion psychischer Belastung ist von individueller Bedeutung, spielt aber auch für die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems eine wichtige Rolle.
Die Normalisierung von Stress und heftigen Emotionen, so- ziale Unterstützung, die Aufrechterhaltung von Grundbedürfnissen und Selbstfürsorge sind zentrale Aufgaben von Führungskräften.
Literatur
Bao Y, Sun Y, Meng S et al. (2020) 2019-nCoV epidemic: address mental health care to empower society. The Lancet
Brooks S, Webster R, Smith L et al. (2020) The psychological impact of quarantine and how to reduce it. The Lancet 395:912-20
Dillard JP, Yang C, Li R (2018). Self-regulation of emotional respon ses to Zika: Spiral of fear. PLOS ONE, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0199828
Ghebreyesus TD (2020) WHO Director-General's opening remarks at the media briefing on COVID-19. 11 March 2020
IASC (2020) Briefing note on addressing mental health and psychosocial aspects of COVID-19 Outbreak. Version 1.1
IFRC (2018) A Guide to Psychological First Aid, Copenhagen
IFRC (2020) Mental Health and Psychosocial Support for Staff, Volunteers and Communities in an Outbreak of Novel Coronavirus
Petzold MB, Plag J, Ströhle A (2020) Umgang mit psychischer Belastung bei Gesundheitsfachkräften im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Der Nervenarzt, online am 27. März 2020
Petzold MB, Bendau A, Ströhle A (2020) Körperliche Aktivität in der Prävention und Behandlung von Angsterkrankungen. Psychotherapeut. https://doi.org/10.1007/s00278-020-00414-0
Shultz JM, Cooper JL, Baingana F et al. (2016) The Role of Fear-Related Behaviors in the 2013-2016 West Africa Ebola Virus Disease Outbreak. Current Psychiatry Reports 18(11):104
WHO (2018) Occupational safety and health in public health emergencies: A manual for protecting healthworkers and responders. Geneva
WHO (2020) Disease 2019 (COVID-19)Situation Report - 56
WHO (2020) Mental Health Considerations during COVID-19 Outbreak. Geneva
Wu P, Fang Y, Guan Z et al. (2009) The psychological impact of the SARS epidemic on hospital employees in China: exposure, risk perception, and altruistic acceptance of risk. Canadian Journal of Psychiatry. Revue Canadienne de Psychiatrie 54(5):302-311
Xiang Y-T, Yang Y, Li W et al. (2020) Timely mental health care for the 2019 novel coronavirus outbreak is urgently needed. The Lancet Psychiatry 7(3):228-229
Checkliste: psychische Belastungen Reduzieren.
So helfen Sie Mitarbeitern bei der Bewältigung psychischer Belastungen in Krisenzeiten:
Psychische Belastung im Blick behalten: Seien Sie aufmerksam bezüglich der psychischen Gesundheit Ihrer Mitarbeiter und schaffen Sie eine Atmosphäre, in der Ihre Mitarbeiter sich trauen, Sie anzusprechen.
Kommunikation: Fördern Sie die Kommu-nikation aller relevanten Informationen an Ihre Mitarbeiter. Dies hilft, Sorgen und Unsicherheiten zu reduzieren und verschafft ein Gefühl von Kontrolle.
Pausen und Erholung fördern: Schaffen Sie Strukturen, die sicherstellen, dass Ihre Mitarbeiter Möglichkeit zur Ruhe und Erholung während der Arbeitszeit erhalten.
Kollegiale Unterstützung: Schaffen Sie Gelegenheiten, in denen die Mitglieder Ihrer Teams sich austauschen und gegenseitig unterstützen können.
Psychosoziale Hilfen: Zeigen Sie Möglichkeiten auf, ggf. psychosoziale Hilfen in Anspruch zu nehmen. Achten Sie darauf, dass eine Inanspruchnahme nicht mit Stigmatisierung verbunden wird.
Selbstfürsorge aufrechterhalten: Führungskräfte tragen viel Verantwortung und sind denselben Stressoren ausgesetzt wie ihre Mitarbeiter. Achten Sie daher auf Ihr eigenes psychisches Wohlbefinden und seien Sie Vorbild für einen selbstfürsorglichen Umgang mit Stress.
Flexible Arbeitszeiten: Ermöglichen Sie flexible Arbeitszeiten für Mitarbeiter, die selbst, oder deren Familienmitglieder von belastenden Ereignissen betroffen sind.
Stress und psychische Belastung ernst nehmen: Nehmen Sie Stress und psychische Belastungen bei Ihren Mitarbeitern ernst und versuchen Sie, diese so gut wie möglich zu schützen. Dies wird dazu führen, dass diese mehr Kapazität haben, ihre beruflichen Aufgaben zu erfüllen.
Wertschätzung vermitteln: Vermitteln Sie Ihren Mitarbeitern Wertschätzung für die außergewöhnliche Leistung in Krisenzeiten.
Klare Rollen- und Aufgabenverteilung: Sorgen Sie für eine klare Verteilung von Rollen und Aufgaben und passen Sie diese regelmäßig den sich verändernden Gegebenheiten an.