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. 2020 May 16;25(4):14–16. [Article in German] doi: 10.1007/s00735-020-1189-1

Nähe vermitteln in Zeiten der Distanz

Digitale Angebote für Trauerfeiern und Bestattungen unter COVID-19-Bedingungen

Michael Klösch 1,, Georg Deix 2, Christine von Reibnitz 3
PMCID: PMC7231534  PMID: 32454566

Um die Ausbreitung des COVID-19-Virus bestmöglich einzudämmen, setzt die österreichische Regierung neben Testungen vorrangig auf Social Distancing (1). Simulationsstudien (2, 3, 4) weisen bereits darauf hin, dass durch diese Maßnahme der Übertragung von Infektionserkrankungen entgegengewirkt werden kann, wobei das gesellschaftliche Leben fundamental beeinflusst wird.

Letzteres zeigt sich unter anderem in der Durchführung von Trauerfeiern, welche aufgrund der COVID-19-Situation in Österreich abgesagt und verschoben werden oder in einem stark eingeschränkten Ausmaß (Tab. 1) stattfinden. Daraus resultierende Umstrukturierungen im organisatorischen Ablauf (=Stressor) können den Trauerprozess von Hinterbliebenen nachteilig beeinflussen, zumal die körperliche Nähe zur verstorbenen Person oder anderen trauernden Angehörigen fehlt. Ein soziales Umfeld als Auffangnetz ist in dieser Phase jedoch von essenzieller Bedeutung (5, 6).

Maximal 5 Angehörige pro Trauerfeier
Mindestens ein Meter Abstand zueinander
Fernbleiben der Trauergemeinde bei Krankheit
Begrüßung der Trauergemeinde ohne Körperkontakt
Gebetstunden, Kommunion und Friedensgruß entfallen
Fernbleiben der Trauergemeinde, wenn einer Risikogruppe zugehörig
Weihwasserspender & Erde werden nicht bereitgestellt (Infektionsgefahr)

Um Angehörigen dennoch einen würdevollen Abschied vom Verstorbenen zu ermöglichen, setzen Bestattungsunternehmen wie das Wiener Unternehmen Himmelblau® auf digitale Ressourcen. Trauerfeiern kann hier via Livestream ortsunabhängig, kostenlos sowie passwortgeschützt beigewohnt werden. Darüber hinaus können aufgezeichnete Zeremonien auf mobile Datenträger kopiert und an die Trauergemeinde versendet werden. Zwischen Erd- und Urnenbestattung wird hierbei nicht näher differenziert (7).

Aus aktuellem Anlass wurde Ende März ein leitfadengestütztes Tiefeninterview mit der Geschäftsführung der Bestattung Himmelblau GmbH® geführt. Der COVID-19-Situation in Österreich geschuldet, erfolgte die Datenerhebung auf telefonischem Wege. Ein Informed consent liegt vor. 1

„Wir möchten einen schönen Abschied ermöglichen“

Interview mit Jacob Homan, BSc, Geschäftsführer Bestattung Himmelblau GmbH. 2

Wie erleben Sie als Bestattungsunternehmen die derzeitige COVID-19-Situation in Österreich?

HOMAN: Die COVID-19-Situation in Österreich spüren wir jetzt zum Glück nicht so, dass wir hier einen deutlichen Zuwachs der Sterberaten bemerken. allerdings wirken jetzt natürlich alle Kooperationspartner viel aufgeregter: Die Spitäler, die Altenheime oder Privatpersonen, mit denen nun alles viel schwieriger geworden ist, weil sehr unterschiedliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Von Schutzanzügen oder Masken, die uns zur Verfügung gestellt werden, bis hin zu Betretungsverboten oder Temperaturkontrollen.

Wir merken aber auch eine gewisse Distanz zum Kunden. Es ist für uns beispielsweise etwas schwieriger, ein Aufnahmegespräch durchzuführen, weil die Situation eine ganz andere ist. Wir möchten unseren Kunden einen schönen Abschied ermöglichen, was derzeit oft in der vom Kunden gewünschten umfangreichen Form nicht möglich ist.

Welche Vorkehrungen haben Sie als Geschäftsführung zum Schutze Ihrer Mitarbeiter getroffen?

HOMAN: Wir haben unsere Vorräte an Schutzmasken, Brillen und Schutzanzügen aufgestockt. Diese halten unsere Mitarbeiter auch in regulären Zeiten vor, sie werden aber derzeit viel häufiger gebraucht. Prinzipiell besteht bei uns nicht die Sorge, auf eine Person zu treffen, die an COVID-19 verstorben ist. Wir gehen damit nicht anders um als mit anderen infektiösen Verstorbenen, da wir die Hygienerichtlinien ohnedies immer einhalten. Unsere Sorge ist eine mögliche Ansteckung von an sich gesunden Personen. Deshalb sind unsere Mitarbeiter geschult und halten sich an die Vereinbarungen. Ein bewusster Umgang mit der COVID-19-Situation ist für uns von großem Interesse.

Sie bieten Trauerfeiern auch digital an — existierte dieses Angebot bereits vor der COVID-19-Situation in Österreich?

HOMAN: Wir waren meines Wissens nach die Ersten in Österreich, die das angeboten haben. Wir sind aber auch erst im Zuge dieser Krise auf die Idee gekommen. Im Gespräch mit einer Kundin mit zahlreichen Geschwistern, deren Mutter verstorben war, entwickelte sich die Möglichkeit, die Trauerfeier und Bestattung auf Video aufzuzeichnen und schließlich auch live im Internet zu streamen. Die Kundin war sehr erleichtert und die Angehörigen haben das Angebot gerne angenommen. Die Anfragen nach diesem Angebot sind merkbar angestiegen. Es ist eine gute Möglichkeit, hier doch ein paar Leute mehr an der Trauerfeier teilhaben zu lassen. Der Auftraggeber bekommt zwei bis drei Stunden nach dem Begräbnis eine Aufzeichnung per Link zugesendet, den er an jene verteilen kann, die vielleicht nachher erst zuschauen können.

Ich war jetzt bei zwei oder drei Begräbnissen mit digitaler Übertragung dabei. Es ist ganz interessant, wie sehr sich die Priester schon darauf eingestellt haben und tatsächlich auch Leute in der Trauergemeinde, die gar nicht persönlich anwesend sind, dennoch ansprechen.

Überlegen Sie, digitale Übertragungen von Trauerfeiern auch nach der COVID- 19-Krise anzubieten?

HOMAN: Ich denke schon, dass wir das anbieten werden. Oft merke ich, dass Begräbnisse lange verschoben werden oder es Unsicherheiten mit dem Termin gibt, weil Angehörige im Ausland leben. Wir werden das aber sicher nicht als Standard einführen, denn das Begräbnis soll etwas Intimes bleiben.

Ohne pietätlos wirken zu wollen: Kann man als Bestattungsunternehmen die COVID-19-Situation auch als Chance für das Geschäft bezeichnen?

HOMAN: Es geht gar nicht darum, zusätzliche Kunden zu lukrieren. Die Sterbezahlen bleiben wahrscheinlich gleich. Ich kann mich natürlich von Mitbewerbern abheben. Auf diese Chance hätte ich gerne verzichtet, wenn ich ehrlich bin. Da sind erschütternde Geschichten dabei, die man hören und mit denen man sich auseinandersetzen muss. Aber ich merke, wie viel Bürokratie man aus dem ganzen Prozess der Trauerfeierorganisation herausnehmen kann, die Kommunikation mit den Standesämtern funktioniert viel einfacher. Viele Abläufe, die vorher nicht digital möglich waren, sind plötzlich machbar. Wie in jeder Branche merkt man jetzt, dass die Technik nicht nur der Feind ist.

Resümee

Die Aussagen des Interviewpartners zeigen, dass für das Bestattungsunternehmen weniger der Nutzen digitaler Medien, als vielmehr zwischenmenschliche Aspekte gegenüber dem Kunden sowie ein adäquates Krisenmanagement in Kooperation mit anderen Firmen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Trauerfeiern bleiben in deren Struktur unverändert und werden lediglich aufgezeichnet. Vorrangiges Ziel stellt trotz fehlender physischer Anwesenheit die Zufriedenheit der Trauergemeinde dar.

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Die COVID-19-Situation aus wirtschaftlicher Sicht positiv auszulegen, wird seitens der Geschäftsführung strikt abgelehnt. Unabhängig davon kann, so der Interviewpartner, die derzeitige Situation auch als Chance verstanden werden, bürokratische Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und ein gesellschaftsbezogenes Bewusstsein für die hohe Verantwortung eines Bestattungsunternehmens zu stärken. Im Übrigen bildeten die Schutzmaßnahmen gegen das Virus das Fundament für eine Modernisierung von Trauerfeiern. In welchem Ausmaß diese zukünftig jedoch Einsatz findet, bleibt einstweilen ungewiss.

Eine landesweite Umfrage des Österreichischen Rundfunks (8) deutet jedoch darauf hin, dass in der Bevölkerung gegenüber elektronischen Geräten und den darauf abzurufenden digitalen Applikationen eine gewisse Akzeptanz besteht. So werden im Durchschnitt allein 3,4 Stunden pro Tag in die Smartphone-Nutzung investiert (8). Ob der angeführte Trend zu einer gesteigerten Verlagerung von Trauerfeiern in das Netz führt, wird sich weisen. Diese Überlegung bestätigte auch der Interviewpartner, wobei dieser betont, dass eine vollständige Umstrukturierung hin zur Digitalisierung keineswegs das Ziel darstellt. Bei Verhinderung oder weitläufigen geografischen Distanzen könne technische Unterstützung jedoch als probates Mittel der Wahl angesehen werden.

Der Vorteil einer ortsunabhängigen Teilnahme im Kontext digitaler Trauerfeiern rückt zurzeit aufgrund der durch die österreichische Regierung verhängten Ausgangsbeschränkung zunehmend in den Vordergrund. Fraglich bleibt, ob das beschriebene Konzept ebenso in anderen Staaten (z. B. Italien, Frankreich oder USA) anwendbar ist, welche mit weit höheren COVID-19-bezogenen Sterberaten und Ressourcenknappheit in der Krankenversorgung zu kämpfen haben. Provisorisch eingerichtete Lazarette, unzureichend durchdachte Ad-hoc-Lösungen oder politische Überforderung lassen zwischenmenschliche Aspekte sowie eine adäquate Sterbebegleitung tendenziell in den Hintergrund rücken. Daraus resultierende ethisch-moralische Konfliktfelder für pflegerisch- medizinisches Fachpersonal sind unausweichlich und könnten für beteiligte Individuen einen zusätzlichen Stressor darstellen.

Digitale Anwendungen in der Präterminalphase

Gegebenenfalls lässt sich trotz mangelnder Zeit- und Personalressourcen eine virtuelle Teilnahme Angehöriger durch digitale Applikationen jedoch zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich der Präterminalphase, realisieren. An COVID-19 schwer erkrankte Individuen könnten dadurch die Möglichkeit erhalten, von Familie und Freunden Abschied zu nehmen und letzte Wünsche zu äußern. Einflussfaktoren, wie zum Beispiel das Alter, der Gesundheitszustand oder mangelnde Technikkenntnisse, sind hier als Limitationen anzuführen, die wiederum Unterstützungsmaßnahmen durch vor Ort tätige Personen in der Krankenversorgung implizieren.

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Die derzeitige COVID-19-Situation bildete die Voraussetzung für den Einsatz digitaler Applikationen bei Trauerfeiern in Österreich. Nach Abklingen der bestehenden Krise könnten bereits durchgeführte sowie bevorstehende Bestattungen anhand von Fragebogenerhebungen oder qualitativen Ansätzen evaluiert und das Konzept an die Vorstellungen trauernder Angehöriger adaptiert werden. Einer adäquaten wissenschaftlichen Begleitung kann neben datenschutzrechtlichen Ansprüchen sowie einem bewussten Umgang mit dem Verstorbenen und den Angehörigen durch das jeweilige Bestattungsunternehmen ein hoher Stellenwert zugesprochen werden.

Anmerkung der Autoren

Die Autoren des vorliegenden Beitrages sind sich bewusst, dass die COVID- 19-Pandemie eine Ausnahmesituation darstellt. Angeführte Überlegungen im Resümee verstehen sich keineswegs als Kritik, sondern als Diskussionsanstoß. Um die Infektions- und Sterberate zu minimieren, sind festgelegte Einschränkungsmaßnahmen durch die österreichische Regierung von Individuen bestmöglich einzuhalten. In Zeiten wie diesen sollte aber auch der zwischenmenschliche Zusammenhalt priorisiert werden!

Weitere Informationen rund um COVID-19 können der Website der WHO (9) entnommen werden. Darüber hinaus informiert das Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität als offizielles WHOCollaborating Centre (10) in regelmäßigen Abständen via Facebook®, Twitter® und Instagram® über aktuelle Geschehnisse sowie Trends.

Electronic supplementary material

735_2020_1189_MOESM1_ESM.pdf (141.4KB, pdf)

Digitale Trauerfeiern in Zeiten von COVID-19

Danksagung

Wir bedanken uns bei Jacob Homan, BSc für die Teilnahme am Interview sowie allen Personen, welche in Zeiten von COVID-19 für das Gemeinwohl eintreten.

Footnotes

1

* Methodologische sowie inhaltliche Fragen beantwortet der Erstautor des Beitrags auf Anfrage

2

** Die wörtliche Transkription des Interviews finden Sie online auf SpringerLink als elektronisches Zussatzmaterial EMS

Literatur

Associated Data

This section collects any data citations, data availability statements, or supplementary materials included in this article.

Supplementary Materials

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Digitale Trauerfeiern in Zeiten von COVID-19


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