Krankheitsmodifizierende Therapieansätze
Trotz intensiver Forschungsbemühungen steht nach wie vor keine kurative bzw. kausale Therapie für die ALS zur Verfügung. Der Glutamat-Antagonist Riluzol verlängert das Überleben um ca. 3–6 Monate (Bensimon et al. 1994) und stellt bei zumeist guter Verträglichkeit die Standardtherapie dar. Kürzlich wurde die Wirksamkeit des Antioxidans Edaravone für eine Subgruppe von ALS-Patienten mit rasch progredientem Verlauf und einem frühen Krankheitsstadium nachgewiesen (EdavaroneStudyGroup 2017). Die zugrundeliegende Phase-III-Studie belegt eine moderate Verzögerung der klinischen Verschlechterung, allerdings ist das Medikament nur intravenös applizierbar und aktuell noch nicht in Europa zugelassen. Eine aktuelle Publikation (Ludolph et al. 2018) weist auf einen möglichen lebensverlängernden Effekt des MAO B-Hemmers Rasagilin in einer Subgruppe mit ebenfalls rasch progredientem Verlauf hin; hierbei handelt es sich um eine Post-hoc-Analyse, sodass dieses Ergebnis durch eine weitere Phase-III-Studie zu bestätigen ist. Für bestimmte hereditäre Formen wie Patienten mit SOD1- und C9ORF72-Mutationen werden derzeit Antisense-Oligonukleotide in klinischen Studien erprobt oder befinden sich in der Entwicklung – der therapeutische Nutzen bleibt abzuwarten.
Multidisziplinäre Betreuung
Während des gesamten Krankheitsprozesses sollte der Patient durch einen in der ALS erfahrenen Facharzt betreut werden, der auf die sich ständig verändernden, individuell höchst unterschiedlichen und sehr komplexen Symptome vorausschauend eingeht und die entsprechenden therapeutischen Maßnahmen ergreift. Eine adäquate Betreuung des Patienten kann jedoch nicht durch den Arzt allein gewährleistet werden, vielmehr erfordert die Therapie ein multiprofessionelles Team, das eng zusammenarbeitet. Der Nutzen eines solchen Teams hinsichtlich Überleben und Lebensqualität ist wissenschaftlich erwiesen (Miller et al. 2009). Der Stellenwert von Physiotherapie, Atmungstherapie und Ergotherapie zum Funktionstraining sowie zur Prophylaxe von Sekundärkomplikationen wie Arthrosen und Kontrakturen ist unbestritten, obwohl es an Studien mit hohem Evidenzgrad mangelt. Die logopädische Behandlung dient dem möglichst langen Erhalt einer verständlichen Sprache sowie dem Erlernen von Schlucktechniken zur Senkung des Aspirationsrisikos. Eine professionelle Beratung und die Ausstattung mit adäquaten Hilfsmitteln führen zu einer deutlichen Erleichterung des Alltags der Patienten. Viele Patienten profitieren zudem von einer Sozialberatung hinsichtlich Pflegestufe, Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und Antragsstellungen bei Behörden. Aufgrund der Schwere des Krankheitsbilds und die massiv verkürzte Lebenserwartung profitieren viele Patienten von einer psychologischen Betreuung. Der Atmungstherapeut ist ein extrem wichtiger Baustein des multiprofessionellen Teams, denn der optimalen Beatmungseinstellung kommt eine besonders bedeutsame Rolle zu.
Ernährung
Um dem prognostisch ungünstigen progredienten Gewichtsverlust entgegenzuwirken, werden häufig hochkalorische Trinknahrungen eingesetzt. Ob vor dem Hintergrund eines möglichen positiven Effekts einer Hypercholesterinämie eine fettreiche Diät erfolgen sollte oder ob Statine abgesetzt werden sollten, ist umstritten. Bei Patienten mit PEG wurde der Effekt einer hyperkalorischen Ernährung auf das Überleben in einer randomisierten kontrollierten Therapiestudie mit allerdings sehr geringer Patientenzahl und kurzem Beobachtungszeitraum belegt (Wills et al. 2014). Es existieren keine allgemein anerkannten Kriterien, zu welchem Zeitpunkt eine PEG angelegt werden sollte. In der Regel erfolgt diese, wenn der Gewichtsverlust trotz Etablierung einer hochkalorischen Diät nicht gestoppt werden kann oder wenn eine Aspirationsgefahr besteht. Letztere kann durch eine klinische und ggf. eine fiberendoskopische Schluckuntersuchung objektiviert werden. Neuere Methoden wie die „radiologically inserted gastrostomy“ (RIG) oder „per-oral image-guided gastrostomy“ (PIG) bieten gegenüber der bewährten PEG bei der ALS keine Vorteile (ProGas 2015).
Symptomatische Therapie
Nicht zuletzt aufgrund des Mangels an direkt krankheitsmodifizierenden Therapieoptionen kommt der symptomatischen Therapie der ALS eine sehr hohe Bedeutung zu. Durch eine optimale symptomatische Therapie kommt es nicht nur zu einer Verlängerung des Überlebens, sondern auch zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Darüber hinaus ist eine gute symptomatische Therapie der nachfolgenden Symptome eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Etablierung der Beatmung.
Patienten mit starker Affektion des oberen Motoneurons leiden häufig an einer ausgeprägten Spastik, welche in erster Linie physiotherapeutisch behandelt wird. Für die Anwendung medikamentöser Substanzen wie z. B. Baclofen existiert kaum Evidenz, und der therapeutische Erfolg ist individuell höchst unterschiedlich. Auch für die Therapie von Muskelkrämpfen existiert keine ausreichende Evidenz, sodass viele verschiedene Substanzen wie Magnesium, Chininsulfat, Cannabinoide und diverse Antikonvulsiva in der klinischen Praxis anzutreffen sind. Die formal beste Evidenz existiert für die Wirksamkeit von Mexiletin (Weiss et al. 2016).
Schmerzen sind bei der ALS häufig anzutreffen und beruhen häufig auf immobilisationsbedingten Sekundärkomplikationen wie Arthrosen, Kontrakturen und Liegedruck, seltener auf direkt ALS-assoziierten neuropathischen Schmerzen. Sofern die Schmerzursache nicht kausal behandelt werden kann, erfolgt die Schmerztherapie in Ermangelung ALS-spezifischer Evidenz auf der Basis der WHO-Stufentherapie (WHO 1990) mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) bei leichten bzw. in Kombination mit schwachen oder starken Opiaten bei starken Schmerzen. Teilweise werden auch Kombinationen mit trizyklischen Antidepressiva oder Antikonvulsiva gewählt, insbesondere bei neuropathischen Schmerzen oder um andere Aspekte dieser Substanzen im Kontext der symptomatischen ALS-Therapie zu nutzen. Die Gefahr eines möglichen atemdepressiven Effekts von Opiaten wird häufig überschätzt. Insbesondere in Kombination mit einer NIV ist der Einsatz von Opiaten in Dosierungen, wie sie bei der ALS benötigt werden, bei starken Schmerzen in der Regel vertretbar.
Die optimale Behandlung von Speichelfluss und zähen Bronchialsekreten, psychiatrischen Symptomen wie Angst und Depression sowie die adäquate Berücksichtigung neuropsychologischer Auffälligkeiten ist für die Etablierung der Beatmung besonders wichtig und wird in diesem Kontext weiter unten diskutiert.
Respiratorische Insuffizienz bei ALS
Klinik der respiratorischen Insuffizienz
Früher oder später entwickeln alle ALS-Patienten durch die Beteiligung des Zwerchfells, der thorakalen und abdominellen Atemhilfsmuskulatur sowie der bulbären Muskulatur eine progrediente respiratorische Insuffizienz. Durch den schleichend-fortschreitenden Charakter der Erkrankung und die damit einhergehenden Adaptionsprozesse sind neben direkten Zeichen der Hypoventilation wie Ruhe- und Belastungsdyspnoe sowie Orthopnoe häufig auch indirekte, hyperkapnieassoziierte Zeichen anzutreffen, welche aufgrund ihres zumeist unspezifischen Charakters leicht fehlinterpretiert werden können.
Am häufigsten berichten Patienten dabei über eine vermehrte Tagesschläfrigkeit, die teilweise so stark ausgeprägt ist, dass Patienten kaum noch an Aktivitäten des täglichen Lebens teilnehmen können, wodurch die Lebensqualität massiv reduziert wird. Die Schilderung, dass Patienten neuerdings ein bis zwei, teilweise sogar mehrere Stunden Mittagsschlaf halten, ist typisch. Die Tagesschläfrigkeit kann dabei sowohl direkt durch eine tagsüber auftretende Hyperkapnie verursacht werden, häufiger ist sie jedoch Folge eines durch erhöhte CO2-Werte fragmentierten Nachtschlafs. In frühen Stadien der respiratorischen Insuffizienz können tagsüber noch normale CO2-Werte gemessen werden, während es nachts bereits durch die veränderte Bewusstseinslage und die Erschlaffung der Muskulatur zu massiven Hyperkapnien kommen kann. Vermittelt über CO2-Rezeptoren kommt es zur Aufwachreaktion (Arousal). Entsprechend berichten die betroffenen Patienten typischerweise über Durchschlafstörungen, wobei sie in der Regel die respiratorische Genese selbst nicht erkennen und keinen plausiblen Grund für das häufige Aufwachen angeben können. Letzteres bewirkt, dass tiefere Schlafstadien kaum erreicht werden. Die Anzahl der REM-Schlafphasen ist reduziert und die Schlafarchitektur insgesamt massiv gestört (Boentert et al. 2015). Ein derart veränderter Schlaf ist im Gegensatz zum physiologischen Schlaf nicht erholsam; die Patienten fühlen sich morgens „wie gerädert“. Die häufig als typisch angesehenen morgendlichen Kopfschmerzen werden allerdings nur von einer Minderheit der Patienten mit beginnender respiratorischer Insuffizienz berichtet. Viele Patienten berichten über Konzentrationsstörungen und depressive Verstimmung; auch Panikattacken werden nicht selten berichtet.
Viele der genannten Hyperkapniesymptome sind unspezifisch und können andere Ursachen haben. Dennoch sollte bei Neuauftreten solcher Beschwerden bei ALS-Patienten immer an eine respiratorische Ursache gedacht werden. Im Rahmen der Anamneseerhebung sollte nach hyperkapnieassoziierten Symptomen gefragt werden, da die Patienten selbst diese in der Regel nicht als krankheits- bzw. atmungsbedingt einordnen und von sich aus selten berichten. Als relativ zuverlässiger Prädiktor nächtlicher Hyperkapnien hat sich v. a. die Frage nach einem (vor der Erkrankung nicht praktizierten) Mittagsschlaf erwiesen.
Diagnostik der respiratorischen Insuffizienz und Zeitpunkt der NIV-Initiierung
Hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine NIV initiiert werden sollte, gibt es keine allgemein anerkannten Kriterien. Die Einleitung einer NIV sollte spätestens dann erfolgen, wenn klinische Symptome feststellbar sind, jedoch kann durch verschiedene diagnostische Methoden versucht werden, eine respiratorische Insuffizienz schon früher zu detektieren. Generell ist es ratsam, eine NIV bei gegebener Toleranz durch den Patienten möglichst früh im Krankheitsverlauf zu etablieren, da damit der Entwicklung belastender Hypoventilationssymptome vorgebeugt werden kann. Zudem ergibt sich der Vorteil, dass zu früheren Zeitpunkten in der Regel weniger die NIV-Etablierung erschwerende Zusatzsymptome vorliegen, was dem Patienten die Gewöhnung an die NIV erleichtert und zu einer verbesserten Compliance führt.
Hinsichtlich der verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden der respiratorischen Diagnostik hat sich herausgestellt, dass die Spirometrie häufig nicht gut mit der klinischen Symptomatik und den Blutgaswerten korreliert, dennoch ist sie als leicht durchführbarer Screening- und Verlaufsparameter sinnvoll. Typischerweise stellt sich bei zunehmender Schwäche der Atempumpe eine Restriktion mit erniedrigter Vitalkapazität ein (Kap. 10.1007/978-3-662-59014-0_4). Zu beachten ist, dass bei Patienten mit bulbärer Beteiligung die Lungenfunktionsprüfung mit Maske erfolgen muss, da bei Verwendung eines Mundstücks wegen des schwachen und unvollständigen Mundschlusses Luft entweicht, was zu falschen Messergebnissen führt.
Veränderungen der arteriellen Blutgase sind in der Regel erst deutlich später als Einschränkungen der Vitalkapazität zu beobachten. Zu beachten ist, dass normale Werte im Rahmen einer einmaligen Messung am Tag eine therapierbedürftige respiratorische Insuffizienz nicht ausschließen, da erste Veränderungen wie dargestellt zunächst intermittierend in der Nacht auftreten. Wenn bereits die Blutgasanalyse (BGA) am Tag pathologische Veränderungen offenbart, liegt meist bereits eine fortgeschrittene respiratorische Insuffizienz vor. Während der O2-Partialdruck häufig normal oder nur geringfügig erniedrigt ist, zeigen sich mit zunehmender Beeinträchtigung teilweise deutlich erhöhte CO2-Partialdrücke. Patienten, bei welchen eine adäquate respiratorische Diagnostik und der rechtzeitige Beginn einer NIV versäumt wurden, weisen nicht selten pCO2-Werte von >50 mmHg oder sogar >60 mmHg auf, wobei die betroffenen Patienten durch die langsam-schleichende Entwicklung der respiratorischen Insuffizienz und die damit einhergehenden Adaptionsprozesse weniger klinische Symptome zeigen, als es aufgrund der z. T. massiv erhöhten Werte zu erwarten wärd. Nichts desto trotz verschafft der Beginn einer NIV in solchen Situationen den Patienten eine große Erleichterung.
Zur Detektion intermittierender nächtlicher Hyperkapnien hat sich die nächtliche
Kapnographie bewährt, welche darüber hinaus gegenüber der invasiven einmaligen BGA am Tag den Vorteil der Nichtinvasivität bietet. Für die klinische Routinediagnostik bei neuromuskulären Erkrankungen ist diese Methode ausreichend genau. Wenn die nächtliche Kapnographie mit anderen diagnostischen Parametern im Sinne einer Polygraphie oder Polysomnographie kombiniert wird, ergeben sich weitere nützliche Zusatzinformationen. Während des Nachtschlafs zeigen sich typischerweise sukzessiv ansteigende CO2- und abfallende O2-Werte, eine erhöhte Atemfrequenz, häufige Aufwachreaktionen und eine Störung der Schlafarchitektur mit Verringerung und Verkürzung von tiefen und REM-Schlafphasen sowie einer Vermehrung von leichten Schlaf- und Wachphasen. Diese Veränderungen sind häufig bereits in den ersten Nächten nach Etablierung einer NIV reversibel (Boentert et al. 2015). Nicht selten zeigen sich aufgrund des im Rahmen der Erkrankung reduzierten Muskeltonus zudem die typischen Befunde eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms.
Die aktuellen Leitlinien der European Federation of Neurological Societies (EFNS) empfiehlt den Beginn einer NIV, wenn wenigstens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
forcierte Vitalkapazität (FVC) < 80 %,
Sniff Nasal Inspiratory Pressure (SNIP) < 40 cmH2O,
signifikante nächtliche Entsättigung oder pCO2 > 45 mmHg in der morgendlichen Blutgasanalyse.
Eine rezente placebokontrollierte Studie an 54 Patienten (Jacobs et al. 2016) erbrachte Hinweise darauf, dass auch Patienten mit leichterer respiratorischer Insuffizienz, die o. g. Kriterien noch nicht erfüllen, bereits von einer NIV profitieren können, da sich in der Verumgruppe ein langsamerer nachfolgender Abfall der FVC ergab; die Patienten der Placebogruppe erhielten in dieser Studie eine Beatmung mit einem sehr niedrigen Beatmungsdruck von 4 cmH2O (entsprechend etwa 3 mmHg). Eine retrospektive Studie an 194 Patienten ergab zudem Hinweise auf ein verbessertes Überleben von Patienten mit einer früheren (d. h. FVC > 80 %) NIV-Initiierung (Vitacca et al. 2018).
NIV bei ALS
Allgemeine Prinzipien
Die NIV-Therapie bietet ALS-Patienten mit respiratorischer Insuffizienz zahlreiche Vorteile, welche jedoch im Rahmen einer ausführlichen Aufklärung dargelegt werden müssen, da viele ALS-Patienten „lebensverlängernden Maßnahmen“ oder „künstlicher Beatmung“ grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Dies beruht jedoch nicht selten auf ungenauen oder gänzlich falschen Vorstellungen bezüglich Zweck und Durchführung der NIV.
Zunächst gilt es zu erklären, dass die NIV zwar zweifellos einen lebensverlängernden Effekt mit sich bringt, ihre Etablierung jedoch auch und v. a. einer Verbesserung der Lebensqualität durch Linderung der oben beschriebenen Hypoventilationssymptome dient. Durch das verbesserte Allgemeinbefinden und die reduzierte Tagesschläfrigkeit erhalten viele Patienten wieder die Möglichkeit, trotz ihrer körperlichen Einschränkungen aktiv am sozialen Leben teilzunehmen. Viele Patienten befürchten zudem durch die NIV eine Immobilisierung und Abhängigkeitssituation; diesbezüglich gilt es zu betonen, dass die Beatmung mit mobilen, transportablen Geräten durchgeführt wird und dass es sich um ein nichtinvasives Verfahren handelt, wobei Frequenz und Dauer der Anwendungen grundsätzlich vom Patienten selbst kontrolliert werden können. Durch die positiven Effekte auf hyperkapnieassoziierte respiratorische Symptome ist in der Mehrzahl der Fälle deshalb keine vermehrte Immobilisierung die Folge, sondern im Gegenteil eine Steigerung des Aktivitätsniveaus möglich.
Weiterhin sollte der Patient darüber informiert werden, dass die positiven Effekte der Therapie nur bei regelmäßiger und ausreichend langer Anwendung der Beatmung eintreten und dass die NIV-Therapie darüber hinaus einem prophylaktischem Zweck dient, sodass eine Anwendung auch dann sinnvoll ist, wenn der Patient gerade keine direkten respiratorischen Beschwerden verspürt. Das Wissen um den Sinn und die positiven Effekte der Beatmung fördert die Compliance des Patienten, diese wiederum ist maßgeblich für den therapeutischen Erfolg (Aboussouan et al. 1997).
Technische Voraussetzungen und Beatmungsparameter
Die Heimbeatmung bei ALS erfolgt über ein für die Langzeitbeatmung zugelassenes Heimbeatmungsgerät über eine Nasen- oder Mund-Nasen-Maske. CPAP-Geräte sind für die Beatmung von ALS-Patienten grundsätzlich nicht geeignet. Die Beatmung erfolgt mit normaler Raumluft. Während in Krisensituationen die Zuführung von Sauerstoff über das Heimbeatmungsgerät sinnvoll sein kann, ist die Applikation von reinem Sauerstoff bei ALS zur Langzeittherapie absolut kontraindiziert. Da sich die CO2-Rezeptoren durch den langsam-schleichenden CO2-Anstieg im Blut häufig an höhere Werte adaptiert haben und der pH-Wert durch metabolische Kompensationsmechanismen in der Regel nicht verändert ist, stellt die Verminderung des O2-Partialdrucks im Blut über O2-Rezeptoren den einzig relevanten Atemantrieb für ALS-Patienten dar. Wird dieser durch O2-Gabe reduziert, droht eine unter Umständen tödliche CO2-Narkose. Erschwerend kommt hinzu, dass die Empfindlichkeit des Atemzentrums gegenüber einem Anstieg des CO2-Partialdrucks (zentrale Rezeptoren im Hirnstamm) mit zunehmendem O2-Partialdruck sinkt.
Mund-Nasen-Masken bieten gegenüber Nasenmasken insbesondere bei Patienten mit ausgeprägter bulbärer Beteiligung den Vorteil, dass während der Beatmung keine Luft durch den Mund entweicht. ALS-Patienten sollten daher nach Möglichkeit mit einer Mund-Nasen-Maske versorgt werden. Auf der anderen Seite bieten Nasenmasken für die meisten Patienten einen größeren Komfort und ermöglichen eine bessere Kommunikation. Hier muss individuell ein Kompromiss zwischen Beatmungseffektivität und Lebensqualität gefunden werden. Es kann z. B. sinnvoll sein, tagsüber eine Nasen- und nachts eine Mund-Nasen-Maske zu benutzen. Wenn es trotz durchgehender Beatmung mit einer Nasenmaske zu einer Verschlechterung der Blutgaswerte und der respiratorischen Symptomatik kommt, sollte insbesondere bei bulbären Patienten daran gedacht werden, dass mit einer Mund-Nasen-Maske die respiratorische Situation möglicherweise noch stabilisiert werden kann.
Hinsichtlich der Frage, wie oft und wie lang eine NIV bei ALS angewandt werden sollte, gibt es kaum evidenzbasierte Daten, sodass sich die Beatmungszeiten in der klinischen Praxis hauptsächlich an den individuellen Bedürfnissen, klinischen Symptomen und den oben beschriebenen diagnostischen Parametern orientieren. Um den Patienten mit der ungewohnten Situation einer geräteunterstützten Beatmung vertraut zu machen, ist es sinnvoll, zunächst kürzere Beatmungsphasen tagsüber unter Aufsicht eines Arztes oder Atmungstherapeuten durchzuführen. Da frühe intermittierende Hyperkapnien in der Regel nachts auftreten, ist die Etablierung einer nächtlichen Beatmung in frühen Stadien einer respiratorischen Insuffizienz zunächst ein sinnvolles Ziel, das jedoch aufgrund verschiedener erschwerender Faktoren bei ALS-Patienten nicht immer sofort erreicht werden kann. Im weiteren Verlauf wird mit zunehmender respiratorischer Insuffizienz eine Ausdehnung der Beatmungszeiten erforderlich. Zunächst ist dabei meist eine Anwendung für wenige Stunden am Tag ausreichend, bevor in späteren Krankheitsstadien bis zu 24-stündige Beatmungszeiten erreicht werden. Durch regelmäßiges Monitoring der klinischen Beschwerden und der Blutgase kann kontrolliert werden, ob die aktuellen Beatmungszeiten ausreichend sind.
Auch hinsichtlich zu empfehlender Beatmungseinstellungen existieren kaum evidenzbasierte Daten. Generell richten sich die Beatmungsparameter nach den physiologischen Werten und den individuellen Bedürfnissen des Patienten, wobei die Rückmeldung des Patienten, ob die Beatmungseinstellungen als angenehm oder unangenehm empfunden werden, den wichtigsten Gradmesser darstellt. Durch fortlaufende Rückmeldungen und entsprechende Adjustierungen ist es auf diese Weise möglich, sich nach und nach an die individuell optimalen Beatmungsparameter heranzutasten, was gleichsam eine bestmögliche Compliance gewährleistet.
Eine Studie zeigte keinen Unterschied im Überleben im Vergleich von druck- zu volumenkontrollierter Beatmung (Sancho et al. 2014), allerdings hat sich die assistierte druckkontrollierte Beatmung („assisted pressure controlled ventilation“, aPCV) im klinischen Alltag bewährt. Diese kann um eine Zielvolumensteuerung ergänzt werden, bei der ein inspiratorischer Minimal- und ein Maximaldruck definiert werden. Der inspiratorische Minimaldruck definiert einen Grenzwert, der niemals unterschritten wird. Wird das frei definierbare, voreingestellte Zielvolumen nicht erreicht, kann der Druck bis zum Maximalbeatmungsdruck gesteigert werden. Durch regelmäßige Überprüfung des erreichten Zielvolumens und der hierfür erforderlichen Drücke erhält der behandelnde Arzt eine zuverlässige Rückmeldung über die Beatmungssituation des Patienten.
Im Gegensatz zu vielen primär pulmologischen Erkrankungen benötigen ALS-Patienten, falls keine zusätzlichen pulmologischen Komplikationen vorliegen, in der Regel nur geringe Beatmungsdrücke und einen geringen positiven endexpiratorischen Druck („positive endexpiratory pressure“, PEEP), wobei recht große interindividuelle Unterschiede zu verzeichnen sind. Beatmungsdrücke von <10 mbar und ein PEEP nahe 0 mbar sind jedoch keine Seltenheit.
Die Atemfrequenz befindet sich in der Regel im physiologischen Spektrum und wird entsprechend der Rückmeldungen des Patienten mit dem Ziel eines maximalen Komforts adjustiert. Das Beatmungsgerät ermöglicht weitere Einstellungsmöglichkeiten wie Steilheit des Druckanstiegs oder Dauer von Inspirations- und Exspirationsphasen, mit deren Hilfe der Beatmungskomfort für den Patienten entsprechend der individuellen Bedürfnisse weiter erhöht werden kann. Auch hier gilt das Prinzip, sich zunächst an physiologischen Werten zu orientieren und eine sukzessive individuelle Anpassung vorzunehmen. Die Einstellung einer Triggerfunktion für spontan getriggerte Beatmungshübe ist aufgrund der atemmuskulären Schwäche sinnvoll. Allerdings sollte eine Fehltriggerung von Beatmungshüben aufgrund zu sensibler Triggereinstellungen vermieden werden.
Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es nicht selten vor, dass im Zuge der progredienten respiratorischen Verschlechterung die Beatmungseinstellungen sukzessive weiter angepasst werden müssen, z. B. durch Erhöhung des Beatmungsdrucks. Im Fall von respiratorischen Komplikationen wie beispielsweise einer Aspirationspneumonie kann dies auch akut erforderlich werden.
Der Erfolg oder Misserfolg der NIV-Therapie hängt ganz wesentlich davon ab, wie gut der Patient an die Beatmung adaptiert wurde. Eine gut etablierte NIV-Therapie darf deshalb nicht durch Umstellung auf ein anderes Beatmungsgerät gefährdet werden, wie teilweise von Kostenträgern aus wirtschaftlichen Gründen erwünscht.
Effekte auf Überleben und Lebensqualität
Aufgrund der Tatsache, dass es heute ethisch nicht mehr zulässig ist, eine randomisierte, kontrollierte klinische Studie beatmeter versus nichtbeatmeter Patienten durchzuführen, müssen zur Beantwortung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine NIV das Überleben von ALS-Patienten verlängert, ältere Publikationen zu Rate gezogen werden. In der wegweisenden Studie von Bourke et al. aus dem Jahr 2006 zeigte sich ein verlängertes Überleben von 7 Monaten. Als eine wesentliche Limitation der Studie muss die geringe Patientenzahl (n = 41) angeführt werden. Zudem ist davon auszugehen, dass durch die verbesserten technischen und diagnostischen Bedingungen sowie der verbesserten Versorgungsstrukturen für beatmete Patienten der Überlebensvorteil heute noch größer ist. Dementsprechend ergab eine neuere Studie an einer deutlich größeren Patientenzahl (n = 929) einen Überlebensvorteil von 13 Monaten für NIV-Patienten (Berlowitz et al. 2015), allerdings handelt es sich hierbei um eine retrospektive Erhebung. Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, dass eine NIV-Therapie die Verschlechterung der Lungenfunktion verzögert (Kleopa et al. 1999).
In der erstgenannten Studie (Bourke et al. 2006) konnte zudem auch eine verbesserte Lebensqualität nachgewiesen werden, gemessen anhand einer allgemeinen und einer schlafbezogenen Lebensqualitätsskala. Der äußerst positive Effekt der NIV-Therapie auf Blutgasparameter, Lebensqualität und Hypoventilationssymptome bei ALS-Patienten konnte in der Folge mehrfach überzeugend reproduziert werden. Polysomnographische Studien zeigen u. a. eine Verbesserung von O2-Sättigung, CO2-Partialdruck, Apnoe-Hypopnoe-Index (Boentert et al. 2015) und damit einhergehend von Schlafqualität, Tagesmüdigkeit, Depression (Butz et al. 2003) und Lebensqualität (Mustfa et al. 2006). Die beobachteten positiven Effekte sind dabei nicht nur vorübergehender Natur, sondern halten über mehrere Monate an (Butz et al. 2003), bis schließlich die respiratorische Situation durch die NIV nicht mehr kompensiert werden kann.
Während die Verbesserung der Lebensqualität bei allen Patienten nachweisbar war, konnten Bourke et al. den lebensverlängernden Effekt bei bulbären Patienten nicht nachweisen (Bourke et al. 2006). Während Einigkeit darüber herrscht, dass Patienten mit starker bulbärer Beteiligung aus verschiedenen Gründen schlechter mit einer NIV therapiert werden können, erscheint dieses Ergebnis vor dem Hintergrund der Limitationen und neuerer, wenn auch retrospektiver Studien (Berlowitz et al. 2015) allerdings zweifelhaft. In diesem Zusammenhang ist die optimale Therapie NIV-limitierender Symptome bei bulbären Patienten entscheidend. Ein Therapieversuch mittels intensivierter symptomatischer Therapie in Kombination mit einer NIV erscheint in jedem Fall auch bei Patienten mit ausgeprägter bulbärer Beteiligung gerechtfertigt, bevor eine IV erwogen werden muss.
Erschwerende Faktoren und Compliance
Da es sich bei der ALS um eine komplexe Multisystemerkrankung mit einer Vielzahl möglicher komplizierender Faktoren handelt (Abschn. 13.2.1), gestaltet sich die Etablierung einer NIV zumeist deutlich schwieriger als bei Patienten mit pulmologischen Krankheitsbildern. Daher ist gerade in komplizierten Fällen zumeist die Anpassung im Rahmen eines mehrtägigen stationären Aufenthalts notwendig. Steht ein erfahrenes, multiprofessionelles ALS-Team zur Verfügung, kann die Anpassung möglicherweise auch im ambulanten Rahmen gelingen (Bertella et al. 2017), allerdings sind solche Strukturen aktuell in Deutschland kaum vorhanden.
Erfolgt die Anpassung im stationären Setting, muss die Zeit in erster Linie dazu genutzt werden, eine bestmögliche Compliance herzustellen. Wenn der Patient aufgrund von Störfaktoren die Beatmung als lästig und unangenehm empfindet, können zumeist keine ausreichende Beatmungszeiten erreicht werden, um die genannten positiven Effekte zu erzielen, was zu einer weiteren Verschlechterung der Compliance führt.
Neuropsychologische Defizite, frontotemporale Demenz und Panikattacken
Wegen der pathophysiologischen und genetischen Überlappung der Krankheitsbilder ALS und FTD ist es nicht verwunderlich, dass 5–10 % der ALS-Patienten eine FTD entwickeln. Darüber hinaus zeigt ein weitaus größerer Anteil Symptome einer FTD wie z. B. Verhaltensauffälligkeiten, welche jedoch noch nicht die Kriterien einer Demenz erfüllen. Eine vorliegende FTD beeinflusst die Durchführbarkeit einer NIV erheblich. So konnte gezeigt werden, dass Patienten mit neuropsychologischen Veränderungen eine reduzierte Compliance und Überleben unter NIV aufweisen (Chio et al. 2012). Insbesondere die Etablierung einer NIV ist häufig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weshalb diese Patienten in besonderem Maße von einem hochspezialisierten, multidisziplinären Setting profitieren (Volanti et al. 2011). Bei fortgeschrittener FTD ist die Anpassung einer NIV teilweise nicht möglich; allerdings erscheint die vereinzelt vertretene Auffassung, dass der Versuch einer NIV-Etablierung bei FTD-Patienten grundsätzlich keinen Sinn macht, nicht gerechtfertigt, da bei Konformität der Therapie mit dem Patientenwillen ethische Erwägungen gegen diese Auffassung sprechen und die klinische Praxis schon Gegenbeispiele aufgezeigt hat. Allerdings erfordern solche Patienten eine sehr intensive Zuwendung und eine erfolgreiche NIV-Anpassung ist in der Regel zeitaufwändig und schwierig.
Nicht verwechselt werden dürfen Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen einer FTD mit dem Phänomen des sog. pathologischen Lachens
und Weinens, welches auch bei nichtdementen ALS-Patienten häufig vorkommt und nicht zwingend mit neuropsychologischen Defiziten assoziiert ist. Vielmehr handelt es sich um ein emotionales Enthemmungsphänomen, vergleichbar mit den motorischen Enthemmungsphänomenen bei einer Schädigung des oberen Motoneurons. Bei diesen Patienten reichen bereits kleinere Reize aus, um eine überschießende und lang anhaltende Reaktion des Lachens oder Weinens auszulösen. Diese Verhaltensweisen entsprechen in der Regel nicht dem tatsächlichen Befinden der Patienten, welche sich der Außenwirkung voll bewusst sind und dieses Phänomen daher häufig als sehr störend und unangenehm empfinden. Pathologisches Lachen und Weinen kann erfahrungsgemäß sehr zuverlässig und effektiv mit Serotoninwiederaufnahmehemmern wie z. B. Citalopram oder Sertralin behandelt werden.
Ein Teil der Patienten leidet im Rahmen der NIV-Therapie unter Panikattacken. Dies betrifft teilweise auch Patienten ohne kognitive Defizite. Das Spektrum reicht hierbei von generalisierten Angststörungen über Klaustrophobie bis hin zu Erstickungsängsten, die häufig damit assoziiert sind, dass Patienten mit vollständiger Lähmung der oberen Extremitäten nicht in der Lage sind, die Maske notfalls selbstständig abzulegen. Hier kann es zunächst hilfreich sein, kürzere Gewöhnungsphasen in Anwesenheit einer betreuenden Person, wie z. B. eines Angehörigen, einer Pflegekraft oder eines Atmungstherapeuten, durchzuführen. Zum Teil verschwinden die Angstzustände mit zunehmender Gewöhnung an die Therapie. Auch die Aufklärung des Patienten über die Funktionsweise des Beatmungsgerätes und der Alarmfunktionen kann in diesem Zusammenhang hilfreich sein. Sollten sich durch diese Maßnahmen die Panikattacken nicht beheben lassen, empfiehlt sich der Einsatz niedrig dosierter Benzodiazepine oder Opiate. Wegen der möglichen atemdepressiven Wirkung sollten diese Substanzen vorsichtig eingesetzt und ihr Einsatz von einem erfahrenen Arzt überwacht werden. Die EFNS-Leitlinien empfehlen für die beschriebenen Situationen die Applikation von sublingualem Lorazepam in einer Dosierung von 0,5 mg 2- bis 3-mal täglich zur Beatmung (Andersen et al. 2012).
Speichelfluss
Die NIV-Etablierung bei Patienten mit ausgeprägter bulbärer Beteiligung stellt eine große Herausforderung dar. Sowohl dünnflüssiger Speichels, der aufgrund der Bulbärparalyse nicht in ausreichenden Mengen heruntergeschluckt werden kann und in die Maske läuft, als auch zähes Bronchialsekret, das in Kombination mit der Beatmungsmaske zu Erstickungssensationen führen kann, vermindern die Compliance des Patienten und verschlechtern die Prognose (Peysson et al. 2008). Solche Patienten können daher in der Regel nur dann erfolgreich an eine NIV adaptiert werden, wenn diese Symptome ausreichend gut behandelt werden. Darüber hinaus führt ein optimales Sekretmanagement auch zu einer reduzierten Aspirationsgefahr von Speichel und zu einer besseren Belüftung der Lunge, wodurch das Risiko von Aspirationspneumonien erheblich reduziert wird. Die Bedeutung des Sekretmanagements bei ALS-Patienten kann daher nicht genug betont werden. Gerade in späteren Krankheitsstadien ist das Sekretmanagement äußerst pflegeintensiv. Beide Sekretarten, insbesondere das zähe Tracheobronchialsekret, zeigen sich in der Regel äußerst therapieresistent gegenüber einer medikamentösen Therapie.
Zur Behandlung des Speichelflusses werden, obwohl es keine randomisierten kontrollierten klinischen Studien gibt, in erster Linie Anticholinergika eingesetzt, welche zu einer Reduktion der Speichelproduktion in den Speicheldrüsen führen. Lokal applizierbare Substanzen wie z. B. Socopolamin-Pflaster bieten dabei den Vorteil geringer systemische Nebenwirkungen bis auf eine bei Auftreten oft therapielimitierende Eindickung des Bronchialsekrets sowie allergische Hautreaktionen. Socopolamin-Pflaster können ein- oder beidseitig über den Ohrspeicheldrüsen aufgeklebt werden; der Wechsel erfolgt in der Regel alle 3 Tage. Leider werden nicht selten allergische Hautreaktionen beobachtet.
Die Nutzung der anticholinergen Wirkung von Amitriptylin empfiehlt sich insbesondere dann, wenn gleichzeitig eine antidepressive Therapie erwünscht ist. Atropin-Tropfen bieten den Vorteil, dass die optimale Dosierung gut titriert werden kann, und auch Pirenzepin wird regelmäßig in der klinischen Praxis eingesetzt.
Die Anwendbarkeit anticholinerger Substanzen wird jedoch durch ihr erhebliches Nebenwirkungsspektrum limitiert. Nicht selten klagen Patienten über Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und kognitive Defizite, sodass der Einsatz insbesondere bei Patienten mit vorbestehender FTD sorgfältig abgewogen werden muss. Bei solchen Patienten kann der Einsatz von Glycopyrroniumbromid, welches weniger zentralnervöse Nebenwirkungen verursacht, sinnvoll sein.
Ist durch eine orale oder transdermale anticholinerge Therapie kein ausreichender Therapieeffekt zu erzielen, können invasivere Maßnahmen erwogen werden. In erster Linie hat sich hierbei der Einsatz von Botulinumtoxin bewährt, dessen Wirksamkeit im Gegensatz zu den nichtinvasiven Optionen relativ gut belegt ist. In einer placebokontrollierten, doppelblinden Studie mit 20 Patienten zeigte sich eine Ansprechrate von 82 % (Placebo 38 %, p < 0,05; Jackson et al. 2009) nach bilateraler Injektion von Botulinumtoxin B in die Ohr- und Unterkieferspeicheldrüsen. Botulinumtoxin A und B haben sich als etwa gleich effektiv erwiesen (Guidubaldi et al. 2011), allerdings zeigte Botulinumtoxin B in der gleichen Studie eine kürzere Latenz bis zum Wirkungseintritt bei geringeren Kosten und gleicher Wirkdauer. Die Injektion von Botulinumtoxin in die Speicheldrüsen wird in der Regel gut vertragen; in der Literatur wird über eine Verschlechterung der Schluckfunktion bei einem Teil der Patienten berichtet (Winterholler et al. 2001), eine Affektion des N. facialis ist hingegen sehr selten. Bei Überdosierung kann es zu einer Mundtrockenheit kommen, die für Patienten häufig belastender ist als der zuvor bestehende Speichelfluss. Da die Schwelle zur (subjektiven) Mundtrockenheit individuell unterschiedlich ist, empfiehlt es sich, mit geringeren Dosierungen zu beginnen und im Rahmen späterer Injektionen die Dosis ggf. zu steigern. Neben der Invasivität ist ein Nachteil der Therapie, dass der Effekt nur einige Wochen bis wenige Monate anhält, sodass die Injektionen in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssen. Der genaue zeitliche Abstand ist individuell unterschiedlich und richtet sich nach der Symptomatik der Patienten; grundsätzlich sollte nach Möglichkeit aber ein Abstand von mindestens 2–3 Monaten eingehalten werden, da ein kürzerer Abstand möglicherweise die Bildung von Botulinumtoxinantikörpern induzieren kann; evidenzbasierte Daten fehlen hierzu allerdings.
Wegen der Invasivität, fehlenden Reversibilität und schwacher Evidenz ist die Radiotherapie schweren therapierefraktären Situationen vorbehalten. Hinweise auf die Wirksamkeit liefern bisher lediglich kleinere Fallserien (Guy et al. 2011), auch wenn diese überwiegend gute Ansprechraten zwischen 65 % und 100 % zeigen. Eine Metaanalyse mit 216 Patienten ergab eine Ansprechrate von 81 %, allerdings auch eine kurzfristige Toxizität in 40 % und eine langfristige Toxizität in 12 % der Patienten (Hawkey et al. 2016). Wenn es im Zuge der Radiotherapie zu einer Mundtrockenheit kommt, ist diese im Gegensatz zur Botulinumtoxintherapie irreversibel und praktisch nicht therapierbar.
Zähe Tracheobronchialsekrete
In der klinischen Praxis stellen zähe Tracheobronchialsekrete eines der schwierigsten und therapierefraktärsten Probleme bei beatmeten ALS-Patienten dar. Sie unterscheiden sich klinisch und pathophysiologisch von dünnflüssigem Speichel. Die Patienten berichten über einen quälenden Hustenreiz bis hin zu einem Erstickungsgefühl, wodurch das zähe Sekret eines der am meisten belastenden Symptome bei ALS darstellt. Anamnestisch und klinisch müssen beide Sekretformen voneinander unterschieden werden, da sie nicht auf die gleiche Weise therapiert werden können. Vielmehr führen die genannten Therapien zur Reduktion des Speichelflusses zu einer verstärkten Zähigkeit der Bronchialsekrete, sodass diese noch schwerer aus den Atemwegen entfernt werden können.
Wenn zähes Sekret im Vordergrund der Symptomatik steht, sollte den Patienten zu einer vermehrten Flüssigkeitsaufnahme geraten werden, um das Sekret dünnflüssiger und leichter abhustbar zu machen. Gleichermaßen sollte bei Patienten mit bestehender PEG die Flüssigkeitsgabe über die PEG erhöht werden. Auch die Anfeuchtung der Raumluft bzw. des Atemgases durch Befeuchtungssysteme im Beatmungssystem kann einen positiven Effekt zeigen. Patienten sollten zudem über die Wichtigkeit einer sorgfältigen Mundpflege informiert werden.
Medikamentöse Therapieversuche zeigen hingegen erfahrungsgemäß kaum Wirkung, und es existiert diesbezüglich zudem kaum nennenswerte Evidenz. In der klinischen Praxis werden Mukolytika wie N-Acetylcystein und Guaifenesin, β-Rezeptorantagonisten wie Metoprolol und Propranolol (Newall et al. 1996) und Bronchodilatatoren wie Ipratropium und Theophyllin mit wechselndem, aber zumeist unbefriedigendem Erfolg eingesetzt. Die Leitlinien der EFNS und NICE (National Institute for Health and Care Excellence) empfehlen zudem Inhalationen mit Salinen, anticholinergen Bronchodilatatoren oder Furosemid (Andersen et al. 2012).
Zumeist ist es daher erforderlich, die zähen Sekrete mechanisch durch den Einsatz von Hustenassistenten (Sancho et al. 2004) und Absauggeräten zu entfernen. Liegt eine massive Sekretproblematik vor, empfiehlt es sich, das Sekret vor einer Beatmungssitzung mittels mechanischer Hilfsmittel möglichst vollständig aus den oberen Luftwegen zu entfernen. Die Toleranz der Geräte ist in der Regel gut, und respiratorische Parameter werden durch ihre Anwendung verbessert (Winck et al. 2004).
Sind trotz Ausschöpfung der genannten Maßnahmen die Sekrete nicht ausreichend kontrollierbar, kann eine NIV-Therapie häufig nicht adäquat durchgeführt werden, sodass eine IV diskutiert werden muss.
PEG-Anlage und NIV
Nicht selten liegt in der klinischen Praxis die Situation vor, dass ein Patient gleichzeitig eine NIV als auch eine PEG benötigt. Nur selten treten bulbäre Symptome und die respiratorische Insuffizienz zeitgleich auf, allerdings werden manchmal die Entscheidungen zur Durchführung der beiden Maßnahmen vom Patienten verschleppt, insbesondere bei unzureichender oder verspäteter Aufklärung durch den betreuenden Arzt. Wie bereits dargestellt, sollte eine NIV frühzeitig im Krankheitsverlauf etabliert werden – spätestens dann, wenn klinische Zeichen der respiratorischen Insuffizienz vorliegen. Auch die Anlage einer PEG ist in früheren Krankheitsstadien sicherer und sollte erwogen werden, wenn eine progrediente Gewichtsabnahme oder eine Dysphagie mit Aspirationsgefahr vorliegt. Die EFNS-Leitlinien empfehlen generell eine frühe Gastrostomie und erwähnen bulbäre Symptome, Malnutrition mit einem Gewichtsverlust von >10 % der Körpergewichts, respiratorische Insuffizienz und den Allgemeinzustand des Patienten als Faktoren, welche hinsichtlich des Zeitpunkts der PEG-Anlage berücksichtigt werden sollten (Andersen et al. 2012).
Ist eine zeitnahe Abfolge beider Maßnahmen nicht zu vermeiden, empfiehlt es sich, zuerst eine stabile NIV zu etablieren, da dies das Risiko von Komplikationen während der PEG-Anlage reduziert. Früher wurde die teilweise immer noch in einigen Leitlinien zu findende Meinung vertreten, dass eine PEG-Anlage bei Patienten mit einer Vitalkapazität <50 % nicht mit ausreichender Sicherheit durchgeführt werden kann (Miller et al. 2009). Neuere Studien haben diese Ansicht widerlegt (Dorst et al. 2015) und gezeigt, dass eine PEG-Anlage auch bei Patienten mit fortgeschrittener respiratorischer Insuffizienz mit einer äußerst geringen Komplikationsrate möglich ist. Als äußerst vorteilhaft haben sich in diesem Zusammenhang spezielle Maskensysteme erwiesen, die es ermöglichen, die Gastrostomiegeräte durch Aussparungen in der Maske einzuführen und so die PEG-Anlage unter NIV durchzuführen (Czell et al. 2013). Eine Intubationsnarkose mit der Gefahr, dass eine postinterventionelle Umstellung vom Beatmungstubus auf eine NIV nicht mehr gelingt, kann somit vermieden werden.
Sonstige erschwerende Faktoren
Weitere Faktoren, welche die Etablierung einer NIV erschweren können, sind Beeinträchtigung des Schlafs durch die Geräuschentwicklung, unkomfortable Sensationen durch den Beatmungsdruck, Mundtrockenheit und v. a. Druckstellen durch die Beatmungsmasken (Baxter et al. 2013). Durch eingehende Aufklärung über die langfristigen positiven Effekte der NIV, Etablierung geeigneter Befeuchtungs- und Maskensysteme sowie kontinuierliche professionelle ärztliche und atmungstherapeutische Betreuung lassen sich die meisten dieser Probleme im Laufe der Zeit jedoch lösen.
Invasive Beatmung bei ALS
Nur relativ wenig ALS-Patienten (in Deutschland ca. 5–10 %) entscheiden sich im Verlauf des Krankheitsprozesses für eine Tracheotomie, obwohl diese Beatmungsform das Überleben massiv, teilweise um viele Jahre, verlängert (Spataro et al. 2012). Der Grund dafür ist, dass sich viele Patienten nicht vorstellen können, in den späten, durch die IV erreichten Krankheitsstadien, welche dem klinischen Bild eines Locked-In-Syndroms entsprechen, noch eine ausreichende Lebensqualität haben zu können. Allerdings sind diejenigen Patienten, welche sich für eine IV entscheiden, hinterher überwiegend mit dieser Entscheidung zufrieden, und nur selten wird eine frühe Beendigung der IV gewünscht. Zudem ist zu erwähnen, dass die Quoten sowohl für die Inanspruchnahme als auch eine evtl. Terminierung der IV im internationalen Vergleich von Land zu Land stark unterschiedlich ausfällt (Andersen et al. 2018), wobei kulturelle, religiöse, aber auch gesundheitspolitische Faktoren eine Rolle spielen.
Grundsätzlich sollten alle Patienten über die Möglichkeit einer IV aufgeklärt werden, spätestens wenn aufgrund der fortschreitenden respiratorischen Insuffizienz die Grenzen der NIV erreicht werden oder wenn aufgrund einer schweren Bulbär- und Sekretproblematik eine solche nicht etabliert werden kann. Der Patient sollte über den lebensverlängernden Effekt der Maßnahme informiert werden. Ebenso darüber, dass, wenn hierdurch die schwersten Krankheitsstadien der Erkrankung erreicht werden, sich die IV auch zu einem vom Patienten definierten Zeitpunkt beenden lässt. Der invasive Charakter, das Infektionsrisiko und die erheblichen Anforderungen an Pflege und soziale Unterstützung sollten angesprochen werden.
Patienten ohne schwere Bulbärsymptomatik können in der Regel auch mit einer invasiven Beatmung mittels Sprechkanülen verbal kommunizieren (Abschn. 10.1007/978-3-662-59014-0_8#Sec14). Wenn es im weiteren Verlauf der Erkrankung zu einer Anarthrie kommt, ist in der Regel noch über einen längeren Zeitraum von Monaten bis einigen Jahren bei nicht dementen Patienten die Kommunikation über Kommunikatoren mit Augensteuerung möglich, da die Augenmuskeln meist erst sehr spät vom Krankheitsprozess erfasst werden (Kap. 10.1007/978-3-662-59014-0_23). Wenn auch die Augen nicht mehr bewegt werden können, ist eine Interaktion der Patienten mit ihrer Umwelt kaum noch möglich. Die meisten Patienten, welche sich für eine Tracheotomie entscheiden, definieren das Erreichen dieses Zustands als Zeitpunkt der Beendigung der IV, was unbedingt in Form einer schriftlichen Patientenverfügung fixiert werden sollte. Die Terminierung der IV führt fast immer innerhalb kurzer Zeit zum Tod und sollte hiermit vertrauten Ärzten und Kliniken vorbehalten bleiben.
Prinzipiell gelten für die IV die gleichen Prinzipien, welche in den entsprechenden Kapiteln zur NIV erläutert wurden. Es können dieselben Beatmungsgeräte verwendet werden, wenn eine Zulassung für die 24-stündige, lebenserhaltende Beatmung vorliegt. Nach Etablierung einer IV ist es im Falle einer vorbestehenden NIV häufig erforderlich, die Beatmungsparameter anzupassen. Daher sollten die Blutgasparameter insbesondere in den ersten Tagen engmaschig kontrolliert werden. Wenn eine NIV vorbestand, muss in der Regel der Beatmungsdruck reduziert werden, um eine Hyperventilation zu vermeiden. Zudem kommt es gerade in den ersten Tagen nach der Tracheotomie bei ALS-Patienten häufig zu einer massiven Sekretproduktion. Es empfiehlt sich daher, den ersten Kanülenwechsel bereits nach wenigen Tagen vorzunehmen, um eine Verlegung der Kanüle durch Sekret zu vermeiden.
Teilweise erfolgt eine Intubation mit nachfolgender Tracheotomie im Rahmen respiratorischer Komplikationen, wie z. B. einer Aspirationspneumonie. Nicht selten kommt es insbesondere bei sehr rasch progredienten Verläufen sogar vor, dass Patienten vor Diagnosestellung tracheotomiert werden. Solche Situationen stellen dann enorme Anforderungen an das behandelnde Team von Ärzten und Therapeuten hinsichtlich Diagnostik, Aufklärung der Patienten, Initiierung aller notwendigen therapeutischen Maßnehmen und Sicherstellung der Weiterversorgung. Maßnahmen, die normalerweise schrittweise und angepasst an den Krankheitsverarbeitungsprozess des Patienten erfolgen können, müssen in rascher Abfolge simultan abgewickelt werden. Nur äußerst selten ist es möglich, einen bereits intubierten ALS-Patienten im Stadium einer fortgeschrittenen respiratorischen Insuffizienz zu extubieren und auf eine NIV einzustellen, selbst wenn die auslösende Komplikation beseitigt wurde. Wiederholte erfolglose Extubationsversuche belasten den Patienten und sollten nach Möglichkeit vermieden werden; vielmehr gilt es, den Patienten und seine Angehörigen umfassend über die zugrundeliegende Erkrankung zu informieren, um die notwendigen weiteren Entscheidungen treffen zu können, was in der Regel einen Zeitraum von mehreren Wochen in Anspruch nehmen kann.
Respiratorische Komplikationen
Typisch für die ALS ist eine relativ gleichmäßige, kontinuierliche Verschlechterung der Paresen einschließlich der respiratorischen Insuffizienz. Wann immer eine akute Verschlechterung der Atemsituation eintritt, muss an pulmonale Komplikationen gedacht werden, zumal diese im Rahmen der ALS häufig sind. Daher muss im Falle einer akuten respiratorischen Verschlechterung umgehend eine Röntgen- oder CT-Diagnostik erfolgen, bei Hinweisen auf einen respiratorischen Infekt sind Blutkulturen und Trachealsekretkulturen anzulegen.
Aufgrund der Minderbelüftung der Lunge in Kombination mit einem oft erheblichen Aspirationsrisiko kommt es bei ALS-Patienten im Laufe der Erkrankung häufig zu Aspirationspneumonien, die aufgrund des zumeist erheblich geschwächten Allgemeinzustands der Patienten tödlich verlaufen können, sofern sie nicht sofort kalkuliert oder – nach Möglichkeit – antibiogrammgerecht behandelt werden. Ebenfalls relativ häufig anzutreffen sind Atelektasen, welche durch eine Kombination aus Husteninsuffizienz und Verlegung der Atemwege durch zähes Sekret oder aspirierte Nahrung entstehen können. Im Falle solcher respiratorischer Komplikationen ist es teilweise erforderlich, einen mechanischen Insufflator-Exsufflator einzusetzen oder die Beatmungsparameter einer vorbestehenden NIV oder IV durch Erhöhung des inspiratorischen Drucks und/oder PEEP anzupassen.
Wenn eine eigentlich gut etablierte nichtinvasive oder invasive Beatmungstherapie plötzlich nicht mehr ausreicht und die angestrebten Atemzugvolumina nicht mehr erreicht werden können, liegt sehr häufig eine akute Verlegung der Atemwege durch zähe Bronchialsekrete vor. Die Auskultation mit Nachweis nichtventilierter Lungenabschnitte kann hier einen schnellen und zuverlässigen Hinweis liefern. Durch intensiven Einsatz des mechanischen Insufflator-Exsufflators und Absaugen kann in der Mehrzahl der Fälle die Situation entschärft werden; selten kann auch eine bronchoskopische Intervention erforderlich sein.
Trotz der in der Regel erheblichen Immobilisierung der ALS-Patienten kommen tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien im klinischen Alltag relativ selten vor. Trotzdem sollte grundsätzlich auch an diese Möglichkeit gedacht und diese im Zweifel mittels CT ausgeschlossen werden. Im stationären Bereich erfolgt pragmatisch eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin. Der dauerhafte Einsatz von niedermolekularem Heparin in thromboseprophylaktischer Dosierung im häuslichen Bereich bei immobilisierten ALS-Patienten wird hingegen nicht standardmäßig durchgeführt.
Zwerchfellstimulation
Basierend auf nicht publizierten Daten einer US-Studie wurde 2008 die elektrische Zwerchfellstimulation („diaphragm pacing system“, DPS) für die Behandlung von ALS-Patienten mit respiratorischer Insuffizienz in den USA von der Food and Drug Association (FDA) zugelassen. In der Folge wurde das Verfahren auch in Europa stark beworben und auch in Deutschland wurden einige wenige Patienten operiert.
Laparoskopisch werden mehrere Elektroden an den Endästen des N. phrenicus im Bereich des Zwerchfells des Patienten befestigt, über welche postoperativ mit Hilfe eines externen Steuerungsgeräts elektrische Impulse appliziert werden können, wodurch eine kräftige Kontraktion des Zwerchfells induziert wird. Über einen Trainingseffekt soll auf diese Weise die Entwicklung der Atrophie und Schwäche des Zwerchfells verzögert und das Fortschreiten der respiratorischen Insuffizienz verlangsamt werden. Seitens der vertreibenden Firma (Synapse Biomedical, Oberlin, Ohio) wird eine Überlebensverlängerung propagiert. Darüber hinaus belegt eine Publikation eine verbesserte Schlafqualität bei Patienten mit DPS (Gonzalez-Bermejo et al. 2012).
Der angeblich lebensverlängernde Effekt der DPS konnte jedoch in randomisierten klinischen Studien nicht belegt werden. Vielmehr zeigte sich in einer britischen Studie ein kürzeres Überleben (−11,5 Monate) von Patienten mit DPS und NIV im Vergleich zu Patienten mit NIV allein (DiPALS 2015). In einer französischen Studie an Patienten mit beginnender respiratorischer Insuffizienz zeigte sich darüber hinaus, dass DPS gegenüber Patienten mit einer Scheinstimulation (letztere wurden operiert, aber nicht stimuliert) den Beginn der Erfordernis einer NIV-Therapie nicht verzögern kann, vielmehr trat die Beatmungspflichtigkeit signifikant früher ein (Gonzalez-Bermejo et al. 2016). Es zeigte sich darüber hinaus eine erhebliche periprozedurale Komplikationsrate von >50 %; beobachtete Komplikationen waren u. a. Kapnothorax, Pneumothorax, akutes respiratorisches Versagen und thrombembolische Prozesse.
Zusammenfassend kann demnach geschlussfolgert werden, dass die Implantation eines Zwerchfellschrittmachers bei ALS absolut kontraindiziert ist. Unverständlicherweise besteht die FDA-Zulassung nach wie vor, es werden weiterhin Patienten in den USA operiert und eine neue klinische Studie zu dem Thema wurde initiiert.
Aufklärung, Entscheidungsfindung und soziale Aspekte
Wie dargestellt, handelt es sich bei der ALS um eine äußerst schwere und komplexe Erkrankung, deren Behandlung ein Team spezialisierter Ärzte und Therapeuten erfordert. Wegen des chronisch fortschreitenden Charakters verändert sich das Krankheitsbild ständig und fortwährend müsse neue Symptome adäquat adressiert und behandelt werden. Daher sollten sich ALS-Patienten je nach Geschwindigkeit der Krankheitsprogredienz in 3- bis 6-monatigen Abständen fachärztlich vorstellen.
Für die meisten Patienten bedeutet die Diagnose ALS und die damit verbundene Gewissheit einer massiv verkürzten Lebenserwartung ein Schock und für eine adäquate Krankheitsverarbeitung wird nicht selten professionelle psychologische Hilfe sowie viel Zeit benötigt. Es ist daher nicht sinnvoll, den Patienten bereits im ersten Aufklärungsgespräch mit sämtlichen Aspekten später Krankheitsstadien zu konfrontieren; vielmehr hat sich in der klinischen Praxis eine stufenweise, dem Stadium der Krankheit und Krankheitsverarbeitung sowie dem individuellen Informationsbedürfnis angepasste Aufklärung bewährt. Die Thematik der fortschreitenden respiratorischen Insuffizienz und der Vorteile einer NIV-Therapie können häufig schon während des ersten Aufklärungsgesprächs thematisiert werden. Mit den Fragen invasiver lebensverlängernder Maßnahmen zeigen sich die meisten Patienten kurz nach Diagnosestellung dagegen gänzlich überfordert.
Die Entscheidungen für oder gegen lebensverlängernde Maßnahmen wie PEG und IV beruht in der Regel auf einem prolongierten Prozess, in dessen Verlauf sich die Entscheidungen nicht selten ändern, u. U. auch mehrfach. Aus diesem Grund sollte nicht nur frühzeitig eine Patientenverfügung erstellt, sondern diese auch regelmäßig auf ihre aktuelle Gültigkeit überprüft werden. In der klinischen Praxis kommt es regelmäßig vor, dass sich schriftlich hinterlegte Patientenverfügungen von dem aktuellen, mündlich kommunizierten Patientenwillen massiv unterscheiden.
Einflussfaktoren sich verändernder Entscheidungen sind neben der fortschreitenden Krankheitsverarbeitung auch die praktischen Erfahrungen im Umgang mit der Erkrankung, das soziale Umfeld des Patienten, nicht zuletzt aber auch Art, Inhalt und Zeitpunkte der ärztlichen Aufklärungsgespräche. Dem aufklärenden Arzt kommt dabei insbesondere auch die Aufgabe zu, relevante Informationen rechtzeitig, vollständig und verständlich zu vermitteln und auf diese Weise dem Patienten zu helfen, Entscheidungen zu treffen, welche dem individuellen Patientenwillen entsprechen.
Einschätzungen von Angehörigen bezüglich des mutmaßlichen Willens von ALS-Patienten entsprechen häufig nicht den Angaben der Patienten selbst. Publizierte Daten zeigen, dass die Lebensqualität von ALS-Patienten von deren Angehörigen tendenziell deutlich unterschätzt und der Todeswunsch überschätzt wird (Lule et al. 2013). Dies betrifft insbesondere auch Patienten mit NIV, IV und PEG. Das gleiche Phänomen lässt sich bei Ärzten mit geringer Erfahrung im Umgang mit todkranken Patienten beobachten (Aho-Ozhan et al. 2017). Die Inzidenz von Depressionen liegt bei ALS-Patienten tatsächlich nur geringfügig höher als in der gesunden Bevölkerung und damit niedriger als bei vielen anderen chronischen Erkrankungen; auch steigt die Depressionsrate in späteren Krankheitsstadien mit stärkeren Beeinträchtigungen und herannahendem Tod nicht an (Rabkin et al. 2005). Die Hypothese, dass die überraschend hohe Bewertung ihrer Lebensqualität durch die Patienten selbst auf einer manifesten oder sich anbahnenden FTD beruht, wurde durch eine Studie widerlegt, die zeigte, dass die Entscheidungsfindung von ALS-Patienten hinsichtlich lebensverlängernder Maßnahmen wie PEG, NIV und IV unabhängig von kognitiven bzw. Verhaltensauffälligkeiten ist (Bohm et al. 2016). Aus den Studienergebnissen lässt sich ableiten, dass die Aufklärung über lebensverlängernde Maßnahmen durch einen in der Palliativmedizin erfahrenen Arzt erfolgen sollte und dass nicht automatisch angenommen werden darf, dass die Meinung der Angehörigen der des Patienten entspricht. Eine allgemein ablehnende Haltung gegenüber lebensverlängernden Maßnahmen aufgrund einer prinzipiell anzunehmenden geringen Lebensqualität vor dem Hintergrund der fatalen Diagnose und der schweren körperlichen Einschränkungen von ALS-Patienten wird durch die aktuelle Datenlage nicht gestützt.
Die Versorgung von Patienten in fortgeschrittenen Stadien der ALS ist äußerst pflege- und kostenintensiv und nicht selten liegen Pflegedefizite vor. Der rasch fortschreitende Charakter der Erkrankung und die erheblichen Pflegeanforderungen, die NIV, IV, Sekretmanagement und PEG mit sich bringen, sollten frühzeitig mit Patienten, Angehörigen, aber auch Kostenträgern kommuniziert, eine umfassende Sozialberatung durchgeführt und eine adäquate Versorgung frühzeitig und umfassend geplant werden. Hierzu gehören u. a. die Etablierung eines behindertengerechten Wohnumfelds, die Sicherung der Behandlungspflege einschließlich Beatmungs-, Sekret- und PEG-Management und eine Ausstattung mit allen benötigten Hilfsmitteln. Hinsichtlich des Umgangs mit den Kostenträgern ist zu beachten, dass diese aufgrund der Seltenheit der Erkrankung häufig mit dem Krankheitsbild nicht ausreichend vertraut sind. Versorgungsengpässe könnten insbesondere dann entstehen, wenn angesichts des rasch fortschreitenden Krankheitsbilds aufgrund langer Bearbeitungslatenzen auf veränderte Situationen nicht rechtzeitig reagiert wird oder bei Etablierung der Versorgungssituation der rapid progressive Krankheitsverlauf nicht adäquat berücksichtigt wird. Eine frühzeitige Miteinbeziehung der Kostenträger in die sozialmedizinischen Planungen ist deshalb anzustreben.
Therapie im Finalstadium
Ein Großteil der Patienten mit ALS entscheidet sich in fortgeschrittenen Krankheitsstadien für ein palliatives Vorgehen. Während fast alle Patienten eine NIV und die meisten Patienten eine PEG akzeptieren, wird eine IV von ca. 90 % der betroffenen Patienten in Deutschland nicht gewünscht.
Die Behandlung eines ALS-Patienten ohne Beatmung oder mit NIV im Finalstadium kann in der Regel zuhause durch einen in der Palliativmedizin erfahrenen Hausarzt erfolgen. Viele Patienten haben Angst vor einem qualvollen Erstickungstod, daher ist es wichtig darüber zu informieren, dass dieser bei adäquater medikamentöser Therapie nicht zu befürchten ist. In den meisten Fällen ist ein friedliches Einschlafen im Rahmen einer CO2-Narkose möglich (Neudert et al. 2001). Zur symptomatischen Behandlung von Angst und Dyspnoe werden Opiate und Benzodiazepine eingesetzt (Andersen et al. 2012). Auch die Gabe von reinem Sauerstoff, welche zur Langzeittherapie der ALS absolut kontraindiziert ist (Abschn. 13.2.2), darf im Finalstadium der Erkrankung zum Einsatz kommen. Die Prinzipien der Palliativtherapie eines Patienten ohne NIV können analog auf die Situation übertragen werden, in welcher eine NIV-Therapie nicht mehr ausreicht, um die fortschreitende respiratorische Situation zu kompensieren. Wird eine IV-Therapie beendet, sollte dies hingegen in einem spezialisierten Zentrum mit Hilfe von Ärzten erfolgen, welche über eine ausreichende Erfahrung im Umgang mit dieser Situation verfügen.
Patientenverfügungen können dazu dienen, unerwünschte Situationen herbeizuführen. Hierfür ist die frühzeitige und umfassende ärztliche Aufklärung über alle zur Verfügung stehenden Therapieoptionen und ihre Folgen eine unerlässliche Voraussetzung. Patientenverfügungen sollten so spezifisch wie möglich sein und den Patientenwillen bezüglich NIV, IV und PEG explizit darlegen. Ebenso sollte verfügt werden, unter welchen Umständen etwaige lebensverlängernde Maßnahmen beendet werden sollten; dies gilt insbesondere für die IV, da hierunter regelmäßig Krankheitsstadien erreicht werden, in welcher keinerlei Kommunikation mehr möglich ist. Patienten sollten darüber informiert werden, dass die Beendigung lebenserhaltender Therapien in Deutschland legal ist, und es sollte ihnen Hilfe bei der Erstellung einer Patientenverfügung angeboten werden (Andersen et al. 2012).