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. 2020 May 25;68(6):440–443. [Article in German] doi: 10.1007/s00106-020-00891-4

Temporäre Hyposmie bei COVID-19-Patienten

Temporary hyposmia in COVID-19 patients

S Bocksberger 1, W Wagner 1,2,, T Hummel 3, W Guggemos 4, M Seilmaier 4, M Hoelscher 5, C-M Wendtner 4
PMCID: PMC7246968  PMID: 32451564

Abstract

Hintergrund

Wir berichten über das gehäufte Auftreten von Riechstörungen bei COVID-19-Patienten in der ersten Gruppe von COVID-19-Patienten in Deutschland (Webasto-Cluster).

Methode

Über den Verlust des Geruch- und/oder Geschmackssinns berichteten 26 von 63 COVID-19-Patienten (41 %), wobei nur bei 31 % der von Hyposmie Betroffenen gleichzeitig Symptome einer Rhinitis vorlagen. Bei 14 Patienten führten wir einen Riechtest und bei 10 einen Schmecktest durch. Die Messungen fanden innerhalb der Krankenversorgung einer frühen COVID-19-Kohorte statt.

Ergebnisse

Bei 10/14 Patienten lag sowohl vor als auch nach Abschwellen der Nasenschleimhäute eine Riechstörung vor. Für 2/14 Patienten war die Hyposmie das führende oder sogar das einzige Symptom der SARS-CoV-2-Infektion. Alle Getesteten berichteten über eine Besserung des Geruchs- und/oder Geschmackssinns innerhalb von 8–23 Tagen.

Schlussfolgerung

Den vorliegenden Daten zufolge a) kann COVID-19 bei einer nennenswerten Anzahl Patienten zu Hyposmie führen, die Inzidenz betrug ca. 30 % in dieser Kohorte; b) war die Riechstörung überwiegend nicht mit rhinitischen Symptomen assoziiert, was auf eine nichtrhinitische, z. B. neurogene Ursache hinweisen kann; und c) erholte das Riechvermögen sich weitgehend im Laufe von 1–3 Wochen nach Beginn der COVID-19-Symptome. Anhaltspunkte für ein gehäuftes Auftreten einer Schmeckstörung ergaben sich nicht. Diese frühen Ergebnisse können sowohl bei der Interpretation der COVID-19-assoziierten Hyposmie als auch für ein beruhigendes Patentengespräch angesichts der hier beobachteten temporären Natur der Hyposmie hilfreich sein. Darüber hinaus kann nach derzeitiger Erfahrung eine plötzlich aufgetretene Hyposmie ohne Vorliegen einer neuen Nasenatmungsbehinderung (Rhinitis) das führende oder sogar einzige Symptom einer SARS-CoV-2-Infektion sein.

Schlüsselwörter: SARS-CoV-2, Coronavirus, Anosmie, Riechstörung, Schmeckstörung

Hintergrund und Fragestellung

Die im Dezember 2019 erstmalig in Wuhan, China, aufgetretene Coronaviruserkrankung (COVID-19) wird durch die Infektion mit SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“), einem neuartigen RNA-β-Coronavirus, hervorgerufen und verursacht in einer Vielzahl von Fällen eine akute Atemwegsinfektion [1]. Die München Klinik Schwabing behandelte die ersten COVID-19-Patienten Deutschlands und betreut bis dato eine der höchsten Zahlen an COVID-19-Patienten in Deutschland [2]. Im Rahmen der COVID-19-Patientenversorgung beobachteten wir eine hohe Inzidenz an An- und Hyposmie in einer COVID-19-Patientengruppe, die zwischen dem 27. Januar und 21. März 2020 in unserem Krankenhaus stationär behandelt wurde.

Untersuchungsmethoden

Von den 63 bis zu diesem Zeitpunkt stationär behandelten Patienten berichteten 26 (41 %) spontan über den Verlust des Geruch- und/oder Geschmackssinns im Sinne einer chemosensorischen Dysfunktion (13 Frauen und 13 Männer, Altersspanne: 15–85 Jahre, durchschnittliches Alter 46 Jahre, Standardabweichung, SD: 15 Jahre). Es klagten 8 der 26 Patienten (31 %) über eine begleitende Rhinitis. Hinweise auf das gleichzeitige Vorliegen anderer Erkrankungen, die Einfluss auf Riechen und Schmecken haben könnten, wie ein M. Parkinson, die Alzheimer-Krankheit oder eine Nierenfunktionsstörung, lagen bei keinem der 26 Patienten vor. Bei 14 der 26 Patienten führten wir einen Riechtest und bei 10 einen Schmecktest durch (Riechtest: Identifikationstest mit 12 Riechstiften, „Sniffin’ Sticks“; Schmecktest: „Taste Strips“ mit den 4 grundlegenden Schmeckqualitäten [3]). Die Untersuchung wurde sowohl seitengetrennt und bilateral als auch vor und 15 min nach Abschwellen der Nasenschleimhäute mit Xylometazolin‑0,1%-haltigem Nasenspray durchgeführt: Dies führte zu insgesamt 6 Riechtests im Rahmen der Untersuchung nur eines Patienten. Eine Kontrolluntersuchung (2, 2, 5 bzw. 6 Tage nach dem ersten Test) konnte bei 4 der 14 Patienten während des stationären Aufenthalts durchgeführt werden. Die korrekte Identifikation von 10 oder mehr der 12 Riechstifte wurde als Normosmie, von 7–9 als mäßige Hyposmie und von ≤6 als ausgeprägte Hyposmie definiert. Lag bei der seitengetrennten Untersuchung ein Seitenunterschied von 3 oder mehr korrekten Angaben vor, kann von einem signifikanten Unterschied zwischen der rechten und der linken Seite, z. B. im Sinne einer unilateralen Hyposmie, ausgegangen werden. Diese Kriterien basieren auf normativen Daten, die bei mehr als 1000 Patienten erhoben wurden [3], und stehen im Einklang mit einem Konsensusartikel [4].

Ergebnisse

Vor Abschwellen der Nasenschleimhäute lag bei bilateraler Testung eine Hyposmie bei 7 der 14 Patienten vor (4 mäßig und 3 ausgeprägt). Zudem ergab sich bei seitengetrennter Testung eine signifikante Seitendifferenz bei 6 von 14 Patienten. Zusammengefasst ließ sich somit bei 10 von 14 Patienten (71 %) eine Riechstörung objektivieren. Nach der nasalen Abschwellung lag die Zahl der Patienten mit einer Riechstörung weiterhin bei 10/14. Dies spricht dafür, dass eine reine anatomische Blockade nicht ursächlich für die Hyposmie war (für detaillierte Ergebnisse: Abb. 1 und 2). Bemerkenswerterweise beklagten 2 der Patienten die Riechstörung als das führende bzw. auffälligste Symptom bei gleichzeitigem Fehlen von rhinitischen Symptomen. Im Rahmen der Schmecktestung erkannten die Patienten mindestens 3 der 4 Schmeckqualitäten, sodass von einer normalen Funktion der Schmeckfähigkeit ausgegangen werden kann. Es liegt daher nahe, dass die Patienten die gustatorische Funktion und die retronasale olfaktorische Funktion verwechselten, wenn sie über den Verlust des Geschmackssinns klagten. Dies ist eine relativ häufige klinische und alltägliche Beobachtung. Erstaunlicherweise berichteten alle getesteten Patienten (ein Patient war im weiteren Verlauf nicht erreichbar) über eine Besserung des Riechens und Schmeckens innerhalb von 8–23 Tagen (im Durchschnitt 13,9 Tage, SD: 5,3) nach dem Auftreten der ersten Symptome der SARS-CoV-2-Infektion. Eine zweite Riech- und Schmecktestung konnte bei 4 der 14 Patienten durchgeführt werden. Die 3 Testungen, die zu einem relativ späten Zeitpunkt der Infektion (Tag 11, 11 bzw. 23 nach Auftreten der ersten Symptome) durchgeführt wurden, zeigten eine teils deutliche Riechverbesserung (Abb. 1 und 2); dies stimmt mit dem Gesamtbild der dokumentierten Besserung des Riechens in der hier untersuchten Patientengruppe überein.

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Diskussion

Dieser Bericht über An- oder Hyposmie bei einer Kohorte von COVID-19-Patienten liefert eines der ersten Data-Sets zu Riech- und Schmecktestungen bei dieser Patientengruppe. Erstaunlicherweise war etwa die Hälfte der 63 Patienten hinsichtlich anderen Symptome einer SARS-CoV-2-Infektion weitgehend asymptomatisch, da sie nur aufgrund eines Kontakts zu einer SARS-CoV-2-positiven Person getesteten wurde (Webasto-Cluster [2], erste an COVID-19 erkrankte Patienten in Deutschland). Bei 40 % der 63 Patienten entwickelten sich leichtgradige COVID-19-Symptome, während sich bei 10 % ein schwerer Krankheitsverlauf zeigte. Aus praktischen und ethischen Gründen kamen für die Riech- und Schmecktestung nur Patienten mit subtilen oder leichtgradigen COVID-19-Symptomen infrage. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der regulären Patientenversorgung und in der Frühphase der COVID-19-Pandemie erhoben, was zu entsprechenden Limitationen in der Methodik führte. Dennoch ergeben die Beobachtungen unseres Erachtens neue und relevante Erkenntnisse. Bei 10 der 14 Patienten, die eine Riechstörung im Vorfeld beklagten und daher getestet wurden, konnte eine Riechstörung bestätigt werden (10/14 = 71 %; 10/63 = 16 %). Weitere 12 der 63 Patienten, die aus praktischen Gründen nicht getestet wurden, hatten eine im Laufe der SARS-CoV-2-Infektion akut aufgetretene Hyposmie beklagt. Ob es unter den 37 Patienten, die nicht spontan über eine Riechstörung berichteten hatten, weitere Patienten mit einer COVID-19-assoziierten Riechstörung gab, wissen wir nicht. Unter Beachtung unserer Messergebnisse sowie der anamnestischen Angaben der Patienten schätzen wir eine Inzidenz der COVID-19-assoziierten Riechstörung von etwa 30 % in unserer SARS-CoV-2-positiven Kohorte von 63 Patienten. Moein et al. (2020) untersuchten in ihrer Studie 60 COVID-19-Patienten mit dem University of Pennsylvania Smell Identification Test, welcher 40 verschiedene Geruchsqualitäten einschließt. Anhand ihrer Testergebnisse gehen die Autoren dieser Studie sogar von einem Riechverlust bei 98 % der COVID-19-Patienten aus [5]. Autoren anderer Studien, deren Datenerhebung unter der Zuhilfenahme von Fragebögen erfolgte, gehen von einer COVID-19 assoziierten Riechstörung in 85,6 % [6], 59 % [7], 39,2 % [8] oder 33,9 % [9] der Fälle aus. Diese erheblichen Unterschiede in der berichteten Inzidenz können z. B. auf methodische Unterschiede im Studiendesign oder auf die national und regional unterschiedliche Selektion der behandelten COVID-19-Patienten zurückzuführen sein. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, bei der etwa 5 % unter einer funktionellen Anosmie leiden [10], liegt hier der Befund einer relativ hohen Inzidenz der olfaktorischen Dysfunktion bei COVID-19-Patienten vor. Literatur über die Inzidenz der nicht-Rhinitis-assoziierten Riechstörungen bei anderen Virusinfektionen der oberen Atemwege, z. B. Influenza, ist rar und schwer zu interpretieren. Die Autoren gehen davon aus, dass diese Inzidenz niedriger ist als die Rate an Hyposmie in unserer Kohorte; dies entspricht der persönlichen klinischen Erfahrung wie auch der Erfahrung der Mitglieder der Konsensusgruppe [4]. Damm et al. (2019) gehen davon aus, dass i. Allg. nur 14 % der Riechstörungen auf eine Infektion im Sinne einer postinfektiösen Hyposmie zurückzuführen sind [11]. Die geringe Inzidenz von gleichzeitiger Rhinitis bei den Hyposmiepatienten in unserer Testgruppe sowie die Persistenz der Hyposmie nach dem Abschwellen der Nasenschleimhäute bei den meisten Patienten deuten eher auf eine neurogene als eine rhinitische Ursache der COVID-19-assoziierten Riechstörung hin. Es wird darüber diskutiert, ob SARS-CoV‑2 über das Riechepithel in das zentrale Nervensystem eindringen und dieses schließlich befallen kann; in den meisten Fällen dürfte es sich jedoch vielmehr um ein lokales Phänomen im Riechepithel handeln [12]. Bemerkenswert ist, dass sich das Riechvermögen nach relativ kurzer Zeit bei allen getesteten Patienten wieder erholte. Dies kann zum Anlass genommen werden, betroffene Patienten hinsichtlich der Prognose des Riechvermögens zu ermutigen.

Fazit für die Praxis

Unsere Beobachtungen ergaben eine geschätzte Inzidenz von ca. 30 % von Hyposmie in der von uns behandelten Gruppe von 63 SARS-CoV-2-positiven Patienten. Die Riechstörung war überwiegend nicht mit rhinitischen Symptomen assoziiert, was auf eine nichtrhinitische, z. B. neurogene Ursache hinweisen kann. Unsere Beobachtungen sprechen dafür, dass sich das Riechvermögen häufig im Laufe von 1–3 Wochen nach Auftreten erholt. Anhaltspunkte für ein gehäuftes Auftreten einer Schmeckstörung ergaben sich nicht. Die hier vorgelegten frühen Ergebnisse, die im Rahmen der Krankenversorgung der ersten SARS-CoV-2-positiven Patienten in Deutschland erhoben wurden, können sowohl bei der Interpretation der COVID-19-assoziierten Hyposmie als auch im Rahmen eines beruhigenden Patentengesprächs angesichts der hier beobachteten temporären Natur der Hyposmie hilfreich sein. Darüber hinaus kann nach unserer derzeitigen Erfahrung eine plötzlich aufgetretene Hyposmie ohne Vorliegen einer neuen Nasenatmungsbehinderung (Rhinitis) das führende oder sogar einzige Symptom einer SARS-CoV-2-Infektion sein.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Bocksberger, W. Wagner, T. Hummel, W. Guggemos, M. Seilmaier, M. Hoelscher und C.-M. Wendtner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.

Literatur

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