Bei der Umsetzung eines Themenhefts der Monatsschrift Kinderheilkunde wird man sich wohl selten so sehr gewünscht haben, die eigene Planung wäre mit einer weniger dramatischen Aktualität des ausgewählten Themas konfrontiert worden. Noch vor wenigen Wochen oder Monaten hätte sich niemand vorstellen können, mit welch ungeheurer Wucht ein neuer Infektionserreger die Welt in unvorstellbarer Geschwindigkeit aus den Bahnen wirft. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Editorials ist noch nicht einmal annähernd abzusehen, womit Deutschland und die Welt in den nächsten Wochen und Monaten konfrontiert sein werden. Die Bilder, Berichte und persönlichen Mitteilungen aus Norditalien aus dem März 2020 lassen das Allerschlimmste befürchten. Spanien und Frankreich sind bereits in ähnliche Notsituationen geraten. Die USA ziehen nach. Die Pandemie kennt keine Grenzen. Die Ermahnungen der Italiener, aus ihren Erfahrungen zu lernen und die gleichen Fehler nicht zu wiederholen, scheinen nur bedingt Gehör zu finden. Europäische und internationale, aber auch gesellschaftliche Solidarität bei uns sind auf dem Prüfstand, und zumindest symbolisch werden Zeichen gesetzt. Viele davon stimmen hoffnungsvoll, viele eher skeptisch. Die Welt nach der Pandemie wird nicht mehr dieselbe sein.
Virusinfektionen ist das Leitthema des vorliegenden Heftes. Ein neues Virus wurde im Dezember 2019 in China erstmalig identifiziert, das als Coronavirus eingeordnet und zunächst als 2019-nCoV, nach aktueller Nomenklatur des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) nun als SARS-CoV‑2 bezeichnet wurde. Die Erkrankung, die dieses Virus auslöst, erhielt von der WHO den Namen „coronavirus disease 2019“ (COVID-19). Noch nie wurde ein neuer Erreger so schnell identifiziert und molekularbiologisch analysiert, aber wohl auch noch nie hat sich ein Virus in derart atemberaubender Geschwindigkeit auf dem Globus ausgebreitet.
Die COVID-19-Pandemie verleiht dem ausgewählten Leitthema eine dramatische Aktualität
Prof. Hufert beschreibt in seinem Beitrag die wichtigsten Aspekte zu den klassischen humanen Coronaviren (HCoV), stellt im zweiten Teil die aktuellen Daten zu SARS-CoV‑2 dar und bewertet sie aus der Sicht des Wissensstands vom 21.03.2020. Manches davon wird bei Erscheinen dieses Hefts möglicherweise bereits nahezu historisch wirken, manches vielleicht prophetisch. In Zeiten sich überschlagender Mitteilungen, geprüfter und ungeprüfter Informationen und begutachteter, aber durchaus auch vieler nichtbegutachteter wissenschaftlicher Beiträge erscheint es umso wichtiger, nüchterne und gesicherte Erkenntnisse zu Coronaviren im Allgemeinen und zu SARS-CoV‑2 im Besonderen zur Verfügung zu stellen.
Die im Tagesgeschäft des Pädiaters weniger beachteten Viren sollten eigentlich im Vordergrund dieses Themenhefts stehen. Es sollte nicht um die respiratorischen Viren wie „respiratory syncytial virus“ (RSV), Influenza- oder Parainfluenzaviren gehen, auch nicht um die klassischen gastrointestinalen Viren wie Rotavirus oder Norovirus. Vielmehr befasst sich zunächst der Beitrag von Prof. Panning mit den Enteroviren. Auch die Enteroviren haben eine gewisse Renaissance erlangt, weniger weil entsprechende Infektionen nach wie vor eine der häufigsten Ursachen fieberhafter Erkrankungen bei Kindern sind, z. T. von Exanthem, z. T. von Durchfällen begleitet. Vielmehr macht seit wenigen Jahren der Enterovirustyp D68 von sich reden, als Ursache einer Erkrankung, die mit akut verlaufenden schlaffen Lähmungen („acute flaccid myelitis“) einhergeht und die der Polio, ebenfalls einer durch Enteroviren (Poliovirusserotypen 1–3) hervorgerufenen Erkrankung, ausgesprochen ähnelt. Vielerorts sind Ausbrüche berichtet worden, sodass die Kenntnis dieser virusbedingten neurologischen Erkrankung wichtig erscheint, um die Diagnose richtig stellen zu können, auch wenn die therapeutischen Optionen begrenzt sind. Wichtig zu wissen auch, dass Enteroviren wahrscheinlich für etwa zwei Drittel und damit mit Abstand am häufigsten ursächlich für Meningitiden und Enzephalitiden im Kindesalter verantwortlich sind.
Im Beitrag von Dr. Elling wird mit den humanen Parechoviren (hPeV), insbesondere dem Typ hPeV‑3, ebenfalls ein „emerging pathogen“ aufgegriffen. Seine Bedeutung als Erreger schwerer systemischer Erkrankungen bei Neugeborenen und jungen Säuglingen mit „septischem“ und „meningitischem“ Krankheitsbild ist noch zu wenig bekannt und weit unterschätzt. Bei jungen Säuglingen mit Sepsis- und/oder Meningitisverdacht sollte differenzialdiagnostisch immer die Suche nach hPeV‑3 mitbedacht werden. Typisch für hPeV-3-Infektionen ist das Fehlen einer Liquorpleozytose trotz meningitischem Bild und trotz des direkten Virusnachweises im Liquor, den man ansonsten am besten an respiratorischen Sekreten führt. Die Kenntnis dieser Erkrankung (und auch der Enterovirusinfektionen im Allgemeinen) ist nicht zuletzt ein wesentliches indirektes Element von „Antibiotic Stewardship“, da mit Nachweis des viralen Erregers eine allfällige Antibiotikabehandlung einer vermeintlich bakteriellen Erkrankung rasch beendet werden kann.
Auch Adenovirusinfektionen, die im Beitrag von PD Dr. Heim behandelt werden, spielen in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle, da sie nicht nur ebenfalls zu den häufigsten Virusinfektionen gehören, sondern in einer erheblichen Zahl von hochfieberhaften Krankheitsfällen zur Bestimmung von Blutwerten Anlass geben, bei denen dann eine starke Konzentrationserhöhung des C‑reaktiven Proteins auffällt. Wenn dabei klinisch auch an eine mögliche Adenovirusinfektion gedacht wird, lässt sich in vielen Fällen eine unnötige Antibiotikatherapie vermeiden.
Im letzten Beitrag geht es um das Parvovirus B19, einen Erreger, den die meisten nur mit Ringelröteln assoziieren, der aber weit mehr an Krankheitsbildern und Komplikationen – gerade bei Patienten mit hämatologischer Grunderkrankung oder Immunsuppression – verursachen kann. Vielleicht am meisten beschäftigt der Erreger die Kinderärztin/den Kinderarzt aber dadurch, dass er zu einem Beschäftigungsverbot bei seronegativen schwangeren Mitarbeiterinnen in der Praxis oder in der Klinik führt.
Ich hoffe, dass dieses Themenheft zu Virusinfektionen trotz der krisenhaften Zeiten Ihr Interesse findet und Sie die Lektüre der Beiträge als lohnenswert und informativ empfinden. Tutto andrà bene, ermutigen uns die italienischen Freunde.
Interessenkonflikt
R. Berner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.