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. 2020 Jun 17;50(3):12–15. [Article in German] doi: 10.1007/s00060-020-7073-6

Jeden Verdacht melden!

Olaf Michel 1,
PMCID: PMC7268957  PMID: 32518431

Die gegenwärtige Corona-Pandemie stellt die Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt die HNO-Ärzte vor große Herausforderungen. Jetzt verdichten sich die Anzeichen, dass eine überstandene SARS-CoV-2-Infektion lebenslange Schäden - etwa bleibende Lungenveränderungen - hinterlassen kann. Damit steht Covid-19 ein Platz auf der Liste der für HNO-Ärzte anerkennbaren Berufskrankheiten zu.

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HNO-Ärztinnen und Ärzte sind am häufigsten unter den ärztlichen Opfern der Covid-19-Pandemie anzutreffen. Das wurde schon vor der weltweiten Ausbreitung der SARS-CoV-2-Erkrankung in Wuhan über Presseberichte deutlich. Auch nach dem 11. März 2020 - der Tag, an dem die Covid-19-Erkrankung von der WHO zu einer Pandemie erklärt wurde - werden medizinische Teams durch Erkrankungen, die sie sich bei ihrer Pflichterfüllung zugezogen haben, auseinandergerissen. Noch ist die Pandemie nicht vorbei, da die Erkrankungszahlen noch immer weltweit steigen und eine gezielte Behandlung oder Prophylaxe trotz aller Anstrengungen nicht in Sicht ist.

Asymptomatische Patienten als Gefahr

Im HNO-Fach Tätige sind durch eine Tröpfchen- oder Schmierinfektion stark gefährdet, da der Nasenraum sowie der Nasen- und Mundrachen das Hauptreservoir von SARS-CoV-2 darstellen. Die Gefährdung gilt für Pflege- und ärztliches Personal gleichermaßen. Die unmittelbare Nähe zur Infektionsquelle aus Nase und Mund des Erkrankten erfordert ein hohes Maß persönlicher Schutzmaßnahmen, die bisher in der Routine unüblich waren und für die teilweise eine ungenügende Versorgung und Ausstattung in der Praxis besteht.

Publikationen, die sich speziell mit Schutzmaßnahmen von HNO-Ärzten beschäftigen, sind daher zu beachten [4] - etwa Schutzbrillen, Schutzvisiere (keine Kontaktlinsen), FFP2-Masken sowie Kittel sind eine Minimalschutzausstattung. HNO-ärztliche Untersuchungen und Operationen wie auch Tracheotomien mit Aerosol-Freisetzung sind auf das Allernötigste zu beschränken. Es wird angeraten, Patienten vor Eingriffen zu testen, da eine große Anzahl der Infizierten asymptomatische Gefährder darstellen.

Neben der Einschränkung sozialer Kontakte wird auch empfohlen, vermeidbare und aufschiebbare Patientenkontakte auf ein Minimum zu beschränken oder gar zu unterlassen. Das ist eine zweischneidige Maßnahme: Schon wird eine "Übersterblichkeit" gesehen, ein Euphemismus dafür, dass Menschen an gewöhnlichen Erkrankungen sterben, da sie nicht oder ungenügend behandelt werden. Das trifft auch Pflegefälle, die auf einen Entscheid warten. Dazu wurde die Fristenregelung des § 49 Abs. 2 Ärztevertrag schon vorübergehend ausgesetzt, ohne jedoch einen Zeitrahmen vorzugeben. Aber: "Eventuelle aus verspätet erstellten Gutachten entstehende Nachteile gehen nicht zu Lasten des Gutachters."

Neue Erkenntnisse deuten an, dass eine überstandene Covid-19-Infektion bleibende Gesundheitsschäden hinterlassen kann. Zunächst wurden Lungenschäden (darunter auch beatmungsinduzierte Schäden) bekannt [1,1001111ann schwere kardiovaskuläre Folgen [1, 3, 8] und schwere Neuropathien [5] wie das Guillain-Barré-Syndrom [7]. Daneben erscheint der häufig berichtete Verlust des Riech- und Schmecksinns [4, 9] fast harmlos, obwohl alle diese Störungen als bleibende Gesundheitsschäden sowohl das private wie auch das professionelle Leben nachhaltig (zer-)stören können.

Covid-19: Berufskrankheit, aber kein Arbeitsunfall

Durch die bleibenden (über 6 Monate hinausgehenden) Gesundheitsbeeinträchtigungen bekommt die Erkrankung Covid-19 die Dimension einer Berufskrankheit (BK) für alle Beschäftigten im Gesundheitsdienst. Ein Arbeitsunfall ist eine Covid-19-Infektion nicht, da es sich bei Covid-19 um eine Pandemie und somit eine Allgemeingefahr handelt, die für Beschäftigte im Gesundheitswesen ein höheres Erkrankungsrisiko durch das Virus bedeutet. Berufskrankheiten werden durch die Bundesregierung per Verordnung in die BK-Liste aufgenommen, die als Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) geführt wird. Was als Berufskrankheit in Frage kommt, bestimmt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates nach Beratung durch den ärztlichen Sachverständigenbeirat, Sektion BK.

Der Gesetzgeber hat die Schwelle zum Melden einer Berufskrankheit sehr niedrig gesetzt. Jeder, der den Verdacht gegeben sieht, kann eine Berufskrankheit dem Unfallversicherungsträger melden: der Betroffene, der Betriebsarzt, die Krankenkasse, der Unternehmer und natürlich die Ärztin oder der Arzt, an den sich der Versicherte in der Regel mit Krankheitserscheinungen wendet. Die Meldung kann völlig formlos erfolgen - mit Ausnahme der Ärzte , die den Vordruck F6000 zwingend verwenden sollen. Eine Verdachtsanzeigepflicht besteht nur für die sogenannten Listen-BK [6], unter die auch die hier in Frage kommende BK 3102 fällt.

Berufskrankheit anzeigen - so wird es gemacht

Gut zu wissen: Für den Unternehmer und den Arzt besteht nach § 202 SGB VII eine gesetzliche Verpflichtung, dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle den Verdacht unverzüglich anzuzeigen. Dies hat in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form (§ 193 Abs. 8 SGB VII) zu erfolgen. Hier geht es unkompliziert zu: das Formblatt lässt sich im PDF- oder DOC-Format von der Internetseite der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) oder von der Homepage der jeweiligen Berufsgenossenschaft herunterladen, so dass ein Ausfüllen - auch durch Praxispersonal - auf dem PC möglich ist.

Die Anzeige ist "unverzüglich", das heißt in der Rechtssprache ohne "schuldhaftes Zögern", zu erstatten. Das Einverständnis des Versicherten ist für die Anzeige einer Berufskrankheit übrigens nicht erforderlich, da eine gesetzliche Pflicht nach § 202 SGB VII zur BK-Anzeige besteht. Der Versicherte selbst ist nicht verpflichtet, eine Mitteilung abzugeben. Allerdings muss es sich um einen "begründeten" Verdacht handeln.

Will man sich näher informieren, dann stehen "Merkblätter" zu den jeweiligen Berufskrankheiten zur Verfügung, die den Zweck verfolgen, Ärzten Hinweise für die Erstattung einer BK-Verdachtsanzeige zu geben [2]. Für die BK Nr. 3101 ist es das Merkblatt für die ärztliche Untersuchung nach Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit (BMA) vom 1. Dezember 2000 [2]. Wenn eine Anzeige bei der zuständigen Stelle eingeht, muss diese durch eine Ermittlung dem Verdacht auf den Grund gehen und alle Maßnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers ergreifen. Im Kern gehört dazu die Ermittlung der "haftungsbedingenden Kausalität". Es muss ermittelt werden, ob ausreichende tätigkeitsbedingte Umstände vorlagen, eine Berufskrankheit zu verursachen.

Für die Meldung auf Verdacht einer Berufskrankheit wird ein Honorar nach der UV-GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte, Gesetzliche Unfallversicherung) nach Nummer 141 (§ 44 Vertrag Ärzte/UV-Träger) gezahlt. Das Honorar bezieht sich nur auf die Anzeige als solche und den damit verbundenen Aufwand, nicht auf weitergehende Leistungen. Für Kopien vorhandener Befunde kann die Nummer 191 UV-GOÄ zum Tragen kommen.

DGUV übernimmt die Kosten für PCR-Test

Unter der BK Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV sind Infektionskrankheiten erfasst, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind und wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig ist. Diese Infektionskrankheiten - von denen einige exemplarisch aufgeführt sind - fallen grundsätzlich dann unter die BK Nr. 3101 der Anlage zur BKV, wenn sie bei Versicherten auftreten, die infolge der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in bestimmten Bereichen einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind [2]. Die Allgemeingefahr einer Infektion tritt wegen des erhöhten beruflichen Risikos in den Hintergrund. Dies trifft für Covid-19 zu. Covid-19 ist zwar nicht explizit im Anhang zum Merkblatt aufgeführt, erfüllt aber alle Kriterien einer von Mensch zu Mensch übertragbaren Infektionskrankheit.

Die DGUV teilt mit: "Hatte eine versicherte Person im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit in einem der genannten Tätigkeitsbereiche direkten Kontakt mit einer Person, die wahrscheinlich oder bestätigt mit Covid-19 infiziert war, und sind nach dem direkten Kontakt Krankheitssymptome aufgetreten, übernimmt der zuständige Gesetzliche Unfallversicherungsträger in diesem Fall die Kosten für einen PCR-Test. Ein direkter Kontakt liegt insbesondere vor bei einer pflegerischen Tätigkeit an der Indexperson, bei einer körperlichen Untersuchung der Indexperson oder bei direktem Kontakt mit Atemwegssekret oder anderen Körperflüssigkeiten. Keine Kosten kann die Gesetzliche Unfallversicherung hingegen für etwaige Screenings, Reihenuntersuchungen oder Testungen übernehmen, die aus Gründen des Patienten- oder Mitarbeiterschutzes beziehungsweise der allgemeinen Gefahrenabwehr durchgeführt werden."

Daher ist auch schon bei Vermutung, auf jeden Fall aber bei positiver Testung oder entsprechenden Krankheitszeichen wie Fieber, Husten, Atemschwierigkeiten eine Verdachtsanzeige mit Vordruck F6000 zu erstatten. Eine Vorstellung bei einem D-Arzt erübrigt sich, da es sich bei einer Infektion mit Covid-19 nicht um einen Arbeitsunfall handelt.

Prof. Dr. med. O. Michel.

Afdelingshoofd dienst KNO

Universitair Ziekenhuis - Vrije Universiteit Brussel UZ-VUB

Laarbeeklaan 101

1090 Brüssel, Belgien

E-Mail: OMichel@uzbrussel.be

Aktuelle Fallzahlen.

Covid-19-Dash- oard des RKI

corona.rki.de

HNO-Corona- News-Ticker.

Infos speziell für HNO-Ärzte von der DGHNO-KHC

www.hno.org/ de/corona

BK-Anzeige.

Formblatt F6000 der DGUV

www.dguv.de

Fazit für die Begutachtung.

Die Verdachtsanzeige auf eine Berufskrankheit ist nach einer Covid-19-Infektion bei einer versicherten Tätigkeit im Gesundheitsdienst Pflicht. Ist eine Covid-19 Infektion nachgewiesen, sind Folgeschäden absehbar oder besteht der Verdacht darauf, ist eine Anzeige zu erstatten, da eine BK 3101 vorliegen kann. Vor dem Hintergrund der sich mehrenden Erkenntnis, dass nicht nur der Tod, sondern auch lebenslange Lungenveränderungen nach Covid-19 auftreten können, ist die Anerkennung einer Berufskrankheit für den HNO-Arzt von entscheidender Bedeutung, wenn Symptome oder Begleiterscheinungen länger als 6 Monate andauern.

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www.springermedizin/covid19

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https://www.springernature.com/gp/ researchers/campaigns/coronavirus

Literatur

  • 1.Bernheim A et al. Radiology. 2020;295:3 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
  • 2.Bundesministerium für Arbeit (2001), Bek. des BMA v. 1.12.2000. BArbBl. 1/2001: 35
  • 3.Clerkin KJ et al. Circulation. 2020;141:1648 [DOI] [PubMed]
  • 4.Lüers J-C et al. Laryngo Rhino Otol. (efirst). doi:10.1055/ a-1095-2344
  • 5.Manji H et al. J Neurol Neurosur Ps. 2020;91:568 [DOI] [PubMed]
  • 6.Michel O. HNO-Nachr. 2017;47:20
  • 7.Toscano G et al. N Engl J Med. (Epub ahead of print) 2020; doi:10.1056/NEJMc2009191
  • 8.Xiong T-Y et al. Eur Heart J. 2020;41(19):1798 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
  • 9.Xydakis MS et al. Lancet Infect Dis. (Epub ahead of print) 2020; doi:10.1016/S1473-3099(20)30293-0
  • 10.Yang X et al. Lancet Respir Med. 2020; 8(5):475
  • 11.Zhu C et al. Heart Lung. (Epub ahead of print) 2020; doi:10.1016/j.hrtlng.2020.04.007

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