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. 2020 Jun 17;50(3):10–11. [Article in German] doi: 10.1007/s00060-020-7058-5

9 Tipps für die Ärztegesundheit

Bernhard Mäulen 1,
PMCID: PMC7268967  PMID: 32518430

HNO-Ärzte stehen - wie das medizinische Personal insgesamt - in Pandemiezeiten vor besonderen Herausforderungen. Oft zahlen sie für ihren Einsatz mit der eigenen Gesundheit. Der folgende Artikel gibt Ratschläge zur Lebensführung, die man als Arzt jetzt besonders beherzigen sollte.

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Die aktuelle Coronakrise ist wie ein Röntgenbild: Es zeigt die großen Stärken und die erheblichen Mängel unseres Gesundheitssystems. Einerseits gibt es eine große Zahl gut ausgebildeter Mediziner, die kompetent, engagiert und mutig ihr Bestes geben, um Menschen zu helfen. Ich bin berührt von diesem Einsatz, für mich zeigt er die hohe Motivation der Ärzte, Patienten zu helfen, selbst wenn das für sie selbst gefährlich sein kann. Der Drang zu helfen hat mich vor vielen Jahren auch bewegt, Arzt zu werden, denn dieser Beruf ist schön, sinnvoll und wichtig für die Menschen. Es hilft jedem Arzt und jeder Ärztin, sich an die eigene Grundlage ihrer Berufswahl zu erinnern!

Engagement und Engpässe im Gesundheitswesen

Die deutschen Ärztinnen und Ärzte haben mit dafür gesorgt, dass in Deutschland ein modernes Gesundheitssystem mit ausreichenden Kapazitäten erhalten blieb, statt noch mehr kaputt gespart zu werden - und dies entgegen den Bemühungen zahlreicher Politiker. Jetzt in der Krise wird sichtbar, dass wir im internationalen Vergleich recht gut aufgestellt sind, z. B. was die Zahl der Beatmungsplätze angeht. Das ist ein Grund, unseren Standesvertretern ausdrücklich zu danken.

Andererseits haben wir es nicht hinbekommen, rechtzeitig ausreichend medizinische Schutzkleidung für Ärzte und Krankenpflegekräfte zu organisieren. Das macht mich fassungslos und wütend, riskiert es doch Gesundheit und Leben genau jener Helfer, die wir in der Krise am meisten brauchen.

Zudem war die Politik nicht bereit, für die Zeitdauer der Pandemie Dokumentations- und Abrechnungsmodalitäten drastisch zu vereinfachen, um Ärzten mehr Zeit am Patientenbett zu ermöglichen. Solange die Allokation knapper Kräfte derart fehlgesteuert bleibt, wird auch die Motivation engagierter Ärzte und Pflegekräfte leiden - das ist unvermeidlich.

Was Ärzte für die eigene Gesundheit tun können

In einer großen Krise können Ärzte schnell ausbrennen. Schon die normale Arbeitslast des Arztes ist überdurchschnittlich, kommen da noch Extradienste in der Corona-Ambulanz hinzu, kann es kräftemäßig eng werden. Angetrieben durch ein sehr starkes Bedürfnis zu helfen angesichts erheblicher Not, treibt sich so mancher Kollege in die völlige Erschöpfung. Auf mittlere Sicht ist damit niemandem gedient, nicht dem Arzt, nicht seiner Familie und auch nicht den Patienten.

Tipp 1: Planen Sie Pausen ein, machen Sie Schluss, wenn Sie an Ihre Grenze kommen. Auch wenn es ab und zu Kollegen/innen gibt, die sieben Tage pro Woche zwölf Stunden arbeiten können, wird dies für das Gros der Ärzte nicht angemessen sein. Finden Sie Ihre persönliche Grenze und bleiben Sie sich dann treu.Vergessen Sie nicht - auch Sie haben einen Körper. Sorgen Sie für ihn!

Tipp 2: Essen und trinken Sie regelmäßig, schlafen Sie mindestens sechs Stunden pro Nacht, bewegen Sie sich! Krise bedeutet Stress für uns Ärzte, wir brauchen Energienachschub, wir brauchen ebenso Stressabbau. Dazu ist eben auch Bewegung angesagt. (Allzu viele Ärzte kommen nach der Arbeit nach Hause und hocken sich vor den PC, das Tablet oder den Fernseher!)

Tipp 3: Wenn Sie selbst krank sind, hören Sie auf mit der Arbeit! Sie sind verantwortlich für Ihre eigene Gesundheit. ("Your first patient is you!") Die Coronakrise hat schon so manchen Arzt das Leben gekostet. Bitte nehmen Sie Ihr eigenes Überleben ernst.

Tipp 4: Überprüfen Sie Ihre Motivation! Wenn aus dem Wunsch zu helfen, der Drang und schlussendlich der Zwang zu helfen wird, egal wie sehr Sie sich selbst gefährden, dann brauchen Sie Hilfe! Seit Jahrzehnten behandele ich Ärztinnen und Ärzte, so manche/r hat mit Überraschung an sich selbst feststellen müssen, dass hinter dem Wunsch zu helfen weit überhöhte Ich-Ideale mit beachtlicher Selbstdestruktivität stehen. Unterschätzen Sie das nicht!

Tipp 5: Rechnen Sie mit heftigen Gefühlen! Selbst erfahrene Ärztinnen und Ärzte haben es im Dienst selten mit Dutzenden von Toten in kurzen Zeiträumen zu tun. Aber genau das - so zeigen uns Erfahrungen aus China, Italien, Spanien - kann in der Pandemie vorkommen. Dafür sind alle, auch wir Ärzte eher schlecht gerüstet; unsere emotionale Belastungsfähigkeit wird erheblich überschritten, das kann bei dem Einen Furcht, beim Zweiten Tränen, beim Dritten Wut auslösen. Gestehen Sie sich und anderen all diese Gefühle zu und drücken Sie sie aus.

Tipp 6: Wappnen Sie sich für extrem schwierige Entscheidungen über Leben und Tod! Auch wenn sich die Situation aktuell beginnt zu entspannen, eine zweite Welle mit vielen Patienten mit schwer gefährdeter Lungenfunktion gleichzeitig ist nicht ausgeschlossen. Dann muss irgend jemand entscheiden, wer einen lebensrettenden Beatmungsplatz bekommt und wer nicht. Unsere bisherige ärztliche Erfahrung deckt dieses Szenario nicht ab, die Seele des Arztes kann hier schnell ans Limit kommen. Drängen Sie die Medizinethiker auf Unterstützung mit ihrem Know-How. Machen Sie dies zu einem Thema in der Leitungskonferenz. Zugleich ist jeder Arzt seinem individuellen Gewissen verpflichtet. Überlegen Sie, was ist Ihre eigene ethische Position, wenn jemand aus Ihrer Familie schwer erkrankt, was könnten Sie akzeptieren und was nicht?

Tipp 7: Treffen Sie Entscheidungen zum Schutz Ihrer Familie. Eine berufliche Virusexposition gefährdet nicht nur Sie, sondern auch Ihre Familie. Manche Kollegen in stark belasteten Bereichen (Notaufnahme, Intensivmedizin etc.) halten auch zu Hause eine Art Quarantäne ein, um die Angehörigen zu schützen. Andererseits versagt ihnen das eine wichtige emotionale Stütze in einer Stresssituation, wo diese familiäre Nähe extrem wichtig und haltgebend sein kann. Vielleicht sind virtuelle Kontakte ein Kompromiss.

"Bitte nehmen Sie Ihr eigenes Überleben ernst!"

Tipp 8: Unterstützen Sie Kollegen und erlauben Sie diesen, Sie zu unterstützen! Das Ausmaß der Krise, der Belastungen, der Aufgaben in der Patientenversorgung ist in der Pandemie hoch. Niemand von uns schafft das alleine. Unterstützen Sie die Kollegen, hören Sie zu, wie es ihnen geht. Teilen auch Sie sich und Ihre Anliegen mit, das kann entscheidend sein. Insbesondere dann, wenn - und damit müssen wir leider rechnen - die Infektion auch jemanden aus unserer Praxis, unserem Krankenhaus, unserem Team, unserem professionellen Zirkel trifft. Wir Ärzte sind keine Roboter, wir sind dann betroffen und leiden, haben aber überwiegend gelernt, darüber hinwegzugehen und einfach weiterzuarbeiten. Das ist angemessen, wenn es um eine Zwölf-Stunden-Schicht als Notarzt geht, aber nicht sinnvoll, wenn wir über Wochen einen Kampf mit einem tödlichen Virus ausfechten.

Tipp 9: Rechnen Sie mit einem erhöhten Gesprächsbedarf, ggf. beim Therapeuten! All das oben Geschriebene läuft darauf hinaus, dass die massiven Gefühle, Ängste, die Wut über die Mängel im System und vieles andere Sie weit überdurchschnittlich umtreiben und belasten werden. Ob auf Teamebene oder individuell, nehmen Sie Gelegenheiten wahr, sich im Gespräch zu entlasten, zu öffnen, Ihre Lasten mitzuteilen. Nein, damit meine ich nicht wochenlange Selbsterfahrungen oder eingehende Psychoanalysen, für die jetzt erkennbar nicht die Zeit ist. Wohl aber therapeutische Krisengespräche, Notfallinterventionen, kurzfristige Supervisionen, um einen lokalen Kollaps zu vermeiden, um Kraft für die nächste Schicht zu finden.

Wir Ärzte haben eine Menge an Einsatzbereitschaft, Mitgefühl, Ressourcen - es wäre schön wenn wir diese auch auf uns als Helfer anwenden.

Dr. med. Bernhard Mäulen.

Leiter des Instituts für Ärztegesundheit

Villingen-Schwenningen

E-mail: Docmaeulen@gmail.com


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