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editorial
. 2020 Jun 22;7(3):3. [Article in German] doi: 10.1007/s15036-020-1343-4

Alles Corona - oder was?

Joachim Labenz 1,
PMCID: PMC7275651

Corona-Virus, COVID-19 oder SARS-CoV-2, Pandemie, Infektionsraten, Reproduktionszahlen und noch viel mehr - wir alle, Laien und Fachleute, beschäftigen uns seit Monaten mit dieser Materie, einer Art Ausbildung der gesamten Bevölkerung in Virologie, Epidemiologie und den Auswirkungen dieser Krankheit und insbesondere ihrer Top-down verordneten Bekämpfungsmaßnahmen auf unser Leben, die persönlichen Grund- und Freiheitsrechte und die Wirtschaft, regional, national und global. Da vieles auf Hypothesen und mathematischen Modellen beruht, deren Richtigkeit erst im Nachhinein geprüft werden kann, wird es noch lange spannende Diskussionen und Auseinandersetzungen geben.

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Bei all diesen Diskussionen um das neue Virus, von dem praktisch jeder direkt oder indirekt betroffen ist, sollten wir nicht vergessen, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen an anderen Krankheiten akut und/oder dauerhaft leidet und letztendlich stirbt - jeden Tag sterben statistisch in Deutschland zirka 2.500 Menschen, ein kleiner Anteil davon an oder mit dem Virus. Die durchaus begründete und nachvollziehbare Angst vor einer Infektion hat dazu geführt, dass das Gesundheitssystem nicht wie befürchtet überlastet wird, sondern sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich deutlich weniger in Anspruch genommen wird als in der Vor-Corona-Zeit. Hierfür kann es nur zwei Gründe geben: Das Gesundheitssystem wurde zuvor überstrapaziert oder die Patienten nehmen es jetzt zu wenig in Anspruch. Wahrscheinlich spielen beide Faktoren eine Rolle. Die gilt es jetzt zu korrigieren. Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist auch eine "statistische Übersterblichkeit" zu interpretieren - beruht sie auf der COVID-19-Infektion oder auf den Auswirkungen eines nicht oder zu spät in Anspruch genommenen Gesundheitssystems? Es bleibt aus Sicht der Gastroenterologen auch spannend zu beobachten, inwieweit sich die Pandemie und ihre Bekämpfung auf Vorsorgeleistungen wie die Koloskopie auswirken wird, eine Erfolgsgeschichte der Prävention, die nachweislich viele Menschenleben gerettet hat. Parallel zu COVID-19 wurde zum 1. April 2020 im neuen EBM die Koloskopievergütung substanziell abgewertet, angeblich, weil man nur noch 18 Minuten für die Leistungserbringung braucht, wo doch wissenschaftlich zweifelsfrei belegt ist, dass die durchschnittliche Zeit bei 32 Minuten liegt und gerade die Zeit für die Untersuchung die entscheidende Stellschraube für die Qualität ist: Je länger man sich die Darmschleimhaut anschaut, um so mehr Krebsvorstufen findet man.

In der Gastroenterologie angekommen

COVID-19 ist mittlerweile auch in der Gastroenterologie angekommen. 20 - 30 % der infizierten Patienten klagen über gastrointestinale Symptome. Bei der Häufigkeit solcher Beschwerden in der Allgemeinbevölkerung bleibt aber noch offen, ob diese Beobachtungen kausal mit der Infektion zusammenhängen oder nur ein unspezifisches Epiphänomen sind, schließlich leiden mindestens so viele Menschen an Reizmagen und Reizdarm. Klar ist aber auch, dass bei etwa der Hälfte der Infizierten Virus-RNA im Stuhl nachzuweisen ist. Damit sind Mitarbeiter in Endoskopieeinheiten in mehrfacher Hinsicht besonderen Infektionsrisiken ausgesetzt: Endoskopien des oberen Verdauungstraktes können nicht mit Mundschutz des Patienten ausgeführt werden und der Mundschutz (des Patienten) wirkt nicht bei Untersuchungen über den Darmausgang. Da der (eigene) Mundschutz nicht vor Infektion schützt, sind andere Schutzmaßnahmen erforderlich.

Patienten mit chronisch entzündlichen Darmkrankheiten stehen häufig unter einer immunsupprimierenden oder immunmodulierenden Therapie. Im Zusammenhang mit der Betreuung dieser Patienten in der Phase der Pandemie treten viele Fragen für die betreuenden Gastroenterologen auf oder werden an sie herangetragen, für die es kein Lehrbuchwissen gibt. Gerade vor dem Hintergrund ist der aktuelle, konzise Up-to-date-Überblick von Rothfuss und Stange eine wertvolle Hilfe für Gastroenterologen in Klinik und Praxis.

Intelligente Digitalisierungsstrategien

Die Corona-Krise mit ihren Präsenzbeschränkungen wird den dringend notwendigen Prozess der Digitalisierung in vielen Bereichen beschleunigen, sie hat aber auch gezeigt, dass ein Arzt-Patienten-Kontakt nicht 1: 1 digital ersetzt werden kann. Vielmehr wird es darum gehen, durch intelligente Digitalisierungsstrategien Bürokratie abzubauen und Arztzeit für unsere Patienten zu gewinnen. Künstliche Intelligenz zur Verbesserung unserer Diagnose- und Behandlungsqualität ist ein Versprechen für die Zukunft, die Steuerung des Einsatzes soll und muss aber weiterhin der ärztlichen Kontrolle unterliegen.

Abseits von Corona finden sich lesenswerte und aktuelle Übersichten zum häufigen Befund des Eisenmangels und zum transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunt, einem wichtigen Verfahren bei Patienten mit bedrohlichen oder anderweitig therapierefraktären Folgen einer portalen Hypertension. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre der aktuellen Ausgabe von GASTRO NEWS.

Prof. Dr. med. Joachim Labenz.

Diakonie Klinikum, Jung-Stilling-Krankenhaus Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Marburg Wichernstraße 40, 57074 Siegen

E-Mail: J.Labenz@t-online.de


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