Im März 2020 haben das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) eine "Task Force" gegründet, um mögliche Veränderungen in der onkologischen Versorgung während der COVID-19-Pandemie frühzeitig aufzudecken. Das Frühwarnsystem zeigt: Zusammenarbeit ist wichtig, aber mit seinen Netzwerken ist die onkologische Versorgung in Deutschland gut bei derartigen Krisen aufgestellt.
Auslöser für die Gründung der Task Force waren Hinweise vom DKFZ, der Deutschen Krebshilfe und auch den Krebsberatungsstellen der Landeskrebsgesellschaften. Patienten berichteten, dass sie Angst haben, im Rahmen der COVID-19-Pandemie keine oder keine optimale Behandlung ihrer Erkrankung zu erhalten. Es gab aber nur sehr vereinzelt konkrete Darstellungen, dass hier und da etwas tatsächlich nicht optimal klappt, berichtet DKG-Präsident Olaf Ortmann vom Comprehensive Cancer Center (CCC) Ostbayern in Regensburg. Er ist einer der Köpfe der Task Force, zu der außerdem der Vorstandsvorsitzende des DKFZ, Michael Baumann, und der Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven, gehören.
Fast 40 Zentren beteiligt
Die Informationen aus der Krebsberatung waren dennoch ein Anlass, um die Task Force als ein Frühwarnsystem zu installieren, das die aktuelle Versorgungssituation regelmäßig erfasst, analysiert und informiert. Nach einer orientierenden ersten mündlichen Umfrage unter den Onkologischen Spitzenzentren/CCC wurde für die Datenerfassung eine strukturierte elektronische Umfrage etabliert. Zunächst wurden dabei wöchentlich nur die 18 CCC in Deutschland befragt. Seit der 16. Kalenderwoche wurde die Stichprobe um einige große und über die ganze Bundesrepublik verteilte DKG-zertifizierte onkologische Zentren auf knapp 40 befragte Zentren erweitert.
Gesamtes Spektrum der Krebsversorgung abgefragt
Die Befragung betrifft alle für die Versorgung der Krebspatienten wichtigen Bereiche, erklärt Ortmann: "Es wird ein Katalog über zehn Segmente der Krebsversorgung hinweg strukturiert abgefragt - von der Früherkennung und Diagnostik über die operative, medikamentöse, Strahlentherapie bis hin zur Psychoonkologie und zur Nachsorge, um ein umfängliches Bild über alle Facetten der Krebsmedizin zu bekommen." Auch die Situation der Forschung wird abgefragt - das ist schließlich ein Schwerpunkt der CCC. Durch die eigene ambulante Versorgung und Vernetzung der DKG-zertifizierten Zentren mit ambulanten Partnern werde auch dieser Bereich indirekt mit abgedeckt, sagte Ortmann.
Aus- und Bewertung
Die wöchentlich erhobenen Daten werden laufend analysiert. Mindestens einmal wöchentlich bewerten die drei Mitglieder der Task Force in Videokonferenzen die Ergebnisse und beraten über mögliche Konsequenzen. Das können zum Beispiel eine Stärkung der Beratungstätigkeit oder Strukturierungshinweise sein. Veröffentlicht würden die Angaben nicht. Es seien ja nur Selbstangaben der beteiligten Zentren, erläuterte Ortmann und versichert, die brächten dem Gremium aber ein gutes Bild der Gesamtsituation.
Aufgeschobene Untersuchungen
Ortmann berichtete, dass Einschränkungen in mehreren Bereichen der onkologischen Versorgung gemeldet worden seien. Das betreffe beispielsweise Behandlungsschemata, die - soweit klinisch vertretbar - verkürzt oder verschoben wurden. Nur in Einzelfällen sei es aber zur Verschiebung einer dringlichen Behandlung gekommen. "Wir können derzeit sagen, wir habe keine relevante Bedrohung der Krebsversorgung", betonte Ortmann, verweist aber auf mögliche zukünftige Probleme: "Wir schieben möglicherweise eine Bugwelle von Patienten vor uns her". Gravierende Einschränkungen betreffen nämlich in allen Teilen Deutschlands Früherkennungsuntersuchungen, die Abklärung von möglichen Krebserkrankungen und Nachsorgeuntersuchungen, die verschoben oder ausgesetzt werden. Die Folge könnte eine verzögerte Diagnosestellung und in einigen Fällen die Diagnose in einem fortgeschrittenen, schlechteren Stadium und damit mit schlechteren Chancen auf eine guten Therapieerfolg oder eine Heilung sein.
Prognosen bleiben schwierig
Aktuell sind die Systeme vor allem rund um die Hotspots in bestimmten Regionen unter Druck. Auf die letzten Wochen zurückblickend sagte Ortmann: "Wir haben eine Infektionswelle gehabt, aber keinen Tsunami. Das ganze Problem ist milde über uns hinweggegangen. Bislang ist allerdings unklar, wie die COVID-19-Pandemie weitergehen wird." Prognostiziert werden weitere Infektionswellen. Eine Rückkehr zur Normalität wie vor der Pandemie kann es erst einmal nicht geben, dagegen stehen schon die rechtlichen Verfügungen in den jeweiligen Bundesländern. "Es wird ein Leben mit COVID-19 werden und zwar über eine lange Zeit", ist Ortmann überzeugt. Die Aufmerksamkeit für die Infektion, Strategien zur Infektionseindämmung, spezielle Schutzmaßnahmen und Testungen werden sich an die jeweilige infektiologische Situation vor Ort anpassen müssen. "Da wird es starke regionale Unterschiede geben", ist Ortmann überzeugt, äußerte im Gespräch aber auch optimistisch, dass ein Normalbetrieb mit gewissen Einschränkungen durchgeführt werden kann und diese Einschränkungen je nach Situation in der Region auch relativ gering sein können. Alles in allem glaubt er, dass alle Menschen, die zeitnah Behandlungen benötigen, auch behandelt werden können.
Patienten bewegen sich
Neben den Einschränkungen an den Kliniken sind derzeit allerdings manche Probleme auch patientenbedingt: Sie nehmen Untersuchungen und Behandlungen teilweise aus Angst vor der SARS-CoV2-Infektion nicht wahr. "Bei Laien sind Ängste im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten sehr emotional geprägt", ist Ortmanns Einschätzung. Es lässt sich seiner Erfahrung nach aber bereits eine Veränderung feststellen: "Wir merken, dass mit den ersten Schritten zur Normalität im sonstigen Leben, wie der Wiedereröffnung von Geschäften, die Patienten auch wieder mehr geneigt sind, sich an die Klinik zu wenden, um sich vorzustellen oder eine Behandlung durchführen zu lassen. Die Task Force rät allen Patienten, Untersuchungstermine zur Abklärung verdächtiger Symptome und eventuell verschobene Therapien unbedingt so bald wie möglich wahrzunehmen. Entsprechend beraten auch der Krebsinformationsdienst des DKFZ, das INFONETZ KREBS der Deutschen Krebshilfe und die Patienteninformation der Landeskrebsgesellschaften.
Netzwerken ist wichtig!
Den CCC und onkologischen Zentren mit ihren Netzwerken rät Ortmann, dass an einzelnen Kliniken entstehende Versorgungslücken durch anderen Partner aus dem regionalen Netzwerk des jeweiligen Zentrums zu kompensieren. Das CCC Ostbayern habe beispielsweise alle Kooperationspartner in der Region (andere onkologische Zentren, Organkrebszentren etc.) befragt, wie die Versorgungssituation aussehe, wo Lücken seien oder auch freie Kapazitäten. Ratsuchende Patienten, die sich an die Beratungsstellen oder direkt an ein Zentrum wenden, könnten so rasch die Information erhalten, ob die Untersuchung oder Behandlung im eigenen Zentrum oder bei einem anderen Versorger des Netzwerks möglich sei. Diese Kooperation sei eine wirkliche Stärke des Systems, betonte Ortmann.
Klinisches Leben mit COVID-19
COVID-19 wird das klinische Leben noch eine ganze Weile prägen und die Systeme weiter kontinuierlich belasten. Ortmann empfiehlt, dass die regionalen Netzwerke weiterhin regelmäßig die Situation vor Ort analysieren. Einerseits werden weiter Kapazitäten für COVID-19-Patienten benötigt oder freigehalten werden müssen. Andererseits müssen Patienten mit anderen Erkrankungen, die zeitnah behandelt werden sollten, versorgt werden. Im Falle von Krebserkrankungen ist die Dringlichkeit abhängig von der Krebsart und der Situation des einzelnen Patienten. Außerdem ist die Behandlung von Krebspatienten mit COVID-19 eine besondere Herausforderung.
DKFZ, DKG und Deutsche Krebshilfe ziehen an einem Strang
Wegen der anhaltenden Herausforderungen wird die Task Force weiter wöchentlich die beteiligten CCC und onkologischen Zentren befragen. Ortmann lobte die gute Zusammenarbeit zwischen DKFZ, DKG und Deutscher Krebshilfe. "Wir haben auch in der Vergangenheit schon einen intensiven Austausch gepflegt, der sich an diesem Thema aber noch einmal intensiviert hat. Die Task Force ist ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit und die schnelle Reaktionsfähigkeit." Seine Lehre aus der Pandemie: "Kooperation ist essenziell!" Kooperation und Transparenz der regionalen Netzwerke können helfen, Engpässe in Diagnostik und Therapie von Krebspatienten zu kompensieren. "Mit diesen Strukturen war das System der Krebsversorgung in Deutschland überwiegend sehr gut auf eine solche Krise vorbereitet."
Informationen für Krebspatienten in der COVID-19-Pandemie.
Die Patienteninformationsdienste von DKFZ und Deutscher Krebshilfe stellen seit Beginn der COVID-19-Pandemie zusätzliche Informationen für Krebspatienten zur Verfügung. Beide Dienste haben ihre Kapazitäten verstärkt, um den derzeitigen Ansturm von Nachfragen bewältigen zu können.
Krebsinformationsdienst des DKFZ: Tel: 0800 - 420 30 40, E-Mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de
INFONETZ KREBS der Deutschen Krebshilfe: Tel. 0800 - 80 70 88 77, E-Mail: krebshilfe@infonetz-krebs.de
Die 130 Beratungsstellen der 16 Landeskrebsgesellschaften sind über eine Landkarte hier zu finden: https://www.krebsgesellschaft.de/ landeskrebsgesellschaften.html

