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. 2020 Aug 21;18(8):810–814. [Article in German] doi: 10.1111/ddg.14194_g

Systemische Immunsuppression in Zeiten von COVID‐19: Müssen wir umdenken?

Stephan Grabbe 1,, Stefan Beissert 2, Alexander Enk 3
PMCID: PMC7460968  PMID: 32881269

Zusammenfassung

Die aktuelle SARS‐CoV‐2 Pandemie gefährdet vor allem ältere Menschen mit kardiopulmonalen und metabolischen Vorerkrankungen. In aktueller Diskussion ist jedoch auch, ob Patienten unter immunsuppressiver Therapie ebenfalls ein höheres Risiko haben, im Fall einer COVID‐19‐Erkrankung einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden. Grundsätzlich gibt es derzeit jedoch keine Datenlage für eine generelle Reduktion oder Pausierung einer Immunsuppression bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen in Zeiten der SARS‐CoV‐2‐Pandemie. Da es jedoch derzeit weder eine wirksame Therapie, noch einen entsprechenden Impfschutz gibt, sollten wir uns gezielt mit der Problematik chronisch‐immunsupprimierter Patienten beschäftigen. Um Risiken für Patienten zu minimieren, sollte die Indikation für eine solche Therapie mit besonderer Sorgfalt gestellt werden. Insbesondere sollten Immuntherapeutika, die langfristige Effekte erzeugen (zum Beispiel Rituximab) mit besonderer Vorsicht eingesetzt werden. Demgegenüber könnten immunmodulierende Substanzen, die keine Immunsuppression induzieren (zum Beispiel systemische Immunglobuline, Doxycyclin) oder die intrinsische Wirkungen auf SARS‐CoV‐2 haben (Calcineurininhibitoren, Chloroquin, Hydroxychloroquin), eine sinnvolle Alternative darstellen.

Effekte von SARS‐CoV‐2 auf das Immunsystem

Viren aktivieren das angeborene Immunsystem (vor allem Makrophagen, dendritische Zellen und andere myeloische Zelltypen) über eine Bindung an Pattern‐Recognition‐Rezeptoren, zu denen die Toll‐like‐Rezeptoren (TLR) an der Zellmembran und im Endosom sowie die zytoplasmatischen Inflammasom‐Aktivatoren gehören 1. Diese führen zu einer Produktion von Typ‐1‐Interferon und einer Vielzahl von inflammatorischen Zytokinen. Auf diese Weise wird das adaptive Immunsystem (vor allem T‐ und B‐Zellen) aktiviert, die Expansion von viruserkennenden T‐Zellen sowie die Bildung von neutralisierenden Antikörpern stimuliert und das Virus zumeist eliminiert. Während dies der Normalfall auch bei COVID‐19‐Patienten ist, kann das Virus bei einzelnen Patienten eine Hyperaktivierung des Immunsystems verursachen, die dann das klinische Bild des acute respiratory distress syndrome (ARDS) auslöst. Typische Befunde hierfür sind neben der zunehmenden Atemnot vor allem die maximal erhöhten Entzündungsparameter und inflammatorischen Zytokine (vor allem IL‐6, IL‐1ß, IL‐17) im Serum. Neutrophilie, Lymphopenie sowie das Verhältnis dieser beiden Leukozytenpopulationen zueinander, das Ausmaß der Erhöhung von Ferritin, CRP, IL‐6, D‐Dimeren und Fibrinogen und die Sauerstoffsättigungsparameter (SaO2/FiO2) eignen sich als Prognoseparameter für den Krankheitsverlauf 2, 3, 4, 5, 6. Die Laborparameter bei schwerem COVID‐19‐Erkrankungsverlauf ähneln stark denen bei hämophagozytischer Lymphohistiozytose (HLH), die im Zuge von hämatologischen Neoplasien oder auch als Nebenwirkung einer Immuncheckpoint‐Inhibitor‐ oder CAR‐T‐Zell‐Therapie auftreten kann 7. Die maximale Entzündungsreaktion (Hyperinflammation) gab den Anlass für die klinische Prüfung von Zytokinantagonisten (anti‐IL‐6: Tocilizumab, IL‐1RA: Anakinra, anti‐IL‐1ß: Canakinumab) oder die Gabe von Glukokortikoiden bei schweren SARS‐CoV‐2‐Infektionen.

Neben der Hyperinflammation zeigt sich jedoch bei den meisten Patienten im weiteren Verlauf eine Erschöpfung vor allem des adaptiven Immunsystems (immune exhaustion), einhergehend mit zunehmender Lymphopenie und verminderter Aktivierbarkeit von T‐Zellen, erkennbar unter anderem an einer Expression der Oberflächenmarker PD‐1 und TIM‐3 8, 9. Dieser Erschöpfungszustand des Immunsystems nach Hyperaktivierung, vergleichbar mit einer muskulären Erschöpfung nach extensiver sportlicher Betätigung, führt letztlich zu einem Zusammenbrechen der antiviralen Immunantwort und zum Tod des Patienten. Aus diesem Grund wird wiederum die frühzeitige therapeutische Gabe von Glukokortikoiden bei dieser Erkrankung sehr kontrovers diskutiert, zumal diese bei anderen schweren Virusinfektionen meist ebenfalls kontraproduktiv ist 10, 11. Allerdings können hochdosierte Glukokortikoide bei bereits hospitalisierten Patienten im späteren Krankheitsverlauf hilfreich sein 12.

Immunsuppression – ein Risiko für schwere Verlaufsformen einer COVID‐19‐Erkrankung?

Aufgrund der komplexen Immunregulation bei SARS‐CoV‐2‐Infektionen, bei der ein Zuviel an Immunaktivierung letztlich das Versagen der Immunkontrolle des Erregers und der Entzündungsregulation bedingt, stellt sich die Frage, wie Patienten auf diese Infektion reagieren, deren Immunsystem therapeutisch verändert ist. Erste, noch sehr präliminäre Erkenntnisse hierzu liegen bereits vor; mehrere Publikationen berichten übereinstimmend, dass die Erkrankung bei aufgrund einer Herz‐ oder Nierentransplantation immunsupprimierten Patienten einen deutlich schwereren Verlauf nimmt und in etwa 20–30 % der Patienten tödlich verläuft 13, 14, 15, 16, 17. Demgegenüber war die Sterberate bei Patienten mit chronisch inflammatorischen Darmerkrankungen nicht signifikant erhöht, wobei jedoch auch nur eine Minderheit dieser Patienten Immunsuppressiva in höherer Dosis eingenommen hatte 18. Auch bei systemtherapierten Psoriasis‐Patienten fand sich kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf 19, 20. Ein Einzelfallbericht schildert jedoch einen schweren Verlauf bei einem Vasculitis‐Patienten unter Rituximab 21. Aufgrund ihrer profunden und langfristigen Wirkung auf die Antikörperproduktion scheint die Gabe von B‐Zell‐depletierenden Anti‐CD20‐Antikörpern in diesem Zusammenhang besonders problematisch zu sein, obwohl belastbare Studien hierzu bislang noch fehlen. Insgesamt lassen die bisherigen Daten vermuten, dass eine hochdosierte und langdauernde Immunsuppression den Krankheitsverlauf bei COVID‐19 verschlechtern kann und mit einem höheren Sterberisiko assoziiert ist.

Manches deutet also darauf hin, dass eine therapeutische Immunsuppression zumindest bei multimorbiden Patienten mit vorgeschädigten Organen oder Herz‐Kreislauf‐Schäden das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs einer SARS‐CoV‐2‐Infektion erhöhen könnte. Auch wenn Di Altobrando et al. 22 keine Hinweise für einen besonders schweren Erkrankungsverlauf bei Patienten mit blasenbildenden Dermatosen fanden, sollte darüber nachgedacht werden, ob die Indikation für eine potente Immunsuppression bei dermatologischen Erkrankungen in Zeiten der Corona‐Pandemie strenger gestellt werden muss, zumal blasenbildende Autoimmunerkrankungen, Kollagenosen, Medikamentenallergien oder Vaskulitiden typischerweise bei älteren Patienten mit Komorbidität auftreten, die ohnehin mit dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs assoziiert sind. Dies gilt jedoch nicht für alle Immunsuppressiva und Immuntherapeutika gleichermaßen, da die Substanzen unterschiedliche Wirkmechanismen haben und manche dieser Substanzen keine oder fast keine supprimierenden Effekte auf das Immunsystem als Ganzes haben. Aus Zulassungsstudien und Registerdaten ist bekannt, dass die Therapie mit den meisten Biologika nicht mit einem nennenswert erhöhten Risiko für Viruserkrankungen assoziiert ist. In einer kürzlich erschienenen Metaanalyse fanden sich analog hierzu keine Hinweise auf einen schweren Krankheitsverlauf einer SARS‐CoV‐2‐Infektion unter Therapie mit TNF‐, IL‐1‐ oder IL‐6‐Blockern 23, 24, und die beiden letzteren werden sogar erfolgreich zur Therapie der SARS‐CoV‐2 induzierten Hyperinflammation verwendet. Auch für andere Immunsuppressiva (Methotrexat [MTX], Azathioprin, JAK‐Inhibitoren, Tacrolimus) fanden sich bislang keine entsprechenden Hinweise. Ein Bericht über eine Covid‐19‐Erkrankung bei 86 Patienten mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen der Haut, der Gelenke und des Darms, die mit diversen Immunsuppressiva behandelt wurden, zeigte eine Hospitalisationsrate, die mit der COVID‐19‐Entwicklung in der Allgemeinbevölkerung vergleichbar war 24. Auch zu den Effekten einer Dauertherapie mit Glukokortikoiden auf den Verlauf einer COVID‐19‐Erkrankung gibt es bislang nur wenige Daten. Allerdings fanden sich in einer ersten diesbezüglichen Untersuchung ebenfalls keine Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe bei Cortison‐vorbehandelten Patienten, wobei jedoch Dosis und Dauer der Steroidtherapie nicht erfasst wurden 25.

Zusammengefasst finden sich somit derzeit keine Hinweise für einen generell aggravierten Infektionsverlauf einer COVID‐19‐Erkrankung unter Immunsuppression.

Therapieüberlegungen für die Behandlung von dermatologischen Autoimmunerkrankungen

Einige Immuntherapeutika scheinen jedoch allein aus pharmakologischen Gründen im Zusammenhang mit einer SARS‐CoV‐2‐Infektion besonders unproblematisch zu sein. Hierzu gehören insbesondere Chloroquin und Hydroxychloroquin. Über eine mögliche therapeutische Wirksamkeit von Chloroquin oder Hydroxychloroquin bei einer COVID‐19‐ Erkrankung wurde bereits in der Laienpresse spekuliert, sodass diese Substanzen vielfach als unkritisch für die Dauerbehandlung von Patienten mit Autoimmunerkrankungen angesehen werden. Borba et al. 26 berichten jedoch über eine randomisierte klinische Studie zur Therapie von fortgeschrittenen, schweren COVID‐19‐Krankheitsverläufen mit hochdosiertem Chloroquin (1200 mg/Tag), die eine erhöhte Letalität in der Chloroquin‐behandelten Gruppe ergab. Demnach ist die Therapie mit Chloroquin (oder Hydroxychloroquin) bei bereits fortgeschrittener COVID‐19‐Erkrankung wahrscheinlich nicht effektiv oder sogar kontraproduktiv. Im Gegensatz dazu gibt es zumindest eine pharmakologische Erklärung für eine mögliche prophylaktische Effektivität dieser Substanz als Schutz vor einer SARS‐CoV‐2‐Infektion, da Chloroquin die endosomale NADPH‐Oxidase und die Virusaufnahme in die Zellen hemmt 27, 28, 29. In der Klinik scheint jedoch die langfristige therapeutische Einnahme von Hydroxychloroquin in Patienten mit systemischem LE nicht vor einer Covid‐19‐Erkrankung oder einem schweren Verlauf zu schützen 30, 31. Somit gibt es derzeit keine Hinweise, dass die Therapie mit Chloroquin oder Hydroxychloroquin negative oder schützende Effekte auf eine SARS‐CoV‐2‐Infektion hat oder den Infektionsverlauf ändert.

Auch Ciclosporin scheint eher weniger problematisch zu sein, da durch diese Substanz zum einen die humorale Immunität nur gering beeinflusst wird und auch bei Langzeittherapie keine erhöhten Raten von viralen Infektionen beschrieben wurden 32 und zum anderen, weil Cyclosporin eine intrinsische antivirale Aktivität, auch gegen Coronaviridae, aufweist 33.

Für die Behandlung des bullösen Pemphigoids existiert neben den systemischen Glukokortikoiden auch die Option einer Therapie mit Tetracyclin, Nicotinamid und topischem Clobetasol, die in einer kürzlich erschienenen Langzeitstudie ohnehin einen Überlebensvorteil für die meist älteren und multimorbiden Patienten ganz unabhängig von einem SARS‐CoV‐2‐Infektionsrisiko zeigte 34. Diese in Deutschland derzeit wenig verbreitete Therapiealternative sollte aus Sicht der Autoren daher aktuell stärker in Betracht gezogen werden.

Die Gabe von intravenösen Immunglobulinen bildet eine weitere, besonders interessante Alternative zu herkömmlichen Immunsuppressiva. Dies gilt insbesondere für alle blasenbildenden Autoimmunerkrankungen der Haut, aber auch für die meisten Kollagenosen, neurologischen Autoimmunerkrankungen, Skleromyxödem, schwere Medikamentenallergien (beispielsweise toxische epidermale Nekrolyse) und Vaskulitiden, für die diese Therapie nach Maßgabe der europäischen S1‐Leitlinie eine therapeutische Alternative darstellt 35. Interessanterweise gibt es sogar Hinweise darauf, dass gängige kommerziell erhältliche Immunglobulin‐Präparate Antikörper enthalten, die gegen SARS‐CoV‐2 reaktiv sind 36, wahrscheinlich aufgrund einer Kreuzreaktivität mit herkömmlichen Coronaviren, mit denen die Spender Kontakt hatten. Zudem gibt es auch bereits Veröffentlichungen, die über einen erfolgreichen therapeutischen Einsatz von Immunglobulinen bei schwerem COVID‐19‐Erkrankungsverlauf berichten 37. Insofern kann die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen nicht nur die Grundkrankheit bessern, ohne dass eine Immunsuppression in Kauf genommen werden muss, sondern möglicherweise sogar darüber hinaus einen gewissen Schutz vor SARS‐CoV‐2‐Infektionen bieten, sodass diese Therapieoption insbesondere bei Patienten mit weiteren Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer SARS‐CoV‐2‐Infektion in Erwägung gezogen werden sollte.

Schlussfolgerung und Empfehlungen

Die aktuelle SARS‐CoV‐2‐Pandemie stellt uns vor neue Herausforderungen, nicht zuletzt auch in der Auswahl von Immuntherapeutika zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Substanzen erscheint ebenso geboten wie eine sorgfältige wissenschaftliche Analyse der Erkrankungsverläufe von immunsupprimierten Patienten mit COVID‐19‐Erkrankung.

Grundsätzlich gibt es derzeit keine Datenlage für eine generelle Reduktion oder Pausierung einer Immunsuppression bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen, da das Risiko einer Untertherapie dieser zumeist schweren Erkrankungen deutlich höher als das eines aggravierten Infektionsverlaufs einer COVID‐19‐Erkrankung ist. Gleichwohl sollte aufgrund ihrer pharmakologischen Wirkungen die Indikation für eine langfristige und hochdosierte systemische Steroidtherapie ebenso wie für eine Therapie mit Anti‐CD20‐Antikörpern aktuell besonders streng gestellt werden.

Interessenkonflikt

Keiner.

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