Forscher konnten jetzt in einer Autopsie-Studie neue Erkenntnisse speziell zu den morphologischen und molekularen Mechanismen der vaskulären Schädigung bei schweren COVID-19-Verläufen gewinnen.
Welche spezifischen pathobiologischen Prozesse unterscheiden die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöste COVID-19-Infektion als Ursache eines akuten Atemwegsyndroms (ARDS) von anderen Ursachen wie Influenza-Infektionen? Eine Studie internationaler Forscher, darunter auch deutsche Wissenschaftler der Unikliniken in Wuppertal und Hannover, gibt darüber jetzt genaueren Aufschluss. Das Team um Erstautor PD Dr. Ackermann, Wuppertal, hat die Ergebnisse im "New England Journal of Medicine" publiziert.
Untersuchung von Lungen verstorbener Patienten
Die Forscher beschreiben darin erstmals einen Pathomechanismus aus Blutgefäßneubildung und Entzündung, der nach ihrer Ansicht von wesentlicher Bedeutung für den Schweregrad der COVID-19-Erkrankung ist. Im Vergleich zum Influenza-Virus schädigt das SARS-CoV-2-Virus offenbar bevorzugt Zellen des Blutgefäßsystems, was zu einer deutlichen Einschränkung des Blutflusses in den Organen führt. "Über 80% des Lungengewebes besteht aus kleinsten Blutgefäßen. Selbst feine Schädigungen führen zu Einschränkungen des Blutflusses. Das kann in kürzester Zeit lebensbedrohlich werden, da mit sogenannten Mikroembolien gerechnet werden muss", so Ackermann.
Ackermann und seine Kollegen haben in ihrer Studie jeweils sieben Lungen von verstorbenen Patienten mit ARDS infolge COVID-19- bzw. Influenza-Infektion sowie zehn Kontroll-Lungen von nicht infizierten Verstorbenen auf Veränderungen im peripheren Lungengewebe untersucht. Als gemeinsames morphologisches Schädigungsmuster bei COVID-19- wie auch Influenza-Infektion stellten sie eine diffuse alveoläre Schädigung mit Infiltration perivaskulärer Lymphozyten fest.
In den vom SARS-CoV-2-Virus befallenen Lungen fielen ihnen drei charakteristische angiozentrische Merkmale auf. Beschrieben werden sie als:
mit dem intrazellulären SARS-CoV-2- Virus einhergehende schwere Endothellschädigung mit Zerstörungen der Endothelzellmembran
ausgedehnte Gefäßthrombose mit Mikroangiopathie und Verschlüssen der alveolären Kapillaren und
ausgeprägte, durch seine sogenannte intussuszeptive Angiogenese angeregte Gefäßneubildung.
Wie eine Abstoßungsreaktion nach einer Organtransplantation
Vor allem die verstärkte vaskuläre Angiogenese macht nach Auffassung der Wissenschaftler den Unterschied in der pulmonalen Pathobiologie zwischen COVID-19- und Influenza-Infektionen aus. Anders als das Grippevirus befällt das SARS-CoV-2-Virus vornehmlich die Endothelzellen der Gefäßwände. Die hervorgerufene Endothelschädigung führe insbesondere in den kleinen und kleinsten Gefäßen der Lunge zu einer gesteigerten, durch T-Zellen vermittelten Entzündungsreaktion. Sie gleiche einer Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation.
"Wir konnten zusätzlich aufzeigen, dass durch die Störung des Blutflusses eine spezielle Form der Blutgefäßneubildung, eine sogenannte intussuszeptive Angiogenese, angeregt wird", erläutert Prof. Kvasnicka, Wuppertal. Im Zuge dieser speziellen Gefäßneubildung komme es zu einer weiteren Aktivierung des Entzündungsprozesses. Nach Einschätzung von Kvasnicka sprechen die neuen Forschungsbefunde dafür, ,,dass die generalisierten Komplikationen bei dieser Erkrankung maßgeblich auf den Gefäßschaden zurückzuführen sind".
Ob sich aus diesen Erkenntnissen neue Ansatzpunkte für die Behandlung von schwer an COVID-19 erkrankten Patienten ergeben können, ist noch unklar.
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