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. 2020 Sep 21;68(9):660–661. [Article in German] doi: 10.1007/s15011-020-3296-5

Gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung der Gleichheitssatz?

Peter Elsner 1,
PMCID: PMC7485185

Ius respicit aequitatem" - "das Recht achtet die Gleichheit", lautet der "Gleichheitssatz", den vermutlich jeder Jurastudierende bereits im ersten Semester lernt. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist eine Grundlage des Rechtsstaates und in der deutschen Verfassung in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz kodifiziert: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Der Gleichheitssatz gebietet der staatlichen Gewalt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

Das Bundesverfassungsgericht arbeitete diese Verpflichtung in einem Urteil 1992 noch differenzierter heraus: "Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muss also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden".

Was will der Verfasser mir sagen, werden Sie, liebe Kollegin, lieber Kollege, bei diesen Ausführungen denken, das kenne ich alles, und die Gleichheit vor dem Gesetz ist doch selbstverständlich. Selbstverständlich ist diese Grundlage unseres Rechtsstaates leider nicht, denn in vielen Ländern dieser Welt ist der Rechtsstaat auf dem Rückzug. Er muss durch Engagement seiner Bürger stets neu gesichert und bewahrt werden. Auch in Deutschland müssen wir daher - speziell in Corona-Zeiten - wachsam sein, dass der Gleichheitssatz nicht missachtet wird und es so zu unerwünschten Folgen für die medizinische Versorgung kommt.

Ich nenne Ihnen ein aktuelles Beispiel: Mit dem Beginn der Coronapandemie wurden die Krankenhäuser aufgefordert - im Bereich von Kliniken in öffentlicher Trägerschaft angewiesen -, Bettenkapazitäten für COVID-19-Patienten freizuhalten. Dies war auch retrospektiv eine sinnvolle und nachvollziehbare Maßnahme der Politik, um "italienische Verhältnisse" mit einem Mangel an Intensivbetten und Beatmungskapazitäten zu vermeiden, auch wenn später die Kapazitäten vielfach nicht ausgeschöpft wurden - das konnte man vorher nicht wissen. Als Kompensation für ihre dadurch entstehenden Verluste wurde den Kliniken eine Ausfallpauschale in Höhe von 560 Euro (bis 30. Juni) beziehungsweise 660 Euro (seit 1. Juli) zugesagt.

Das klingt gut und war auch gut, etwa für ein privates kleines Krankenhaus auf dem Lande, das, bei geringeren Kosten und möglicherweise sogar Kurzarbeit der Mitarbeiter, mittels dieser Ausfall- pauschale sogar einen Gewinn erziel- te. Universitätsklinika als Klinika der Maximalversorgung müssen jedoch mit ganz anderen Kostenstrukturen rechnen. So liegen zum Beispiel im Universitäts- klinikum Jena laut Thüringer Wissen- schaftsministerium die Kosten für ein Behandlungsbett durchschnittlich bei rund 780 Euro und damit deutlich über den Ausgleichszahlungen des Bundes.

Universitätsklinika, die in besonde- rer Weise die Last der Pandemie getragen haben, werden dadurch ins Defizit getrieben, weil der Bundesgesundheitsminister und der Bundesgesetzgeber gegen den Gleichheitssatz verstoßen und Ungleiches - Kliniken verschiedener Versorgungsstufe - gleich behandeln. Forderungen der Deutschen Kranken- hausgesellschaft und der Wissenschaftsminister der Länder an den Bund stoßen bislang auf taube Ohren.

Näher beim ambulant Berufsdermatosen behandelnden Dermatologen liegt eine vermutliche Missachtung des Gleichheitssatzes durch die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Auch diese sind ja an den Gleichheitssatz gebunden, wie wir es als dermatologische Gutachter im Schlaf verinnerlicht haben: Die Kriterien für die Anerkennung einer Berufskrankheit oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit müssen für alle Versicherten gleich sein.

Gleich sein müssen auch die Vergütungen der DGUV für die Ärzte, sofern sie gleiche Leistungen erbringen. So ganz gilt das nicht, denn im Durchgangsarztverfahren können höhere Honorarsätze ("besondere Heilbehandlung") als in einer Behandlung durch Nicht-D-Ärzte ("allgemeine Heilbehandlung") gelten. Durchgangsärzte müssen besondere Voraussetzungen im Hinblick auf die fachliche Befähigung, die sächliche und personelle Ausstattung sowie die zu übernehmenden Pflichten erfüllen.

"Besondere Heilbehandlung" ist die fachärztliche Behandlung einer Unfallverletzung, die wegen Art oder Schwere besondere unfallmedizinische Qualifikation verlangt (§11 Abs. 3 Vertrag Ärzte-Unfallversicherungsträger). Insofern handeln die Unfallversicherungsträger im Einklang mit dem Gleichheitssatz, wenn sie für nach Art oder Schwere definierte Verletzungen Ärzten mit besonderer unfallmedizinischer Qualifikation eine besondere Vergütung gewähren.

Nun führt die Coronapandemie zu besonderen Hygieneaufwendungen in Kliniken und Praxen und damit zu höheren Kosten für ärztliche Leistungen, die in der GOÄ nach Empfehlungen der Bundesärztekammer (BÄK) über eine Hygienepauschale abgebildet werden können. Diese Kosten fallen auch an bei Patienten, die zulasten der DGUV behandelt werden, weshalb diese "als pauschale Abgeltung von Preis- und Mengensteigerun- gen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, insbesondere bei persönlichen Schutzausrüstungen für Mitarbeiter und seitens der Ärzte den Patienten zur Verfügung gestelltem Mund-Nase-Schutz und für weiteren entstandenen Mehraufwand zur Minderung des Infektionsrisikos jedem Arzt für jeden persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zusätzlich zu den Behandlungskosten für jeden Behandlungstag eine Pauschale erstattet".

Das klingt vernünftig und sehr erfreulich, allerdings gilt diese Regelung ausschließlich für D-Ärzte, und zwar unabhängig davon, ob diese nun eine "allgemeine" oder eine "besondere" Heilbehandlung erbringen. Mit der "besonderen unfallmedizinischen Qualifikation" der D-Ärzte hat diese Hygienepauschale also nichts zu tun, und von besonderer infektiologischer oder hygienischer Kompetenz der Unfallmediziner ist im Vertrag Ärzte-Unfallversicherungsträger auch nicht die Rede.

Diese Regelung, die alle anderen im Auftrag der Unfallversicherung behandelnden Ärzte ausschließt, dürfte daher gegen den Gleichheitssatz verstoßen, da nicht erkennbar ist, dass bezüglich der Hygieneanforderungen zwischen Unfallmedizinern und Dermatologen "Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (Bundesverfassungsgericht). Dem Vernehmen nach haben "hinter den Kulissen" Gespräche mit der Unfallversicherung stattgefunden, diese eklatante Ungleichbehandlung zu korrigieren, die allerdings erfolglos geblieben sind.

Klaus Strömer, unser BVDD-Präsident, hat sich in einem Schreiben an die DGUV und in einer anschließenden Presseerklärung klar geäußert, sein Unverständnis ausgedrückt und zu einem Umdenken aufgerufen: "Die bisherige für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit wird durch die Entscheidung der DGUV nun erheblich belastet. Unsere Mitglieder werden wenig Verständnis für die Sichtweise der DGUV aufbringen, sondern sich vielmehr gegenüber den Durchgangsärzten als Ärzte zweiter Klasse verstehen."

Selten sind Verstöße gegen den Gleichheitssatz und damit eine Grundlage unseres Rechtsstaates so deutlich. Wie immer sollte eine einvernehmliche Lösung zwischen Unfallversicherung und Dermatologen gefunden werden, aber vielleicht findet sich ja auch ein rechtsschutzversicherter berufsdermatologischer Kollege, der diese Frage einmal vor einem Sozialgericht klären lässt. Den Rechtsstaat werden wir nur erhalten, wenn wir derartigen Verstößen gegen den Gleichheitssatz mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegenwirken.

Prof. Peter Elsner.

Direktor der Universitätshautklinik Jena, Verbindungsmann im BVDD-Vorstand zur DDG, meint, dass die Regelung der DGUV, nur D-Ärzten eine Hygienepauschale zu zahlen, Dermatologen aber nicht, gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstößt.


Articles from Der Deutsche Dermatologe are provided here courtesy of Nature Publishing Group

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