Abstract
Gemeinsames Merkmal der meisten alternativen Kostformen ist eine hohe Wertschätzung von möglichst „natürlichen“ Lebensmitteln aus regionaler Erzeugung und ohne Verwendung chemisch-synthetischer Hilfsmittel, z. B. Pestizide oder Hormone („ökologischer Anbau“). In der „biologisch-dynamischen“ Wirtschaftsweise der Anthroposophie werden zusätzlich irdisch-kosmische Wechselwirkungen berücksichtigt („Demeter“).
„Alternative“ Ernährung wendet sich von den „offiziellen“ Ernährungsempfehlungen ab und geht in der Regel mit alternativen Lebensstilkonzepten einher. Dahinter können verschiedenste Beweggründe stehen, z. B. gesundheitliche, ökologische oder ethisch-philosophische Erwartungen.
Alternative Lebensmittelerzeugung
Gemeinsames Merkmal der meisten alternativen Kostformen ist eine hohe Wertschätzung von möglichst „natürlichen“ Lebensmitteln aus regionaler Erzeugung und ohne Verwendung chemisch-synthetischer Hilfsmittel, z. B. Pestizide oder Hormone („ökologischer Anbau“). In der „biologisch-dynamischen“ Wirtschaftsweise der Anthroposophie werden zusätzlich irdisch-kosmische Wechselwirkungen berücksichtigt („Demeter“).
Vollwerternährung
Das Gedankengut der „Vollwerternährung“ geht auf eine Forderung des Mediziners W. Kollath (1892–1979) zurück: „Lasst die Nahrung so natürlich wie möglich.“
Derzeit ist die Vollwerternährung, die von Ernährungswissenschaftlern (C. Leitzmann) weiterentwickelt wurde und durch den Verband „Unabhängige Gesundheitsberatung e. V.“ (UGB, Gießen) vertreten wird, die am weitesten verbreitete Form der alternativen Ernährung in Deutschland. Die Lebensmittel werden anhand des Verarbeitungsgrades in 4 Wertstufen eingeteilt. Unerhitzte Lebensmittel sollen etwa die Hälfte der Nahrungsmenge liefern, Fleisch, Fisch und Eier – wenn überhaupt – nicht häufiger als ein- bis 2-mal pro Woche verzehrt werden.
Die Vollwerternährung des UGB für Säuglinge und Kleinkinder entspricht mit Ausnahme des geringeren Fleischverzehrs im Wesentlichen den Empfehlungen im „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“ (▶ 10.1007/978-3-642-24710-1_26).
Bei der „vitalstoffreichen“ Vollwertkost des Internisten M.O. Bruker (1909–2001) und seiner „Gesellschaft für Gesundheitsberatung e. V.“ (GGB), Lahnstein, steht „Frischkorn“ im Mittelpunkt, auch bei der Säuglingsernährung. Wissenschaftlich unhaltbar ist die These Brukers von den „Fabriklebensmitteln“ (Auszugsmehle, Zucker, raffinierte Fette) als Ursache der heutigen Zivilisationskrankheiten.
Vegetarische Kostformen
Der Vegetarismus ist das Leitbild der meisten alternativen Ernährungsformen. Eine vegetarische Ernährung kann in unterschiedlicher Ausprägung praktiziert werden (◘ Tab. 27.1). Umfragen zufolge praktizieren in Deutschland etwa 7–10 % der Bevölkerung eine – nicht näher definierte – vegetarische Ernährung.
Kostform | Ausgeschlossene Lebensmittel | Reduzierte Nährstoffe |
---|---|---|
Lakto-ovo-vegetarisch |
– Fleisch – Fisch |
– Fleisch: tierisches Protein, Eisen, Zink (hohe Bioverfügbarkeit), Vitamin B12 – Fisch: Jod, n-3-Polyenfettsäuren |
Lakto-vegetarisch |
– Fleisch – Fisch – Eier |
– Fleisch und Fisch: s. oben – Eier: tierisches Protein, Vitamine D und A |
Streng vegetarisch | ||
Vegan |
– Fleisch – Fisch – Eier – Milch |
– Fleisch, Fisch und Eier: s. oben – Milch: tierisches Protein, Kalzium, Jod, Vitamine B12, B2, D und A |
Makrobiotisch, auf Rohkost basierend |
– Fleisch – Fisch – Eier – Milch – Bestimmte pflanzliche Lebensmittel |
– Fleisch, Fisch, Eier und Milch: s. oben – Zusätzlich: Energie und Fett |
Bei einer vegetarischen Ernährung werden in der Regel weniger Energie, gesättigte Fettsäuren, Cholesterin und tierisches Protein, aber mehr Ballaststoffe und Antioxidanzien aufgenommen als bei der üblichen omnivoren Ernährung. Ernährungsmitbedingte Krankheiten wie Adipositas, koronare Herzkrankheit und Typ-2-Diabetes sind bei Vegetariern seltener, aber auch andere lebensstilbedingte Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Bewegungsmangel werden weniger häufig beobachtet.
Lakto-ovo-vegetarische Ernährung
Die lakto-(ovo-)vegetarische Kost (◘ Tab. 27.1) ist die am häufigsten praktizierte Form des Vegetarismus. Lakto-(ovo-)vegetarisch ernährte Kinder und Jugendliche unterscheiden sich hinsichtlich Wachstum und Entwicklung nicht von omnivoren Gruppen. Die Eisenversorgung ist vergleichbar.
Streng vegetarische Ernährung (vegane Kost, Makrobiotik)
Bei streng vegetarischer Ernährung wird auf jegliche Lebensmittel tierischer Herkunft verzichtet. Bei der aus dem Fernen Osten stammenden Makrobiotik wird die Lebensmittelauswahl noch weiter eingeschränkt – überwiegend auf den Verzehr von Getreide, Hülsenfrüchten und Gemüse, daneben Aufnahme geringer Mengen fermentierter (Soja-)Produkte sowie von Seealgen, Samen und evtl. Fisch –, um ein Gleichgewicht der Energien von Yin (pflanzlich, geistig) und Yang (tierisch, körperlich) anzustreben (◘ Tab. 27.1).
Bei vegan ernährten Kindern liegen Gewicht und Größe im unteren Normbereich. In einer Quer- und Längsschnittstudie mit makrobiotisch ernährten Kindern in den Niederlanden wurden vor allem in der Abstillphase und im Kleinkindalter Wachstumsverzögerungen und eine verzögerte psychomotorische Entwicklung festgestellt, ferner Anzeichen von Rachitis, funktioneller Vitamin-B12-Mangel sowie häufig ein Eisenmangel.
Gestillte Säuglinge von langjährig vegan ernährten Müttern mit erschöpften Vitamin-B12-Speichern können einen Vitamin-B12-Mangel mit (reversibler) makrozytärer Anämie und (irreversiblen) neurologischen Ausfallerscheinungen entwickeln.
Hinweise für Lebensmittelauswahl und Supplementierung
Alternative Säuglingsmilch
Das Stillen entspricht den alternativen Vorstellungen von einer natürlichen Ernährung. Industriell hergestellte Säuglingsmilch wird dagegen mit Ausnahme der Vollwerternährung des UGB und einer ambivalenten Einstellung der Anthroposophen kritisch gesehen.
Selbstherstellung der Säuglingsmilch ist aus hygienischen und ernährungsphysiologischen Gründen grundsätzlich nicht empfehlenswert.
Wenn Eltern nicht von der eindeutigen Überlegenheit der industriell hergestellten Säuglingsmilch zu überzeugen sind, kann ihnen zu einer in früheren Bilanzstudien erprobten Halbmilch mit Fett- und Kohlenhydratzusatz geraten werden.
Rezept für die Selbstherstellung von Säuglingsmilch
100 g Milch (pasteurisierte oder ultrahocherhitzte Vollmilch mit einem Fettanteil von 3,5 %) mit
100 g Wasser und
5 g Stärke (ab dem 5. Lebensmonat Vollkornprodukte, z. B. Instant-Haferflocken oder Vollkorngrieß) und
8 g Zucker (Milchzucker) unter Rühren aufkochen, anschließend
3 g Rapsöl mit einem Mixer oder Schneebesen einrühren
Die Milchnahrung ist unter Verwendung einer Digitalwaage (Einteilung: 1–2 g) frisch zuzubereiten.
Ab der 6. Lebenswoche werden zusätzlich Vitamin-C-reicher Saft (etwa 30 g/Mahlzeit) und Vitamin-A-reicher Karottenbrei (etwa 5 g/Mahlzeit) notwendig.
Weitere Informationen sind auf Anfrage beim Forschungsinstitut für Kinderernährung erhältlich.
Die anthroposophischen Rezepte für die Selbstherstellung von Säuglingsmilch entsprechen bezüglich des Nährstoffgehalts im Wesentlichen dem in der Übersicht dargestellten Rezept. Statt der schulmedizinisch empfohlenen Rachitisprophylaxe bei Säuglingen (Vitamin-D-Tabletten) wird allerdings zunächst auf die klinische Überwachung durch den Arzt vertraut, bevor eventuelle (homöopathische) Supplementierungsmaßnahmen ergriffen werden.
Bei „Frischkornmilch“ für Säuglinge, z. B. nach Bruker, handelt es sich um eine Mischung aus gemahlenem, rohem Getreide in einer (Roh-)Milch-Wasser-Mischung. Selbst wenn rechnerisch die Energie- und Proteinzufuhr für die ersten Monate ausreichend ist, muss die schlechte Nährstoffausnutzung aus Rohgetreide bedacht werden.
Rohmilch (Ab-Hof-Milch, Vorzugsmilch) darf wegen des Infektionsrisikos für die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern nicht verwendet werden.
Multiple Defizite haben vegetabile „Milch“-Nahrungen für Säuglinge, z. B. „Mandelmilch“, „Reismilch“ oder ein einfacher „Soja-Drink“. Eine mangelhafte biologische Wertigkeit der Proteine, ein Energiedefizit bei fehlendem Fettzusatz sowie ein Mangel an Mineralstoffen, Spurenelementen (z. B. Kalzium, Jod und Eisen) und Vitaminen (z. B. Vitamine B12, D und B2) können zu Wachstumsstörungen und teilweise irreparablen Mangelerscheinungen (Eisenmangelanämie, Rachitis, Vitamin-B12-Mangelsymptome) führen.
Gegenüber alternativer Tiermilch in der Säuglingsernährung bestehen ernährungsphysiologische Bedenken. Ziegenmilch ist wegen eines geringen Folsäuregehalts nur mit folsäurereicher Beikost geeignet. In Stutenmilch ist der Fettgehalt zu gering (1,5 %), in Schafsmilch zu hoch (6,3 %). Auch zur Allergieprävention oder -therapie ist alternative Tiermilch nicht geeignet.
Alternativen zu Fleisch
Bei Verzicht auf Fleisch ist insbesondere für Alternativen bei der Eisenversorgung zu sorgen (◘ Tab. 27.1). Verglichen mit Hämeisen ist die Bioverfügbarkeit des 3-wertigen Eisen aus Vegetabilien gering (etwa 2–5 % vs. 20 % aus Fleisch), kann aber durch die Anwesenheit von Vitamin C verbessert werden. Risikogruppen für einen Eisenmangel sind Säuglinge im 2. Lebenshalbjahr, Kleinkinder und menstruierende weibliche Jugendliche.
Als Alternative für die fleischhaltige Beikostmahlzeit in der Säuglingsernährung wurde vom FKE ein Rezept für eine vegetarische Mahlzeit entwickelt.
Rezept für einen alternativen, fleischfreien Gemüse-Getreide-Brei für Säuglinge (Beispiel für den 7.–9. Monat)
100 g Gemüse putzen und kleinschneiden
50 g Kartoffeln schälen, kleinschneiden und mit dem Gemüse in wenig Wasser weichdünsten
10 g Haferflocken zufügen und mit
30 g Obst (Saft oder Püree) und
20 g Wasser pürieren, anschließend
8 g Rapsöl in den heißen Brei einrühren
Statt der Selbstherstellung können auch industriell hergestellte vegetarische Gemüse-Vollkorngetreide-Breie (Gläschen) verwendet werden. Bei fehlendem Zusatz von Vitamin C (Zutatenliste) sollte man den Brei mit Vitamin-C-reichem Obstsaft oder Obstpüree (2 Esslöffel) anreichern.
Geeignete vegetarische Mahlzeiten unter Verwendung herkömmlicher Lebensmittel sind auch in der Familienernährung möglich, z. B.:
Müsli aus Vollkornflocken mit Orangensaft oder Frischobst,
Brotmahlzeit mit Vollkornbrot und Gemüserohkost,
Vollkornreis- oder Vollkornnudelauflauf mit Paprika.
Vegane Ernährung
Zur Deckung des Bedarfs an Energie und Nährstoffen bei einer veganen Ernährung ist neben speziellen Kenntnissen der Lebensmittel und der benötigten Spezialprodukte (angereicherte Lebensmittel, Supplemente) auch ein höherer Aufwand für die Beschaffung erforderlich als bei lakto-vegetarischer oder omnivorer Kost.
Bei erwachsenen Veganern in Deutschland wurde eine unbefriedigende Zufuhr verschiedener Nährstoffe ( Vitamine B12 und B2, Kalzium, Jod und Protein) und auch von Energie festgestellt. Derartige Probleme dürften bei Kindern noch verschärft sein (◘ Tab. 27.1).
Vitamin B12 ist nur in tierischen Lebensmitteln in nennenswerten Mengen zu finden und muss deshalb bei veganer Ernährung in jeder Altersgruppe supplementiert werden. Die in bestimmten Lebensmitteln der makrobiotischen Kost (fermentierte Sojaprodukte, Seealgen) enthaltenen Vitamin-B12-Analoga erwiesen sich als biologisch inaktiv.
Das nutritive Defizit an Vitamin D und eine niedrige Kalziumzufuhr sowie eine geringe Sonnenlichtexposition erfordern vor allem bei dunkelhäutigen Kindern eine Vitamin-D-Supplementierung.
Der Kalziumbedarf ist bei pflanzenbetonter Kost niedriger als bei üblicher fleischreicher Kost, da weniger Kalzium über den Urin ausgeschieden wird. Eine Supplementierung bis zur Höhe der aktuellen Referenzwerte ist dann nicht zwingend erforderlich.
Für nicht gestillte, vegan ernährte Säuglinge empfiehlt sich die Verwendung einer industriell hergestellten, gemäß der Diätverordnung angereicherten Sojanahrung für Säuglinge (Säuglingsanfangsnahrung).
Zur Deckung des hohen Energiebedarfs (pro Kilogramm Körpergewicht) benötigen vor allem Säuglinge und Kleinkinder energiedichte Lebensmittel, beispielsweise als Fettzusatz in Form von Rapsöl mit α-Linolensäure als Vorstufe von n-3-langkettigen Polyenfettsäuren oder aufgeschlossenes Getreide.
Das Defizit an bestimmten essenziellen Aminosäuren muss durch geeignete Lebensmittelkombinationen, die allerdings monoton und hierzulande ungewohnt sind, kompensiert werden, z. B. Getreide und Hülsenfrüchte.
Konsequenzen für die Ernährungsberatung
Kinder sind beim Essen den diesbezüglichen Wertvorstellungen ihrer Eltern ausgeliefert. Alternativ eingestellte Eltern möchten ihre Ernährungsvorstellungen in guter Absicht auch für ihre Kinder anwenden. Meist sind sie sich nicht darüber bewusst, dass die Folgen einer Fehlernährung bei Kindern wesentlich schwerwiegender sind als bei Erwachsenen.
Je stärker das Lebensmittelsortiment eingeschränkt ist, umso größer wird vor allem im Kindesalter das Risiko für Nährstoffdefizite (◘ Tab. 27.1). Besonders gefährdet sind Kinder in der Abstillphase.
Bei der Beratung kommt es darauf an, mit Verständnis und ohne Dogmatismus auf die Eltern einzugehen. Hilfreich ist es, ein Ernährungsprotokoll über mehrere Tage erstellen zu lassen und nach Berechnung der Nährstoffzufuhr, z. B. durch eine Diätassistentin, praktische Empfehlungen für die Lebensmittelauswahl zu erarbeiten. Geringfügige, aber wohldurchdachte Lockerungen eines restriktiven Ernährungsregimes, z. B. geringe Zulagen von Milch, Fisch und fetthaltigen Samen, können die Kostqualität und das Wachstum der Kinder bereits nachhaltig verbessern.
Literatur
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