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. 2016 Jun 14:958–963. [Article in German] doi: 10.1007/978-3-662-50444-4_66

Sepsis und septischer Schock

Reinhard Larsen 4,
PMCID: PMC7531315

Abstract

Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organfunktionsstörung aufgrund einer fehlregulierten Reaktion des Körpers auf eine Infektion. Hinweise sind ein Abfall des systolischen Blutdrucks auf unter 100 mm Hg, Bewusstseinsatörungen und ein Anstieg der Atemfrequenz auf über 22/min (qSOFA-Score) Beim septischen Schock, einer Unterform der Sepsis, muss die Herz-Kreislauf-Funktion mit kardiovaskulären Medikamenten und Volumenersatz gestützt werden. Das Serumlaktat ist auf mehr als 2 mmol/l erhöht. Trotz intensiver Bemühungen ist die Letalität der Sepsis unverändert hoch. Eine frühzeitige Diagnosestellung und Therapie ist für das Überleben der Patienten von entscheidender Bedeutung.


Die Sepsis ist Folge einer komplexen generalisierten Entzündungsreaktion durch eine Infektion. Sie führt zu lebensbedrohlichen Organfunktionsstörungen und gehört zu den häufigsten Todesursachen auf Intensivstationen. Trotz intensiver Bemühungen ist die Letalität der Sepsis weiterhin unverändert hoch. Eine frühzeitige Diagnosestellung und Therapie ist für das Überleben der Patienten von entscheidender Bedeutung.

Definitionen

Infektion

Als Infektion wird das Eindringen von Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen) in den menschlichen Organismus bezeichnet. Je nach Virulenz und Abwehrlage des Organismus kann hierdurch eine Entzündungsreaktion bzw. Infektionskrankheit ausgelöst werden.

Bakteriämie

Unter einer Bakteriämie versteht man die Anwesenheit lebender Bakterien im Blut. Handelt es sich um Viren, liegt eine Virämie vor, bei Pilzen um eine Fungämie, bei Parasiten um eine Parasitämie. Der Begriff „Septikämie“ sollte dagegen nicht mehr verwendet werden.

SIRS (“systemic inflammatory response syndrome”)

Beim SIRS handelt es sich um eine generalisierte Entzündungsreaktion, die mit ihren klinischen Zeichen weitgehend der Sepsis ähnelt, jedoch lässt sich beim SIRS keine Infektion nachweisen. Auslöser sind z. B. ein schweres Trauma oder Polytrauma, hämorrhagischer Schock, Pankreatitis, Ischämie.

Ein SIRS liegt vor, wenn mindestens zwei der folgenden Zeichen bestehen:

  • Körperkerntemperatur: ≥38°C oder ≤36°C

  • Herzfrequenz: ≥90/min

  • Tachypnoe bzw. Atemfrequenz: ≥20/min oder Hyperventilation: paCO2 ≤33 mmHg

  • Leukozyten ≥12.000/µl oder ≤4000/µl oder mehr als 10% unreife Neutrophile

Das SIRS ist unspezifisch und beweist nicht, dass eine Sepsis vorliegt oder ein septischer Schock eintreten wird.Viele Patienten mit den Kriterien des SIRS entwickeln nämlich keine Infektion und haben auch keine ungünstige Prognose. DIe Sepsis-Konsensuskonferenz von 2016 bewertet die SIRS-Kriterien als zu ungenau für die Diagnose einer Sepsis und empfiehlt daher, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Daher wird der Begriff in den aktuellen Sepsis-Definitionen von 2016 nicht mehr aufgeführt.

Sepsis

Sepsis ist eine systemische Entzündungsreaktion des Organismus auf eine Infektion durch Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilze, Rickettsien, Protozoen). Entsprechend müssen bei einer Sepsis Mikroorganismen oder deren Toxine im Blut nachweisbar sein. Da aber die Mikroorganismen auch intermittierend in das Blut gelangen, entgehen sie häufig dem Nachweis (z. B. durch Blutkulturen oder Toxinnachweis) und die Diagnose muss anhand klinischer Zeichen gestellt werden.

Sepsis

Die Sepsis ist definiert als lebensbedrohliche Organfunktionsstörung, hervorgerufen durch eine fehlregulierte Reaktion des Körpers auf eine Infektion.Die Organfunktionsstörung ist klinisch erkennbar an einem akuten totalen SOFA-Score von 2 Punkten oder mehr als Folge einer Infektion.

Zur Früherkennung der Sepsis wird als „Schnelltest“ der qSOFA-Score (q = quick) eingesetzt. Der qSOFA-Score umfasst folgende 3 Kriterien:

  • Atemfrequenz >22/min

  • Störungen des mentalen Status (Glasgow Koma Skala <15)

  • systolischer Blutdruck 100 mm Hg oder weniger.

Liegen bei einem Patienten 2 oder 3 dieser Kriterien vor, so muss sofort an eine Sepsis gedacht und nach Organfunktionsstörungen gesucht werden.

Der häufig gebrauchte Begriff „schwere Sepsis“ sollte nach Auffassung der 2016-Konsensuskonferenz nicht mehr verwendet werden.

Septischer Schock

Der septische Schock ist eine Unterform der Sepsis. Er liegt vor, wenn folgende 2 Kriterien erfüllt sind:

  • anhaltende Hypotension, die den Einsatz von Vasopressoren erfordert, um den mittleren arteriellen Blutdruck bei 65 mm Hg oder höher zu halten

  • Serumlaktatwerte von über 2 mmol/l trotz ausreichender Volumenzufuhr

Die Letalität des septischen Schocks beträgt mehr als 40%.

Krankheitsentstehung und Pathophysiologie

Sepsis

Die ursprüngliche Begriffserklärung der Sepsis geht von einem Infektionsherd bzw. septischen Fokus aus, von dem aus pathogene Keime und deren toxische Produkte in das Blut eindringen und zu den Geweben transportiert werden. Dieser Vorgang wird als Invasion bezeichnet Neben der Invasion wird der inflammatorischen (entzündlichen) Reaktion zwischen Erreger und Wirt eine entscheidende Bedeutung in der Pathogenese der Sepsis eingeräumt.

Häufigste Ausgangsherde der Sepsis bei Patienten einer operativen Intensivstation sind:

  • Peritonitis,

  • Pneumonie,

  • Infektionen des Urogenitaltrakts,

  • Venenkatheter.

Weiterhin können Bakterien und Toxine durch eine ischämisch (d. h. durch Mangeldurchblutung) geschädigte Darmwand in die Blutbahn gelangen (sog. Translokation).

Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer Sepsis ist die geschwächte bzw. veränderte Abwehrlage des Organismus. Entsprechend wird das Entstehen einer Sepsis durch bestimmte, die Abwehrlage verändernde Faktoren begünstigt. Zu diesen prädisponierenden Faktoren gehören:

  • Polytrauma,

  • Verbrennungen,

  • große, risikoreiche Operationen,

  • bestimmte Grundleiden: Tumoren, Diabetes mellitus, Nieren- und Lebererkrankungen,

  • höheres Lebensalter,

  • reduzierter Allgemeinzustand.

Mediatorenfreisetzung

Durch die Invasion der pathogenen Keime und ihrer toxischen Produkte werden zelluläre und in den Gewebeflüssigkeiten vorhandene Mediatoren freigesetzt. Zu den aktivierten Systemen gehören v. a. das Komplementsystem, die Blutgerinnung und Fibrinolyse sowie das Kallikrein-Kinin-System.

Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion

Die Mediatoren bewirken eine Vasodilatation mit Abfall des peripheren Gefäßwiderstands; gleichzeitig nehmen Herzfrequenz und Herzzeitvolumen zu. Es entwickelt sich ein hyperdynamer Kreislaufzustand, meist schon in der Anfangsphase der Sepsis. Die Haut der Patienten kann warm und rosig sein, aber auch blass, kühl und feucht. Aus dem Hautzustand kann somit bei Sepsis nicht, wie oft angenommen, auf einen erniedrigten oder erhöhten peripheren Widerstand geschlossen werden. Wird septischen Patienten ausreichend Volumen zugeführt, kann die hyperdyname Kreislaufreaktion mit erhöhtem Herzzeitvolumen bis zum Tode hin bestehen bleiben.

Hypodyname Formen mit erhöhtem peripheren Widerstand und erniedrigtem Herzzeitvolumen werden unter maximaler Intensivtherapie eher selten beobachtet.

Störungen der Myokardfunktion

Zwar ist das Herzzeitvolumen bei hyperdynamem Kreislaufzustand erhöht, jedoch nicht in einem Ausmaß wie nach dem Abfall des peripheren Widerstands zu erwarten wäre. Es besteht demnach eine Störung der Myokardfunktion mit Abnahme der systolischen Ejektionsfraktion und evtl. auch verminderter diastolischer Ventrikelvordehnung. Die akute Herzinsuffizienz bei Sepsis wird als akute septische Kardiomyopathie angesehen.

Störungen des Gleichgewichts von O2-Angebot und -Bedarf

Typisch für die Sepsis ist, neben den beschriebenen Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion, auch eine Störung der peripheren O2-Extraktion. Obwohl ein O2-Mangel der Gewebe besteht, ist die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz vermindert und die gemessene O2-Aufnahme aus dem Blut in die Gewebe erniedrigt. Wichtigste Ursache hierfür ist die Durchblutungsstörung bzw. Fehlverteilung des Blutstroms in der Mikrozirkulation, die dazu führt, dass den Geweben nicht genügend Sauerstoff angeboten werden kann.

Septischer Schock

Der septische Schock unterscheidet sich von der Sepsis durch den Schweregrad der Störungen: Die Abnahme des peripheren Widerstands und die Beeinträchtigung der Myokardfunktion sind am stärksten ausgeprägt. Das Herzzeitvolumen kann normal oder erhöht sein; der systolische Blutdruck ist auf ≤90 mmHg erniedrigt, der arterielle Mitteldruck auf <65 mm Hg; die Herzfrequenz ist erhöht, außerdem besteht eine Oligurie.

Klinisches Bild

Initialphase

Bei den meisten Patienten steht am Anfang eine schwere Störung der Homöostase, z. B. durch Polytrauma, großen operativen Eingriff oder bestimmte Grunderkrankungen (Abschn. 66.2), die durch therapeutische Maßnahmen zunächst beseitigt werden kann. Nach einigen Stunden bis Tagen entwickeln sich Fieber (evtl. mit Schüttelfrost), Tachykardie und beschleunigte Atmung (Tachypnoe). Das Herzzeitvolumen steigt an, der periphere Gefäßwiderstand fällt ab; insgesamt besteht eine hyperdyname Kreislauffunktion (Abschn. 66.2). Im Blutbild findet sich oft eine Leukozytose mit Linksverschiebung und toxischen Granulationen der neutrophilen Granulozyten. Veränderungen der Blutgerinnung mit Abfall der Thrombozyten und des Fibrinogens sind meist ebenfalls nachweisbar. Es entwickelt sich eine katabole Stoffwechsellage mit erhöhtem O2-Verbrauch, Anstieg des Plasmalaktats, Hyperglykämie und vermehrter Stickstoffausscheidung im Urin. Weiterhin kann es zu einer Verschlechterung der der Lungenfunktion kommen, sodass eine maschinelle Beatmung erforderlich sein kann.

Veränderungen von Laborwerten

  • Frühphase der Sepsis
    • Leukozytose, d. h. Anstieg auf ≥12.000/μl (bei der Mehrzahl der Patienten) oder
    • Leukopenie, d. h. Abfall der Leukozyten auf ≤4.000/μl
    • Abfall der Thrombozyten um mehr als 30% oder auf ≤100.000/μl
    • Akute Gerinnungsstörungen
    • Arterielle Hypoxämie: paO2 <75 mmHg oder paO2/FIO2 ≤250 mmHg unter O2-Zufuhr
    • Metabolische Azidose: Basendefizit ≥–5 mmol/l oder Laktat >1,5-fach über Referenzbereich
    • Hypophosphatämie
  • Parameter der entzündungsbedingten Immunantwort
    • Anstieg des C-reaktiven Proteins mit einem Maximum ca. 48 h nach Beginn der Entzündung
    • Anstieg der proinflammatorischen Zytokine
    • Anstieg von Prokalzitonin (PCT). Normalwert: <0,1 μg/ml. Ein Anstieg auf Werte von >2,0 mg/ml weist auf ein erhöhtes Sepsisrisiko hin, bei PCT-Werten <0,5 μg/ml ist dagegen eine schwere bakterielle Sepsis unwahrscheinlich. Der PCT-Wert kann unabhängig von einer Infektion bei Neugeborenen (<48 h), fortgeschrittenem Organversagen, nach schwerem Trauma oder Verbrennungen und infolge von großen chirurgischen Eingriffen erhöht sein

MODS und MOV

Im weiteren Verlauf, meist nach ca. 7–10 Tagen, treten multiple Organfunktionsstörungen („multiple organ dysfunction syndrome“ = MODS) auf, am häufigsten zunächst ein ARDS, danach eine Nieren- und Leberinsuffizienz, Störungen der Blutgerinnung mit DIC, gastrointestinale Blutungen, Ileus, akalkulöse Cholezystitis und Bewusstlosigkeit. Außerdem sind zunehmend kardiovaskuläre Medikamente und eine Volumensubstitution erforderlich, um den Blutdruck bzw. die Herz-Kreislauf-Funktion aufrechtzuerhalten. Schließlich mündet die Niereninsuffizienz in ein akutes Nierenversagen ein, sodass eine Nierenersatztherapie durchgeführt werden muss. Nicht immer verlaufen SIRS, Sepsis und MODS in der beschriebenen Weise: so kann das Syndrom in jedem Stadium zum Stillstand kommen und wieder verschwinden. Andererseits gibt es dramatische Verläufe, die innerhalb weniger Tage zum Multiorganversagen und schließlich zum Tod des Patienten führen. Übersteht der Patient ein schweres MODS, ist wegen der ausgeprägten Schwächung des Allgemeinzustands und der Muskulatur zumeist eine wochenlange weitere Intensivbehandlung erforderlich, bevor eine ausreichende Spontanatmung wieder aufgenommen werden kann.

Therapie

Die Behandlung der Sepsis und des septischen Schocks gehört zu den großen Herausforderungen der Intensivmedizin und erfordert ein invasives Vorgehen, oft unter Einschluss von Messung des Herzzeitvolumens (z. B. PiCCO-Monitoring) und Berechnung von O2-Angebot und -Verbrauch, ergänzt durch umfangreiche Laboruntersuchungen. Wichtigstes Behandlungsziel bei der Sepsis ist die Ausschaltung des Infektionsherdes bzw. septischen Fokus, während die Organfunktionsstörungen derzeit nur symptomatisch und unterstützend behandelt werden können.

Die Sepsistherapie muss sofort begonnen werden, um einen letalen Verlauf zu verhindern!

Wichtigste Therapiemaßnahmen sind die chirurgische Fokussanierung und der zügige Beginn einer Antibiotikatherapie (nach mikrobiologischer Probengewinnung)!

Therapieziele innerhalb von 6 Stunden sind:

  • Mittlerer arterieller Druck: ≥65 mmHg,

  • Urinausscheidung: 0,5 ml/kgKG/h,

  • zentraler Venendruck: 8–12 mmHg.

Kontrolle des Sepsisherdes

Chirurgische Maßnahmen

Um den Sepsisherd auszuschalten, sind häufig chirurgische Maßnahmen erforderlich. Hierzu gehören:

  • frühzeitige Laparotomie und Relaparotomie bei adomineller Sepsis, (z. B. bei Abszessbildung, postoperativer Peritonitis, schwerer Peritonitis, massiver Magenblutung) oder bei hinreichendem Verdacht auf abdominale Sepsis,

  • Exzision und Drainagen,

  • offene Bauchbehandlungsverfahren, Peritoneallavage.

Besteht ein traumatisch-toxischer Fokus, so werden frühe Osteosynthesen von Frakturen durchgeführt, außerdem Nekrosen abtragen.

Antibiotikatherapie

Ergänzend zur chirurgischen Therapie sollte innerhalb der 1. Stunde nach Aufnahme des Patienten ein Breitspektrumantibiotikum in hoher Dosierung zugeführt werden. Vor der Gabe des Antibiotikums sollten Blut für eine Blutkultur, Urin, Bronchial- und ggf. Drainagensekret abgenommen werden. Antibiotika sind in der Sepsis Notfallmedikamente! Jede Verzögerung einer effektiven Antibiotikatherapie erhöht die Sterblichkeit der Patienten (um bis zu 7% pro Stunde).

Immuntherapie der Sepsis

Ziel immuntherapeutischer Maßnahmen ist die Steigerung der Abwehrkräfte des Organismus und die Neutralisation von Toxinen. Hierzu werden Immunglobuline, Fibronectin (wichtig für Abwehrfunktion des RES), Kortikosteroide und Antikörper gegen Endotoxin oder toxische Mediatoren eingesetzt. Allerdings ist die Wirksamkeit all dieser Maßnahmen bisher nicht hinreichend gesichert bzw. im Experimentalstadium.

Intensivtherapie

Kardiovaskuläre Therapie

Bei der Sepsis besteht, wie zuvor beschrieben, ein O2-Mangel der Gewebe (Gewebehypoxie), v. a. aufgrund von Durchblutungsstörungen in der Mikrozirkulation. Ziel der kardiovaskulären Therapie ist die Verbesserung des O2-Angebots an die Gewebe. Hierzu werden folgende Maßnahmen durchgeführt:

  • Volumensubstitution: plasmaisotone Kristalloide (anfangs 30 ml/kg), ggf. Albumin bei Patienten, die große Mengen Kristalloide zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks benötigen; ZVD 8–12 mmHg; Urinausscheidung 0,5 ml/kgKG/h;

  • positiv-inotrope Medikamente: Dobutamin, Phosphodiesterasehemmer nur bei sonst therapierefraktärer Herzinsuffizienz,

  • Vasopressoren, z. B. Noradrenalin, systolischer Blutdruck ≥90 mmHg, arterieller Mitteldruck ≥65 mmHg,

  • zentralvenöse O2-Sättigung >70%.

Volumensubstitution

Bei ausgeprägter Sepsis ist die Membranpermeabilität für Proteine erhöht. Hierdurch kommt es zu erheblichen Flüssigkeits- und Eiweißverlusten, die durch die periphere Vasodilatation noch verstärkt werden. Der arterielle Blutdruck ist erniedrigt. Um die periphere Durchblutung zu verbessern, müssen zunächst intravasale Volumenverluste ausgeglichen werden. So kann durch gezielte Volumentherapie das O2-Angebot verbessert werden. Bei der Korrektur von Flüssigkeitsdefiziten werden plasmaisotone kristalloide Lösungen eingesetzt. HES-haltige Infusionslösungen sind wegen ihrer möglichen nierenschädigenden Wirkung nach den Empfehlungen der Arzneimittelkommission (Rote Hand Brief) bei Sepsis und bei anderen kritischen Erkrankungen kontraindiziert.

Katecholamine

Die Zufuhr von Volumen reicht allein meist nicht aus, um die Herz-Kreislauf-Funktion aufrechtzuerhalten, sodass außerdem positiv-inotrope Substanzen eingesetzt werden müssen, z. B. Dobutamin. Bei stark erniedrigtem peripherem Widerstand mit ausgeprägter Hypotension ist oft auch die gleichzeitige Zufuhr von Noradrenalin (Arterenol) erforderlich, um einen ausreichenden Perfusionsdruck wiederherzustellen. Vasopressin wird nicht empfohlen, da hierunter regionale Ischämien auftreten können.

Behandlung von Organfunktionsstörungen

Die Behandlung von Organfunktionsstörungen ist symptomatisch und unterstützend; ausgefallene Organfunktionen müssen vorübergehend ersetzt werden. Die Behandlungsmaßnahmen umfassen praktisch das gesamte Spektrum der Intensivtherapie:

  • Stützung der Herz-Kreislauf-Funktion bzw. Behandlung der septischen Kardiomyopathie und Verbesserung des O2-Angebots an die Gewebe,

  • apparative Beatmung bei akuter respiratorischer Insuffizienz und ARDS,

  • Nierenersatztherapie bzw. kontinuierliche Hämofiltration bei akutem Nierenversagen,

  • Behandlung von Störungen der Blutgerinnung: Normalisierung von AT III, gezielte Substitution von plasmatischen Gerinnungsfaktoren (PPSB und Fibrin nur nach sorgfältiger Indikationsstellung),

  • Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem und unfraktioniertem Heparin,

  • Glukokortikosteroide: nicht empfohlen bei Patienten mit stabilen Kreislaufwerten unter Volumen- und Vasopressortherapie,

  • Hämoglobinwerte 7–9 g/dl; Bluttransfusion erst, wenn Hb <7 g/dl,

  • Blutzucker <180 mg/dl, wenn nötig Korrektur mit Insulin (Vorsicht: Hypoglykämiegefahr!),

  • Stressulkusprophylaxe mit H2-Blockern,

  • Kontrolle des Stoffwechsels und künstliche Ernährung, bevorzugt enteral, wenn nicht toleriert: parenteral,

  • Sedierung nach Protokoll.

Prophylaxe von Organfunktionsstörungen

Wichtigste Maßnahme der Prophylaxe von Organfunktionsstörungen bis hin zum Multiorganversagen ist die frühestmögliche Diagnose einer Infektion mit umgehender Ausschaltung der Infektionsquelle („Herdsanierung“). Hierbei ist ein aggressives Vorgehen, auch mit wiederholten operativen Eingriffen, gerechtfertigt. Wichtig sind weiterhin die sofortige Beseitigung von erniedrigten Blutdrücken mit ungenügender O2-Versorgung der peripheren Gewebe bei schweren Traumen, Operationen oder Blutungen, außerdem noch folgende Maßnahmen:

  • Frühosteosynthese von Frakturen,

  • frühestmöglich enterale Ernährung,

  • Verhinderung nosokomialer Infektionen, insbesondere der Lunge,

  • umgehende Behandlung von kardiovaskulären und respiratorischen Störungen,

  • ausreichendes O2-Angebot an die peripheren Gewebe.

Contributor Information

Collaborators: Tobias Fink and Tilmann Müller-Wolff

Nachschlagen und Weiterlesen

  • [1].Dellinger RP, et al. Surviving sepsis campaign: International guidelines for management of severe sepsis and septic shock. Crit Care Med. 2013;41:580. doi: 10.1097/CCM.0b013e31827e83af. [DOI] [PubMed] [Google Scholar]
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Internet

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