Fragestellung: Wie unterscheidet sich die Immunantwort (Produktion virusspezifischer Antikörper und proinflammatorischer Zyto- und Chemokine) von asymptomatischen und symptomatischen Personen mit einer SARS-CoV-2-Infektion?
Hintergrund: Die Immunantwort auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 wird noch nicht ganz verstanden. Insbesondere ist unklar, ob infizierte Individuen nach Rekonvaleszenz Immunität erlangen, an welchen Parametern dieses festzumachen ist und wie lange sie anhält.
Patienten und Methoden: In der Frühphase der COVID-19-Pandemie wurden im Wanzhou Distrikt in China auch asymptomatische Personen mit PCR-gesicherter SARS-CoV-2-Infektion stationär isoliert. Die referierte Studie vergleicht die Immunantwort von 37 Patienten (mittleres Alter 41 Jahre, Spanne: 8-75 Jahre; 22 weiblich) mit gesicherter Infektion ohne typische Symptome in den vorangegangenen 2 Wochen und während des stationären Aufenthaltes mit einer Gruppe von 37 Patienten mit gesicherter, milde verlaufender Infektion und ähnlicher Alters- und Geschlechtsverteilung sowie vergleichbaren Komorbiditäten.
Ergebnisse: Asymptomatische und symptomatische Patienten hatten im ersten positiven Rachenabstrich eine mittels RT-PCR bestimmte vergleichbare SARS-CoV-2-Viruslast (cycle threshold value für ORF1b 32,8 vs. 31,6 und für N 32,6 vs. 33,5). Die asymptomatische Gruppe hatte eine längere Virusausscheidung (19 Tage, Spanne: 6-45 Tage) als die symptomatische Gruppe (14 Tage; p = 0,028).
3-4 Wochen nach Infektion zeigten sich bei den asymptomatischen Patienten in 81,1 % (30/37) virusspezifische IgG-Antikörper (AK) und in 62,2 % (23/37) IgM-AK, während die symptomatischen Patienten in 83,8 % (31/37) IgG-AK und 78,4 % (29/37) IgM-AK aufwiesen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Spiegel der virusspezifischen IgG-AK in der asymptomatischen Gruppe signifikant niedriger als in der symptomatischen Gruppe (3,4; IQR 1,6-10,7 vs. 20,5; IQR 5,8-38,2; p = 0,005).
In der frühen Rekonvaleszenzphase (8 Wochen nach Entlassung) zeigten überraschenderweise 93,3 % (28/30) der asymptomatischen und 96,8 % (30/31) der symptomatischen Patienten einen relevanten Abfall der IgG-AK. Der IgG-Spiegel fiel in der asymptomatischen Gruppe im Mittel um 71,1 % und in der symptomatischen Gruppe um 76,2 %. 40 % der asymptomatischen und 12,9 % der symptomatischen Patienten wurden in dieser Phase gar seronegativ. Anhand eines pseudovirusbasierten Neutralisations-Assays wurde auch der Verlauf virusneutralisierender AK untersucht. 81,1 % (30/37) der asymptomatischen Patienten und 62,2 % (23/37) der symptomatischen Patienten zeigten auch hier einen Abfall der Serumspiegel um 8,3 % (Spanne: 0,5-22,8 %) bzw. 11,7 % (Spanne: 2,3-41,1 %).
Die asymptomatische Gruppe zeigte im Vergleich zur symptomatischen Gruppe bei Aufnahme signifikant niedrigere Spiegel von 18 proinflammatorischen Zyto- und Chemokinen. Die Mehrzahl der untersuchten Mediatoren lagen bei der asymptomatischen Gruppe im Normbereich.
Schlussfolgerung: Asymptomatische Patienten zeigen eine schwächere Immunantwort auf die SARS-CoV-2-Infektion. Der rasche Abfall virusspezifischer IgG-AK hat Implikationen und für die Sensitivität serologischer Tests sowie für Strategien zur Bewältigung der Pandemie.
Kommentar von Dr. med. Wolfgang Gesierich.
Resultat beunruhigt, trotz geringer Aussagekraft der Studie
Der vorliegende Bericht aus einer Frühphase der COVID-19-Pandemie in China (Januar bis März 2020) zeigt eine deutlich abgeschwächte Immunantwort und eine verlängerte Virusausscheidung bei asymptomatischen Patienten mit PCR-gesicherter SARS-CoV-2-Infektion im Vergleich zu Patienten mit mild-symptomatischem Verlauf. In beiden Gruppen zeigte sich in einem hohen Prozentsatz bereits in der frühen Rekonvaleszenzphase (2-3 Monate nach Infektion) ein relevanter Abfall virusspezifischer IgG-Antikörper-Spiegel auf bis zu ein Viertel im Vergleich zu den Ausgangswerten in der akuten Phase. Ein relevanter Anteil an Personen hatte in dieser Phase sogar die Seropositivität bereits wieder verloren.
Auch wenn die Aussagekraft durch die kleine Fallzahl und den fehlenden Einschluss schwer und kritisch erkrankter Patienten eingeschränkt sein dürfte, müssen diese Resultate beunruhigen. Sie haben vielfache Folgen für unseren Umgang mit der Pandemie in der aktuellen Phase nach Abklingen der ersten Infektionswelle.
Die abgeschwächte Immunantwort bei asymptomatischen Infizierten führt möglicherweise zu einer verlängerten Virusausscheidung. Auch wenn eine positive PCR insbesondere in der Spätphase der Infektion nicht zwingend gleichzusetzten ist mit Infektiosität, müssen asymptomatische Personen weiter als wichtige Überträger der Infektion angesehen werden, was die Eindämmung der Pandemie erheblich erschwert. Personen mit durchgemachter Infektion kann aufgrund des gegenwärtigen Wissensstandes nicht ohne Weiteres Immunität bescheinigt werden (z. B. in einem Immunitäts-Ausweis). Auch sie müssen weiterhin Abstands- und Hygieneregeln einhalten, insbesondere, wenn sie zu Risikogruppen gehören.
Die Sensitivität serologischer Tests zur Ermittlung von Dunkelziffern dürfte mit zunehmendem Abstand von der ersten Infektionswelle oder eines lokalen Ausbruchsgeschehens abnehmen. Die rasche Rückläufigkeit adaptiver Immunreaktionen nach durchgemachter Infektion schwächt auch die Hoffnung auf das baldige Erreichen einer ausreichenden Herdenimmunität gegen das neuartige Coronavirus. Schließlich stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit von Impfungen, wenn selbst die durchgemachte Infektion nur zu einer zeitlich begrenzten Immunantwort führt.
Longitudinale Studien in größeren Kollektiven, die neben humoralen auch zelluläre adaptive Mechanismen in der Virusabwehr berücksichtigen, sind dringend erforderlich, um unser Wissen bezüglich der erworbenen Immunität gegen SARS-CoV-2 auf ein breiteres Fundament zu stellen und eine belastbare Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen der Pandemiebewältigung zu erlangen.
Originalie.
Long QX, Tang XJ, Shi QL et al. Clinical and immunological assessment of asymptomatic SARS-CoV-2 infections. Nat Med. 2020; https://doi.org/10.1038/s41591-020-0965-6
Dr. med. Wolfgang Gesierich.
Asklepios-Fachkliniken München Gauting, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie Robert-Koch-Allee 2, 82131 Gauting w.gesierich@asklepios.com