Fragestellung: Welche Bedeutung hat ein Management von Schwangeren mit Gestationsdiabetes (GDM) mittels einer smartphonebasierten App in der derzeitigen Covid-19-Pandemie?
Hintergrund: Das Standardmanagement von Schwangeren mit GDM umfasst regelmäßige ambulante Vorstellungen, bei denen die selbstgemessenen Daten überprüft werden und gegebenenfalls eine Therapieanpassung erfolgt. Seit einigen Jahren stehen zusätzlich telemedizinische Kommunikationstechnologien zur Verfügung, die ein ferngesteuertes Monitoring der Schwangeren ermöglichen, sodass eine persönliche Vorstellung nur im Falle des Beginns einer Insulintherapie erforderlich ist [1]. Eine aktuelle Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien an Schwangeren mit GDM, die telemedizinisch betreut wurden, zeigte, dass bei diesen die Blutglukose effektiver verbessert werden und das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen reduziert werden konnte [2]. Insbesondere in der derzeitigen COVID-19-Pandemie könnte der Einsatz solcher Lösungen zur Verminderung der Anzahl von Arzt-Patienten-Kontakten und dadurch des Infektionsrisikos führen [3].
Patientinnen und Methoden: Von März bis Mai 2020 wurden in der Klinik für Endokrinologie der "Universitat Autonoma" Barcelona, Spanien, 20 Schwangere mit GDM in die Beobachtungsstudie eingeschlossen und mit der "SineDie"-App betreut. Dabei handelt es sich um die Mobilversion (Android-Smartphone) eines webbasierten, integrierten Unterstützungstools, das bei der Analyse der generierten Daten und in der klinischen Entscheidungsfindung durch automatische Modifikation der Diät-Therapie sowie beim Start bzw. Anpassung einer Insulintherapie helfen und Vorschläge zur Insulindosisanpassung unterbreiten kann. Die Studienpatientinnen befolgten dieselben Guidelines wie die Standardpatientinnen, sendeten aber ihre Daten in die App, anstatt sich regelmäßig persönlich vorzustellen. Während die Blutglukose-Daten mittels Bluetooth aus dem Messgerät hochgeladen wurden, gaben die Patientinnen Daten zu Ketonurie, fehlender Diät-Compliance und Insulindosierung manuell ein.
Die App zeigt die aktuelle metabolische Situation mittels Farbcodes ("normal" - "verändert" - "signifikant verändert") an. Das System analysiert die Daten automatisch, die App gibt den Patientinnen ein konstantes Feedback nach jedem Upload, z. B. Hinweise zur Ernährung/ Kohlenhydrataufnahme sowie bei fehlendem Upload >3 Tage eine Erinnerung. Der Arzt hat Zugriff zu allen in der App registrierten Daten und Vorschlägen, z. B. für eine Insulintherapie (Menge und Art des Insulins) und kann den Patientinnen Informationen über erforderliche Anpassungen per Text-Message senden, sie telefonisch kontaktieren oder im Falle einer notwendigen Insulintherapie eine ambulante Vorstellung bei ihm/ihr vereinbaren.
Ergebnisse: 20 Patientinnen erhielten im Median ein Follow-up von 16,5 Tagen (Quartile 25-Quartile 75: 8,6-36,2 Tage). Die mittlere Anzahl (± Standardabweichung) täglicher Glukosemessungen betrug 4,2 ± 0,8. Mittlere (± Standardabweichung) Nüchtern- bzw. postprandiale 1-h-Blutglukose waren 89 ± 12 mg/dl, bzw. 122 ± 23 (Frühstück), 123 ± 21 (Mittagessen) und 122 ± 22 mg/dl (Abendessen). Für Patientinnen, bei denen ein Follow-up von >8 Tagen erfolgte, wurde die mittlere Blutglukose in den ersten und den letzten 3 Tagen angegeben. Letztere hatte sich in den meisten Fällen deutlich verbessert (▶Tab. 1).
| Fall-Nr. | App-Nutzungs-dauer (d) | hochgeladene BG-Werte gesamt (BG-Werte/d) | BG-Werte Nüchtern-/1-h postprandial | durch App generierte Empfehlungen | |||
|---|---|---|---|---|---|---|---|
| erste 3 d | letzte 3 d | Anpassung Diät | Start Insulin | Anpassung Insulin | |||
| 1 | 43,3 | 168 (3,9) | 84/115 | 87/103 | 1 | - | - |
| 3 | 36,6 | 147 (4,0) | 82/119 | 737104 | - | 1 | - |
| 6 | 37,1 | 164 (4,4) | 84/129 | 84/112 | - | 1 | 2 |
| 16 | 15,5 | 55 (3,6) | 86/123 | 89/120 | 1 | - | - |
| 17 | 8,6 | 36 (4,2) | 71/128 | 71/111 | - | - | - |
| 18 | 8,6 | 37 (4,3) | 91/122 | 86/124 | - | 1 | - |
| BG=Blutglukose, d=Tag | |||||||
Das System generierte bei 20 % der Patientinnen notwendige Diät-Modifikationen, 12 Patientinnen begannen eine Insulintherapie, wovon 41,7 % eine Therapieanpassung benötigten. 45,2 % der Insulinempfehlungen wurden durch die Ärzte akzeptiert, 29 % auf später verschoben, 25,8 % abgelehnt.
Die Entbindung erfolgte im Median in 39 Schwangerschaftswochen (Q25-Q75: 38-40 SSW). 6 Schwangere wurden per Sectio entbunden (wegen Frühgeburtlichkeit und Geburtsstillstand). Die mediane Gewichtsperzentile bei Geburt betrug 42 (Q25-Q75: 32,5-58). Wegen Frühgeburtlichkeit wurden 3 Neugeborene auf die Intensivstation verlegt, kein Neugeborenes entwickelte eine Hypoglykämie.
Schlussfolgerungen: Der Einsatz einer smartphonebasierten App in der Begleitung von Schwangeren mit GDM erweist sich als zuverlässig und kann unnötige ambulante Vorstellungen reduzieren, während eine gleichbleibende Qualität der Versorgung und eine Reduktion des klinischen Aufwands im GDM-Management möglich ist.
Kommentar von Dr. med. Jens H. Stupin.
Pandemiebedingte Einschränkung der direkten Versorgung kompensiert
Die vorliegende Studie zeigt, dass telemedizinische Lösungen bzw. smartphonebasierte Apps bei Schwangeren mit GDM zu vergleichbaren Ergebnissen führen können, wie regelmäßige ambulante Vorstellungen. Das Outcome hinsichtlich maternaler (Sektiorate) und neonataler Parameter (large for gestational age = LGA, Verlegungsrate) unterschied sich nicht von dem ambulant betreuter Patientinnen in derselben Klinik. Die Autoren hatten bereits vorher in einer randomisierten Studie gezeigt, dass eine Reduktion von ambulanten Vorstellungen um 88,6 % und der für die einzelne Patientin notwendigen Evaluationszeit um 27,4 % möglich ist und in allen Situationen, die eine Therapieveränderung notwendig machen, sichere Vorschläge durch die App generiert werden [4].
Trotzdem weist auch die Telemedizin Limitationen auf, wie verbesserungswürdige Nutzerfreundlichkeit oder lange Datenladezeiten, die jedoch von den Vorteilen überwogen werden.
Smartphonebasierte App-Lösungen können helfen, die pandemiebedingten Einschränkungen auf die direkte Patientenversorgung zu reduzieren. Dazu sind ein Umdenken bzw. Paradigmenwechsel notwendig, die in der COVD-19-Pandemie neue Perspektiven der Arzt-Patient-Interaktion eröffnen können.
Originalie.
Albert L, Capel I, García-Sáez G et al. Managing gestational diabetes mellitus using a smartphone application with artificial intelligence (SineDie) during the COVID-19 pandemic: Much more than just telemedicine. Diabetes Res Clin Pract. 2020;169:108396
Dr. med. Jens H. Stupin.
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinik für Gynäkologie
Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
jens.stupin@charite.de
Literatur:
- 1.Pérez-Ferre N, Galindo M, Fernández MD et al. Int J Endocrinol. 2010;2010:386941 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 2.Xie W, Dai P, Qin Y et al. BMC Pregnancy Childbirth. 2020;20:198 [DOI] [PMC free article] [PubMed]
- 3.Hollander Judd E, Carr Brendan G. N Engl J Med. 2020;382;1679-81 [DOI] [PubMed]
- 4.Caballero-Ruiz E, Garcia-Saez G, Rigla M et al. Int J Med Inform. 2017;102:35-49 [DOI] [PubMed]

