Fragestellung: Hat eine prophylaktische oder therapeutische Antikoagulation bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf?
Hintergrund: Im Rahmen der COVID-19-Infektion kommt es bei vielen Patienten zu Gerinnungsstörungen, mit der Entwicklung von Thrombosen und Embolien, sowohl im arteriellen wie im venösen Stromgebiet. Dies erklärt, warum bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung gehäuft ischämische Insulte, systemische Embolien, tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien auftreten. Falls hier ein kausaler Zusammenhang besteht, sollte eine Antikoagulation das Risiko dieser thromboembolischen Ereignisse reduzieren und zu einer besseren Prognose führen.
Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine retrospektive Analyse aus fünf Krankenhäusern in New York. Erfasst wurden Patienten zwischen dem 1. März und dem 30. April 2020, die wegen einer COVID-19-Infektion stationär aufgenommen worden waren. Erfasst wurde darüber hinaus, ob die Patienten prophylaktisch oder therapeutisch antikoaguliert worden waren. Der primäre Endpunkt der Studie war die Krankenhaussterblichkeit. Sekundäre Endpunkte waren die Notwendigkeit einer Intubation und schwerwiegende Blutungskomplikationen.
Ergebnisse: Insgesamt 4.089 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien für das Register. Das mittlere Alter betrug 65 Jahre und 44 % der Patienten waren Frauen. 900 Patienten erhielten eine therapeutische, 1.959 eine prophylaktische Antikoagulation und 1.530 Patienten erhielten keine Antikoagulation. Bei 10 % der Patienten bestand eine Vormedikation mit Thrombozytenfunktionshemmern oder oralen Antikoagulanzien.
Insgesamt verstarben 1.073 Patienten während der Studie (20,4 %).
Von den Patienten, die keine Antikoagulation erhielten, wurden 931 (60,8 %) lebend entlassen, 392 (25,6 %) verstarben im Krankenhaus und 207 (13,5 %) befanden sich noch im Krankenhaus.
Von den Patienten, die eine prophylaktische Antikoagulation erhielten, wurden 1.472 (75,1 %) lebend entlassen, 424 (21,6 %) verstarben im Krankenhaus und 63 (3,2 %) wurden noch stationär behandelt.
In der Gruppe der Patienten, die eine therapeutische Antikoagulation erhielten, wurden 89 Patienten (54,3 %) lebend entlassen, 257 (28,6 %) verstarben im Krankenhaus und 154 (17,1 %) waren noch im Krankenhaus.
Eine therapeutische Antikoagulation führte zu einer 47 %igen Reduktion der Krankenhaussterblichkeit (Hazard Ratio [HR]: 0,53; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,45-0,6; p < 0,001). Patienten, die eine prophylaktische Antikoagulation erhielten, hatten eine um 50 % reduzierte Sterblichkeit (HR: 0,50; 95 %-KI: 0,45-0,57; p < 0,01) verglichen mit dem Patienten, die keine Antikoagulation erhielten.
Insgesamt 467 (10,6 %) der Patienten mussten intubiert werden. Das Risiko einer Intubation war bei therapeutischer Antikoagulation um 31 % reduziert und bei prophylaktischer Antikoagulation um 28 % (beide signifikant). Die Rate schwerwiegender Blutungen betrug 3 % bei therapeutischer Antikoagulation, 1,7 % bei prophylaktischer Artikulation und 1,9 % bei Patienten ohne Antikoagulation. Insgesamt war, wenn man die einzelnen Antikoagulanzien betrachtete, die Prognose bei Anwendung von nicht Vitamin-K-abhängigen Antikoagulanzien (NOAK) besser als bei niedermolekularem Heparin. Nur sehr wenige Patienten erhielten unfraktioniertes Heparin.
Schlussfolgerung: Bei hospitalisierten Patienten mit einer COVID-19-Infektion können sowohl eine prophylaktische als auch eine therapeutische Antikoagulation die Krankenhausmortalität und die Prognose verbessern.
Nadkarni GN, Lala A, Bagiella E et al. Anticoagulation, mortality, bleeding and pathology among patients hospitalized with COVID-19: A single health system study. J Am Coll Cardiol 2020. DOI:10.1016/j.jacc.2020.08.041
Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen.
Thrombenbildung im Rahmen der Gerinnungsstörung wird verhindert
Die Ergebnisse dieser großen Registerstudie legen nahe, dass bei hospitalisierten Patienten mit einer COVID-19-Erkrankung sowohl eine prophylaktische als auch eine therapeutische Antikoagulation das Risiko, im Krankenhaus zu versterben, und die Wahrscheinlichkeit einer Intubation reduzieren. Die dabei beobachteten Raten an schwerwiegenden Blutungen sind gering und haben keinen Einfluss auf das Studienergebnis. Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass es sich weder um eine randomisierte Studie noch um eine gematchte Studie bezüglich der Baselineparameter, Begleiterkrankungen und Risikofaktoren handelt.
Vor diesem Hintergrund kann nur indirekt der Schluss gezogen werden, dass eine Antikoagulation die Bildung von Thromben im Rahmen der durch die COVID-19-Erkrankung induzierten Gerinnungsstörung zum Teil verhindert und damit die Prognose verbessert.
