In der Dezember-Ausgabe 2019 von Sales Management konnten Sie lesen, dass der persönliche Kontakt bei Geschäftstreffen bedeutend ist. Kurz danach kam Corona; persönliche Besuche waren unmöglich. Die Chance für die Digitalisierung des Vertriebs wurde jedoch nicht in vollem Umfang genutzt. Woran fehlte es?
Als der Beitrag zur Digitalisierung im Technischen Vertrieb in dieser Zeitung erschien, zeichneten sich bereits am Horizont erste Umrisse einer Pandemie ab. Nach SARS (2002/2003), der Schweinegrippe A/H1N1 (2009/2010) und einigen Influenza-Wellen drohte ein neues Virus pandemisch zu werden: SARS-CoV2, besser bekannt als Corona.
Keine der vorangegangenen Pandemien führte zu einem umfassenden globalen Reisestopp, teilweise mit Ausgangsbeschränkungen wie in Frankreich oder Italien. Einen Lockdown gab es in Deutschland so nicht. Dennoch: Die Wirtschaft schrumpfte wie in allen Staaten auch hierzulande. Das sind die negativen Seiten. Doch es gibt auch Positives: Die Nutzung des Homeoffices erreichte ungeahnte Höhepunkte. Die Digitalisierung nahm rasant Fahrt auf. Nun war sie also da, die große Chance, die digitale Transformation einzuleiten und umzusetzen. Doch wie wurde diese große Chance in deutschen Unternehmen genutzt? Dies wurde am Labor zur Digitalisierung des Technischen Vertriebs an der TH Aschaffenburg untersucht.
In der Studie wurden Experteninterviews mit Personen im Technischen Vertrieb von Unternehmen mit sechs bis 840.000 Mitarbeitern durchgeführt. Neben der breiten Streuung der Unternehmensgröße wurde die Befragung auch in verschiedenen Branchen durchgeführt. Diese Spanne ging vom Maschinenbau und Automobilzulieferer über die Mess- und Medizintechnik bis hin zu Softwareherstellern. Somit wurde das deutsche Industriespektrum repräsentativ abgedeckt.
Die Untersuchung basiert auf fünf Kernfragen mit entsprechenden Vertiefungen:
Gehört das Arbeiten nach analogen Methoden in Ihrem Unternehmen im Vertrieb zum alltäglichen Standard?
Wie sehen Sie den Stand der digitalen Transformation in Ihrem Aufgabenbereich?
Inwieweit nehmen Kunden und Lieferanten Einfluss auf die digitale Transformation?
Welche Auswirkungen hat die Nutzung digitaler Tools im Außendienst in Ihrem Unternehmen?
Sind Sie der Meinung, dass nach ersten Erfahrungen mit der Pandemie der Außendienst durch die Digitalisierung ersetzt werden kann?
Die Fragen wurden den Expertinnen und Experten nach den ersten Lockerungen in der Corona-Phase gestellt. Die Bezeichnung "Corona-Phase" wird im Zusammenhang mit der Untersuchung für die Zeit vom Beginn der Einschränkungen am 10. März bis zum Tag erster Lockerungen, dem 30. April 2020, verwendet. Einer der ersten abgefragten Aspekte war, ob bereits digitale Methoden für den Technischen Vertrieb verwendet wurden oder ob das persönliche Gespräch nach wie vor erste Priorität in den Unternehmen hat.
Push der digitalen Transformation durch Pandemie
Als analoge Methoden gelten Kundenbesuche und Telefonate. 69 Prozent der befragten Unternehmen arbeiten vor, während und nach der Corona-Phase analog. Dies ist unabhängig davon, mit welchem Produkt das Unternehmen handelt. Auffallend ist, dass die Unternehmensleitung in einigen Fällen bereits während der Corona-Phase vorgegeben hat, nach ersten Lockerungen die persönlichen Besuche weiterhin den digitalen Methoden vorzuziehen. Dies trifft die Unternehmen, deren Stärke in einem direkten Vertrieb von Person zu Person liegt. Lediglich bei einem Unternehmen sind Überlegungen, den Vertrieb vermehrt digital durchzuführen, auch in die Praxis umgesetzt worden. Unternehmen, bei denen digitaler Vertrieb schon zum Alltag gehörte, verbuchten während der Corona-Phase geringfügigere Umsatzeinbußen als analog arbeitende Firmen. Es ist überraschend, dass nur ein geringer Anteil der Befragten den digitalen Vertrieb als Chance sieht und nur wenige eine digitale Transformation eingeleitet haben. Wie sieht das im Einzelnen aus?
Die Unternehmen, die schon vor der Corona-Phase digital unterwegs waren, sehen meistens den Fortschritt der digitalen Transformation als gut oder sehr gut an (siehe Abbildung 1). Dies überrascht nicht, haben die Unternehmen doch bereits vor der Pandemie dafür gesorgt, dass der Vertrieb digitale Tools einführt. Bei circa einem Drittel hat offenbar der Sachzwang, ausgelöst durch die Corona-Phase, dazu geführt, dass sie die digitale Transformation begonnen haben und sich bereits auf einem guten Weg befinden.

Bleibt ein Drittel der Unternehmen, die den digitalen Fortschritt als äußerst schlecht einschätzen. Dabei ist bemerkenswert, dass diejenigen Unternehmen, deren Leitung analogen Vertrieb als Pflichtprogramm vorgibt, dennoch erste Schritte in Richtung digitaler Technischer Vertrieb gegangen werden. Es wird also digitale Infrastruktur für die Zukunft aufgebaut. Andererseits scheint es nicht im Sinne des Unternehmens zu sein, die Nutzung zu forcieren.
Dies lässt den Schluss zu, dass Corona ein wichtiger Trigger für den Start in die Digitalisierung des Technischen Vertriebs ist. "Die digitale Transformation in unserem Unternehmen geht voran, auch wenn der Push erst durch die Corona-Pandemie zustande kam", sagt zum Beispiel eine der Befragten. Allerdings ist es so, dass beim Vertrieb nicht allein das verkaufende Unternehmen vorgibt, wie verkauft wird.
Noch mehr als der Sachzwang durch eine starke Reisebeschränkung wiegt der Einfluss der Lieferanten und Kunden auf die Form des Vertriebs, unabhängig davon, ob digitaler oder analoger Vertrieb bevorzugt wird. Betrachtet man den Einfluss auf die Art des Vertriebs, so geben nahezu alle befragten Unternehmen an, dass die Kunden und - soweit vorhanden - auch die Lieferanten einen großen beziehungsweise sehr großen Einfluss auf die Form des Vertriebs nehmen. Dies trifft in knapp 90 Prozent der Fälle zu.
Einfluss der Kunden auf die Form des Vertriebs
In wenigen Fällen wurde angegeben, dass die Kunden und Lieferanten keinen Einfluss nehmen. Markt und Branche, in denen sich diese Unternehmen bewegen, sind hier noch relativ jung. Diese Unternehmen entstanden unter anderem auch wegen der zunehmenden Digitalisierung und den damit verbundenen Möglichkeiten. Zwar erwarten deren Kunden aus traditionellen Gründen, dass hin und wieder persönliche Besuche der Verkäufer erfolgen sollen. Jedoch sind in diesen Lieferketten alle Beteiligten an die Nutzung digitaler Werkzeuge bereits gewöhnt.
In einem umgekehrten Fall lässt sich dies bestätigen: Dabei geht es um Kunden, deren Markt bereits seit mehreren Jahrhunderten besteht. Traditionell fuhren die Verkäufer zu den Kunden. Hier tun sich die Kunden sehr schwer darin, eine digitale Transformation zu unterstützen. Sie fordern sogar regelrecht, dass der Vertrieb analog bleibt. Damit beeinflussen sie diese Entscheidung ebenfalls stark. Es liegt also oft daran, wie der Vertrieb vor dem digitalen Zeitalter durchgeführt wurde und inwieweit die Kunden an die Art und Weise des Verkaufens gewöhnt waren.
Hersteller von Komponenten mit haptischen Elementen haben es zugegebenermaßen schwer, dies den Kunden digital zu vermitteln. In diesen Bereichen haben die Kunden während der Corona-Phase deutlich gemacht, dass sie den persönlichen Besuch durch Vertriebler vermissen. Maßgeblicher Grund dafür waren die fehlende Möglichkeit, die Produkte "in den Händen zu halten". Dieses traditionelle Denken führt dazu, dass die Kunden eine geringe Bereitschaft haben, sich auf Neues einzustellen: "Manche Kunden wollen aus der Komfortzone nicht raus… Hier sind wir gezwungen, weiterhin Kundenbesuche durchzuführen", konstatiert eine der Befragten. Möglicherweise zeichnet sich hier ab, dass es auch eine Generationenfrage sein wird, wie schnell die digitale Transformation stattfinden kann.
Der Außendienst ist unersetzlich
Alle Experten gaben an, dass der klassische Außendienstvertrieb nicht durch digitale Werkzeuge ersetzt werden kann. Betrachtet man die in Ausgabe 12/2019 der Sales Excellence vorgestellten Studie, so überrascht dieses Ergebnis auch nicht. Empathie, die fünf Sinne, Vertrauen und das Verstehen und Zuhören sind Elemente, die zum heutigen Stand der Kenntnis nicht durch digitale Methoden ersetzt werden können. Da aber ein Drittel der Befragten angegeben hatte, bereits digitalen Technischen Vertrieb durchzuführen, musste dieses überraschend eindeutige Ergebnis weiter hinterfragt werden.
Es zeigte sich, dass die digital-affinen Verkäufer digitale Methoden als sehr wichtig, deren Funktionen und Möglichkeiten aber eher als eine Ergänzung zum klassischen analogen Vertrieb ansehen (siehe Abbildung 2). Daraus lässt sich schließen, dass mittelfristig zweigleisig gefahren und nicht ausschließlich auf eine der beiden möglichen Varianten gesetzt wird.

Eine digitale Transformation ist nicht nur mit Kostenersparnis verbunden, sondern verursacht auch Kosten. Zum einen wird weniger gereist, was Zeit und Reisekosten senkt. Zum anderen muss die technologische Infrastruktur angepasst und verbessert werden. Eine weitere Frage ist also, ob der Unternehmenserfolg durch eine zunehmende Digitalisierung der gleiche bleibt oder sich sogar verschlechtern kann.
Mehr Effizienz und Effektivität in der Kundenansprache
Der Einsatz digitaler Tools hat sich für viele Unternehmen ausgezahlt. So sehen 23 Prozent der befragten Experten Zeitersparnisse. Eine Steigerung der Effizienz und der Effektivität durch die Nutzung digitaler Tools sehen 31 Prozent der Unternehmen und für 46 Prozent aller Experten ergeben sich überwiegend positive Auswirkungen. "Wir sind effektiver und effizienter in der Kundenansprache geworden", bemerkt etwa eine Teilnehmerin der Befragung.
Dennoch ist es so, dass ein knappes Drittel auch negative Auswirkungen feststellt. So beobachtete ein Verkäufer, dass er sich selber vor der Kamera nicht mehr so natürlich verhält wie in einem persönlichen Gespräch. Dadurch droht die Vertrauensbasis zwischen ihm und dem Kunden wegzubrechen. Andere bemerken, dass offenbar Informationen zu den Produkten in einer digitalen Kommunikation entweder verloren gehen oder nicht genannt werden. So müssen weitere Gespräche durchgeführt werden, damit der Kunde auch das gewünschte Produkt erhält. Dadurch ist die zuvor aufgrund der fehlenden Reisetätigkeiten gewonnene Zeit in Teilen wieder eingebüßt. Zusätzlich fühlten sich Kunden nicht mehr so gut beraten.
Als nachteilig bewerten die Autoren, dass einige Befragte angaben, geringere Umsätze während der Corona-Phase erzielt zu haben und dies auf den Einsatz digitaler Methoden zurückführten. Sicherlich ist diese Wahrnehmung so nicht korrekt. Unternehmen, die ausschließlich auf Besuche beim Kunden setzen, werden in jedem Fall auch in der Zukunft erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, wenn es aufgrund von höherer Gewalt nicht möglich ist, Kunden persönlich zu kontaktieren.
Weitere Aussagen, die die Autoren als kritisch einstufen, betreffen die Beobachtung, dass manche Unternehmen ihre Aktivitäten um drei Monate oder ein halbes Jahr in die Zukunft verschoben haben. Dies birgt das Risiko, dass im Falle einer zweiten oder dritten Pandemiewelle die Kundenkontakte immer noch nicht stattfinden können und somit der Kontakt zum Kunden über einen sehr langen Zeitraum hinweg verloren geht.
"Your mind is like a parachute. It doesn't work if it is not open"
Welche Rückschlüsse lassen sich für die Digitalisierung im Technischen Vertrieb ziehen und welche Maßnahmen helfen Unternehmen, sich für die Zukunft besser aufzustellen? Dazu wurde festgestellt, dass es eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, digitale Methoden im Technischen Vertrieb nicht nur zu nutzen, sondern dies auch weiter auszubauen. Dabei stehen sich einige Unternehmen allerdings selber im Weg.
"Your mind is like a parachute. It doesn't work if it is not open." Dieses Zitat von Frank Zappa lässt sich auch als Leitfaden für Führungskräfte und Vertriebsmitarbeiter ansehen. Mehrere Experten gaben an, dass die Vorgesetzten auch in der Krise auf persönliche Besuche bestanden. Andererseits investieren dieselben Unternehmen in digitale Infrastruktur. Das zeigt, dass ein Anreiz zur Nutzung fehlt. Die "alten" Anreizstrukturen stellen also eine Barriere für den Fortschritt dar. Solange Kennzahlen im Wesentlichen daraus bestehen, die Zahl der Kundenbesuche zu erfassen und die Außendienstmitarbeiter die Spesen und Auslandspauschalen wie ein zusätzliches Gehalt betrachten, wird es schwer möglich sein, trotz aller Investitionen die Digitalisierung im Technischen Vertrieb schneller und konsequenter voranzutreiben. Es scheint, dass noch viel am Mindset passieren muss, damit auch in Zukunft Unternehmen für solche Zeiten wie die Corona-Phase besser aufgestellt sind.
Am Beispiel der Unternehmen, die auch schon vor Corona auf digitalen Vertrieb gesetzt haben, kann man erkennen, dass es sich durchaus lohnt, digitale Methoden als zusätzliche gewinnbringende Werkzeuge einzusetzen. Man wird effizienter und schneller am Markt agieren können und ist für zukünftige Krisenzeiten sicherer aufgestellt.
Literatur
Schneider-Störmann, L.; Büttner, J. (2020): Sales Excellence Nr. 12, Wiesbaden
Büttner, J. (2020): Virtual Meetings in Sales Engineering: Analyzes of Needs and Utility, LTS&V, TH Aschaffenburg
Kompakt.
Unternehmen, die schon 2019 digitalen Vertrieb eingeführt haben, kamen besser durch die Corona-Phase.
Sowohl Vorgesetzte als auch Außendienstmitarbeiter setzen oder haben falsche Anreize, die Digitalisierung voranzutreiben.
Corona hat einen Impuls zur Einführung digitaler Werkzeuge, die den Vertrieb unterstützen werden, gesetzt.
Biographies
Prof. Dr.-Ing. Ludger Schneider-Störmann
leitet den Vertriebsingenieurstudiengang an der Hochschule Aschaffenburg (www.th-ab.de/itv), ist Mitgründer des Labors für Digitalisierung im Technischen Vertrieb an der TH Aschaffenburg, Gründungspräsident der AASE und ehrenamtlich im VDI engagiert. E-Mail: Ludger.Schneider-Stoermann@th-ab.de
Franky Muhamete
absolvierte seinen Bachelor of Engineering an der TH Aschaffenburg im Studiengang Internationales Technisches Vertriebsmanagement und befasst sich nun in seinem Masterprojekt an der TH Aschaffenburg mit Anforderungen und Konzepten für die digitale Transformation im Technischen Vertrieb. 
E-Mail: Franky.Muhamete@th-ab.de

