Immuntherapien stellen einen therapeutischen Ansatz mit stetig zunehmender Relevanz dar. So ist die Zahl der zugelassenen monoklonalen Antikörper, die erfolgreich in der Immuntherapie eingesetzt werden, rasant von 20 im Jahr 2010 auf 101 bis heute angestiegen. Dies hat dazu geführt, dass für viele Indikationen, die bisher ohne Behandlungsoptionen waren, jetzt Therapieansätze zur Verfügung stehen bzw. dass sich die Therapieoptionen für Krankheiten mit schlechter Prognose deutlich erweitert haben. Weiterhin ist es durch die 2015 erfolgte Zulassung des ersten Checkpointinhibitors durch FDA und EMA gelungen, das Immunsystem gezielt gegen onkologische Erkrankungen zu reaktivieren.
Einen weiteren Meilenstein in der Onkologie stellen die Entwicklung und Zulassung von CAR-T-Zellen dar. Bei chronischen Erkrankungen wie Allergien ist die allergenspezifische Immuntherapie die einzige kausale Immuntherapie, die kontinuierlich nach dem aktuellen State of the Art weiterentwickelt wird. Hier sind z. B. biotechnologisch hergestellte Allergenmoleküle, Peptidepitope, Virus-Like-Particles und RNA-Vakzine in der klinischen Entwicklung. Erste klinische Prüfungen im Bereich der aktiv personalisierten Immuntherapie wurden für onkologische Erkrankungen auf den Weg gebracht, z. B. mittels Peptid- oder mRNA-Vakzine.
Dieses Themenheft wurde im Jahr 2019 geplant, nicht wissend, dass wir uns seit Anfang 2020 in einer Coronapandemie befinden. Gerade die aktuellen Neuentwicklungen im Bereich der Immuntherapie könnten auch Teil einer Strategie zur Prävention/Therapie von COVID-19 werden.
Das vorliegende Heft fokussiert sich auf 2 Themenbereiche: Zum einen auf die Beschreibung von Therapiemöglichkeiten, die auf immuntherapeutischen Ansätzen basieren, und zum anderen auf zusammenfassende Darstellungen neuer Entwicklungen in der Immuntherapie.
Mit der Entwicklung von Checkpointinhibitoren gelang in den letzten Jahren ein Durchbruch in der Tumortherapie, indem erstmals ein Langzeitüberleben bei einem Teil der Patienten erzielt werden konnte. Zander et al. beschreiben die derzeit zugelassenen Checkpointinhibitoren in der Tumortherapie und die Ansätze zur Patientenselektion über prädiktive Biomarker sowie die Entwicklung von Kombinationstherapien, um den Therapieerfolg weiter zu verbessern.
T‑Zellen mit chimären Antigenrezeptoren stellen eine wesentliche Neuentwicklung zur Therapie von Tumorerkrankungen dar. Michels et al. beschreiben die ersten beiden Marktzulassungen auf Basis von chimären Antigenrezeptoren (CARs) für die Bekämpfung weit fortgeschrittener Leukämien. Der Beitrag beschreibt die Wirkungsweise, mögliche Nebenwirkungen, aber auch die derzeitigen Limitationen dieser vielversprechenden neuen Technologie.
Allein in Deutschland leiden derzeit ca. 30 Mio. Menschen unter allergischen Erkrankungen. Die Allergen-spezifische Immuntherapie (AIT) wirkt als einzige kausale, krankheitsmodifizierende Therapieform neben einer Symptomlinderung der Progression allergischer Erkrankungen entgegen. Es sind in Deutschland 62 AIT-Produkte zugelassen und 61 im Zulassungsverfahren nach der sogenannten Therapieallergene-Verordnung. Die Wirkstoffe dieser Produkte basieren auf nativen oder chemisch modifizierten Allergenextrakten. Mahler et al. beschreiben aktuelle immunologische, regulatorische und praxisbezogene Aspekte der AIT. So befinden sich derzeit Nahrungsmittelallergene als neue Wirkstoffklasse in klinischen Phase-II- und Phase-III-Studien und in ersten zentralen Zulassungsverfahren in der EU.
Weltweit leiden derzeit über 250 Mio. Menschen an einer chronischen Infektion mit Hepatitis-B-Virus, die derzeit nur unzureichend therapierbar ist. Da die Chronifizierung der Infektion in vielen Fällen auf eine unzureichende Immunantwort zurückzuführen ist, zielen immuntherapeutische Ansätze darauf ab, Funktionen der zellulären Immunantwort wiederherzustellen. Ivics et al. beschreiben das Potenzial von CAR-T-Zellen, Checkpointinhibitoren, metabolischen T‑Zelltherapien und therapeutischer Impfung zur Stimulation der T‑Zellantwort als immuntherapeutische Strategie zur Therapie der chronischen HBV-Infektion.
In vielen Fällen stellen die Kosten von biomedizinischen Arzneimitteln eine Limitation für die breite Anwendung darauf basierender Therapieansätze dar. Biosimilars könnten dazu beitragen, diese Problematik zu reduzieren. Wolff-Holz und Weise geben eine Übersicht über die mittlerweile 54 in der EU verfügbaren Biosimilars und die Herausforderungen für die Zulassung von Arzneimitteln aus dieser Produktklasse. Grundsätzlich gilt dabei, dass ein Nachweis der physikochemischen und funktionellen Ähnlichkeit zu erbringen ist. Ist dies der Fall, dann wird die Umstellung eines Patienten von einem Referenzprodukt auf ein Biosimilar als unbedenklich angesehen.
Therapeutische Impfstoffe werden insbesondere zur Behandlung von Tumorerkrankungen erforscht und eingesetzt. Im Beitrag von Scheer et al. wird die Anwendung therapeutischer Impfstoffe in den Bereichen Onkologie und neurodegenerative Erkrankungen beschrieben. Klinische und regulatorische Aspekte bei der Herstellung und Anwendung aktiv personalisierter Tumorimpfstoffe werden eingehend erörtert, wie auch die zunehmende Bedeutung und Verwendbarkeit von Big Data bei personalisierten Therapien.
Die Bedeutung des Immunsystems für die Kontrolle des Wachstums von Tumoren und die zugrunde liegenden Mechanismen werden zunehmend deutlich. Dennoch sind weiterhin viele Aspekte unverstanden. Rammensee und Löffler beschreiben die Entwicklung therapeutischer Impfungen gegen Krebserkrankungen und erörtern Gründe für deren bisherige Erfolglosigkeit. In einem Ausblick werden eventuell Erfolg versprechende Entwicklungen, unter besonderer Berücksichtigung von Peptidimpfstoffen, in diesem Kontext diskutiert.
Seit Langem sind Kombinationstherapien von unterschiedlichen Arzneimitteln fester Bestandteil der Medizin. Müller-Berghaus et al. erörtern die regulatorischen Erfordernisse für Kombinationstherapien in der Immunonkologie, die Checkpointinhibitoren, genetisch modifizierte Zelltherapien, Tumorvakzinen und onkolytische Viren beinhalten. Aufgrund der unterschiedlichen Charakteristika und Anzahl der Kombinationspartner ist für jede Entwicklung ein individuell zugeschnittenes Programm erforderlich. De facto bedeutet dies, dass es keine für alle Entwicklungen anwendbare Standardlösung gibt.
Beim Auftreten neuartiger Erreger oder pandemischer Herausforderungen durch Pathogene, gegen die kein präventiver Impfstoff zur Verfügung steht, kommt Antikörpern eine besondere therapeutische Bedeutung zu. Klug et al. beschreiben den Einsatz von monoklonalen Antikörpern als antiinfektive Therapie. Obwohl die Serumtherapie gegen Infektionserreger schon lange bekannt war, wurden Antikörper erst nach 20 Jahren erfolgreichen Einsatzes auch zur Behandlung von Infektionskrankheiten entwickelt. Diese Produkte sowie die aktuellen Entwicklungen von neutralisierenden Antikörpern bei der Therapie der SARS-CoV-2-Infektion werden diskutiert.
Adoptive Thymus-(T-)Zelltherapien stellen ein neuartiges Konzept zur Behandlung verschiedener Krankheiten dar. So sind CAR-T-Zellen als Letztlinientherapie für fortgeschrittene B‑Zell-Lymphome und die B‑Zellleukämie etabliert und zugelassen. Sebe et al. beschreiben zunächst die Funktionen regulatorischer T‑Zellen und deren Bedeutung bei der Pathogenese bestimmter Immunerkrankungen. Sie geben einen Überblick über den Stand therapeutischer Ansätze auf der Basis modifizierter regulatorischer T‑Zellen. Die regulatorisch-wissenschaftlichen Aspekte hinsichtlich Herstellung und Qualitätskontrolle sowie Testung genetisch modifizierter regulatorischer T‑Zellen als Arzneimittel für neuartige Therapien werden beschrieben.
Rekombinant hergestellte Therapieallergene bieten die Möglichkeit, optimierte allergenspezifische Immuntherapien durch Verbesserung der allergenen und immunogenen Eigenschaften zu entwickeln. Holzhauser et al. geben eine Übersicht über die publizierten, in klinischen AIT-Studien eingesetzten molekularen Allergietherapeutika. Ihr Mehrwert sowie die Herausforderungen gegenüber aus natürlichen Allergenquellen isolierten Therapieallergenen werden diskutiert. Ziel ist die Entwicklung hoch wirksamer und verträglicher AIT-Präparate mit einer verbesserten Patientenakzeptanz und -adhärenz.
Neuartige Immuntherapien werden häufig im Rahmen von sogenannten adaptiven Studien untersucht. Der Beitrag von N. Paul diskutiert diese Studiendesigns, um typische Strukturmerkmale herauszuarbeiten. So können mögliche ethische Probleme identifiziert und Lösungsansätze entwickelt werden. Ein Fokus liegt hierbei auf der Untersuchung der wissenschaftlichen Validität von Evidenz, auf Fragen des Einschlusses von Studienteilnehmern unter der Bedingung von relativer Unsicherheit und auf spezifischen Herausforderungen für die ethische Bewertung adaptiver Studien.
Abschließend erörtert E. Huppertz das Spannungsfeld zwischen einerseits der erfolgreichen Entwicklung von Immuntherapien und andererseits den damit verbundenen wachsenden Kosten für die gesetzlichen Krankenversicherungen. Er kommt zu dem Schluss, dass diese neuartigen Therapien zwar die GKV-Budgets belasten, aber die Auswirkungen derzeit noch begrenzt sind.
Naturgemäß bleibt eine Reihe von Fragen offen, bspw. zu Ansätzen der Immuntherapie von weiteren chronischen viralen Erkrankungen wie HIV und HCV oder zu weitergehenden immuntherapeutischen Ansätzen zur Tumortherapie. Diese würden den Rahmen des Hefts sprengen; in den Referenzen zu den einzelnen Themen wird jedoch auf entsprechende Arbeiten verwiesen.
Wir hoffen, dass die im dem vorliegenden Heft vorgenommene Fokussierung auf ausgewählte Bereiche geeignet ist einen Überblick über die Grundlagen immuntherapeutischer Ansätze, wesentliche regulatorische und ethische Aspekte und aktuelle Entwicklungen zu vermitteln, um so den Mehrwert, aber auch offene Fragen und die Limitationen dieser Ansätze zu verdeutlichen.
Interessenkonflikt
S. Vieths, E. Hildt und G. van Zandbergen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Contributor Information
Stefan Vieths, Email: Stefan.Vieths@pei.de.
Eberhard Hildt, Email: Eberhard.Hildt@pei.de.
Ger van Zandbergen, Email: Ger.vanZandbergen@pei.de.
