Abstract
Italien war die erste westliche Nation, die von der Pandemie betroffen war, und wurde so zum Vorreiter im Kampf gegen die neue Corona-Epidemie. Der Ausbruch der COVID-19-Krankheit stellte das Land vor große, nicht immer gut bewältigte Aufgaben. Am 15. September 2020 waren landesweit insgesamt 288.723 Personen an COVID-19 erkrankt, von denen 35.641 verstarben. Der Diskussionsbeitrag fragt danach, ob und was wir aus den italienischen Erfahrungen und dem in vielen Ländern unterschiedlichen Umgang mit der Pandemie lernen können.
Schlüsselwörter: COVID-19-Pandemie in Italien, Risikoabschätzung, Rolle von Wissenschaft und Politik, Gesellschaftliche Folgen, Kohärentes Aktionssystem
Abstract
Italy was the first Western nation to be affected by the pandemic, becoming a pioneer in the fight against the new corona epidemic. The outbreak of COVID-19 disease presented the country with major challenges, which were not always well managed. On September 15, 2020, there were a total of 288,723 cases in Italy, with 35,641 COVID-19 related deaths nationwide. The present paper asks whether there is anything to be learned from the Italian experience and the different ways in which the pandemic is being managed in many countries.
Keywords: COVID-19 pandemic in Italy, Risk assessment, Role of science and politics, Social consequences, Coherent action system
Darstellung des „italienischen Falls “ und was aus ihm zu lernen ist
Mit Blick auf Italien als dem ersten „westlichen“ Land, das von der weltweiten, von China ausgehenden Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus betroffen war, wird dargestellt, welche Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit von der italienischen Regierung ergriffen worden sind und – rückblickend – welche zusätzlichen hätten angewendet werden sollen. Es ist wichtig, die medizinischen und gesundheitspolitischen Reaktionen auf das neue Virus mit einer Skizze der gesellschaftlichen Folgen und kontroversen öffentlichen Diskursen über die wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Schließung ganzer Lebensbereiche zu verbinden. Abschließend soll versucht werden, die Frage zu beantworten, was für Schlussfolgerungen aus den italienischen Erfahrungen des Jahres 2020 zu ziehen sind.
Schock und Ratlosigkeit am Beginn des Ausbruches von SARS-CoV-2
Bekanntlich kam es im Dezember 2019 in der Stadt Wuhan zu einer Häufung von Lungenentzündungsfällen mit unbekannter Ätiologie. Einige Tage später hat das chinesische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (CDC) berichtet, dass ein neues Coronavirus (ursprünglich 2019-nCoV, jetzt SARS-CoV-2) und die von ihm verursachte Krankheit „Coronavirus Disease 2019“ (COVID-19) identifiziert und die Genomsequenz veröffentlicht worden sei [1], [2]. Die WHO erklärte am 11. März 2020 das Ausbreitungsgeschehen zur Pandemie [3].
Italien wurde von der weltweiten Verbreitung dieses Virus besonders schwer getroffen, man sprach von einer „Todeszone“. Vom 24. Februar bis zum 30. April 2020 kam es hier zu insgesamt 205.463 Infektionen, davon 1.694 schwere Fälle mit akutem respiratorischen Syndrom, 27.967 Menschen starben [4]. Die Mehrheit der Fälle konzentrierte sich auf die nördlichen Regionen Lombardei, Piemont, Emilia-Romagna und Venetien.
Die 2019 vom Global Monitoring Preparedness Board allen Regierungen vorgeschriebenen Maßnahmen zur besseren Bekämpfung von Epidemien [5] konnten in Italien im frühen Kampf gegen das SARS-Cov-2-Virus nicht berücksichtigt werden.
Da es beim Ausbruch einer Epidemie wichtig ist, das epidemiologische Muster eines Virus zu erkennen, ging es bei den ersten Fällen darum, mittels eines „Patientenindex“ den „Patienten 1“ ausfindig zu machen. In Italien war das am 20. Februar 2020 in Codogno (Lombardei) [6] ein 37-jähriger Mann, der wegen einer Lungenentzündung auf die Intensivstation kam und positiv auf die Covid-19-Krankheit getestet wurde. Zuvor hatte er 36 Stunden lang auf den Corona-Test warten müssen und in dieser Zeit mit vielen Menschen Kontakt gehabt [7]. In Mailand [8] wurde ein weiterer „Patient 1“ gefunden, der an demselben Tag die gleichen Symptome aufwies. Die Analyse der genetischen Sequenz des Virus ergab, dass die beiden Patienten mit unterschiedlichen genetischen Cluster infiziert waren. Anfang März gelang es im Mailänder Luigi Sacco-Hospital dann die phylogenetische Analyse der ersten drei Genome aus in der Lombardei zirkulierenden italienischen SARS-CoV-2-Isolaten zu finden und diese zu sequenzieren [9].
Am 8. März 2020 bezogen sich die Maßnahmen der Regierung im Wesentlichen nur auf den Norden des Landes [10]. Das hatte den Nebeneffekt, dass es zu einem Exodus vieler Menschen, die in Norditalien arbeiten, im Süden jedoch Mitglieder ihrer Familie haben, kam und sich das Virus auch dort ausbreitete. Zwei Tage später wurde ein landesweites Überwachungssystem verordnet, darunter auch die Isolation von bereits positiv getesteten Personen und solchen, die mit einer infizierten Person in Kontakt waren, wodurch es zu einer deutlichen Verringerung der Ausbreitung der COVID-19-Epidemie kam. Danach wurde landesweit eine drastische Ausgangssperre verfügt. Aus dem Haus gehen durfte nur, wer Lebensmittel oder Medikamente einkaufte oder zur Arbeit gehen musste [11]. Hinzu kamen viele soziale Abstandsregeln und die Aufklärung der Bevölkerung über eine notwendige Änderung ihres gewohnten Lebensstiles [12] (Abbildung 1 ).
In den Jahren vor der Pandemie hatten zahlreiche Experten, so auch Walter Ricciardi, von der WHO, darauf hingewiesen, dass in das italienische Gesundheitswesen zu wenig investiert werde und es zugleich eine Verschwendung der zur Verfügung stehenden Mittel gab. Die italienischen Gesundheitsausgaben sind im Vergleich zu Frankreich und Deutschland nicht besonders hoch. So hat Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern 28.000 Intensivbetten, davon 25.000 Betten mit der Möglichkeit einer künstlichen Beatmung, während Italien zu Beginn der Epidemie nur über 5.200 Intensivbetten verfügte [13], [14]. Wegen dieser, auch personellen, Unterversorgung hat die Regierung per Dekret im März die Zahl der Betten, der Ärztinnen und Ärzte sowie des Pflegepersonals deutlich erhöht [15].
Organisationsmängel
Auch fehlte es an institutionsübergreifenden Aktionsplänen und – im Gegensatz zu Deutschland – an einer Vernetzung von Polikliniken, die in wenigen Jahren von 1.500 auf 3.173 angestiegen sind, wodurch alle Maßnahmen bei der Bekämpfung von Epidemien, einschließlich der Isolierung von Patienten, erleichtert werden [16]. In Italien hat man aber auch etwas gelernt: es entstanden vorbildliche Initiativen, etwa zur Förderung der Zusammenarbeit bei der Beschaffung medizinischer Geräte [17], wie sie in Alessandria, einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Provinzen, entwickelt worden ist, oder Plattformen wie „www.covid19alessandria.help“, die der Zusammenarbeit von Einrichtungen der öffentlichen Gesundheit, der Forschung und Technologie gewidmet sind, durch welche man in der Region Veneto besser auf die Krise reagieren konnte [18]. Auf kommunaler Ebene gab es z.B. die Territorial Units for Social Emergency (UTES), die vom Rat der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dieser Provinz, eingerichtet wurden, um den gefährdetsten Personen lebenspraktisch zu helfen [19].
Risikofaktoren und -gruppen
Am 19. März hatte Italien mit der damals dramatischsten Zuspitzung in Europa mit 3.405 Gestorbenen mehr Tote zu beklagen als China mit 3.253 Todesfällen [20], [21]. Das Istituto Superiore di Sanità [22] meldete bis zum 15. September insgesamt 288.723 (kumulative Daten) Erkrankungen und landesweit 35.641 Todesfälle (Abbildung 2 und Tabelle 1 ).
Tabelle 1.
Regionen | Infektionen | Einwohner | Kumulative Inzidenz pro 100.000 Einwohner |
---|---|---|---|
Lombardei | 103.621 | 10.103.969 | 1025,55 |
Aostatal | 1.260 | 125.501 | 1003,98 |
Trentino Südtirol | 8.665 | 1.074.819 | 806.18 |
Piemont | 33.988 | 4.341.375 | 782,89 |
Ligurien | 11.952 | 1.543.127 | 774,53 |
Emilia-Romagna | 33.631 | 4.467.118 | 752,86 |
Venetien | 24.996 | 4.907.704 | 509,32 |
Marken | 7.571 | 1.518.400 | 498,62 |
Toskana | 12.958 | 3.722.729 | 348,08 |
Friaul-Julisch Venetien | 4.211 | 1.1.211.357 | 347,63 |
Abruzzen | 4.030 | 1.305.770 | 308,63 |
Umbrien | 2.078 | 880.285 | 236,06 |
Lazium | 13.416 | 5.865.544 | 228,73 |
Molise | 562 | 302.265 | 185,93 |
Sardinien | 2.720 | 1.630.474 | 166,82 |
Apulien | 6.592 | 4.008.296 | 164,46 |
Kampanien | 8.881 | 5.785.861 | 153,49 |
Sizilien | 5.343 | 4.968.410 | 107,54 |
Basilikata | 583 | 556.934 | 104,68 |
Kalabrien | 1.665 | 1.924.701 | 86,51 |
Datenquelle: Daten für die Einwohnerzahlen ISTAT (Istituto Nazionale di Statistica) und für die Infektionen Istituto Superiore di Sanità vom 15. September 2020.
Interessant ist, dass das Durchschnittsalter der Verstorbenen in Italien 80 Jahre betrug und mehr als zwei Drittel Vorerkrankungen hatten. Von den verstorbenen Patienten waren 40,9% zwischen 80 und 89 Jahre alt, 26,1% zwischen 70 und 79, 10% zwischen 60 und 69 und 3,5% zwischen 50 und 59 Jahre alt, während Personen über 90 Jahre nur 18,3% ausmachten [23] (Tabelle 2 ).
Tabelle 2.
Altersklasse | Männliche Probanden |
Weibliche Probanden |
Gesamtheit der Fälle |
||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Anzahl der Fälle | % Fälle insgesamt | Anzahl der Todesfälle | % aller Todesfälle | % Tödlichkeit | Anzahl der Fälle | % Fälle insgesamt | Anzahl der Todesfälle | % aller Todesfälle | % Tödlichkeit | Anzahl der Fälle | % Fälle insgesamt | Anzahl der Todesfälle | % aller Todesfälle | % Tödlichkeit | |
0-9 | 2.296 | 51.6 | 1 | 25.0 | 0.0 | 2.157 | 48.4 | 3 | 75.0 | 0.1 | 4.453 | 1.5 | 4 | 0.0 | 0.1 |
10-19 | 4.968 | 53.3 | 0 | 0.0 | 0.0 | 4.353 | 46.7 | 0 | 0.0 | 0.0 | 9.321 | 3.2 | 0 | 0.0 | 0.0 |
20-29 | 13.152 | 51.4 | 12 | 80.0 | 0.1 | 12.451 | 48.6 | 3 | 20.0 | 0.0 | 25.607 | 8.9 | 15 | 0.0 | 0.1 |
30-39 | 13.038 | 48.8 | 45 | 66.2 | 0.3 | 13.692 | 51.2 | 23 | 33.8 | 0.2 | 26.734 | 9.3 | 68 | 0.2 | 0.3 |
40-49 | 16.887 | 44.2 | 224 | 71.6 | 1.3 | 21.305 | 55.8 | 89 | 28.4 | 0.4 | 38.193 | 13.2 | 313 | 0.9 | 0.8 |
50-59 | 23.269 | 46.9 | 944 | 75.8 | 4.1 | 26.392 | 53.1 | 301 | 24.2 | 1.1 | 49.663 | 17.3 | 1.245 | 3.5 | 2.5 |
60-69 | 20.917 | 58.8 | 2.718 | 76.0 | 13.0 | 14.673 | 41.2 | 857 | 24.0 | 5.8 | 35.591 | 12.3 | 3.575 | 10.0 | 10.0 |
70-79 | 20.644 | 56.7 | 6.456 | 69.3 | 31.3 | 15.786 | 43.3 | 2.865 | 30.7 | 18.1 | 36.430 | 12.6 | 9.321 | 26.2 | 25.6 |
80-89 | 17.402 | 40.4 | 7.983 | 54.7 | 45.9 | 25.657 | 59.6 | 6.603 | 45.3 | 25.7 | 43.066 | 14.9 | 14.586 | 40.9 | 33.9 |
>90 | 3.980 | 20.3 | 2.064 | 31.7 | 51.9 | 15.663 | 79.7 | 4.449 | 68.3 | 28.4 | 19.643 | 6.8 | 6.513 | 18.3 | 33.2 |
Alter nicht bekannt | 5 | 22.7 | 0 | 0.0 | 0.0 | 17 | 77.3 | 1 | 100.00 | 5.9 | 22 | 0.0 | 1 | 0.0 | 4.5 |
Gesamt | 136.558 | 47.3 | 20.447 | 57.4 | 15.0 | 152.146 | 52.7 | 15.194 | 42.6 | 10.0 | 288.723 | 100.0 | 35.641 | 100.0 | 12.3 |
Datenquelle: Istituto Superiore di Sanità, COVID-19 Epidemie, Integriertes Covid-19 Surveillance Bulletin vom 15. September 2020.
Auch wurde festgestellt, dass Frauen wegen einer höheren Anzahl von T-Lymphozyten weniger infiziert wurden als Männer [24] und wenn sie nach einer SARS-CoV-2-Infektion dennoch starben, waren sie älter als die Männer (durchschnittlich 85 versus 79 Jahre) [25]. Dieses wissenschaftlich noch kaum untersuchte Phänomen lässt einen an den Fall von „Großmutter Lina“, der Frau, die mit 102 Jahren das Coronavirus besiegt hat, denken.
Oft wurden die anfangs hohen italienischen Totenzahlen – besonders mit Blick auf die katastrophale Situation in Bergamo – darauf zurückgeführt, dass in einigen italienischen Regionen besonders viele „Hundertjährige“ (centenari) leben, die überraschenderweise eine relative Immunität zeigten, für welche eine genetische Disposition entscheidend sein mag [26]. Und in Sardinien, wo es eine der fünf italienischen „blauen Zonen“ (Bereiche mit vielen Personen von hundert und mehr Jahren) gibt, ist aus dieser Alterskohorte sogar niemand infiziert worden [27].
Wie in vielen Ländern gab es nach den ersten Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen auch in Italien eine epidemiologische Veränderung der SARS-CoV-2-Epidemie durch eine auffällige Verjüngung derjenigen, die infiziert wurden. Das Durchschnittsalter der vom 24. August bis 11. September diagnostizierten Fälle betrug 35 Jahre. Nun waren wieder kommerzielle Aktivitäten möglich, Treffpunkte offen und Reisen erlaubt [6].
Die Erhöhung der Fallzahlen infizierter Menschen durch Tests
Inzwischen ist anerkannt, dass die Zahlen der Infizierten und der Toten (wobei die Unterscheidung von Menschen, die am Virus gestorben sind und denen, die mit dem Virus infiziert sind, nicht genügend unterschieden werden) stark von der Anzahl der Tests abhängig sind. Dabei gilt als diagnostischer Ansatz derjenige, der auf der Suche nach viraler RNA auf mittels des Rhino-Pharyngeal-Tupfers basiert. Hinzu kommen Tests zur Schätzung, wie viele Menschen inzwischen Antiköper gebildet haben. In Italien wurden die Tests in Laboratorien durchgeführt, die von den Regionen (welche auch die Kosten dafür übernehmen) gemäß den mit dem Nationalen Referenzlabor des Istituto Superiore di Sanità vereinbarten Modalitäten und Verfahren analysiert werden, wobei auch hier die Kapazität der vorhandenen Laboratorien bald überstiegen war [28].
Nichtwissen als Ausgangslage
Krisen markieren Zäsuren im alltäglichen Dahinleben. Immer handelt es sich um Latenzzustände, die unvermeidlich mit Nichtwissen verbunden sind. Das gilt auch für Pandemien, in denen individuelle Ängste in kollektive transformiert werden. Seit dem Frühjahr entstand eine „Weltgesellschaft“ der Gefährdung bei gleichzeitig großen nationalen Unterschieden beim Versuch der Bewältigung (teilweise Verdeckung oder Leugnung) der lebensbedrohlichen Gefahren. Einerseits gab es eine öffentliche Präsenz von Spezialisten, besonders Virologen, andererseits den Handlungsdruck auf Politikerinnen und Politiker im „Ausnahmezustand“, der aber auch zur „Stunde der Exekutive“ wurde. In Italien hat der Presidente del Consiglio, Giuseppe Conte (der übrigens, ohne angeklagt zu sein von einem Staatsanwalt drei Stunden lang zu möglichen Versäumnissen der Regierung befragt worden ist), eine Taskforce gebildet und einen außerordentlichen Kommissar zur Bekämpfung des „unsichtbaren Feindes“ [6], [29] eingesetzt.
Die Pandemie war begleitet von gewaltigen gesellschaftlichen Krisen und kontroversen Diskursen, etwa über die bald zu erwartende Impfung, wobei für viele gefährliche Erreger eine solche bis heute nicht existiert. Aber trotz aller skeptischen Stimmen bis hin zu radikalen Formen der Ablehnung der politischen Regulierungen gibt es, besonders in Italien, eine hohe Zustimmung zu der politischen Vorsorge In einer Befragung in Italien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Deutschland zeigt sich, dass die Menschen in Italien mit 90% die größte Angst vor einer Infektion haben, die Franzosen mit 76% und die Briten mit fast 78%, während bei den deutschen Befragten sich nur 46% vor der Ansteckung fürchten. Ausgerechnet in dem ‚staatsfeindlichen‘ Italien wird der Regierung Conte mit 72% der Befragten ein unglaublich hohes Vertrauen entgegengebracht, während das für die Regierung Merkel nur 47% so tun [30].
Künftig wird man selbst im Falle weiterer wirtschaftlicher Krisen die Gesellschaften nicht noch einmal so radikal abschotten können, denn der Schutz der Bevölkerung konkurriert mit Wirtschafts- und Beschäftigungskrisen. So sprach etwa Michael Ryan von der WHO von einem notwendigen „Gleichgewicht“ zwischen der Kontrolle des Virus und den sozialen und wirtschaftlichen Folgen [31]. Wenn inzwischen gefunden wurde, dass das SARS-CoV-2-Virus sein körperliches Zerstörungswerk mithilfe einer durch dieses ausgelösten Überreaktion des Immunsystems zu steigern vermag [16], so könnte nun sichtbar werden, dass dies möglicherweise auch für das – metaphorisch gesprochen – politische „Immunsystem“ der Sicherungsmaßnahmen gegen Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und geschäftliche Pleiten – besonders auch der Einzelunternehmerinnen und -unternehmer sowie für systemrelevante Schlüsselbranchen gelten könnte. Denn die Staatsverschuldungen könnten dadurch ins Unermessliche steigen.
Wissen für die Zukunft? Versuch einer Conclusio
Was also wäre künftig zu tun, bei weiteren Wellen des SARS-CoV-2 oder dem Erscheinen eines neuen Virus? Einige hypothetische Vorschläge für einen künftigen Aktionsplans möchten wir dazu machen:
-
1.
Bedarf einer Verfeinerung epidemiologischer Muster zur schnellen Identifizierung des jeweiligen Virus;
-
2.
Management zum Nachweis der Infektionen mit einer zumindest EU-weiten Regulierung von Kontaktzonen sein;
-
3.
Zurückgreifen auf die bereits eingespielten Abstands- und Schutzvorkehrungen;
-
4.
Ständige öffentliche Informationen nicht nur über die Infizierungen, sondern auch über die in Kliniken zu behandelnden Krankheitsfälle und darüber hinaus die Zahl schwerer Verläufe sowie schließlich Informationen über die daran Verstorbenen;
-
5.
Umstrukturierung vieler Teile des Gesundheitssystems, um die für die Behandlung schwerwiegender Fälle erforderlichen Krankenhauskapazitäten (ohne die bedenkliche Zurückstellung der Behandlung anderer lebensbedrohlich Erkrankter) bereitstellen zu können;
-
6.
Bessere Abstimmung zwischen den Nationalstaaten (zumindest in der EU), auch zur Übernahme von Patienten aus strukturell überlasteten medizinischen Einrichtungen (wie das durch Einzelinitiativen in Deutschland für Kranke aus Italien und Frankreich geschah);
-
7.
Ergänzende Strukturen für die Diagnose und Isolierung infektiöser Patienten und ihrer Kontakte schaffen;
-
8.
Gesamtgesellschaftliche Lockdowns wären denkbar beim Auftreten eines noch nicht identifizierten Virus, jedoch werden sie wahrscheinlich abgelöst von baldigen fallbezogenen Regionalisierungen;
-
9.
Bessere Ausbildung und adäquatere Bezahlung der Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Neben den hohen gesundheitlichen Risiken werden die gesellschaftlichen Folgen zukünftig ebenfalls eine besondere Herausforderung, weshalb die – allerdings wichtige – medizinische Perspektive ergänzt werden muss durch Beobachtungen des gesellschaftlichen Lebens.
Danksagung
Herzlich danke ich meinem Sohn Antonio Pio Montefusco für seine Hilfe bei der Bearbeitung der grafischen Karte.
Interessenkonflikt
Die Autorin und die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte bestehen.
Autorenschaft
Alle Autoren konzipierten und gestalteten die Studie; SMA und CM haben das Manuskript verfasst und endgültige Überarbeitungen vorgenommen. Alle Autoren haben die veröffentlichte Version des Manuskripts kritisch überarbeitet, gelesen und sind damit einverstanden.
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