Wie verbindlich sind "Empfehlungen"? Viele Regeln zum Infektionsschutz könnten mit dem vielleicht irreführenden Etikett "Empfehlung" versehen werden. Das ist ein Trugschluss, da sie sich am aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand orientieren und damit über eine Sanktionierung oder sonstige Rechtsfolgen als verbindlich gelten müssen. Bestandteil der Sorgfaltspflichten der Träger und Leitungen ist, jeweils auf dem aktuellsten Empfehlungsstand zu sein.
Zu organisatorischen Vorgaben und Verhaltenspflichten kommen umfangreiche Meldepflichten: In Bezug auf Covid-19 wurde eine Ergänzung in Gestalt einer Ausdehnung der im IfSG (Infektionsschutzgesetz) geregelten Meldepflichten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 (dort als neuer Buchstabe t) und § 7 Abs. 1 IfSG (dort als neuer Buchstabe 44 a) ins Gesetz aufgenommen. Infektionen mit dem Coronavirus sind seither, zunächst ein Jahr lang, und zwar befristet bis zum 31. Januar 2021, ausdrücklich meldepflichtig. Prognostisch ist von einer Verlängerung dieser Befristung auszugehen. Neben den feststellenden Ärzten (oder auch Heilpraktikern) ist die Leitung von Einrichtungen nach § 36 IfSG, d.h. solcher Einrichtungen, die sich der Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen widmen, meldepflichtig. Allerdings trifft die Meldepflicht auch Angehörige sonstiger Heil- und Pflegeberufe, sofern der Beruf für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung oder Anerkennung erfordert. Sie entfällt nur, wenn ein Nachweis vorliegt, dass die Meldung bereits anderweitig erfolgt ist.
Sämtliche Meldepflichten spielen in der Infektionsvermeidung sowie der Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten eine wichtige Rolle. Damit erlangen sie auch in erheblichem Maße rechtliche Bedeutung. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit den Konsequenzen von Verstößen gegen die rechtlichen Vorgaben.
Unterlassen der Meldung ist Ordnungswidrigkeit
Zu den rechtlichen Konsequenzen sei als spezielle Rechtsnorm zunächst § 74 IfSG erwähnt: Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer bestimmte Ordnungswidrigkeiten begeht, die in § 73 IfSG bußgeldbewehrt sind und hierdurch eine der Krankheiten verbreitet, die in § 6 und § 7 IfSG genannt sind, darunter SARS-CoV-2. Der Mechanismus der Regelung funktioniert also ergebnisorientiert: Das Unterlassen der Meldung, gleich ob fahrlässig oder vorsätzlich, ist stets eine Ordnungswidrigkeit, die im konkreten Fall mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro geahndet werden kann. In dem Moment, in dem die zusätzliche Voraussetzung hinzutritt, dass durch das Unterlassen der Meldung der Krankheitserreger verbreitet wird, wird das Verhalten nach § 74 IfSG strafbar und kann eine Geld- oder Freiheitsstrafe nach sich ziehen.
SARS-CoV-2: "Erhebliche Infektionserkrankung"
Daneben gelten die allgemeineren Straftatbestände des StGB (Strafgesetzbuch). Hier sind insbesondere die Tatbestände der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) interessant: Die angedrohten Strafmaße sind sind hier eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf (§ 222) oder bis zu drei Jahren (§ 229) oder jeweils eine Geldstrafe. Als Körperverletzung gilt auch eine Gesundheitsbeschädigung, das heißt etwa eine Infektion mit einem Krankheitserreger. Die Rechtsprechung differenziert hier noch nach dem jeweiligen Stadium: Die Körperverletzung gilt als vollendet, wenn die Infektion verursacht worden und ausgebrochen ist. Denn dann manifestiert sich der pathologische Zustand ganz sicher.
Der Jurist streitet gern, also gibt es auch unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob die bloße Infektion vor Ausbruch der Erkrankung schon für die Verwirklichung des Straftatbestandes ausreicht. Unterschieden wird danach, ob die Infektionskrankheit "nicht ganz unerheblich" ist: In diesem Fall wird die Verwirklichung bereits mit der Infektion selbst angenommen, unabhängig davon, ob und wann die Erkrankung ausbricht. Das dürfte ohne weiteres für SARS-CoV-2 gelten.
Ausbildungsstand und Berufsstandards entscheidend
Beide Vorschriften, § 222 und § 229 StGB, sehen das Erfordernis einer Verursachung der jeweiligen Folgen durch fahrlässiges Handeln vor. Begrifflich meint dies, die Tatfolge - in unserem Falle also die Infektion selbst oder den durch diese verursachten Todeseintritt - dadurch verursacht zu haben, dass die "im Verkehr erforderliche" Sorgfalt nicht beachtet wird. Fahrlässiges Handeln ist im deutschen Strafrecht nur strafbar, wenn das ausdrücklich in einer Rechtsnorm - wie § 222 oder § 229 StGB - geregelt ist.
Welcher Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, bestimmt sich anhand der konkreten Umstände und der Situation der Beteiligten. Einerseits gibt es einen Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht (wie beispielsweise die Einhaltung der Hygiene- und Infektionsschutzstandards). Individuell ist aber natürlich zu beachten, wer einen Verstoß begeht: Es kommt entscheidend darauf an, wie die berufliche soziale Rolle sich gestaltet und die eigenen Fähigkeiten beschaffen sind. Der Ausbildungsstand spielt eine ebenso entscheidende Rolle spielt wie pflegewissenschaftlich aktuell anerkannte Berufsstandards. Der Beruf kann also eine Grundlage für einen späteren Fahrlässigkeitsvorwurf bilden. Die Missachtung ausbildungsbekannter Hygienestandards oder die Nichtbeachtung der Vorgaben eines hausindividuellen Hygieneplans führen zum Vorwurf der Fahrlässigkeit und damit zur Möglichkeit der strafrechtlichen Sanktion.
Auch Arbeitgeber strafrechtlich verantwortlich
Auch den Arbeitgeber, geschäftsführende oder leitende Mitarbeiter trifft eine strafrechtliche Verantwortlichkeit: Einerseits bei der Verletzung organisatorischer Pflichten zur Infektionsvermeidung; andererseits bei Untätigkeit in Kenntnis von Verstößen gegen bestehende Weisungen oder etwa Hygienepläne durch Arbeitnehmer (hier liegt die Verwirklichung des Straftatbestandes im Unterlassen des Tätigwerdens trotz bestehender Pflicht zum Handeln). Halten Träger und Leitung einer Pflegeeinrichtung keine hinreichende Schutzausrüstung bereit und kommt es hierdurch zu einer Infektion eines Bewohners, gilt das als fahrlässig. Arbeitet Personal in Kenntnis der unterlassenen Sicherheitsmaßnahmen, ist von einem eigenen Fahrlässigkeitsvorwurf gegen die unmittelbar handelnden Personen auszugehen; allerdings entfällt der Vorwurf gegen den Arbeitgeber dann nicht.
Es drohen Schadensersatzansprüche
Ansprüche der Erkrankten oder Hinterbliebenen direkt gegenüber dem handelnden Pflegepersonal oder gegenüber Leitung und Träger können nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ebenfalls die Konsequenz sein. Zu nennen sind Kosten der intensivmedizinischen Weiterbehandlung einer infizierten Person im Krankenhaus mit invasiver Beatmung. Hier wird sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder die Pflegekasse hinsichtlich eines Regresses zu Wort melden. Aber auch die Betroffenen oder - im Todesfall - ihre Angehörigen haben direkte Ansprüche, zum Beispiel auf Schmerzensgeld.
Zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung
Ein Vertragsverhältnis besteht naturgemäß nicht zwischen zu pflegender Person und Pflegekraft, sondern mit dem Träger der Einrichtung. Dieser haftet für Verstöße auf Schadensersatz. Die Pflegekraft hat gegenüber ihrem Arbeitgeber grundsätzlich den Anspruch, von einer Haftung gegenüber Dritten freigestellt zu werden. Intern gibt es Ausnahmen. Aus Delikt kann jeder, also auch die Pflegekraft, in Anspruch genommen werden, auch ohne Vertragsverhältnis. Wenn Leben, Körper oder Gesundheit einer zu pflegenden Person verletzt sind, droht hier eine Haftung.
Überlastung als Gefahren- und Haftungsquelle
Auch nach BGB handelt fahrlässig, wer die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Basis dieses Haftungsgedankens ist, dass jeder sich grundsätzlich darauf verlassen können muss, dass der andere die für die Erfüllung seiner Pflichten erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt. Wer handelt, kann sich nicht darauf berufen, dass die Fachkenntnisse fehlten, der Verstand nicht reichte oder man zu ungeschickt oder nicht kräftig genug war.
Dies gilt auch für Schäden, die auf starker körperlicher, zeitlicher und mentaler Beanspruchung beruhen. Fahrlässig handelt auch, wer trotz Überbeanspruchung Tätigkeiten übernimmt und dann Fehler macht. Die Überlastung stellt damit eine praktisch relevante Gefahren- und Haftungsquelle dar.
Weg zur Heimaufsicht oder zum Gesundheitsamt?
Soweit die Theorie. Was ist zum Beispiel zu tun, wenn die Pflegedienstleistung feststellt, dass Schutzkleidung in ausreichender Zahl fehlt? Infizierte Bewohner dürfen eindeutig nicht ungeschützt durch Pflegekräfte betreut werden. Eine entsprechende Anweisung an Arbeitnehmer wäre somit rechtswidrig und strafrechtlich relevant. Hier bleibt nur der Weg zur Heimaufsicht oder zum Gesundheitsamt.
Ist die Pflegeleistung somit beeinträchtigt, stellen sich Folgefragen und -pflichten: Bei einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungserbringung infolge der Covid-19-Epidemie haben Pflegeeinrichtungen gegenüber den Pflegekassen eine Anzeigepflicht. Wird diese erfüllt, liegt der Ball wenigstens zum Teil im Feld der Pflegekasse, die ein Instrumentarium zum Auffangen solcher Engpässe zur Verfügung haben sollte.
Es ist in diesem Zusammenhang übrigens denkbar, dass Personal auch in dritten Einrichtungen tätig wird, um dort zu unterstützen, was durch das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) erleichtert wurde.
RKI-Kriterien als persönliche Handlungsmaxime
Was können Pflegekräfte und Leitung sonst tun, wenn weiter Unsicherheit besteht? Die Empfehlungen des Robert Koch-Institut (RKI) geben die ersten und momentan besten Anhaltspunkte. Anhand derer kann geprüft werden, ob die eigene Einrichtung den Erfordernissen und damit dem Haftungsmaßstab genügt. Das heißt für die Pflegekräfte selbst, dass zwingend Vorgesetzte informiert und zu Rate gezogen werden müssen. Falls keine Abhilfe kommt, steht der Betriebsrat zur Verfügung. Niemand ist verpflichtet, bei eigener Gefährdung oder bei Risiken für die zu pflegende Person tätig zu werden. Eine Anweisung zum Tätigwerden kann bei eindeutiger Abweichung von den Empfehlungen des RKI verweigert werden. Eine daraufhin ausgesprochene Abmahnung oder Kündigung wäre in jedem Falle unwirksam und hielte vor Gericht nicht stand.
Es spricht - gerade haftungsrechtlich - überhaupt nichts dagegen, über die RKI-Empfehlungen hinauszugehen. In etlichen Einrichtungen trägt das gesamte Personal ständig FFP-2-Mund-Nasen-Schutz, um bereits die Ansteckung bei Symptomfreiheit zu vermeiden. Ein Screening der zu pflegenden Personen direkt bei der Aufnahme sowie ein wöchentliches Mitarbeiterscreening sind Möglichkeiten, wirksame Prävention zu betreiben. Um die Zahl der Kontaktwechsel zu senken, können die Schichten verlängert werden, natürlich bei Freizeitausgleich. Meetings können auf das notwendigste Maß reduziert werden, die Sozialbereiche für das Personal räumlich den Abstandsgeboten angepasst werden. Auch unterhalb der Haftungsschwelle gibt es also viele Möglichkeiten, die Risiken zu begrenzen.
Infektionsschutz darf nicht zu Therapierückschritten führen
Abschließend darf ein letzter, nur halb juristischer Hinweis nicht fehlen: Die Haftungsrisiken können zu einem erheblich erhöhten Grad an Defensivität in der Basis- und Behandlungspflege verleiten. Dabei darf die Lebensqualität der zu pflegenden Personen trotz Infektionsprävention nicht zu kurz kommen. § 11 HeimG (Heimgesetz) fordert eben nicht nur den ausreichenden Infektionsschutz, sondern den Erhalt und Schutz der Würde der Bewohner, die Förderung der Selbstbestimmung, die heilpädagogische Förderung und aktive Pflege. Trotz der Pandemielage bleibt die Notwendigkeit, Pflegeplanungen aufzustellen und einzuhalten. Mittel- und langfristig muss gewährleistet bleiben, dass der Infektionsschutz nicht zu Therapierückschritten und Vereinsamung führt.
Pflege einfach machen.
Sämtliche Meldepflichten spielen in der Infektionsvermeidung sowie der Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten eine wichtige Rolle. Damit erlangen sie auch in erheblichem Maße rechtliche Bedeutung.
Daneben gelten die allgemeineren Straftatbestände des StGB. Hier sind insbesondere die Tatbestände der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung von Bedeutung.
Die Empfehlungen des RKI geben die ersten und momentan besten Anhaltspunkte. Anhand derer kann geprüft werden, ob die eigene Einrichtung den Erfordernissen genügt.
Es empfiehlt sich, jeden Einzelfall und jede Situation eigenverantwortlich zu beurteilen und kritisch zu hinterfragen und eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Der gesunde Menschenverstand und eine Portion Pragmatismus sind hier - neben den Ausführungen - sicher eine gute Basis.
Ermittlungsverfahren: Thema im Vorstellungsgespräch?
Ist ein Arbeitgeber berechtigt, einen Stellenbewerber im Vorstellungsgespräch oder in einem Personalfragebogen pauschal nach Vorstrafen und schwebenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu fragen?
Fragen im Vorstellungsgespräch und auf Personalfragebögen gehen manchmal über das hinaus, was erlaubt ist. Aus juristischer Sicht sind nur solche Fragen zulässig, an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse hat. Um dem Bewerber im Fall einer unzulässigen Frage eine Chance auf den Arbeitsplatz zu geben, wird ihm hier ein "Recht zur Lüge" zuerkannt. Lügt ein Bewerber hingegen auf eine zulässige Frage, riskiert er die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber oder die Kündigung.
In einem Fall, über den das Arbeitsgericht Bonn am 20.05.2020 (5 Ca 83/20) entschieden hat, ging es um einen Mann, der in einem Berufsausbildungsverhältnis zur Fachkraft für Lagerlogistik stand; dabei hatte er Zugriff auf hochwertige Vermögensgüter. Beim Einstellungsverfahren hatte er ein "Personalblatt" ausgefüllt, in dem es an einer Stelle hieß: "Gerichtliche Verurteilungen / schwebende Verfahren". Als Antwortmöglichkeiten waren ankreuzbar "Nein" und "Ja, Grund und Aktenzeichen des Verfahrens". Der Bewerber kreuzte "Nein" an, obwohl er wusste, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Raubes anhängig war. Als der Auszubildende ein Jahr später wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde, bat er seinen Vorgesetzten darum, seine Ausbildung während des Freigangs fortsetzen zu können. Der Arbeitgeber erklärte die Anfechtung des Ausbildungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, um das Ausbildungsverhältnis zu beenden. Dagegen erhob der Azubi Klage beim Arbeitsgericht - mit Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts war die pauschale Frage nach gerichtlichen Verurteilungen und schwebenden Verfahren unzulässig, weil die Frage zu weitgehend gestellt wurde und z.B. auch etwaige Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung oder wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfasste. Dieser Grundsatz gelte auch für den öffentlichen Dienst. Da der Auszubildende mit hochwertigen Vermögensgütern zu tun hatte, hätte einiges dafür gesprochen, dass die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren wegen Vermögensdelikten zulässig gewesen wäre. Im Bewerbungsverfahren für Pflegeberufe sind dementsprechend Fragen nach laufenden Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten sowie Freiheitsberaubung zulässig.