Fragestellung: Wie stellt sich die spezifische, zelluläre Immunantwort auf eine Exposition oder Infektion mit SARS-CoV-2 dar?
Hintergrund: Berichte über rasch abfallende Antikörpertiter in der Rekonvaleszenzphase nach COVID-19 bis hin zur Seronegativität in einem relevanten Prozentsatz insbesondere mild erkrankter Patienten lösten die Sorge einer ungenügenden adaptiven Immunantwort mit dem Risiko von Re-Infektionen aus [1; s.a. Pneumo News 2020; 12 (6) S. 10]. Trotz dieser serologischen Beobachtungen gibt es aber abgesehen von fraglichen Einzelfallberichten keine sicheren Hinweise für das Auftreten von COVID-19-Rezidiven in einem relevanten Ausmaß. In Anbetracht der anhaltenden Pandemie-Situation sind Informationen über den zellulären Schenkel der erworbenen Abwehr von großer Wichtigkeit. SARS-CoV-2-spezifische Memory-T-Zellen könnten eine langfristige Immunprotektion gegen COVID-19 gewährleisten.
Patienten und Methoden: Die Kollegen des schwedischen Karolinska-Instituts erfassten in der Frühphase der Pandemie in einer Querschnittsstudie phänotypische und funktionelle Charakteristika der virusspezifischen T-Zell-Antwort bei 7 verschiedenen Personen-Gruppen: während schwerer (n=17) und moderater (n=10) COVID-19-Erkrankung, in der Rekonvaleszenzphase nach schwerer (n=26) und moderater (n=40) COVID-19, bei exponierten Familienangehörigen erkrankter Patienten (n=30) sowie bei Blutspendern vor (Juli bis September 2019; n=28) und während (Mai 2020; n=55) der Pandemie.
Ergebnisse: In der akuten Krankheitsphase fanden sich virusspezifische T-Zellen mit einem aktivierten zytotoxischen Phänotyp, verbunden mit dem Nachweis virusspezifischer IgG-Antikörper und einem erhöhten Plasmaspiegel verschiedener inflammatorischer Zytokine.
In der Rekonvaleszenzphase differenzierten die SARS-CoV-2-spezifischen T-Zellen in einen Memory-Phänotyp. Diese Zellen zeigten eine starke Reaktion bei der Inkubation mit Spike-, Membran- oder Nukleokapsid-Proteinen des Virus. Eine solche Reaktion war zu 100 % bei Rekonvaleszenten nach schwerem Infekt und zu 87 % nach mildem oder asymptomatischem Erkrankungsverlauf nachweisbar. Ein relevanter Anteil dieser Patienten hatte keine zirkulierenden Antikörper mehr. Re-Infektionen wurden im Studienverlauf nicht beobachtet.
SARS-CoV-2-spezifische T-Zellen waren zu 67 % auch bei antikörperseronegativen Familienangehörigen von erkrankten Patienten vorhanden.
T-Zellen von Blutspendern vor der Pandemie zeigten zu 28 % Kreuzreaktionen gegen Spike- und Membranprotein, wahrscheinlich induziert durch den Kontakt mit anderen, saisonalen Coronaviren. Eine Nukleokapsid-Reaktivität fehlte in dieser Kohorte. Blutspender während der Pandemie zeigten eine virusspezifische T-Zell-Reaktivität in 47 %.
Schlussfolgerung: Der Datensatz dieser Studie zeigt, dass SARS-CoV-2 eine robuste, breite und hochfunktionale Memory-T-Zell-Antwort auslöst, die vor rezidivierenden Episoden von COVID-19 schützen kann.
Originalie.
Sekine T, Perez-Potti A, Rivera-Ballesteros O et al. Robust T cell immunity in convalescent individuals with asymptomatic or mild COVID-19. Cell. 2020; https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.08.017
Kommentar von Dr. med. Wolfgang Gesierich.
Zeit für etwas mehr Gelassenheit bezüglich einer Re-Infektion
Diese solide erhobenen und publizierten Daten zur zellulären Immunantwort auf eine Exposition bzw. Infektion mit SARS-CoV-2 schließen wichtige Lücken in unserem Wissen um die erworbene Immunität gegen das neuartige Coronavirus. Unser adaptives Immunsystem verfügt offensichtlich trotz einer eher kurzlebigen Antikörper-Antwort sehr wohl über zelluläre Mechanismen, die einen langfristigen Schutz vor Re-Infektionen gewährleisten können.
In der anhaltenden Pandemie-Situation ohne Verfügbarkeit eines Impfstoffs ist diese Information von großem Wert. Die Seroprävalenz virusspezifischer Antikörper bedingt offensichtlich eine Unterschätzung der Immunität in einer Population. Zur Quantifizierung der bereits erreichten Herdenimmunität ist auch die Detektion virusspezifischer T-Zellreaktionen erforderlich. Dass auch mild Erkrankte und asymptomatisch Exponierte zu einem relevanten Prozentsatz eine solche Reaktion entwickeln können, darf hoffnungsvoll stimmen.
Einschränkend ist anzumerken, dass es sich um eine Querschnitts-Studie mit stark eingeschränktem Follow-up zu einem frühen Zeitpunkt der Pandemie handelt. Ob Memory-T-Zellen einen anhaltenden Schutz vor Re-Infektionen bieten, muss der Langzeitverlauf zeigen. Analogieschlüsse geben aber Anlass zum Optimismus: Auch nach Infektion mit SARS-CoV-1 ist eine lange anhaltende, protektive T-Zell-Antwort trotz abfallender Antikörperspiegel bekannt [2].
Unklar bleibt auch, wie der Nachweis kreuzreagierender T-Zellen in Seren von Blutspendern bereits vor der Pandemie zu bewerten ist. Dieser Befund ist wahrscheinlich zu erklären durch den Kontakt mit harmlosen saisonalen Corona-Viren. Ob er auch mit einer Immunität gegen SARS-CoV-2 einhergeht, ist damit nicht bewiesen.
Die Studie lehrt uns auch etwas Grundsätzliches im Umgang mit der aktuellen Pandemie. In den sich überstürzenden Ereignissen der Frühphase wurden präliminär publizierte wissenschaftliche Erkenntnisse aus kleinen Kollektiven oft vorschnell von der Presse und sozialen Netzwerken aufgegriffen, unkritisch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dabei verallgemeinert und dramatisiert. Es ist an der Zeit, zu den bewährten Regeln wissenschaftlicher Publikation und zu etwas mehr Gelassenheit zurückzukehren.
Dr. med. Wolfgang Gesierich.
Asklepios-Fachkliniken München-Gauting Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie Robert-Koch-Allee 2, 82131 Gauting w.gesierich@asklepios.com
Literatur
- 1.Long QX, Tang XJ, Shi QL et al. Clinical and immunological assessment of asymptomatic SARS-CoV-2 infections. Nat Med. 2020;26:1200-4 [DOI] [PubMed]
- 2.Channappanavar R, Fett C, Zhao J et al. Virus-specific memory CD8 T cells provide substantial protection from lethal severe acute respiratory syndrome coronavirus infection. J Virol. 2014;88:11034-44 [DOI] [PMC free article] [PubMed]