„Was kommt auf uns zu“ 1 fragten Kern et al. mit Bezug auf offene Fragen zur Sterblichkeit im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen. Um bei der Bewältigung der Pandemie „mit viel Sicht fliegen“ 2 3 zu können, sollten in SARS-CoV-2/COVID-19-Zeiten Virus-Testergebnisse um epidemiologische Ergebnisse zur Sterblichkeit ergänzt werden. Auswertungen der Mortalität für Frauen und Männer, die das Alter berücksichtigen, und mit angemessener räumlicher Auflösung erfolgen 4 , d. h. in den 16 Bundesländern, bieten wichtige Informationen.
Methoden
Wir analysierten die Gesamtmortalität, getrennt für Kombinationen von Geschlecht (gesamt, männlich, weiblich) und Alter (gesamt, < 65, ≥ 65 Jahre), für Deutschland und seine Bundesländer für den Zeitraum Januar bis Oktober in den Jahren 2016–2020 auf Basis der aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes (veröffentlicht am 27.11.2020, im Supplement enthalten). Als Effektmaße berechneten wir vereinfachte Standardisierte Mortalitätsratios 5 [SMRs] mit erweiterten 95 %-Konfidenzintervallen (95 % KI, erweitert = random-effects-Ansatz 6 ) pro Woche und Monat als das Verhältnis aus der Zahl der Todesfälle im Jahr 2020 und einem Mittelwert (arithmetisch bzw. geometrisch) der Zahl der Todesfälle in den Referenzjahren 2016 bis 2019. Details zur Methodik inkl. Auswerteprogramm finden sich online im Supplementary Material.
Ergebnisse
Von Januar bis Oktober betrug die Gesamt-SMR (geometrisch) für Deutschland 1,01 (95 % KI: 0,99–1,04). Die Gesamt-SMR für Frauen war 1,00 (95 % KI: 0,98–1,03) und für Männer – statistisch signifikant – erhöht 1,03 (95 % KI: 1,01–1,06). Für Frauen < 65 bzw. ≥ 65 Jahren wurden eine geringe Untersterblichkeit – statistisch signifikant – bzw. Übersterblichkeit bestimmt (< 65 Jahre: SMR = 0,98; 95 % KI: 0,96–0,99; ≥ 65 Jahre: SMR = 1,01; 95 % KI: 0,98–1,04). Bis 65-jährige Männer hatten insgesamt keine erhöhte Sterblichkeit; in der Altersgruppe ≥ 65 Jahre zeigte sich eine erhöhte SMR – statistisch signifikant – von 1,04 (95 % KI: 1,01–1,08).
Abb. 1 ist bis Ende Oktober mit zwei Phasen von Exzess-Mortalitäten vereinbar, eine im April/Mai und eine im August/September. Darüber hinaus zeigt die Grafik, dass über 10 Monate insgesamt erhöhte SMRs bei Frauen in 4 und bei Männern in 12 Bundesländern beobachtet wurden: In Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Brandenburg waren die Übersterblichkeiten bei Männern statistisch signifikant. Für mindestens 65-jährige Männer wurden z. T. ausgeprägte Exzess-Mortalitäten in Deutschland sowie allen Bundesländern bestimmt. Abb. 2 zeigt beispielhaft den Verlauf der SMR in Wochenauflösung, der der Zeile Nordrhein-Westfalen in Abb. 1 zugrunde liegt.
Mecklenburg-Vorpommern hatte eine lange Periode (Januar bis April) von SMRs unter oder nahe 1, obwohl die SMRs anstiegen – seit Mai/Juni auch mit Übersterblichkeiten. Geschätzte Trends in Mecklenburg-Vorpommern zeigten bis Juni einen SMR-Anstieg von 2,5 % pro Monat oder 4 Wochen, der auch nach Adjustierung für Alter und Geschlecht beobachtet wurde (immer p < 0,0005).
Die Fallzahlen, SMRs und Konfidenzintervalle in Tabellenform, differenziert nach Alter und Geschlecht, pro Monat und Woche sowie gesamt bis Oktober 2020 zu Deutschland und zu allen Bundesländern sind als Supplementary Material online verfügbar.
Diskussion
Trotz der offensichtlichen Erhöhungen der Sterblichkeit im April/Mai in Assoziation mit COVID-19 und im August in Koinzidenz mit einer Hitzewelle 7 , entsprach in Deutschland die Mortalität von Januar bis Oktober im Jahr 2020 beinahe genau dem Durchschnittswert der vom Statistischen Bundesamt angebotenen Referenzjahre 2016 bis 2019 (in denen sich Grippe- und Hitzewellen ereigneten). Dies bestätigt Befunde von Stang et al. 8 . Übereinstimmend mit 9 ergaben unsere Analysen eine für Männer erhöhte und für beide Geschlechter mit dem Alter ansteigende relative Mortalität in 2020 (vgl. zu Limitationen die Ausführungen im Supplement). Auch bei Personen < 65 Jahre sahen wir einen gewissen SMR-Anstieg im April/Mai, aber insbesondere auch im Zeitfenster der Hitzewelle im August 7 .
Das Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern kann veranschaulichen, wie Mortalitätsanalysen Virustests ergänzen können und sollten 2 3 : Bis April 2020 war die Mortalität dort nicht erhöht, wenn sie anhand der SMR der Einzelmonate beurteilt wurde, und der SMR-Anstieg von März bis April war gering. Bei vergleichsweise wenig dokumentieren Infektionen schlug die dortige Landesregierung Anfang Juli Gespräche zur Abschaffung der Maskenpflicht im Handel vor. Die Untersuchung der SMRs von Januar bis Juni zeigte für Mecklenburg-Vorpommern jedoch einen auffälligen linearen Trend zu steigenden SMRs, der zur Vorsicht hätte mahnen können.
Bisher publiziert das Statistische Bundesamt die Grunddaten mit einem Verzug von ca. 4 Wochen. Eine zeitnähere Bereitstellung dieser Informationen ist angezeigt, wie z. B. durch EuroMOMO ( https://www.euromomo.eu/about-us/contact/ ) realisiert. Deutschland nimmt an diesem europäischen Projekt mit lediglich zwei Bundesländern teil (Hessen, Berlin). Um das der COVID-19-Pandemie zuzuschreibende Mortalitätsgeschehen angemessen analysieren zu können, sollten die Sterbedaten differenziert nach Regionen, Geschlechtern, Altersgruppen und Todesursachen angeboten werden.
In der Gesamtschau bieten unsere Auswertungen – erstmalig – für Frauen und Männer getrennt, für unterschiedliche Altersgruppen und für die einzelnen Bundesländer für 10 Monate empirische Daten zu Änderungen der Sterblichkeit 1 während der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie in Deutschland. Unter anderem aufgrund dessen, was in Italien, Spanien, Frankreich, dem UK und den USA durch überlastete Krankenhäuser dokumentiert wurde 10 , kam es zu ausgeprägten Public-Health-Maßnahmen zur „Abflachung der epidemiologischen Kurve“ 10 . Zukünftige Forschungsarbeiten müssen klären, welche Bedeutung die ergriffenen Maßnahmen gegen COVID-19 für die derzeitigen Beobachtungen haben 11 . Der weitere Verlauf und die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie bleiben zudem nicht klar vorhersehbar 10 , da sich Effekte nicht notwendigerweise darauf beschränken, ob eine SARS-CoV-2-Infektion jetzt überlebt wird oder nicht. Aktuelle Sterblichkeitsdaten lassen z. B. Fragen zur Lebensqualität und Lebenserwartung offen, die sich zu potentiellen mittel- und langfristigen Folgen von COVID-19 ergeben können 12 .
Publikationshinweis.
Leserbriefe stellen nicht unbedingt die Meinung von Herausgebern oder Verlag dar. Herausgeber und Verlag behalten sich vor, Leserbriefe nicht, gekürzt oder in Auszügen zu veröffentlichen.
Danksagung
BT wird vom Koeln Fortune Program/Faculty of Medicine, University of Cologne unterstützt.
Footnotes
Interessenkonflikt Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Supplement
Literatur
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Associated Data
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